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Venezuela: Was nicht verstanden wird

Eingereicht on 10. März 2019 – 14:27

Juan Agulló. Vor anderthalb Monaten stürzte das plötzliche, von aussen angezettelte politische Manöver Venezuela noch tiefer ins Chaos. Heute hat das Land zwei Präsidenten. Viele Dinge werden nicht verstanden, obwohl eines ganz klar ist: Das Erdöl hat seinen Niedergang begonnen, und das bedeutet in einem Land, das von Erdöl lebt wie Venezuela, eine allmähliche Erosion der Einkommen und des Konsenses, der einst über die Art und Weise der Verteilung bestand. In Wirklichkeit geht es in dieser Krise nur darum. Ein Großteil des Restes ist Literatur…..

Fast niemand argumentiert, dass, so autoritär das Regime von Nicolás Maduro auch erscheinen mag, die Regierung ineffizient ist; und wenn man sogar die Verbindung, die zu Juan Guaidó führt, als legitim ansehen möchte, so wird diese durch das zugrundeliegende (geo-)politischen Element sehr besorgniserregend. In den letzten anderthalb Monaten haben etwa vierzig Länder eine «Regierung» anerkannt, die in einem Kontext von Polarisierung und Spannungen keine wirkliche Kontrolle über das Territorium und noch weniger über den Staat hat. Die ursprüngliche Entscheidung ging denn auch von Washington aus; all dies in einem instabilen Umfeld wie Lateinamerika, in dem Konflikte nach den Wahlen an der Tagesordnung sind.

Was wird fortan bei ähnlichen Situationen in der Region geschehen? Schwer vorherzusagen, obwohl, wie viele andere mögliche Folgen der überraschenden internationalen Uninformiertheit über Maduro, fast niemand danach gefragt hat. Dies scheint normal: die vorgefertigte Geschichte, in der Nachrichten über Venezuela eingeordnet werden, ruht auf drei argumentativen Achsen («Maduro-Diktatur-Hunger»), die jede weitere Hinterfragung blockieren, so sehr sich eine solche auch aufdrängen mag. Die Ansätze sind abgedroschen und die Kommentare ideologisiert. Angesichts dieser Situation möchten wir in diesem Artikel versuchen, die reichlich vorhandenen Schattenbereiche zu beleuchten.

Es ist relativ einfach, an der sensiblen Faser des Mitteleuropäers zu rühren, indem man die Dysfunktionen des venezolanischen politischen Systems hervorhebt. Die politische Kultur beider Kontinente ist so unterschiedlich, dass es Umstände gibt (wie Korruption, Hyperinflation oder Unterversorgung), die zwar zum lateinamerikanischen Alltag gehören, aber in Europa beängstigend sind. Die Frage ist dann, warum hat die Presse den schweren Konflikt nach den Wahlen in Honduras im Jahr 2017, die seit 2008 über 380.000 Todesfälle durch Morde in Mexiko, oder die 166%ige Zunahme der Morde in den Favelas von Rio de Janeiro im Jahr 2018 nie erwähnt?

Die Antwort ist möglicherweise vielfältig: In der internationalen Information wird die Agenda in der Regel von Nachrichtenagenturen festgelegt; es gibt immer weniger ständige Korrespondenten; Lateinamerika ist eine Randregion…. Die zugrundeliegende Frage liegt somit auf der Hand: Warum erhält Venezuela, das eine ähnliche Bevölkerungszahl wie Peru hat, eine mediale Aufmerksamkeit ähnlich der von Mexiko oder Brasilien? Das wäre in Europa gleichbedeutend damit, Portugal und Deutschland auf die gleiche Stufe zu stellen…. Für eine Antwort wäre es vielleicht gut, sich selbst, wie Mario Vargas Llosa in «Gespräch in der Kathedrale», eine Schlüsselfrage zu stellen: «Wann ist Venezuela gescheitert?»

Die hegemoniale Medienerzählung hat eine sehr klare Antwort: mit dem Chavismo. Die harten Daten deuten jedoch auf etwas anderes hin: 2008 behaupteten die venezolanischen Soziologen Margarita López Maya und Luis Lander, dass es zwischen 1989 und 2005 15.611 Straßenproteste in Venezuela gegeben habe (2,67 pro Tag). Aber warum stellt dann fast niemand eine Linie der Kontinuität zwischen der Unzufriedenheit in der Periode vor Chávez und der nach Chávez fest? Die Gründe dafür sind intuitiv verständlich, obwohl es am naheliegendsten ist, nach den Auswirkungen zu fragen: Die Überbetonung der aktuellen Periode neigt dazu, das zugrundeliegende Problem aus den Augen zu verlieren.

