Schweiz
International
Geschichte und Theorie
Debatte
Kampagnen
Home » Kampagnen

Njet zum Krieg – das sagen in Russland nicht nur klassische Oppositionelle

Eingereicht on 6. Mai 2022 – 14:44

Dossier.Mehr als 70 russische Journalisten und ebenso viele Wissenschaftler haben sich in zwei öffentlichen Protestschreiben gegen den aktuellen Militäreinsatz des eigenen Landes in der Ukraine ausgesprochen. Interessant ist, dass sich im Fall der Presseleute die Teilnehmerliste, die im Sozialen Netzwerk Telegram veröffentlicht wurde, nicht nur auf liberale und allgemein regierungskritische Medienschaffende beschränkt (…) Auch die Teilnehmerliste des Forscheraufrufs liest sich wie ein „Who is who“ der russischen Wissenschaftselite. Hier finden sich vor allem zahlreiche Vertreter der Russischen Akademie der Wissenschaften, Raumfahrtexperten, Universitätsdozenten und wissenschaftliche Mitarbeiter von Forschungseinrichtungen. (…) Auch in der russischen Regionalpolitik gibt es ähnliche Stimmen…“ Beitrag von Bernhard Gulka vom 25. Februar 2022 in Telepolis, siehe weitere Informationen:

  • Die Antikriegsbewegung in Russland wird militanter: Von Stickern, Blutbadparaden und Explosionen viele Aktionen für den 9. Mai geplant
    • Auf der Telegramseite des russischen „Projekt Frühlingsbewegung“  werden unzählige Bilder von Stickern, Graffitis, Plakate und Wandmalereien unter dem Thema ‚Picket against War‘ gesammelt, die Aktive in unterschiedlichen Orten Russlands angebracht haben und die sich gegen den Krieg richten. Die Aktivist:innen des Kanals schreiben unter jeden Post von Fotosammlungen (russ- Maschinenübersetzung): „In unserem Leitfaden [Telegra.ph Artikel vom 18. März 2022; russ.] für visuelle Proteste und in unserem öffentlichen Archiv finden Sie alle Formen der Agitation.“
    • Neben den Stadtguerilla-Aktionen zur Sichtbarmachung des Anti-Kriegsprotestes sind auch erneut größere Aktionen geplant. Am 9. Mai 2022 dem Tag des Sieges der Roten Armee ruft das feministische Kollektiv FemAgainstWar laut ihrem Telegram-Kanal ab 13 Uhr zu Aktionen auf. Am 5. Mai 2022 schreiben sie dazu in einem Telegrampost (russ. – Maschinenübersetzung): (russ. – Maschinenübersetzung): „9. Mai, ab 13.00 Uhr. (…) In all den Jahren wurde der 9. Mai von Putin nicht als antifaschistischer und antimilitaristischer Feiertag begangen, sondern als ein Feiertag, der zum Krieg ermutigt. Der 9. Mai 2022 wird ein besonders beängstigender Tag sein: Propaganda über ‚ukrainische Nazis‘ und ‚gerettete Russen‘ wird über die Fernsehbildschirme flimmern, ein neuer schändlicher Invasionskrieg wird den Großen Vaterländischen Krieg überlagern, um die beiden Schichten der Geschichte zu einem monströsen Heldentum zu verschmelzen. Im belagerten Mariupol werden die russischen Behörden eine ‚Siegesparade‘ abhalten. Es wird eine Blutbad-Parade sein. Es wird spekuliert, dass Putin am 9. Mai den Russen seine vorgetäuschten militärischen Erfolge verkünden will. Es ist möglich, dass am 9. Mai friedliche Ukrainer:innen, Nachkommen von Menschen, die unter anderem im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben, weiterhin durch russische Raketen sterben werden (…) Seit zwei Monaten führen wir in der Stadt Aktionen durch, die unsere Antikriegsposition deutlich zum Ausdruck bringen. Unsere Position ist ganz einfach: Der Krieg muss sofort beendet werden, die Besatzungstruppen müssen abgezogen werden und die russische Regierung und die Streitkräfte müssen wegen Kriegsverbrechen gegen die Zivilbevölkerung der Ukraine vor Gericht gestellt werden. Wir lassen die regierungsfreundlichen Aktionen der Siegesparade und des Unsterblichen Regiments beiseite und gedenken auch der Veteranen des Zweiten Weltkriegs, unserer Großeltern, die diesen neuen monströsen Krieg nicht mehr erlebt haben. Wir erklären den Tag des Sieges zum Tag des Sieges, das Unsterbliche Regiment zum Unsterblichen Regiment und die Siegesparade zur Blutparade.“
    • Aktionen an diesem Tag
      Und weiter schreiben sie: „1. (…) Viele Menschen haben geschrieben, dass sie an diesem Tag ihre kollektive Trauer zum Ausdruck bringen möchten. Kommen Sie um 13:00-14:00 Uhr auf die Plätze, Straßen und Alleen des Friedens in Ihrer Stadt und tragen Sie schwarz, anstelle der St.-Georgs-Bänder, nehmen Sie schwarze Bänder und binden Sie sie um die Stadt, ähnlich den grünen Anti-Kriegs-Bändern. Schwarze Bänder werden für Fotos bei Beerdigungen verwendet; für uns ist der 9. Mai ein Tag der Massengräber und Beerdigungen. Es ist wahrscheinlich, dass Sie auf andere Menschen treffen, die schwarz tragen. Bleiben Sie dicht beieinander, um zu kommunizieren und sich gegenseitig vor möglichen Angriffen zu schützen. (…)
      2. Das ‚Todesregiment‘ ist eine Variante der Gedenkaktion #Mariupol5000, die Sie bereits kennen. Wir schlagen vor, in den Innenhöfen Ihrer Städte selbstgefertigte Denkmäler für die ermordeten Ukrainer:innen aufzustellen. Es sollte viele dieser Gedenkstätten im ganzen Land geben. Sie können Gedenkstätten in jeder Form errichten: Es können selbstgemachte Kreuze mit Fotos und Gedenktafeln sein, es können Gedenktafeln an Häusern sein, Sie können Straßen nach den Toten benennen. Die Namen vieler toter Ukrainer:innen sind in den Nachrichten und Kanälen (z. B. dieser Gruppe) öffentlich bekannt, unter den Toten sind auch diejenigen, die wir kannten und liebten. Zu den Opfern der russischen Aggression gehören auch unabhängige russische Journalisten, die bei der Ausübung ihrer Arbeit getötet werden. Denken Sie an diesem Tag an Menschen wie Oksana Baulina. Schreiben Sie auf Plakaten über russische Kriegsverbrechen in Bucha, Mariupol, Irpen, Kramatorsk. Es sind Zehntausende von Toten, die unser Land zurückgelassen hat. (…)
      3. Für diejenigen, die an diesem Tag nicht trauern, sondern ihre Wut zeigen wollen, schlagen wir ein anderes Format vor die Aktion ‚Blutparade‘: Gießen Sie in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai oder während des 9. Mai rote Farbe über Objekte, die es verdienen: die Buchstaben Z, hinterlassen Sie Blutlachen in der Nähe von Militärausrüstung, gießen Sie es auf die Stufen von Militärregistrierungs- und Verwaltungsgebäuden, auf zentrale Straßen und Plätze, auf Straßen, auf denen Staatsmärsche stattfinden werden.
