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Das ägyptische Regime deportiert Aktivist:innen des Marsch nach Gaza

Eingereicht on 16. Juni 2025 – 13:17

Osama Elnaggar. Die ägyptische Regierung unter Präsident Sisi behauptet, Palästina zu unterstützen, macht aber nichts, außer Leute festzunehmen, die die Blockade Gazas durchbrechen wollen.

Tausende Aktivist:innen aus der ganzen Welt versammeln sich derzeit in Kairo, um sich gemeinsam auf den Global March to Gaza, der am 15. Juni beginnen soll, vorzubereiten. Ziel des Marsches ist es, die israelische Blockade Gazas zu durchbrechen, indem sie zu Tausenden über die Grenze in Rafah laufen. Die ägyptische Regierung, die sich als palästinasolidarisch ausgibt, schlägt die Versammlungen nieder, verhaftet Aktivist:innen und schiebt sie ab. Aus Tunesien ist aktuell noch ein Landkonvoi nach Gaza unterwegs, der die ägyptisch-libysche Grenze am Donnerstag Abend erreichen soll, obwohl noch unklar ist, ob er an der Grenze durchgelassen wird oder nicht.

Seit Mittwoch Nacht gibt es immer mehr Berichte über die Repression gegen Global March to Gaza, hunderte wurden inhaftiert. Laut Mada Masr wurden 40 algerische Staatsbürger:innen Donnerstagmorgen aus Kairo abgeschoben, nachdem sie 24 Stunden festgehalten wurden. Währenddessen wurden zehn Aktivisten aus Marokko am Flughafen bereits zurückgeschickt und mehrere türkische Staatsbürger:innen wurden festgehalten und abgeschoben, nachdem die Polizei beobachtete, wie sie Palästinaflaggen aus ihrem Hotel in Kairo heraus trugen. Auch französische Aktivist:innen berichteten von Festnahmen und Misshandlungen durch ägyptische Behörden. Patricio del Coro und Luca Bonfante von unserer Schwesterorganisation, der PTS aus Argentinien, haben für unser Schwesterseite La Izquierda Diario vor Ort Berichterstattung geleistet und zwei unserer Genossen aus dem Spanischen Staat und Katalonien wurden abgeschoben.

4000 Menschen gegen die Besatzung

Rund 4000 Teilnehmer:innen sollen kommenden Sonntag den Global March to Gaza beginnen. Busse sollen sie in die Stadt Arish in Nordsinai bringen, von wo aus sie 48 Kilometer nach Rafah laufen wollen, dem einzigen Landübergang nach Gaza, der nicht an Israel grenzt.

Die Organisator:innen wollen weiterhin die erforderlichen Genehmigungen bei den ägyptischen Botschaften in ihren jeweiligen Ländern und bei der ägyptischen Regierung einholen. In einer Erklärung vom Donnerstagnachmittag versprachen sie, ihren Marsch fortzusetzen, obwohl 170 Teilnehmer:innen „mit Verzögerungen und Abschiebungen am Kairoer Flughafen konfrontiert sind“.

Die bisher einzige offizielle Stellungnahme der ägyptischen Regierung erfolgte am Mittwochabend, nachdem sie wochenlang nicht auf die Genehmigungsanträge reagiert hatte. In einer typisch vagen Erklärung begrüßte das ägyptische Außenministerium die Initiative, betonte aber die Notwendigkeit, offizielle Genehmigungen einzuholen. Dies bezieht sich auf die eingeschränkten Bewegungsspielraum in der Nordsinai-Region, die an Gaza angrenzt und von den ägyptischen Sicherheitskräften streng kontrolliert wird. Nur Anwohner:innen dürfen ohne Sondergenehmigung einreisen.

Vielfältige Durchbruchsversuche

In der Zwischenzeit ist ein weiterer Hilfskonvoi auf dem Weg nach Ägypten. Der Sumoud-Konvoi („Resilienz“ auf Arabisch) besteht aus 300 Fahrzeugen, die 7.000 nordafrikanische Aktivist:innen entlang der Mittelmeerküste transportieren. Der Konvoi brach am Montag in der tunesischen Hauptstadt Tunis auf und hat am Donnerstag Libyen erreicht, wo er bis Donnerstagabend in der ägyptischen Grenzstadt Salloum eintreffen soll. Bisher hat die ägyptische Regierung den Organisator:innen des Sumoud-Konvoi noch nicht mitgeteilt, ob sie in das Land einreisen dürfen.

Diese Initiativen kommen einige Tage, nachdem die Madleen, ein Boot mit Hilfsgütern und 12 prominenten Aktivist:innen, darunter Greta Thunberg, von der israelischen Marine daran gehindert wurde, die Küste von Gaza zu erreichen. Einige der Aktivist:innen wurden abgeschoben, andere sitzen noch immer in Haft und warten auf ihre Abschiebung, darunter die Europaabgeordnete Rima Hassan.

Die Situation in Ägypten

Während die Regierung von Abdel Fattah el-Sisi sich palästinasolidarisch gibt, ist die Repression gegen Palästinaaktivismus in Ägypten keine Neuigkeit. Die aktuellen Ereignisse lenken dennoch die weltweite Aufmerksamkeit auf die erstickende politische Atmosphäre unter dem Sisi-Regime.

