Schweiz
International
Geschichte und Theorie
Debatte
Kampagnen
Home » Debatte, Geschichte und Theorie, Kampagnen

Über die Finanzierung des Klimaschutzes

Eingereicht on 6. November 2021 – 9:58

Michael Roberts. Die COP26 trudelt in Glasgow weiter vor sich hin, ohne dass es Anzeichen dafür gibt, dass irgendetwas Wesentliches zur Umkehrung der globalen Erwärmung und zur Beendigung der Zerstörung der Natur vereinbart wird.  Entgegen all den Schlagzeilen in den Medien lassen Regierungen und Unternehmen ihr Geld nicht dort, wo es hingehört.  Die finanzielle Unterstützung für Massnahmen zur Verringerung der Kohlenstoffemissionen und anderer Umweltzerstörungen ist erbärmlich.

Im Jahr 2009 versprachen die grossen reichen Nationen, den ärmeren Ländern bis 2020 jährlich mindestens 100 Milliarden Dollar zur Finanzierung von Klimamassnahmen zukommen zu lassen. Diese Vereinbarung bildete die Grundlage für das Pariser Klimaabkommen von 2015, das die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 °C, idealerweise 1,5 °C, begrenzen sollte. Doch am Vorabend der COP26 gaben die Geberländer zu, dass sie dieses Ziel bis 2020 verfehlt hatten. Jetzt erwarten sie, dass sie es 2022 oder 2023 erreichen werden, also Jahre später als geplant.

In der Tat halten die meisten reichen Länder ihre Versprechen überhaupt nicht ein.  Nur Norwegen, Schweden und Deutschland können dies von sich behaupten, während die USA mit einem Milliardenrückstand am Ende der OECD-Liste stehen.

Zudem wird der Grossteil der zugesagten 100 Milliarden Dollar nicht in Form von Zuschüssen, sondern als Darlehen vergeben.  Die armen Länder, die versuchen, mit der globalen Erwärmung fertig zu werden und die Emissionen zu reduzieren, sollen also den Grossteil der Almosen der reichen Länder zurückzahlen.  Berechnungen von Oxfam deuten darauf hin, dass die tatsächliche Höhe der klimaspezifischen Zuschüsse etwa ein Fünftel der OECD-«Klimafinanzierung» beträgt, wenn man die Kredite herausrechnet.  Diese Klimazusagen seien «eine Meile breit und ein Zoll tief», sagte Becky Jarvis, Strategin des Kampagnennetzwerks Bank on our Future.

Hinzu kommt die von Mark Carney angeführte Koalition internationaler Finanzunternehmen, die sich zur Bekämpfung des Klimawandels verpflichtet haben.  Der ehemalige Gouverneur der Bank of England ist offizieller UN-Beauftragter für die Klimafinanzierung.  Er behauptet, dass die Glasgow Financial Alliance for Net Zero (Gfanz), der mehr als 450 Banken, Versicherer und Vermögensverwalter aus 45 Ländern angehören, Finanzmittel in Höhe von 100 bis 130 Milliarden Dollar bereitstellen könnte, um die Volkswirtschaften in den nächsten drei Jahrzehnten bei der Umstellung auf Netto-Null zu unterstützen.  Der Medienmilliardär Michael Bloomberg wird Carney als Ko-Vorsitzender zur Seite stehen. Die Gruppe wird in regelmässigen Abständen dem Finanzstabilitätsrat der G20 über ihre Arbeit berichten. Carney verwies auf eine UN-Analyse, wonach der Privatsektor 70 Prozent der Gesamtinvestitionen zur Erreichung der Netto-Null-Ziele leisten könnte. Die Privatwirtschaft kann den Tag retten, argumentiert Carney.

Betrachtet man diese Schlagzeile jedoch genauer, so stellt man fest, dass 57 Mrd. Dollar der Vermögenswerte auf Investmentmanager:innen entfallen, während 63 Mrd. Dollar von Banken und 10 Mrd. Dollar von Vermögensbesitzer:innen wie Pensionsfonds stammen.  Und 43 der 221 Investmentmanager:innen, die die Studie unterzeichnet haben, gaben an, dass nur ein Drittel ihres Vermögens auf Investitionen mit «Netto-Null»-Zielen ausgerichtet ist.  Ben Caldecott, Direktor der Oxford Sustainable Finance Group an der Universität Oxford, sagte, dass es sich bei den 130 Milliarden Dollar nicht um einen neuen Geldpool handle, und dass das meiste davon nicht zuzuordnen sei. Darunter fielen auch Hypotheken und Gelder zur Finanzierung der Infrastruktur für fossile Brennstoffe, fügte er hinzu.  «Welchen Anteil davon kann man tatsächlich in Lösungen umlenken oder so verwenden, dass umweltverschmutzende Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit bewegt werden?», fragte er.