      Russland ist im Blut der Ukrainer ertrunken, dieses Blut soll auf der Oberfläche der Stadt sichtbar werden und auch Teil des Tages des Sieges werden. Lasst das Blut auf die Bilder derjenigen kommen, die diesen Krieg feiern werden, die Farbe wird keine Zeit haben, sich zu schnell abzuwaschen. Denken Sie an Kameras, unauffällige Kleidung und andere Vorsichtsmaßnahmen. Dies ist eine gefährliche Aktion. Die Sicherheitshinweise finden Sie hier in 
      einem separaten Beitrag [russ. auch aus dem Telegramkanal von…“
    • Zunahme von Sabotageaktionen und Explosionen
      Bereits am 1. Mai 2022 dokumentierte die Gesellschaft der belarussischen Eisenbahn neue Sabotageaktionen in Russland und leitete auf ihrem Telegram Kanal entsprechende Fotos weiter (russ. – Maschinenübersetzung): „Es wurden Fotos vom teilweisen Einsturz einer Brücke auf dem 67. Kilometer der Strecke Sudzha-Sosnovy Bor in der Region Kursk veröffentlicht. Der Einsturz wurde am 1. Mai gegen 11 Uhr vormittags entdeckt. Nach Angaben von Roman Starovoit, dem Gouverneur der Region, wurde die Brücke durch Sabotage beschädigt.“
    • Bernhard Clasen schreibt in der TAZ am 3. Mai 2022 im Artikel „Mysteriösen Explosionen“ : „Das kann kein Zufall und kein technisches Versagen mehr sein: Immer häufiger brennen in Russland, insbesondere im Grenzgebiet zur Ukraine, Militäreinrichtungen, oder es kommt zu mysteriösen Zerstörungen der Infrastruktur. Mehrere Explosionen in der südrussischen Metropole Bel­go­rod, 80 Kilometer von der ukrainischen Stadt Charkiw entfernt, schreckten in der Nacht zu Montag die Bewohner aus dem Schlaf. (…) In Belgorod und anderen Orten Russlands häufen sich die Ereignisse, bei denen es sich wohl um Sabotageakte handelt. Ebenfalls am Wochenende hatte Gladkow seine Bevölkerung von einem mysteriösen Feuer unterrichtet, das „auf einer Einrichtung des russischen Verteidigungsministeriums“ in Stadtnähe ausgebrochen war. (…) Auch in anderen russischen Städten häufen sich Sabotageakte. Am Sonntag erklärte der Gouverneur des ebenfalls nahe der ukrainischen Grenze gelegenen russischen Gebietes Kursk, Roman Starowojt, der Einbruch einer Brücke in seinem Gebiet sei auf Sabotage zurückzuführen. Das russischen Anarchisten nahestehende Portal a2day.org berichtet über weitere Sabotageakte gegen den Krieg. Man wisse von mindestens zwei Brandstiftungen bei Rekrutierungszentren. Außerdem seien mehrere Fahrzeuge der Armee an verschiedenen Orten Russlands in Brand gesteckt worden. In der Stadt Kostroma, so das Portal, habe ein Monument der russischen Kriegspropaganda mit dem Buchstaben „Z“ nur drei Wochen gestanden, dann sei es abgerissen worden. Nicht einmal ein Warnschild mit dem Hinweis, das Objekt stehe unter Strom, habe es retten können. Doch die Polizei habe eine Person in Zusammenhang mit dem Vorfall festgenommen…“
    • Die Stiftung gegen den Krieg postete am 5. Mai 2022 (russ. Maschinenübersetzung) folgende Beobachtungen: „Zusammenfassung der mysteriösen Ereignisse vom 5. Mai: 1) Ein Güterzug (7 Panzer und ein Waggon) ist in Baschkirien entgleist. Beschädigung der Bahngleise. (…) 3) In der Region Swerdlowsk kam es zu einem „natürlichen Brand“ auf den Bahngleisen, der dazu führte, dass die Gleise auf natürliche Weise Feuer fingen. Gestern gab es einen ähnlichen Vorfall in Vologda. Zufall!? 4) Und in der Region Perm wurden die Bahngleise durch plötzlich umgestürzte Bäume blockiert. ‚Was sagt der Wind dazu?‘ (…) 8) Ein Verwaltungsgebäude in Smolensk brannte lichterloh. Viele von ihnen brennen in verschiedenen Städten… Wie werden sie uns jetzt verwalten? 11) Die Müllwagenfahrer streiken nicht nur weiter, sondern bereiten sich auch darauf vor, ihren Arbeitgeber zu verklagen, weil dieser beschlossen hat, ihnen den Lohn für ihren Streik vorzuenthalten. Los geht’s! 12) Die Zusteller streiken, es gibt eine umfangreiche Kampagne zu ihrer Unterstützung, und die Kund:innen boykottieren den Delivery Club. Sie fragen sich vielleicht, warum der Lebensmittel-Lieferdienst angegriffen wird? Nicht nur, weil er die Arbeitnehmer abzockt. Delivery Club ist zu 98% im Besitz von VK und Sber 🙂 13) Auch in Yachtclubs geschehen immer wieder mysteriöse Dinge. In den Vororten Moskaus beschlagnahmte und zertrümmerten [Menschen eine] Jacht für 10 Millionen. Nun, was ist zu erwarten, wenn die Mehrheit der Menschen in Armut versinkt und einige wenige sich Paläste und Yachtclubs bauen? 14) Einige ‚Vandalen‘ haben es irgendwie geschafft, ein neues Gebäude in Rjasan zu zerstören, das für das Militär bestimmt ist.  Wahrscheinlich wäre sie ohnehin untätig gewesen es gibt deutlich weniger Soldaten im Land…“
  • Antikriegsbewegung in Russland: Protest auf Ostereiern und im Supermarkt
    Grosse Demonstrationen gegen den Krieg finden nicht mehr statt. Das sagt viel aus über die Repression in Russland – aber wenig über die Haltung der Menschen. Insbesondere Feministinnen lassen den Widerstand weiterleben, wenn auch in subtiler Form. (…) Selbst in oppositionellen Kreisen wird über die Frage debattiert, ob es in Russland eine Antikriegsbewegung gebe. Witali Bowar gehört zu jenen, die davon überzeugt sind, dass es sie gibt. Mehr noch: Sie reiche weit über die klassische Anhänger:innenschaft der Opposition hinaus, sagt er. Dass sich der Protest nicht in Form von Massenkundgebungen äussere, sei kein Indiz für fehlenden Widerstand: «Ich habe nicht das Gefühl, dass sich irgendetwas verändern wird, wenn wir auf die Strasse gehen», so Bowar, «selbst wenn es unglaubliche Massen wären.» Anstatt sichtbare Resultate zu erreichen, würden Aufrufe zu Strassenprotesten fast schon kontraproduktiv wirken, weil sie mit relevanten Sicherheitsrisiken verbunden seien. Seit Kriegsbeginn wurden nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Agora über hundert Strafverfahren wegen kritischer Aussagen oder Aktionen eingeleitet. So drohen der Petersburger Künstlerin Alexandra Skotschilenko wegen angeblicher Diskreditierung der russischen Streitkräfte bis zu zehn Jahre Straflager. Sie hatte in einem Supermarkt die Preisschilder mit Informationen über die Kriegsfolgen ersetzt. Jetzt sitzt sie in Untersuchungshaft. Dank zahlreicher Solidaritätsbekundungen hat ihr Fall viel Aufsehen erregt – anders als unzählige weitere Administrativverfahren, die nur eine kurze Haft oder eine Geldbusse nach sich ziehen. (…) Wo alles einem Verbot zu unterliegen scheint, macht sich unweigerlich Frust breit. Um dem entgegenzuwirken, brauche es konkrete Handlungsperspektiven: Zu diesem Schluss kommt der Feministische Widerstand gegen den Krieg, kurz FAS, und setzt bei kreativen Herangehensweisen an. «Wir schlagen relativ sichere Handlungsformate vor», sagt eine der Initiantinnen und Koordinatorinnen der Bewegung. (…) Zu Ostern rief der FAS Frauen dazu auf, mit blau-gelb gefärbten Eiern die Ostergottesdienste zu besuchen – und auch, sich das überall anzutreffende Kürzel «Ch W» zunutze zu machen. Im religiösen Sinne steht es für die Auferstehung Christi, aber die beiden Buchstaben des kyrillischen Alphabets können genauso als Abkürzung für «Gegen Krieg» interpretiert werden…“ Artikel von Katja Woronina, St. Petersburg, in der WoZ vom 28.04.2022
  • [Mit Solidaritätsadresse] 5000 russische Lehrkräfte protestieren mutig gegen den Krieg Russlands in der Ukraine
    Über 5000 Lehrkräfte aus allen Regionen Russlands haben eine Petition der Initiative „Lehrkräfte gegen den Krieg“ unterzeichnet der größte Protest seit mehr als 30 Jahren unter den Lehrenden. In der Petition hieß es: „Der Krieg gegen die Ukraine …ist nicht unser Krieg. Die Invasion auf das Territorium der Ukraine begann im Namen russischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, aber gegen unseren Willen. Wir sind Lehrkräfte und Gewalt widerspricht dem Wesen unseres Berufes. In der Hitze des Krieges sterben unsere Schülerinnen und Schüler. Krieg führt unvermeidlich zu einer Zuspitzung der sozialen Probleme unseres Landes. Wir unterstützen die Antikriegsproteste und fordern einen sofortigen Waffenstillstand.“ Inzwischen musste die Petition von der Homepage genommen werden, weil das neue russische Mediengesetz Kritik am Krieg unter Strafe stellt. Den Unterzeichnern der Petition drohen Verfolgung und Entlassung. Die GEW-Vorsitzende Maike Finnern erklärte: „Für euer mutiges Eintreten für den Frieden verdient ihr unseren Respekt, unsere Solidarität und unsere Unterstützung.“ Solidaritätsadressen an die Lehrkräfte in Russland können versendet werden an: teachershelpnow@gmail.com.“ Meldung vom 25.04.2022 in den Rote-Fahne-News siehe zur Initiative „Lehrkräfte gegen den Krieg“ die erste Meldung weiter unten
