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Ukraine-Konflikt: Mehr Ehrlichkeit, weniger Empörung, bitte!

Eingereicht on 24. Februar 2022 – 12:37

Harald Neuber. Auch nach der Offensive Moskaus folgen westliche Regierungen weiter ihren Fehleinschätzungen und Illusionen. Dabei sollten sie den Rat eines „unverdächtigen“ US-Außenpolitikers beherzigen.

Wer hat nun den schwarzen Peter, wer trägt die Verantwortung für die Eskalation an der Ostflanke der Nato? Putins Aufmarsch hebt die militärische Eskalation – die seit dem gewaltsamen Regierungssturz 2014, dem Wiederanschluss der Krim an Russland und dem späteren Separatistenkrieg im Osten der Ukraine immer neue Höhepunkte erreicht – auf eine neue Stufe. Im Westen herrscht über den aggressiven Akt Moskaus helle Empörung.

Konflikt mit Russland: US-Armee in der Ukraine

Je schriller die Töne, je moralischer die Aburteilung des Putin’schen Machiavellismus, desto offensichtlicher aber scheint die Hilflosigkeit und Hybris des Westens durch. Sicher, nun werden Sanktionen folgen, mit denen der russischen Wirtschaft Schaden zugefügt werden soll, um die Stimmung in Russland gegen den amtierenden Langzeitpräsidenten zu schüren.

Und tatsächlich ist das militärische Vorgehen Russlands auf ukrainischem Staatsgebiet im eigenen Land nicht wohlgelitten. Zu eng sind die kulturellen und familiären Bande zwischen beiden Staaten, zu groß die alltäglichen Sorgen der Menschen in der Russischen Föderation.

Um die Eskalation zu verstehen, muss man aber das oft medial und politisch zurechtgestutzte Ganze sehen. Wenn dem Kremlchef jetzt etwa unterstellt wird, er habe die Minsker Abkommen zu Grabe getragen, dann grenzt das an eine geradezu antiintellektuell anmutende Ignoranz der politischen Geschehnisse der vergangenen Wochen.

Kiew-Hardliner gegen Minsk-Abkommen

Tatsächlich stand Kiew in diesem Zeitraum unter massivem und zunehmendem Druck von Hardlinern wie dem Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Oleksiy Danilow. Dieser, so berichtete die Nachrichtenagentur Associated Press noch vor drei Wochen, „warnte den Westen davor, das Land zu zwingen, ein von Frankreich und Deutschland vermitteltes Friedensabkommen für die Ostukraine zu erfüllen“.

Ähnlich, wenn auch diplomatischer, formulierte es der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba inmitten der „Suche nach einer diplomatischen Lösung“ im Beisein seiner deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock (Bündnis90/ Die Grünen). Es werde „keinen direkten Dialog seiner Regierung mit den prorussischen Rebellen im Osten der Ukraine geben“.

Die Pointe – wenn auch keine gute – ist, dass es das Zusammentreffen mit dem Separatisten nun wohl doch geben wird. Nur eben nicht am Verhandlungstisch, wie im Minsk-Prozess vorgesehen, sondern an der Front. Ein Erfolg für die deutsche und unionseuropäische Außenpolitik ist das nicht.

Dass das nicht gesehen wird, ist Ausdruck des kollektiven westlichen Selbstbetrugs, der sich gleichwohl im Blick auf die Weltlage widerspiegelt. Die Allianz zwischen Moskau und Beijing sei „nicht ganz so fest, wie es den Anschein hatte“, frohlockte der außenpolitische Redakteur der Faz, Nikolas Busse, nach der Münchener Sicherheitskonferenz, um über „Chinas Stoppschild für Putin“ zu titeln.

Nun ist das mit dem Schildern so eine Sache: Man muss sie auch verstehen können. Im Fall der chinesisch-russischen Beziehungen und angesichts des russischen-westlichen Zerwürfnisses sind die Verständnisprobleme offensichtlich.

Wenige Tage nach betreffender Sicherheitskonferenz und Faz-Analyse war das chinesische Stoppschild offenbar abgebaut. Zur Dringlichkeitssitzung im UNO-Sicherheitsrat jedenfalls hieß es lediglich, China habe „alle Beteiligten an der Ukraine-Krise zur Zurückhaltung“ aufgerufen.

Ist Putin wahnsinnig?

Nachvollziehbar also, dass der Konfliktforscher Christian Hacke in einer Ad-hoc-Analyse für Telepolis schrieb, mit der „faktischen Annexion von Teilen der ostukrainischen Oblaste Donezk und Luhansk“ habe sich Russland „vermutlich endgültig gegen den Westen und für ein strategisches Bündnis mit China entschieden“.

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Man kann es sich nun bequem machen und Putin, wie es der niederländische Premier Mark Rutte unlängst tat, als „wahnsinnig“ bezeichnen. Die Bild würde (und wird womöglich) vom „Irren aus Moskau“ schreiben. Oder man setzt sich mit dem eigenen Anteil an der Eskalation auseinander – und damit auch mit der Frage, weshalb der deutschen Diplomatie die Diplomaten ausgegangen sind.

Krieg im Donbass

Fakt ist, dass die Aufnahme der Ukraine in die Nato nicht nur eine Schimäre ist – sie ist das brennende Streichholz am Pulverfass. Wer angesichts der absehbaren Ereignisse dieser Woche nicht zur Besinnung kommt und Wege aus der Krise zu ebnen versucht, statt sie weiter zu verminen, wird Wladimir Putin in die Hände spielen, den Hegemonialkrieg um Eurasien befeuern und mit zum Totengräber des Friedens in Europa werden.

Es waren keine Russland-Freunde, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten wiederholt vor den Folgen einer so unbedachten wie unkontrollierten Osterweiterung der Nato gewarnt haben. Der ehemalige US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski etwa, ein ausgemachter Gegner der Sowjetunion und des postsowjetischen Russlands, sagte 2015 im Spiegel:

Es braucht ein ähnliches Arrangement wie jenes zwischen Russland und Finnland, das seit Jahrzehnten für Stabilität und Frieden sorgt. Die Ukraine sollte das Recht haben, ihre politische Identität frei zu wählen und sich enger an Europa zu binden. Gleichzeitig muss Russland versichert werden, dass die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen wird. Das ist die Lösungsformel.

In der aktuellen Stimmung würde Brzezinski als „Putin-Versteher“ gelten. Und das ist Teil des Problems.

#Titelbild: Maschinengewehr prorussischer Rebellen in der Nähe der Frontlinie in der Nähe von Dokuchaevsk, Ostukraine, Juni 2015. Bild: Mstyslav Chernov, CC BY-SA 4.0

Quelle: Telepolis… vom 24. Februar 2022

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