Die Umweltorganisation Rainforest Action Network wies darauf hin, dass die 93 Banken, die das Versprechen unterzeichnet haben, bis 2020 weiterhin Kredite in Höhe von 575 Milliarden Dollar an die fossile Energiewirtschaft vergeben werden. «Die Diskrepanz zwischen den Klimaverpflichtungen und den Entscheidungen in den Vorstandsetagen ist atemberaubend», sagte Tom Picken, Direktor für Wald und Finanzen.  Die Vermögensverwalter:innen, die sich Gfanz angeschlossen haben, hätten bisher nur 35 Prozent ihres Gesamtvermögens auf die Netto-Null-Ziele ausgerichtet, so Picken. «Es handelt sich weder um eine grüne Finanzierung, noch ist alles im Geringsten der Bekämpfung des Klimawandels gewidmet, solange die Financiers grosse Interessen am Ausbau fossiler Brennstoffe haben», fügte er hinzu.  «Diese Ankündigung ignoriert wieder einmal den grössten Elefanten im Raum», sagte Richard Brooks, Stand.earth Direktor für Klimafinanzierung. «In dieser neuen Erklärung der Netto-Null-Clubs werden die F-Wörter gemieden. Wir können nicht unter 1,5 Grad [Erwärmung] bleiben, wenn die Finanzinstitute nicht aufhören, Kohle-, Öl- und Gasunternehmen zu finanzieren».

In der Zwischenzeit bieten wohlmeinende Ökonom:innen verschiedene Konzepte an, um das Finanzierungsproblem innerhalb der Grenzen der Marktwirtschaft zu lösen.  Raghuram Rajan, Professor für Finanzen an der Booth School of Business der University of Chicago, der für seine marktwirtschaftlichen Lösungen bekannt ist, schlägt vor, dass jedes Land, das mehr als den weltweiten Durchschnitt von etwa fünf Tonnen pro Kopf emittiert, jährlich in einen globalen Fonds einzahlt. Der eingezahlte Betrag würde sich aus den überschüssigen Emissionen pro Kopf multipliziert mit der Bevölkerungszahl und weiter multipliziert mit einem Dollarbetrag, dem so genannten GlobalCarbon Incentive (GCI), ergeben. Würde der GCI bei 10 Dollar pro Tonne beginnen, würden die USA jährlich rund 33 Milliarden Dollar zahlen. In der Zwischenzeit würden Länder, die unter dem weltweiten Durchschnitt liegen, eine angemessene Auszahlung erhalten, die sich danach richtet, wie viel sie unter dem Durchschnitt emittieren (Uganda würde zum Beispiel etwa 2 Milliarden Dollar erhalten).

Rajaram sieht das System als selbstfinanzierend an. Niedrige Emittenten, oft die ärmsten Länder und diejenigen, die am stärksten von klimatischen Veränderungen betroffen sind, die sie nicht verursacht haben, würden eine Zahlung erhalten, die ihrer Bevölkerung helfen könnte, sich anzupassen. Umgekehrt würde die Verantwortung für die Zahlungen angemessenerweise bei den grossen, reichen Emittenten liegen, die auch am besten in der Lage sind, zu zahlen. Es stünde den Ländern frei, ihren eigenen Weg zur Emissionsreduzierung zu wählen. Anstatt eine politisch unpopuläre Kohlenstoffsteuer zu erheben, könnte ein Land Vorschriften für Kohle einführen, ein anderes könnte Anreize für erneuerbare Energien schaffen.

In einem anderen Schema weist Avinash Persaud darauf hin, dass die Welt in den nächsten 30 Jahren jährlich 53,5 Milliarden Tonnen Kohlendioxid einsparen müsste, um das Pariser Abkommen zu erfüllen. Es gibt eine Reihe von Schätzungen, wie viel das kosten würde, aber die Investmentbank Morgan Stanley schätzt die Kosten auf zusätzliche 50 Billionen Dollar, aufgeteilt auf fünf Schlüsselbereiche der kohlenstofffreien Technologie. Im Vergleich dazu haben die Länder sechs Jahre gebraucht, um die oben erwähnten armseligen 100 Milliarden Dollar zusammenzukratzen.  Persaud sagt: «Wir brauchen ein globales Abkommen – und kein globales Bestreben, das sich an einem Dorfhaushalt orientiert.»