  • Was können wir jetzt tun? Eine kritische Bestandsaufnahme der Aktionen gegen den Krieg in Russland
    „… Selbst bei den pessimistischsten Berechnungen unterstützen Millionen von Russ*innen die »Spezialoperation« nicht – oder haben zumindest eine ambivalente Wahrnehmung der Ereignisse. Eine andere Frage ist, wie viele derjenigen, die dagegen sind, auch bereit sind, ihre Ablehnung offen zu äußern. Und was noch interessanter ist – welche politischen Kräfte in der Lage sind, den Protest zu lenken. (…) Die Protestwelle im Januar und Februar 2021 war das letzte Aufblitzen, bevor die Ära der politischen Reaktion begann. Auch die Hoffnungen auf einen neuen Aufschwung im Zusammenhang mit den manipulierten Duma-Wahlen haben sich nicht erfüllt. (…) Die Tagesordnung hat sich geändert. Das Problem der Demokratisierung des Regimes ist jetzt in den Hintergrund getreten, während sich die Fragen der Beendigung der Kampfhandlungen und der Aufhebung der Sanktionen, die Tausende von Russ*innen arbeitslos gemacht haben, in aller Schärfe stellen. Meinungsumfragen zufolge ist der höchste Prozentsatz an Gegner*innen der »Spezialoperation« unter denjenigen zu finden, die nicht einmal genug Geld für Lebensmittel haben. (…) Eine politische Massenbewegung ist jetzt unmöglich. Die wöchentliche Mobilisierung von Menschen für »friedliche Aktionen« führt nur zur Erschöpfung der Aktivist*innen – einige werden ins Gefängnis gehen, einige werden auswandern und einige werden ausbrennen und den Kampf beenden. (…) Russische Soldaten sterben bei einem von der Regierung angeordneten Massaker. Sie hinterlassen Eltern, Verwandte und Freund*innen. Mütter von ermordeten Soldaten, Familien von Soldaten – diese Menschen sind voller Schmerz und Wut, die es in die richtige Richtung zu lenken gilt. Am 20. März blockierten mehreren Medienberichten zufolge Frauen in Karatschai-Tscherkessien die Straße und verlangten Informationen über das Schicksal ihrer Angehörigen in der Ukraine. Mütter und Verwandte von Soldaten können durchaus eine organisierte politische Kraft sein. (…) Die sich verschlechternde Wirtschaftslage und der Rückzug Dutzender großer ausländischer Unternehmen aus Russland führen zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. In naher Zukunft werden Tausende von Menschen ohne Einkommen dastehen. Es ist daher eine wichtige Aufgabe, das immer größer werdende Heer der Arbeitslosen zu organisieren und ihnen zu helfen, sich als soziale Kraft bewusst zu werden. (…) Gleichzeitig müssen wir Beziehungen zu den Belegschaften in den Betrieben aufbauen, sowohl in öffentlichen als auch in privaten Unternehmen. In der Krise werden die Unternehmen die Lohnzahlungen an ihre Beschäftigten einstellen. Massenstreiks wegen unbezahlter Löhne – das ist unsere Zukunft. Wir müssen spontane wirtschaftliche Bewegungen mit einer politischen Bewegung verbinden…“ Beitrag der in Russland aktiven Gruppe Alternative Linke in der Übersetzung von Christoph Wälz vom 12. April 2022 aus ak 681
  • Russische Kulturschaffende gegen den Krieg
    Russische Rapstars wie Face und Oxxxymiron erheben ihre Stimme gegen den Krieg. Aber dafür mussten sie, wie zehntausende andere junge Oppositionelle, ihr Land verlassen. Die Artrocker IC3PEAK posten Protestvideos. Auch sie sind kurz vor Veröffentlichung des neuen Videos ausgereist. Wer sich gegen Putin stellt, ist dort nicht mehr sicher. TikTok-Star Nikita Sass postet trotzdem mutig weiter seine Meinung und bleibt. Das trauen sich nur wenige. Es findet ein regelrechter „Kreativ-Exodus“ statt, denn seit dem Angriff auf die Ukraine haben sich auch im Land die Repressalien empfindlich verschärft. Wo formiert sich kultureller Widerstand, und wie sieht er aus? Was machen die Geflüchteten im Exil? „Tracks“ sucht und findet Stimmen und Aktionen junger Kulturschaffender in Russland, der Ukraine, den USA und Deutschland. Ein dichtes Stimmungsbild der widerständigen Geister, die Putin ausspucken möchte „wie eine Mücke“. „Tracks“ verschafft ihnen Gehör, auch und vor allem in ihrer Heimat. Deswegen wird die Sendung auch in einer russischen Sprachfassung angeboten…“ Video der Sendung Tracks vom 1.4.2022 bei arte
  • Russische Friedensbewegung beweist grossen Mut, doch: Wo bleiben Russlands Gewerkschaften?
    „Der postsowjetische Gewerkschaftsbund FNPR ist dem Kremlherrscher treu ergeben. Kleinere Verbände kritisieren Putin dagegen erstmals öffentlich. Und riskieren damit sehr viel. (…) 14’971 inhaftierte Demonstrantinnen und Demonstranten in über 150 Ortschaften hat die russische Nichtregierungsorganisation OVD-Info seit Kriegsbeginn am 24. Februar schon gezählt (Stand Redaktionsschluss am 16. März). Trotzdem komme es immer noch täglich zu Protesten. Auf die Strasse gingen allerdings vorwiegend junge Leute in grossen Städten. Das bestätigt auch Dimitri Petrow* von der unabhängigen Lehrergewerkschaft. Er ist der einzige russische Gewerkschaftsvertreter, der auf eine breit angelegte work-Umfrage reagiert hat. Petrow schreibt, es sei schwer zu sagen, wie verbreitet die Ablehnung des Krieges unter seinen Landsleuten sei: «Während staatliche Meinungsumfragen eine Kriegs-Zustimmung von über 70 Prozent ergeben, kommt eine Analyse der unabhängigen Zeitung ‹Nowaja Gazeta› auf das genaue Gegenteil. Wie auch immer: Der Krieg spaltet die russische Gesellschaft zweifellos.» Auch seine Lehrergewerkschaft habe sich an der Frage entzweit, ob sie den Krieg öffentlich verurteilen solle. Genau das getan haben allerdings die Gewerkschaft des Luftfahrtpersonals des Moskauer Flughafens Scheremetjewo, die russische Seeleutegewerkschaft (die über die Internationale Transportarbeiterföderation mit der Unia verbunden ist) sowie KTR, der 2,5 Millionen Mitglieder starke Dachverband der Alternativgewerkschaften. (…) Der KTR verkündete bereits am zweiten Tag der Invasion: «Mit grosser Bitterkeit halten wir fest, dass es die arbeitende Bevölkerung beider Länder ist, die unter dem Konflikt leidet.» Die «militärischen Aktionen» müssten «sofort» aufhören. Ein vorsichtiges, aber mutiges Statement! Und eines, das völlig neue Dynamiken offenbart. Denn bis anhin hatte sich der KTR kaum je getraut, Putins Politik öffentlich zu kritisieren. Erst recht nicht, seitdem ihr Mitglied, die kämpferische Automobilarbeitergewerkschaft MPRA, 2018 als «ausländische Agentin» angeklagt und faktisch zerschlagen worden war. Keine Probleme mit dem Kremlherrscher hat dagegen der Gewerkschaftsdachverband FNPR – der grosse Konkurrent der KTR. (…) Der FNPR ist der direkte Rechtsnachfolger der sowjetischen Betriebsorganisationen und mit seinen rund 28 Millionen Mitgliedern die grösste zivile Organisation in Russland nach der orthodoxen Kirche. Seit 20 Jahren entwickelt sich der Riesenverband zunehmend zur tragenden Stütze des Regimes. So verurteilten die FNPR-Spitzen sämtliche Oppositionsproteste der letzten Jahre scharf. Und auch jetzt stellen sie sich voll hinter den Kreml: Man unterstütze den Herrn Präsidenten bei seiner «Operation zur Entnazifizierung der Ukraine», schreibt der FNPR in einem Communiqué. Es endet mit dem Schlachtruf «Friede den Nationen! Krieg den Nazis!» Trotz solchem Kriegsgeheul hat Lehrer Petrow die Hoffnung nicht aufgegeben. Die weitere Entwicklung sei zwar schwer vorauszusagen. Eines jedoch sei sicher: «Die Friedensbewegung ist jetzt besser organisiert und viel aktiver als die Kriegsunterstützer, obwohl letztere vom Staat unterstützt werden.»“ Bericht von Jonas Komposch in der Work vom 18. März 2022 (Zeitung der schweizerischen Gewerkschaft Unia)
    Siehe die Position der russischen Gewerkschaften im Dossier: Keine Waffenlieferungen in die Ukraine! Friedenspolitik statt Krieg!
