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Die katastrophalen Folgen der Kapitulation von Syriza

Eingereicht on 31. August 2015 – 16:40

Yorgos Mitralias. Wie erwartet hat die Tsipras-Regierung nach dem verhängnisvollem 13. Juli eine Richtung eingeschlagen, die die pessimistischsten Voraussagen bestätigte[1]. Sie wendet sich mit Zynismus und Gewalt – wenn auch vorerst nur verbal – gegen jene, die es wagen, ihre Pro-Memorandum Transformation herauszufordern. Und seit die Tsipras Tendenz‘ in Syriza beschlossen hat, die Führung in einer neuen Regierung zu übernehmen, welche das Land in Zusammenarbeit mit allen neoliberalen Parteien (Nea  Dimokratia, PASOK, Potami) regiert, richten sich ihre Angriffe allein gegen die OpponentInnen, die gegen ihr Regierungsprogramm, d.h. gegen das 3. Memorandum auftreten. Diese OpponentInnen sind nicht in der Opposition von gestern zu finden, welche sich jetzt in Regierungspartner verwandelt hat, sondern an erster Stelle und vor allem im linken Flügel von Syriza, welcher nun die Hauptkraft der Opposition bildet, angesichts dessen, dass die Führungen von der Goldenen Morgenröte und der Kommunistischen Partei (KKE) in letzter Zeit durchblicken liessen, dass sie  mit der Tsipras-Regierung dahingehend übereinstimmen, dass Griechenland im Euro-Raum verbleiben muss.

Die Tatsache, dass all diese Änderungen und „unvorstellbaren“ Kehrtwendungen in der politischen Landschaft in weniger als einem Monat vollzogen wurden, hat die fassungslosen BürgerInnen zusätzlich verwirrt. Ein näherer Blick auf die Entwicklung der Tsipras-Regierung hätte jedoch genügt, um uns auf ihre Ovidsche Metamorphose einzuustimmen. Ihr andauerndes Zurückweichen während der 5-monatigen Verhandlungen mit den Kreditgebern hätte uns eine Warnung sein können. Spätestes mit der Regierungsbildung hat tatsächlich ein deutlicher Rechtsruck eingesetzt. Personen ohne soziale Basis, ohne geringste Verbindung mit Syriza, die Syriza noch einige Tage vor der Wahl  beschimpften, wurden zu Ministern ernannt! So zum Beispiel Herr Madras, welcher am 17. Januar 2015, eine Woche vor dem Wahlsieg von Syriza – einen besonders schmutzigen Artikel gegen die Parlamentsabgeordnete Rachel Makri veröffentliche: „Rachel versus Kim Yong und Amin Dada“ – den er mit der rhetorischen Frage (von ihm selbst hervorgehoben) „sind das die Leute, die uns regieren werden?“ beendete. Zehn Tage später wurde besagter Herr Madras durch die Gnade des Duos Tsipras/Dragasakis Stellvertretender Finanzminister und übernahm gemeinsam mit den Innenminister Herrn Panoussis[2] die Rolle des ideologischen Beraters, wurde zur Säule und zum Kontrollbeamten der neuen Regierung, mit praktischen Aufgaben, die seinen wirtschaftlichen Verantwortungsbereich bei weitem überschritten und sukzessive durch die Entscheidungen des Herrn Tsipras immer mehr ausgeweitet wurden.

Dazu kommt die allmähliche „Nomalisierung“ der Partei und ihrer SympathisantInnen in Vorbereitung auf die Machtübernahme, die Neutralisierung der „am meisten störenden“ Elemente bei gleichzeitigem Versprechen an die „Oberen“ … „ihr habt von uns nichts zu befürchten“  – wenn wir das alles Zusammenzählen dann erscheint die Pro-Memorandum-Metamorphose der Tsipras-Regierung fast als „natürliches Ergebnis“ eines Weges, der zwangsweise zu diesem Ergebnis führt. Mehr noch, die Entwicklung einer von Tsipras „normalisierten“ Syriza zur Europäischen Sozialdemokratie wird sich ebenfalls als „natürlich“ herausstellen; dies gerade auch, da wir bereits  einige „Disharmonien“ sogar in den Beziehungen zur Europäischen Linkspartei sehen können. Kurz gesagt, diese Entwicklung ist keine Überraschung, der Wurm des Verrates frass sich schon lange in dem Körper fest, der die „erste Linksregierung in der Geschichte Griechenlands“ hervorbringen sollte. Genauso wie der Wurm des Verrates vom 14. August 1914 in der Deutschen und Internationalen Sozialdemokratie existierte, die mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten an die Schlächter des Ersten Weltkrieges genau den Grund ihrer Existenz negierte.

Auch wenn wir den Unterschieden zu 1914 Rechnung tragen, die gegenwärtige Kapitulation von Syriza und ihrer Regierung wird die gleichen oder sogar noch schlimmere Folgen für Griechenland haben, wie der Verrat der Deutschen Sozialdemokratie  am schicksalhaften 14. August. Es ist bemerkenswert, dass sich niemand in Griechenland um die nicht weniger desaströsen Folgen der Unterwerfung der Tsipras-Regierung unter den Neoliberalismus außerhalb Griechenlands, in Europa und weltweit, Sorgen macht, obwohl die desaströsen Auswirkungen für die griechische Linke bereits offensichtlich sind.