Der Beweis dafür ist, dass die mediale Behandlung, die Hugo Chávez in der Regel zuteilwird, die Tatsache verdeckt, dass seine erste Wahl zum Präsidenten 1998 tatsächlich der letzte politische Akt einer langen Legitimitätskrise war, wie sie heute auch in den Nachbarländern besteht. Vor zwanzig Jahren erreichte Chávez erstaunliche 56% der Stimmen und seine neue Verfassung 71%. Aus heutiger Sicht sollte man sich deshalb fragen, weshalb die Venezolaner und Venzolanerinnen damals Chávez so überwältigend ihren traditionellen Parteien vorgezogen haben.

Die Antwort ist einfach: der Caracazo, die Volksrevolte in der Hauptstadt des Landes von 1989. Es gab damals 276 offiziell und mehr als 3.000 inoffiziell gezählte Todesfälle (Zum Vergleich: die ETA hat in 51 Jahren in Spanien 829 Menschen ermordet). Während der neun Tage des Aufstands, so der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte, «wurden die meisten Todesfälle durch willkürliche Schüsse von Beamten des venezolanischen Staates verursacht, während andere das Ergebnis außergerichtlicher Hinrichtungen waren» (IACHR, 1999). Wenn sich die Venezolaner heute noch mit Schrecken daran erinnern, wie mag das erst 1998 gewesen sein.

Wie konnte jedoch eine so extreme Erhitzung entstehen? Was war eigentlich der eigentliche Auslöser für ein Ereignis, das die Legitimität des politischen Systems zur Explosion brachte und die Zukunft des Landes jahrzehntelang vergiftete? Die offizielle Geschichte, wie sie von Wikipedia verbreitet wird, spielt auf den Anstieg des Benzinpreises an, aber das eigentliche Problem war struktureller Art: Zwischen 1982 und 2003 sanken die internationalen Ölpreise. Im «saudischen Venezuela» bedeutete dies, dass in kurzer Zeit von einer Steigerung der Reallöhne um 25% und der Sozialausgaben um 40% in Abbauprogramme übergegangen wurde, die seit 1983 das BIP exponentiell schrumpfen liessen.

Auf sozialer Ebene führten diese Kürzungen dazu, dass das Land schnell von einem hohen Wohlstandsniveau und einer beträchtlichen politischen Stabilität, die in Lateinamerika selten ist, in ein Chaos überging. Straßenproteste, Revolten, Putschversuche, galoppierende Inflation, Unsicherheit und Umwälzungen wurden nach 1989 zu unserem Alltag: in Wirklichkeit ein Szenario, das dem der letzten Jahre sehr ähnlich ist – was ist also das Besondere an der Maduro-Periode? Nun, abgesehen davon, dass dies alles jetzt im Fernsehen übertragen wird, nicht viel: Die Ölpreise sind seit 2015 in einem abrupten Fall und die venezolanische Wirtschaft ist weiterhin rohölabhängig.

Wie dem auch sei, das Beunruhigendste, was den endemischen Charakter des Konflikts erklärt (und die internationale Öffentlichkeit wird fast nie darüber informiert), ist, dass die venezolanische politische Klasse weder vor noch nach Chávez in der Lage war, einen Konsens zu finden, der sich an der Verteilung der Ölrente, vor allem aber an der Schaffung eines Modells für nachhaltige Entwicklung orientiert. Das war nicht einmal möglich, als in den Jahren 2011 und 2012 die internationalen Ölpreise 100 Dollar überschritten: eine auf Renten orientiert Wirtschaft ist unersättlich. Aber was hat dieses nationale politische Versagen verursacht und was verursacht es weiterhin? Missstände in der Verwaltung, die Kultur der Verschwendung und die weit verbreitete Korruption sind zum Teil dafür verantwortlich, aber auch die von Guaidó angeführte Opposition.

Während seine Fraktion 24 von 26 Wahlen verlor, versuchte sie es mit Staatsstreichen (2002), Absetzungsreferenden (2004) und Wahlboykotten (2006 und 2017), aber vor allem setzte sie alles auf eine gemeinsame Politik der externen Lobbyarbeit und des internen Straßenprotestes. Ein solches Verhalten wäre in Spanien Futter des Obersten Gerichtshofs: Woher kommt eigentlich die Anerkennung Guaidós als «verantwortlicher» Präsident? Weit davon entfernt, zur Entschärfung des Konfliktes beizutragen, facht dieses Vorgehen das Feuer weiter an, und das ist angesichts der aktuellen Situation sehr besorgniserregend: In Venezuela gibt es eine Kultur der Gewalt, der angesammelten Ressentiments und vieler lose sitzender Waffen: Wie weit wollen die denn gehen? Wir verstehen es nicht.

Quelle: eldiario.es… vom 10. März 2019; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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