Die Länder, die am meisten zu den Treibhausgasemissionen beitragen, könnten ein Instrument ausgeben, das jedem:jeder Investor:in in Projekte überall auf der Welt, die die Treibhausgasemissionen reduzieren, das Recht gibt, sich bei ihnen zu ihren Tagesgeldzinsen zu verschulden – die derzeit nahe bei Null liegen – und diese Kredite so lange zu verlängern, wie das Projekt eine bestimmte Mindestrate der Treibhausgasreduzierung pro investiertem Dollar erbringt. Wenn die kollektive jährliche Emission dieser fast zum Nulltarif angebotenen Mittel 500 Mrd. USD betragen würde, würde dies die Renditen der Investoren so stark steigern, dass über einen Zeitraum von 15 Jahren die erforderlichen 50 Billionen USD an privaten Ersparnissen zusammenkommen würden.

All diese Pläne scheitern auf zwei Ebenen.  Erstens erfordern sie globales Handeln und globale Institutionen, um sie umzusetzen.  Es gibt keine Aussicht darauf, dass dies geschieht.  So wie es den nationalen Regierungen nicht gelungen ist, Finanzmittel und Ressourcen zu koordinieren, um die COVID-Pandemie und die Impfungen zu bewältigen, sind die Regierungen auch nicht bereit, bedeutende globale Massnahmen für Klima und Natur zu ergreifen.  Offenbar werden rund 50 Billionen Dollar über 30 Jahre benötigt – andere Schätzungen gehen von 4 Billionen Dollar pro Jahr für die nächsten zehn Jahre aus. Das sind wirklich geringe Kosten, nicht mehr als 2,5 % des jährlichen weltweiten BIP.  Bisher haben die Regierungen jedoch nur 100 Mrd. $ zugesagt und nicht einmal diese Summe erreicht.

Zweitens werden Marktlösungen nicht ausreichen, wie die COVID-Pandemie erneut gezeigt hat.  Nur staatliches Eingreifen, Investitionen und Planung auf globaler Ebene können der Menschheit und der Natur eine Chance geben, sich zu behaupten, bevor sich eine zu grosse Verschlechterung dauerhaft durchsetzt.  Die Bepreisung von Kohlenstoff wird weder die Investitionen richtig verteilen noch den Verbrauch ausreichend verändern – und sie kommt nur den reicheren Ländern (1 Mrd. Menschen) auf Kosten der ärmeren (6,5 Mrd.) zugute.

Die von Banken und Investmentfonds organisierte private Finanzierung wird nicht ausreichen.  Das liegt daran, dass kapitalistische Unternehmen die Kontrolle haben und Investitionsentscheidungen auf der Grundlage der Rentabilität treffen.  Die globale Erwärmung wird sich nicht aufhalten oder umkehren lassen, ohne die Exploration fossiler Brennstoffe und den Bergbau zu beenden und die Produktion fossiler Brennstoffe auslaufen zu lassen.  Nichts dergleichen steht auf der Tagesordnung der COP26.

Jeff Sparrow schreibt in seinem neuen Buch Verbrechen gegen die Natur: «Jedes Jahr gibt die Welt über 1.917 Milliarden Dollar für Waffen, Bomben und andere militärische Ausrüstung aus. Die vergleichbare Zahl für Werbung liegt bei etwa 325 Mrd. Dollar. Diese erschütternden Zahlen stellen nur einen Bruchteil dessen dar, was wir sofort für Umweltprogramme zu Lande, zu Wasser und in der Luft ausgeben könnten. Wir könnten mit der systematischen Dekarbonisierung beginnen, indem wir Kohlekraftwerke schliessen und fossile Brennstoffe durch Strom aus erneuerbaren Energien wie Solarenergie ersetzen, um so unseren Energiebedarf zu senken statt zu erhöhen. Wir könnten den kohlenstoffarmen öffentlichen Verkehr massiv ausbauen, so dass effiziente, einfach zu bedienende und bequeme elektrische Züge und Strassenbahnen die Verbrennungsmotoren ersetzen. Wir könnten unsere Städte so umplanen, dass sie für die Menschen bequemer sind als für Autos; wir könnten Methoden des Recyclings und der Wiederverwendung einführen, die den Materialdurchsatz wirklich reduzieren.»

Quelle: thenextrecession.com… vom 6. November 2021; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

Tags: , ,