  • Protest gegen Ukraine-Krieg in Russland: Mutiges Eintreten für den Frieden
    In Russland braucht es viel Mut, sich gegen den Krieg in der Ukraine zu positionieren. Tausende Lehrkräfte haben es trotzdem gewagt und setzten damit ein starkes Zeichen für den Frieden. Mehr als 5000 Lehrkräfte aus allen Regionen Russlands, davon einige auch aus dem Ausland, haben eine Petition der Initiative „Lehrkräfte gegen den Krieg“ unterzeichnet. Es ist der größte Protest der Lehrkräfte in Russland seit mehr als 30 Jahren.
    Die Initiative 
    „Lehrkräfte gegen den Krieg“ musste den Petitionstext nach dem neuen Mediengesetz in Russland, das die kritische Berichterstattung über den Krieg unter Strafe stellt, mittlerweile von der Homepage nehmen.
    Die GEW-Vorsitzende Maike Finnern hat sich in einem 
    Schreiben mit den Lehrkräften in Russland solidarisiert. (…) In dem Offenen Brief russischer Lehrkräfte gegen den Krieg in der Ukraine heißt es: „Jeder Krieg bedeutet menschliche Opfer und Zerstörungen. Krieg ist eine Katastrophe. Der Krieg gegen die Ukraine, der in der Nacht vom 23. auf den 24. Februar begonnen wurde, ist nicht unser Krieg. Die Invasion auf das Territorium der Ukraine begann im Namen russischer Staatsbürger*innen, aber gegen unseren Willen. Wir sind Lehrkräfte und Gewalt widerspricht dem Wesen unseres Berufes. In der Hitze des Krieges sterben unsere Schüler*innen. Krieg führt unvermeidlich zu einer Zuspitzung der sozialen Probleme unseres Landes. Wir unterstützen die Antikriegsproteste und fordern einen sofortigen Waffenstillstand.“
    Den Unterzeichnern des Briefs und weiteren kritischen Stimmen in den Bildungseinrichtungen drohen aktuell Verfolgung und Entlassungen. Die beiden unabhängige Bildungsgewerkschaften Uchitel‘ und „Universitäre Solidarität“ in Russland setzen sich für die Belange von verfolgten Lehrkräften am Arbeitsplatz ein. In einer Stellungnahme der Hochschulgewerkschaft heißt es: „Die Universitätsleitungen üben Druck auf Hochschulmitarbeiter*innen aus, die sich offen gegen den Krieg aussprechen, und einige Kolleg*innen werden gegen ihren Willen entlassen. Auch Studierende werden unter Druck gesetzt und rechtswidrig mit Verweisen und Exmatrikulation bedroht, wenn sie sich an friedlichen Anti-Kriegs-Protesten beteiligen.“
    Solidaritätsadressen an die Lehrkräfte in Russland sind eine Möglichkeit, ein Zeichen der Solidarität zu senden und ihnen den Rücken zu stärken. Das Schreiben der GEW kann als 
    Musterschreiben verwendet werden – etwa auch von GEW-Gliederungen, die sich mit den Lehrkräften solidarisieren wollen. Sie können an diese Adresse versendet werden: teachershelpnow(at)gmail(dot)com.“ Beitrag von Carmen Ludwig, Referentin für Internationales, am 31.03.2022 bei der GEW
  • Sabotiert diesen Krieg! Gespräch mit einem russischen Anarchosyndikalisten
    Ein Krieg, der in Russland nicht so heißen darf; Propagandageheul auf allen Seiten; Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit außer Kraft – die Lage seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist denkbar unübersichtlich. Unser Gesprächspartner, ein russischer Anarchosyndikalist, bewahrt dennoch klaren Kopf. Sein ausgeprägtes Geschichts- und Klassenbewusstsein und die nach wie vor bestehenden Kontakte zu seinen Genoss*innen in beiden Krieg führenden Ländern helfen ihm, die Geschehnisse zu analysieren und nicht in die Falle des Nationalismus und der Kriegsbegeisterung zu tappen. Seinen Namen möchte er aus Gründen des Selbstschutzes lieber nicht in der Zeitung sehen. (…)
    Natürlich unterscheiden sich die Argumente und Slogans der verschiedenen Strömungen. Alle fordern eine Einstellung der Feindseligkeiten und den Abzug russischer Truppen aus der Ukraine. Es wird auch die Bestrafung der für die Organisation des Krieges Verantwortlichen gefordert. Aber während z. B. die Mehrheit der teilnehmenden Anarchist*innen die Position „Kein Krieg, sondern Klassenkampf“ vertritt, ist es für liberal gesinnte Demonstrant-*innen nicht ungewöhnlich, für die Ukraine als Staat zu demonstrieren, ukrainische Flaggen zu hissen oder zu sagen, dass sie sich „schämen, Russ*innen zu sein“ (als ob eine solche Kollektivschuld keine nationalistische Idee wäre!). Und einige bekunden sogar Sympathie für die NATO. Das alles ist jedoch nicht neu: Wir haben 2008 und 2014 die gleichen Effekte beobachtet.
    Übrigens beschränkt sich die Opposition gegen den Krieg nicht auf Straßenproteste. Vertreter*innen der Kunstwelt, Schauspieler*innen, Wissenschaftler*innen etc. unterzeichnen kollektive Protestbriefe, bereits in den ersten Tagen wurden mehr als eine Million Unterschriften für eine Petition zur Beendigung des Krieges gesammelt. Sogar einige Politiker*innen einer so „offiziell anerkannten“ Partei wie der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation befürworteten eine Einstellung der Feindseligkeiten – allerdings sind sie innerhalb ihrer Partei nur eine kleine Minderheit. Auch Mitglieder verschiedener kleiner linker und sogar leninistischer Parteien sprachen sich gegen den Krieg aus. (…) Die Anarchist*innen in Russland sind natürlich alle gegen den Krieg. Sie setzen aber unterschiedliche Akzente. Wir Anarcho-Syndikalist*innen vertreten Positionen des prinzipientreuen und vollständigen Internationalismus und Antimilitarismus, stellen uns gegen alle Kriegsparteien, weil sie etatistisch und kapitalistisch sind, und rufen die Einwohner*innen Russlands und der Ukraine auf, diesen Krieg zu sabotieren. Wir glauben nicht an „gerechte“ und „Befreiungskriege“, und wir verurteilen sowohl expansionistische Eroberungen als auch die „Verteidigung des Vaterlandes“. Unsere Solidarität gilt den Zivilist*innen, die unter dem Krieg, den gegenwärtigen barbarischen Bombardierungen und dem Beschuss von Städten leiden. Gleichzeitig gibt es andere Anarchist*innen, die glauben, dass man mit dem „Abwehrkampf des ukrainischen Volkes“ sympathisieren sollte. (…) Die anarchistische Bewegung in Russland ist zahlenmäßig nicht sehr stark und weit verstreut. Daher werden Informationen nicht systematisch erfasst, manchmal erfahren wir nur zufällig von einer Aktion. Aber wir wissen, dass Flugblätter aufgehängt wurden, dass es zahlreiche Graffiti gegen den Krieg gibt, dass Transparente und Plakate aufgehängt wurden … Und natürlich sind Kampagnen im Internet von großer Bedeutung: Manchmal erreichen sie mehr Menschen als herkömmliche Flugblätter. (…)
    Jeder Krieg, das lehrt die Geschichte, ist für Anarchist*innen eine Bewährungsprobe: Wie stark ist ihr Internationalismus wirklich? Wird ein*e Anarchist*in genug Überzeugungskraft und Bewusstsein haben, um nicht patriotischen Vorurteilen und Emotionen zu erliegen, um nicht im Hagel fliegender Bomben, Granaten, Raketen und Kugeln den Kopf zu verlieren? Um weiterhin alle Krieg führenden Staaten und ihre herrschenden Klassen zu verurteilen und den hysterischen Aufrufen zur „Verteidigung der Heimat“ nicht zu gehorchen?