Seit der Unterzeichnung des Camp-David-Abkommens und der Normalisierung der Beziehungen zu Israel im Jahr 1978 fungiert das ägyptische Regime als wichtiger Sicherheitsgarant für Israel. In der Sisi-Ära hat sich diese Sicherheitskooperation vertieft, wobei das Auftreten von ISIS-nahen Terrorgruppen im Nordsinai in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre eine Bedrohung für die Sicherheitseinrichtungen sowohl in Israel als auch in Ägypten darstellt.

Seit Oktober 2023 hat es in Ägypten nur sehr wenige öffentliche Proteste gegen den israelischen Völkermord in Gaza gegeben, obwohl die Bevölkerung überwiegend pro-palästinensisch und antizionistisch eingestellt ist. Die einzigen Massenproteste wurden einige Wochen nach dem 7. Oktober von staatstreuen Parteien organisiert. Die Regierung entschied jedoch schnell, dass sie einen Kontrollverlust nicht riskieren konnte, nachdem die Demonstranten zuvor genehmigte Orte verließen und sich zum Tahrir-Platz begaben, jenem Epizentrum der Aufstände, wo 2011 der Aufstand von 2011 gipfelte. Am größten Protesttag im Oktober 2023 wurden 114 Menschen verhaftet. Im Juni 2024 befinden sich noch 95 von ihnen in Untersuchungshaft.

Nach diesen Verhaftungen gab es in Ägypten keine großen Pro-Palästina-Proteste mehr. Die Solidarität der Bevölkerung mit Palästina wird in den Mainstream-Medien und in den sozialen Medien umfassend zum Ausdruck gebracht, und es wurden mehrere Boykottkampagnen ins Leben gerufen, die breite Unterstützung fanden. Was tatsächliche Proteste betrifft, so beschränken sich diese auf gelegentliche kleine Kundgebungen von Journalist:innen auf den Stufen des Gebäude des Journalistenverbandes (die vom Regime geduldet wurden) sowie einige weitere kleine Aktionen, die sofort unterdrückt werden.

Die lokalen Reaktionen auf Global March to Gaza und den Sumoud-Konvoi waren unterschiedlich. Der nationalistische Fernsehmoderator Ahmed Moussa nannte die Konvois, „Ägypten destabilisieren“ zu wollen und ein Komplott der Muslimbruderschaft zu sein. Dies entspricht den üblichen Anschuldigungen, die gegen Demonstrant:innen erhoben werden.

Die Nachrichtenagentur Darb veröffentlichte eine Erklärung der Sozialistischen Volksallianz-Partei, die keine Sitze im Parlament innehält und das Durchlassen der Hilfskonvois nach Rafah fordert. Die großen ägyptischen Nachrichtensender berichteten jedoch kaum über die Geschehnissen, obwohl sie sich täglich mit den Ereignissen im Gazastreifen befassen.

Ein schwieriger Drahtseilakt

Trotz der ungewohnten Szenen abgewiesener europäischer Aktivist:innen kommt die Repression gegen Global March to Gaza für niemanden überraschend, der:die die Entwicklungen in Ägypten in den letzten zehn Jahren mitverfolgt hat. Seit seinem Machtantritt zeigt sich das Sisi-Regime äußerst paranoid gegenüber jeglicher Form öffentlicher Proteste. Demonstrationen gegen die Regierung sind ohnehin ausgeschlossen, doch auch Proteste, die sich nicht explizit gegen die Regierung richten – etwa Arbeiter:innenstreiks oder Proteste gegen Zwangsräumungen – werden mit brutaler Gewalt unterdrückt. Selbst Kandidat:innen bei Wahlen und deren Wahlkampfhelfer:innen wurden verhaftet und inhaftiert. Angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage und der täglich zunehmenden Belastungen für die ägyptische Arbeiter:innenklasse und Bauernschaft fürchtet die Regierung offenbar, dass selbst kleinste Proteste in einen antiregierungspolitischen Aufstand umschlagen könnten.

Das Sisi-Regime manövriert derzeit einen schwierigen Balanceakt. Einerseits muss es Israel und dessen Vernichtungskrieg gegen Gaza kritisieren, da die ägyptische Bevölkerung ausgesprochen pro-palästinensisch und anti-zionistisch eingestellt ist. Andererseits sieht sich Ägypten an den Camp-David-Konsens gebunden und muss die sicherheitspolitischen Interessen der USA und Israels bedienen. Gleichzeitig bezieht Ägypten einen Großteil seines außenpolitischen Gewichts daraus, eine der wenigen Parteien zu sein, die als Vermittler zwischen Israel und Hamas akzeptiert werden – und genau diese Rolle muss erhalten bleiben. Die Widersprüche zwischen diesen verschiedenen Zielen können letztlich nur durch die Repression jeglicher Form öffentlicher Mobilisierung überdeckt werden.

Wie sich der Marsch nach Gaza in den kommenden Tagen entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist aber schon jetzt: Diese symbolische Aktion der internationalen Solidarität mit Gaza stellt eine massive Herausforderung für das ägyptische Regime dar.

Quelle: klassegegenklasse.org… vom 16. Juni 2025

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