Wir sind fest davon überzeugt, dass Herr Tsipras und seine Belegschaft durch ihre Kapitulation in sträflicher Weise für die internationale Linke, für die sozialen Bewegungen und fortschrittlichen BürgerInnen in Europa eine gefährliche Situation geschaffen haben! Sind wir realistisch, was können wir von Leuten erwarten, die monate- ja jahrelang so offensichtlich den Solidaritätsbewegungen „von unten“, die sich fast überall in Europa herausbildeten[3], den Rücken zugewandt haben, während sie es gleichzeitig bevorzugten, unter den eingeschworenen Feinden innerhalb der internationalen Sozialdemokratie und KonsortInnen, wie Hollande, Renzi und Schultz – Verbündete zu suchen!?

Syriza war bis vor kurzem Aushängeschild und Quelle der Inspiration und Hoffnung für eine europäische Linke, die sich seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts in einer tiefen Krise befindet. Aufgrund dieser Tatsache können wir davon ausgehen, dass die Kapitulation von Syriza vergleichbare katastrophale Folgen haben wird, wie die Kapitulation der deutschen Sozialdemokratie vor hundert Jahren, dem  damaligen Aushängeschild der internationalen ArbeiterInnen- und sozialen Bewegungen. Diese Annahme ist keine Arbeitshypothese, die erst durch laufende Ereignisse bestätigt werden muss. An allen Ecken und Enden von Europa und auch außerhalb Europas, machen sich Enttäuschung, Sorge und Verzweiflung unter jenen breit, die glaubten, dass sie gemeinsam mit der Führung von Syriza erfolgreich gegen die Sparpolitik und das „Schuldensystem“ kämpfen können.

Wir müssen uns eingestehen, dass die die Kapitulation von Syriza die internationale und fortschrittliche Bewegung in eine äußerst gefährliche Lage gebracht wurde. Die Gefahr besteht nicht allein darin, dass sich Tausende gezwungen sehen,  ihre Aktivitäten aufzugeben und sich auf sich selbst zurückzuziehen, und dass sich viele dafür entscheiden werden, passiv den Lauf der Dinge abzuwarten. Der Verrat Syrizas findet in einer besonderes kritischen historischen Situation statt, die rassistische extreme Rechte ist überall auf dem Kontinent am Anwachsen, es besteht unmittelbar und direkt die Gefahr, dass viele der von Syriza enttäuschten europäischen BürgerInnen den rassistischen und neo-faschistischen selbsternannten „anti-systemischen“ extremen Rechten auf dem Leim gehen.

Dem oben gesagten Rechnung tragend, Wir kommen mit dem oben Gesagten zum Schluss, dass der sich im Aufbau gegen die Memoranden befindliche Widerstand sehr dringend ist, sich schnell – heute und nicht erst morgen – an die Millionen von BürgerInnen in Europa und weltweit zu wenden, die weiterhin ihre Hoffnung auf ein Griechenland setzen, welches sich dem neoliberalen Barbarismus widersetzt. Dies würde effizientesten geschehen, indem die Widerstandsfront konkrete internationale und sichtbare Kämpfe initiiert. Die  Zeit wird knapp und jede Zweideutigkeit kann für uns fatale Folgen haben. Die griechische Linke muss diese bedeutenden internationalen Aufgaben übernehmen, ansonsten kann sie sich nicht vorwärts bewegen und den schwierigen Kampf in Griechenland zu einem sicheren Abschluss  bringen.

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Quelle: österreichisches Griechenlandkomitee vom 29. August 2015. Leichte Änderungen durch Redaktion maulwuerfe.ch

Yorgos Mitralios ist Gründer des griechischen Komitees für Schuldenstreichung, einer Sektion des internationalen Netzes CADTM und Mitglied der Griechischen Kampagne für ein Schuldenaudit, Mitglied der Kommission für die Wahrheit über die griechischen Schulden und Gründer des Aufrufs zur Unterstützung dieser Kommission.

 

 

[1] Siehe „Black days: 4th August 1914 Deutschland und 13th July 1015 Greece“ (http://cadtm.org/Black-days-4th-August-1914-Germany)

[2] Yannis Panoussis, Innenminister der Tsipras-Regierung, kommt von der „Demokratischen Linken“. Diese war mindestens an einer PRO-Memorandum Regierung beteiligt und hat diese unterstützt. Er hat sich in den letzten Monaten durch seine täglichen Hetzreden gegen die von ihm sogenannten „Linken für Nichts“, die Parlamentspräsidentin „welche ein Fall für die Psychiatrie ist“Yannis Varoufakis „welcher es verdient, vor ein Spezialgericht gestellt zu werden“, die „im All verlorenen“ MarxistInnen, die Jugend und den GewerkschafterInnen von Syriza  ausgezeichnet … und für seine Lobpreisung von „Recht und Ordnung“ und die Repression gegen alles, was sich bewegte. Es war übrigens unter seinen Kommando, dass die griechische Polizei – das erste Mal in der Geschichte des Landes – die Universitäten überfiel, das traditionelle Universitätsasyl verletzend.

[3] Siehe „Quelle reponse de Syriza aux millions de citoyens solidaires de par l’Europe?“ (http://cadtm.org/Quelle-reponse-de-Sysriza-aux)

und « Nos meilleurs allies, les 300.000 de Puerta del Sol ! » (http://cadtm.org/nos-meilleurs-allies-les-300-000)

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