    Leider haben – genau wie 2014 – nicht alle anarchistischen Gruppen und Aktivist*innen in der Ukraine diese Probe bestanden. Während die Gruppe „Assembly“ in Charkow ein internationalistisches Interview veröffentlichte, rief zum Beispiel die „Revolutionäre Aktion“ in Kiew dazu auf, die Ukraine auf der Seite des bestehenden Staates mit Waffen zu verteidigen. Einige, wie die Gruppe „Schwarze Fahne“ in Lviv und Kiew, haben eine in sich widersprüchliche Position: Einerseits verurteilen sie alle Krieg führenden Regime und sind sich der etatistischen und Klassennatur des Konflikts bewusst, andererseits rufen sie dazu auf, in die Reihen der so genannten Territorialverteidigung vor Ort einzutreten. Die erwähnten Milizen entstehen augenscheinlich aus dieser „Territorialverteidigung“. Sie erhalten Waffen von den Behörden, gehorchen den örtlichen Behörden und folgen der allgemeinen offiziellen Militärlinie. Diese Gruppen sind nicht unabhängig und proklamieren keine von der Regierung getrennten Kriegsziele. Daher betrachten wir die Teilnahme von Anarchist*innen an ihnen als grundlegend falsch, als geradezu gegen die Essenz der anarchistischen Idee gerichtet. Die anarchistischen Befürworter*innen der Milizen verweisen auf das historische Beispiel Nestor Machnos. Aber sie vergessen, dass die Machnowisten nicht „ihre Heimat“ verteidigt haben, sondern die Errungenschaften der sozialen Revolution. Natürlich haben wir nichts gegen eine echte Selbstverteidigung gegen das plündernde und vergewaltigende Militär, aber eine solche Selbstverteidigung muss unabhängig sein und darf nicht den militärischen Zielen eines der Krieg führenden Staaten dienen
    …“ Interview aus der Graswurzelrevolution 468 vom April 2022 dokumentiert am 30.03.2022 beim Linksnet, siehe auch unser Dossier: Hilfe und Asyl für russische und ukrainische Deserteure!
  • Die Antikriegsbewegung in Russland: Heimatfront zwischen Folter und Massenarmut
    „Die Bewegung gegen den Krieg kämpft in Russland nicht nur für den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine. Sie kämpft unter hohem Repressionsdruck gleichzeitig um eine Zukunft, in der man noch würdig in Russland leben kann. Am 24.Februar trieb das Entsetzen über den Krieg vor allem junge Menschen sofort auf die Straße, in über 50 russischen Städten wurde protestiert. Die Behörden wurden überrascht und reagierten harsch: Schon am ersten Tag wurden 6835 Menschen verhaftet.
    Das Putin-Regime hatte den Aktionsradius der Zivilgesellschaft seit langem immer weiter begrenzt. Die einzig verbliebene legale Möglichkeit des Protests war es zuletzt, einsam mit einem Plakat in der Hand irgendwo in der Öffentlichkeit herumzustehen. Ein großer Teil der Proteste gegen den Krieg entlud sich daher in öffentlichen Erklärungen. An einer Onlinepetition für einen Waffenstillstand und den Abzug der russischen Truppen beteiligten sich binnen einer Woche über eine Million Menschen, Hunderttausende unterzeichneten mit ihrem Klarnamen Offene Briefe ihrer Berufsgruppe an die Regierung. Zu Kriegsbeginn schrieb die Gruppe Sozialistitscheskaja Alternatiwa (SozAlt): «Putin fühlt sich stärker als je zuvor in den vergangenen zwanzig Jahren. Das Land hat 640 Milliarden Dollar an Devisenreserven angehäuft, eine Partnerschaft mit China aufgebaut und Europa von russischem Gas abhängig gemacht, die Opposition im eigenen Land ist unterdrückt und die russische Bevölkerung wird durch immer neue Repressionen eingeschüchtert.» Das war die Ausgangslage für die Antikriegsbewegung. Bereits eine Woche nach dem Einmarsch wurden weitere demokratische Rechte eingeschränkt. (…) Sowohl RSD als auch SozAlt verbanden die Mobilisierung für den 6.März mit der Möglichkeit politischer Streiks. SozAlt betonte die Bedeutung der Offenen Briefe diverser Berufsgruppen. Damit könnten sich Kriegsgegner:innen in Betrieben und Branchen zusammenzufinden und gemeinsam protestieren und Streiks vorbereiten. Die Gruppe verband die Mobilisierung für den 6.März mit einer Aussicht auf einen dreistündigen politischen Warnstreik am 9.März. (…) Dass Streiks möglich sind, zeigte der spontane Ausstand in der ölverarbeitenden Fabrik Gemont in der Großstadt Nishnekamsk am 5.März. Die Fabrik hat einen türkischen Eigentümer, die Löhne sind an den Wechselkurs gebunden, durch den schwachen Rubel sanken auch die Löhne.
    Infolge der westlichen Sanktionen ist die russische Wirtschaft mit massenhaften Fabrikschließungen und Entlassungen konfrontiert. Es drohen ausstehende Lohnzahlungen, eine rasante Inflation und die Zahlungsunfähigkeit des Staates. Streiks mit wirtschaftlichen Forderungen könnten schnell zu einem Flächenbrand politischer Streiks werden, die sich gegen den Krieg und die Regierung richten. (…) Am 13.März gingen deutlich weniger Menschen als am 6.März auf die Straße. Zuvor hatte es Verhaftungen, Anklagen nach den neuen Gesetzen, Razzien und Exmatrikulationen Studierender gegeben. (…) Das Beispiel Belarus zeige, dass auch Massenproteste ein diktatorisches Regime nur effektiv in Frage stellen können, wenn es eine organisierte politische Kraft gebe, die den Protest in eine Massenstreikbewegung überführt…“
     Artikel von Christoph Wälz in Soz vom April 2022
  • ‘Meint Ihr, die Russen wollen Krieg’ oder verklärt die ‘traditionelle Linke’ das Russlandbild der Deutschen?
    „Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat nicht nur die Nato und den Westen zu mächtigen Hilfsaktionen für die ukrainische Armee und zu gewaltigen Sanktionen gegen die Wirtschaft Russlands bewogen, er hat zur gleichen Zeit eine ideologische Offensive gegen die „traditionelle Linke“ ausgelöst, die diese endgültig mundtot und politikunfähig machen soll. Die Vorwürfe kommen dabei nicht nur vom Lager der Mainstream-Medien und -Parteien, sie rühren auch von FreundInnen und GenossInnen im Lager der Friedensbewegung und der gesamten Linken. (…) Wenn die Kritiker uns vorwerfen, wir unterhielten ein sentimentales Verhältnis zu Russland, voll von Sympathie für die sozialistischen Anstrengungen und voller Schuldgefühl angesichts des Nazi-Überfalls auf die Sowjetunion, die 27 Millionen Sowjet-Menschen das Leben kostete, dann muss ich für meinen Teil sagen: Ja, das stimmt. (…) Das Problem heute rührt nicht nur von den unzufriedenen Massen her, sondern auch von den Oligarchen, deren Kapitale durch die Sanktionen des Westens nicht mehr die gewohnten Profite abwerfen und die sich deshalb ihre Haltung zu Putin neu überlegen. Sollte Putin seine Kriegsziele spektakulär verfehlen, müsste er eine „nationale Demütigung“ erleiden, bekäme er kontra von allen bedeutenden politischen Seiten. Bei den Massen würde seine nationalistische Demagogie, da er seine Ziele verfehlt, sich gegen ihn wenden, bei den Oligarchen, den Wirtschaftskapitänen, verlöre er an Unterstützung. (…) Der von vielen herbeigesehnte Sturz Putins von innen, durch den eigenen, nun enttäuschten und besorgten Machtapparat scheint dennoch eher unwahrscheinlich. Begonnen hat die Benennung der Verantwortlichen im Sicherheits- und Militärapparat, einschließlich höchster „Würdenträger“, und ihre öffentliche Demütigung durch Putin bei landesweit ausgestrahlten Fernsehprogrammen. Eine „Säuberungswelle“ steht bevor, die von der großen Mehrheit der neuen Eliten getragen wird, die sich ihrer prekären Lage gegenüber ihren kapitalistischen Konkurrenten im Westen bewusst sind. Sollte das Putin-System stürzen, wird es zu einer Neuverteilung der Reichtümer Russlands kommen – diese Befürchtung hält die Oligarchenclique zusammen und bei Putin, bei aller Kritik an dessen kriminellen, aber auch dilettantischen Vorgehen in der Ukraine. Auch die Jagd des Westens auf Vermögensteile der Oligarchen im Westen treibt sie eher Richtung Putin-Russland. Doch auch wenn es in Moskau nicht zu einem Personen-Wechsel an der Spitze kommt, wird sich Russland schließlich, da die Ukraine militärisch nicht zur Aufgabe gezwungen wird, auf eine Verhandlungslösung einstellen müssen. Und Russland kann froh sein, wenn China dabei eine bestimmende Rolle spielt…“ Erster Teil eines Beitrags von Conrad Schuhler vom 28. März 2022 beim isw und Teil II:

    • „Wir (die traditionelle Linke), seien nach wie vor im „reaktionären Lagerdenken“ gefangen, stellten uns in der „Systemkonkurrenz lieber auf die Seite einer rotgelackten national-kapitalistischen Einparteienherrschaft“ statt auf die der bürgerlichen Demokratie des Westens. So lauten die Vorwürfe aus dem Lager der Mainstream-Medien und -Parteien, sie rühren aber auch von FreundInnen und GenossInnen im Lager der Friedensbewegung und der gesamten Linken. Frank Deppe, marxistischer Politikprofessor emeritus der Uni Marburg, nennt ein Verständnis der internationalen Konfliktlinien in Begriffen des Kalten Krieges „naiv“. Es ist mehr als das – es ist falsch und kann gegebenenfalls gefährlich sein. Der alte Block des Westens ist zwar immer noch ein von den USA dominierter Block, dessen Einheit aber erst durch eine Bedrohung von außen, wie jetzt im Fall der Ukraine, hergestellt wird. Europa, vor allem Frankreich und Deutschland, betonen eine größere Eigenständigkeit Europas, eine eigene Armee, ein größeres Gewicht in der Nato. Und selbst jetzt drücken sich die Widersprüche aus im Beharren der Deutschen auf ihren Importen von Energierohstoffen aus Russland. Der Versuch der deutschen Regierung, die Energieabhängigkeit von Russland zu beheben durch vermehrte Importe aus den arabischen Despotien demonstriert, wie gehaltlos das Gerede der US-Regierung ist, es ginge weltweit um das Gegenüber von Demokratien gegen Autokratien. Das diese Epoche kennzeichnende Kriterium ist nicht die Haltung zur „Demokratie“, sondern die realpolitische Erwägung der Länder, ihr Interesse lieber beim Stärkepol USA zu suchen oder aber bei der am schnellsten wachsenden Supermacht China. Nach Kaufkraft gemessen produzieren die USA ein gutes Fünftel des gesamten Weltprodukts. US-Kapitalisten besitzen erhebliche Teile des Kapitals in anderen entwickelten Ländern des Kapitalismus, sie besitzen den größeren Teil der weltweiten Lieferketten. Diese stellen die neue Form der internationalen Ausbeutung der Länder des Südens dar. (…) Putin, alles andere als ein Marxist, hat die Worte des alten Bolschewiken in den Wind geschlagen. Und er hat sich völlig verrannt – militärstrategisch, politisch, auch ideologisch. Diese krude These, die Ukraine habe keine nationale Identität, sie sei eine künstliche Schöpfung der frühen Sowjetunion, war noch nie haltbar, und Putins Invasion hat das Nationalbewusstsein noch geschärft. Russland muss, wie schon dargelegt, zu einer Friedensregelung bereit sein, die die nationale Selbstbestimmung der Ukraine festhält und dagegen den von den USA und der Nato bestätigten Verzicht der Ukraine auf Nato-Mitgliedschaft festlegt. Die Bevölkerung der Regionen Krim und Donbass werden in Abstimmungen über ihre staatliche Zugehörigkeit entscheiden. Im Rahmen der KSZE werden Regelungen der Friedenssicherung und der Abrüstung in Europa angestrebt. China, mit dem Russland in vielen Verträgen als ein prinzipieller Partner verbunden ist, sollte auf den westlichen Nachbarn einwirken, zu Positionen des Völkerrechts, wie sie auch von BRICS bekräftigt wurden, zurückzukehren. Mehr noch als die Sanktionen des Westens wird das Gewicht Chinas das Putin-Russland zu einer Position bewegen, die sowohl das Selbstbestimmungsrecht der Ukrainer wie auch das Sicherheitsbedürfnis Russlands zur Geltung bringt.“ Zweiter Teil eines Beitrags von Conrad Schuhler vom 31. März 2022 beim isw online
  • (Exil)RussInnen demonstrieren gegen Ukraine-Krieg mit „neuer russische Flagge“ in weiß-blau-weiß
    • Russen demonstrieren in Prag gegen Ukraine-Krieg
      In Tschechien lebende Russen haben auf einer Demonstration in Prag gegen den Ukraine-Krieg protestiert. An der Kundgebung nahmen nach Polizeiangaben rund 3.000 Menschen teil. In einem Aufruf der Veranstalter hieß es, nicht alle Russen seien heimliche Unterstützer von Präsident Putin. Nach offiziellen Angaben leben mehr als 45.000 Russen in Tschechien. Zahlreiche russische Geschäfte hängten ukrainische Fahnen aus. Einem Medienbericht zufolge wurde ein Eingang der russischen Botschaft im Diplomatenviertel von Prag mit roter Farbe bemalt – als Symbol für das Blut der Opfer der russischen Aggression in der Ukraine.“ Meldung am 26.03.2022 im Deutschlandfunk, siehe auch:
    • Russen gegen Putin verwenden eine „neue russische Flagge“ und drängen darauf, das „Blut“ von der russischen Flagge zu entfernen. So sieht eine echte Bedrohung für Putin aus.“ (engl.) Tweet von Anonymous vom 27.3.2022
    • Zuvor auch im Tweet von Rayk Anders am 26.3.: „Im Auge behalten: Bei den Anti-Kriegsdemos (wie zB heute in Prag) werden weiß-blau-weiße Flaggen immer präsenter. Es ist die russische Flagge ohne das Rot (=Blut). Symbol von Russen, die den Krieg ablehnen. Starkes Zeichen!
    • St. Petersburg: „Mein Herz blutet“ [Russland]
      In St. Petersburg fand heute eine Aktion gegen den Krieg in der Ukraine statt. Eine Frau in einem weißen Kleid übergoss sich mit rote Farbe und skandierte „Mein Herz blutet“.
      Der Text auf ihr Transpi lautete: „Mein Herz blutet. Jeden Tag sterben in der Ukraine Frauen, Kinder, alte Männer und Frauen durch Bombardierungen, Hunger, die Unmöglichkeit, sich aus den Trümmern zu befreien oder Medikamente zu bekommen. Ihre Gräber mit selbstgebastelten Kreuzen sind auf öffentlichen Plätzen zu finden. Tausende von Verwundeten und Verstümmelten, Millionen von zerstörten Leben. Wenn Sie dafür Ausreden erfinden, bedeutet das, dass Ihr Herz verkommen ist. Finden Sie die Kraft, barmherzig und mitfühlend zu sein. Unterstützen Sie das Blutvergießen nicht.
      ““ Beitrag vom 27.3.2022 von Enough14D mit Foto und Video
    • Das neue Russland braucht eine Flagge ohne Blut
      Tausende Exilrussen hoffen auf das Ende des autokratischen Russlands. Auf der ganzen Welt verstreut, brauchen sie eine neue Heimat. Ihr Vorbild könnte eine fast vergessene, mittelalterliche Republik sein. Die Russen, die gegen den Krieg in der Ukraine protestieren, haben vor einer Woche damit begonnen, eine neue Heimat für sich zu erfinden. Es ist noch nicht klar, wo, wie und wann sie entstehen wird. Aber ein neues Symbol hat sie schon: eine Flagge mit drei Streifen – weiß, blau und wieder weiß. Schon wenige Tage nach der Invasion schrieben viele Russen in sozialen Medien, dass sich die weiß-blau-rote Trikolore diskreditiert habe und das neue Russland, das irgendwann nach Putin entstehen wird, eine neue Flagge brauche – ohne Blut darauf. Der rote Streifen solle daher durch einen zweiten weißen Streifen ersetzt werden: die Farbe des russischen Schnees und der Reue…“ Ein Essay von Michail Sygar vom 21.03.2022 im Spiegel online
  • RUSSLAND: Manifest der Koalition „Sozialisten gegen den Krieg“
    „… Aber schon jetzt sind Millionen von Menschen im ganzen Land entsetzt und angewidert von dem, was Putins Regierung tut. Es sind Menschen mit unterschiedlichen Überzeugungen. Die meisten von ihnen sind keineswegs Liberale, wie die Propagandisten behaupten. Unter ihnen gibt es viele Linke, Sozialisten oder Kommunisten. Und natürlich sind diese Menschen die Mehrheit unseres Volkes aufrichtige Patrioten unseres Vaterlandes. Man lügt uns vor, dass die Gegner dieses Krieges Heuchler sind. Dass sie nicht gegen den Krieg sind, sondern nur den Westen unterstützen. Das ist eine Lüge. Wir waren nie Unterstützer der Vereinigten Staaten und ihrer imperialistischen Politik. Als ukrainische Truppen Donezk und Lugansk beschossen, haben wir nicht geschwiegen. Wir werden auch jetzt nicht schweigen, wenn Charkiw, Kiew und Odessa auf Befehl von Putin und seiner Kamarilla bombardiert werden.
    Es gibt viele Gründe, gegen den Krieg zu kämpfen. Für uns, die wir für soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit eintreten, sind einige von ihnen besonders wichtig. Es ist ein ungerechter Eroberungskrieg. Es gab und gibt keine solche Bedrohung für den russischen Staat, für die es notwendig war, unsere Soldaten zum Töten und Sterben zu schicken. Heute „befreien“ sie niemanden. Sie helfen keiner Volksbewegung. Es ist nur so, dass die reguläre Armee auf Befehl einer Handvoll Milliardäre, die davon träumen, ihre Macht über Russland für immer zu behalten, friedliche ukrainische Städte zerschlägt.
    Dieser Krieg führt zu zahllosen Katastrophen für unsere Völker. Sowohl die Ukrainer als auch die Russen bezahlen ihn teuer mit ihrem Blut. Aber auch weit hinten werden Armut, Inflation und Arbeitslosigkeit alle treffen. Die Rechnungen werden nicht von Oligarchen und Beamten, sondern von armen Lehrern, Arbeitern, Rentnern und Arbeitslosen bezahlt werden. Viele von uns werden nichts haben, um ihre Kinder zu ernähren.
    Dieser Krieg wird die Ukraine in Ruinen und Russland in ein großes Gefängnis verwandeln. Die Medien der Opposition sind bereits geschlossen. Menschen werden für Flugblätter, harmlose Mahnwachen und sogar für Beiträge in sozialen Netzwerken hinter Gitter gebracht. Bald werden die Russen nur noch eine Wahl haben: zwischen Gefängnis und dem Melde- und Einberufungsbüro des Militärs. Der Krieg bringt eine Diktatur mit sich, wie sie lebende Generationen noch nicht erlebt haben. (…)
    Es gibt nur eine Möglichkeit, diese Katastrophen zu verhindern. Der Krieg muss von uns selbst gestoppt werden von den Männern und Frauen Russlands. Dieses Land gehört uns, nicht einer Handvoll verrückter alter Leute mit Palästen und Jachten. Es ist an der Zeit, es zurückzuerobern. Unsere Feinde sitzen nicht in Kiew und Odessa, sondern in Moskau. Es ist an der Zeit, sie von dort zu vertreiben. Krieg ist nicht Russland. Der Krieg ist Putin und sein Regime. Deshalb sind wir, die russischen Sozialisten und Kommunisten, gegen diesen verbrecherischen Krieg. Wir wollen ihn stoppen, um Russland zu retten. Keine Intervention! Keine Diktatur! Keine Armut!
    “ Maschinenübersetzung aus dem Manifest am 17.3.22 in englischer Übersetzung bei LeftEast (RUSSIA: Manifesto of the Coalition “Socialists Against War”) dort auch im russischen Original
  • [»Krankschreibung gegen den Krieg«] »Ein horizontaler Protest hat keinen Kopf«. Wer initiiert Antikriegsaktionen in Russland – und wie?
    Seit dem Angriff der russischen Armee auf die Ukraine am 24. Februar haben sich in ganz Russland Dutzende von Antikriegs-Basisinitiativen gebildet. Wir berichten über Aktivist*innen, Designer*innen, Künstler*innen, Musiker*innen und Student*innen, die in einer Zeit, in der der Slogan »Nein zum Krieg« mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden kann, nach neuen Formen des Aktivismus gegen den Krieg suchen. (…) Eine der ersten politischen Vereinigungen, die eine Antikriegserklärung herausgab, war die »Sozialistische Alternative«, die ihre Anhänger*innen dazu aufrief, »eine Basisbewegung gegen den Krieg aufzubauen«, also Mahnwachen durchzuführen, Flugblätter zu verteilen, zu agitieren und Streiks zu organisieren. Die Sozialistische Alternative hat auch die Proteste am 6. März 2022 in 69 russischen Städten mitorganisiert. (Die Bürgerrechtsorganisation) OVD-Info schätzt, dass an diesem Tag in ganz Russland fast 5.000 Demonstrant*innen festgenommen wurden. Die demokratische Jugendbewegung Vesna (Frühling) rief ebenfalls zu Straßenprotesten auf. »Als der Krieg begann, wurde uns klar, dass wir nicht am Rande stehenbleiben können, und wir beschlossen zu handeln. Wir haben schnell einen Kampagnenplan gegen den Krieg entwickelt: von offenen Briefen bis zu Straßenaktionen«, sagt Ivan Smirnov (Name geändert), einer der Organisator*innen der Bewegung.
    Längst nicht alle Aktivist*innen halten Straßenaktionen für wirksam. Die anonyme Bewegung »Krankschreibung gegen den Krieg« ist der Meinung, dass »neue Wege des Protestes gegen einen Krieg, den niemand will« gesucht werden sollten. Sie fordern die Beschäftigten staatlicher und privater Unternehmen auf, sich krankschreiben zu lassen und der Arbeit fernzubleiben, um die Kriegswirtschaft zu untergraben: »Stellt euch einen Morgen vor, an dem der Straßenbahnfahrer, der die Arbeiter*innen zu den Rüstungsbetrieben fährt, nicht zur Arbeit kommen kann. Die Lehrerin kommt nicht, und das Kind des Fabrikarbeiters bleibt zu Hause. Vielleicht ist aber auch der Mitarbeiter der Rüstungsindustrie selbst abwesend. Die Vertreter*innen der Bewegung geben zu, dass diese Form des Protests nicht so spektakulär ist wie Straßenaktionen. Aber sie sind überzeugt, dass die Kriegsgegner*innen »nicht an den Anschein, sondern an die Tat denken sollten«. Und dann hält uns niemand mehr davon ab, stolze Selfies von zu Hause zu posten, wie im März 2020. »Retten wir die Welt, indem wir zu Hause bleiben!« »Stille Mahnwachen« sind eine weitere Alternative zu Straßenprotesten. (…)
    Auch russische Künstler*innen wurden von den Antikriegsprotesten nicht ausgespart. Die anonyme Künstler*innengruppe Nevoina aus Samara veranstaltete eine Aktion mit dem Titel »Ein Wort an die Toten«. Die Aktivist*innen zogen sich schwarze Säcke an und legten auf dem Eis der Wolga eine Linie aus ihren Körpern aus, um die Opfer des Krieges zu symbolisieren. (…)
    Feministische Aktivistinnen haben einen eigenen »Feministischen Widerstand gegen den Krieg« ins Leben gerufen. »Antimilitarismus ist ein integraler Bestandteil des Feminismus, denn der Feminismus wendet sich gegen alle Formen von Gewalt, einschließlich militärischer Aggression«, sagt Maria Blinova (Name geändert), eine der Gründerinnen der Bewegung. Die Teilnehmerinnen des Widerstands führen eine Vielzahl von Protestaktionen durch, von »Briefen der Verzweiflung«, die viralen WhatsApp-Nachrichten ähneln, bis hin zum Niederlegen von Blumen an Denkmälern des Zweiten Weltkriegs am Internationalen Frauentag. (…)
    Eine eigene Antikriegsbewegung wurde von den Studierenden der russischen Hochschulen ins Leben gerufen. Sie rufen dazu auf, »ein entschiedenes NEIN zum Krieg zu sagen«, da sie der Meinung sind, dass »das Schweigen, geschweige denn die Unterstützung des Geschehens durch die Russische Akademie nicht nur zur Isolierung und Degradierung der russischen Wissenschaft führt, sondern alles zerstört, dem sie, die Studierenden, ihr Leben widmen«. Die Aktivist:innen schlagen vor, mit Antikriegsaufschriften auf Kleidung, Taschen und medizinischen Masken in die Bildungseinrichtungen zu kommen. Eine weitere Form des Aktivismus gegen den Krieg ist die Unterstützung derjenigen, die von der russischen Invasion in der Ukraine betroffen sind
    .“ Newsletter des oppositionellen Studierendenmagazins DOXA vom 16. März 2022 am 17. März 2022 in der Übersetzung durch Christoph Wälz beim ak online

    • Siehe auch seinen Tweet vom 16.3.Aktivist*innen des „Feministischen Widerstands gegen den Krieg“ verbreiten Botschaften auf Banknoten und Münzen: #НЕТВОЙНЕ“ samt Foto
  • »Die Repression hat eine neue Stufe erreicht«
    Anna von der linken Organisation Sozialistitscheskaja Alternatiwa im Interview von Simon Konstantinow am 15. März 2022 im ak online über die Antikriegsproteste in Russland: „… Vom ersten Tag an hat sich unsere Organisation mit all ihren Kräften auf die Antikriegskampagne konzentriert. Wir arbeiten sowohl digital, indem wir online Materialien veröffentlichen, als auch offline, indem wir Plakate kleben, Flugblätter verteilen und an Protestaktionen teilnehmen. (…) Derzeit haben sich Gruppen aus zwölf Städten der Antikriegskampagne angeschlossen, dazu kommen Einzelpersonen aus weiteren Orten. Unsere Kampagne trifft auf einen unerwarteten Zuspruch. (…) Im Vorfeld der Antikriegsaktionen am 6. März wurden sieben unserer Genoss*innen in Moskau und Sankt-Petersburg festgenommen, die meisten erhielten fünf bis 20 Tage Haft. Auch bei den Aktionen selbst nahm die Polizei dann drei Mitglieder fest. Weitere unserer Genoss*innen werden aktuell observiert. (…) Vor einer neuen Mobilisierungswelle muss sich die Antikriegsbewegung verbreitern. Das bedeutet, dass weitere Schichten der Bevölkerung für die Proteste gewonnen und organisiert werden müssen. Wir hatten ursprünglich zu einem dreistündigen Warnstreik am 9. März aufgerufen, aber aufgrund der geringen Resonanz und der harten Repression bedeutete der Plan lediglich die Gefährdung unserer kleinen Aktivist*innengruppe. (…) Wir schlugen daraufhin vor, den 9. März zum Tag der Antikriegs-Agitation am Arbeits- und Ausbildungsplatz zu machen. Ziel war es, mit Kolleg*innen zu sprechen, ihnen mitzuteilen, wo man wahre Nachrichten über den Kriegsverlauf erhält, ihnen bei der Einrichtung eines verschlüsselten VPN-Internetzugangs zu helfen, und auch über den kommenden ökonomischen Schock in Russland mit ihnen zu sprechen. In vielen Städten entstanden Keimzellen von Antikriegskomitees. Diese sollen nun in den Betrieben und Hochschulen agitieren.“
  • KRAS-IAA in Russland über den Krieg in der Ukraine
    Die uns nahestehende „Grupo Moiras“ aus Spanien hat unsere GenossInnen der KRAS-IAA in Russland interviewt. Diesen sehr aufschlußreichen Text, der am 13. März veröffentlicht wurde, haben wir aus dem Spanischen übersetzt. Neben einigen Hintergrundinformationen ist vor Allem der klare Klassenstandpunkt bemerkenswert. In einer von kriegstreiberischem Rausch und Pro-NATO-Propaganda geprägten Zeit erscheint es uns extrem wichtig, dem nationalistischen Geheule wenigstens ein paar Informationen entgegenzusetzen und es tut gut, so eine derart klare Analyse zu lesen.“ Vorwort zum Interview in deutscher Übersetzung am 15. März 2022 beim Wiener Arbeiterinnen-Syndikat„… KRAS: Wir haben keinen Grund, mit dem Besitzer des Kremls und seiner Verwaltung zu sympathisieren. Seine neoliberale Politik hat zu einem regelrechten Zusammenbruch des Gesundheits- und Bildungssystems, zur Verarmung der RentnerInnen und der Beschäftigten des öffentlichen Sektors in der Provinz geführt. Die Löhne im Land sind ungeheuer niedrig, die ArbeiterInnenbewegung ist wirklich gelähmt … Aber unabhängig davon verstehen wir, dass all dies ein Produkt eines bestimmten Systems ist, das auf dem Staat und dem Kapital basiert. Wir leben nicht im 17. Jahrhundert, nicht in der Ära der absolutistischen Monarchien. (…) 2014 war die ukrainische anarchistische Bewegung gespalten in diejenigen, die den liberal-nationalistischen Protest auf dem Maidan unterstützten und dann der neuen Regierung gegen die Separatisten im Donbass halfen, und diejenigen, die versuchten, eine internationalistischere Position einzunehmen. Letzteres gab es zwar, war aber leider seltener der Fall. Heute ist die Situation ähnlich, aber noch akuter. Im Großen und Ganzen lassen sich drei Positionen unterscheiden. Einige Gruppen (wie die „Nihilisten“ und die „Revolutionäre Aktion“ in Kiew) betrachten das Geschehen als einen Krieg gegen den russischen Imperialismus und die Diktatur Putins. Sie unterstützen den ukrainischen nationalistischen Staat und seine militärischen Anstrengungen in diesem Krieg voll und ganz. (…) Die zweite Position wird zum Beispiel von der Gruppe „Black Flag“ in Kiew und Lemberg vertreten. Vor dem Krieg war sie eine scharfe Kritikerin des ukrainischen Staates, der herrschenden Klasse, ihrer neoliberalen Politik und des Nationalismus. Bei Ausbruch des Krieges erklärte die Gruppe, dass der Kapitalismus und die Machthaber auf beiden Seiten die Schuld am Krieg trügen, rief aber gleichzeitig dazu auf, sich den Kräften der so genannten „territorialen Selbstverteidigung“ anzuschließen – freiwilligen Militäreinheiten der leichten Infanterie, die vor Ort auf territorialer Basis gebildet werden. Die dritte Position wird von der Gruppe „Versammlung“ in Charkiw vertreten. Sie verurteilt auch beide Seiten des Konflikts, obwohl sie den Kremlstaat für die gefährlichere und reaktionärere Kraft hält. Es wird nicht dazu aufgerufen, sich bewaffneten Formationen anzuschließen. Die AktivistInnen der Gruppe organisieren derzeit Hilfe für die Zivilbevölkerung und die Opfer des Beschusses durch die russische Armee. Die Teilnahme von AnarchistInnen an diesem Krieg als Teil der bewaffneten Formationen, die in der Ukraine operieren, betrachten wir als einen Bruch mit der Idee und der Sache des Anarchismus. Diese Formationen sind nicht unabhängig, sie sind der ukrainischen Armee unterstellt und erfüllen die von den Behörden festgelegten Aufgaben. Sie stellen keine sozialen Programme und Forderungen auf. Die Hoffnungen, unter ihnen eine anarchistische Agitation durchführen zu können, sind zweifelhaft. In der Ukraine gibt es keine soziale Revolution, die es zu verteidigen gilt. Mit anderen Worten: Diejenigen, die sich selbst als AnarchistInnen bezeichnen, werden einfach geschickt, um „das Vaterland“ und den Staat zu verteidigen, indem sie die Rolle des Kanonenfutters für das Kapital spielen und nationalistische und militaristische Gefühle in den Massen stärken. (…) In dieser Situation tut die kleine und gespaltene anarchistische Bewegung in Russland, was sie kann. Einige nehmen an Protestdemonstrationen teil. Dann wurden zwei unserer GenossInnen ebenfalls verhaftet und mit einer Geldstrafe belegt. Andere stehen diesen Demonstrationen kritisch gegenüber, da die Aufrufe dazu oft von der rechtsliberalen Opposition kommen und oft nicht so sehr gegen den Krieg als vielmehr für die Ukraine (und manchmal sogar für die NATO) sind. Es bleibt die Möglichkeit, mit ihren Slogans und Plakaten auf Demonstrationen zu gehen (einige AnarchistInnen tun dies) oder kleine, unabhängige und dezentrale Aktionen durchzuführen. AnarchistInnen schreiben Antikriegsslogans an Wände, malen Graffiti, kleben Aufkleber und Flugblätter und hängen Antikriegsfahnen auf. Es ist wichtig, den Menschen unsere besondere und unabhängige, gleichzeitig kriegsgegnerische, antikapitalistische, antiautoritäre und internationalistische Position zu vermitteln.“
  • Meduza: „Man hat das Gefühl, das Leben eines Menschen ist nichts wert“
    Die Leiterin der Petersburger Soldatenmütter, Oxana Paramonowa, spricht im Interview mit Sascha Siwzowa vom russischen Exil-Medium Meduza darüber, wie sich ihre Arbeit vor dem Hintergrund des neuen Krieges gestaltet (Übersetzung von Jennie Seitz, veröffentlicht bei dekoder.org am 15. März 2022): „… Unsere Organisation hat 30 Jahre lang Ersuche entgegengenommen. Die Menschen wandten sich über verschiedene Kanäle an uns, meist persönlich. In den letzten Jahren gab es eine Hotline und Online-Beratungen. Unsere Anwälte haben sich um diese Anfragen gekümmert. Wir haben Treffen mit Kommandostäben und der Militärstaatsanwaltschaft organisiert. Die Grundlage für die Arbeit waren Informationen, die wir persönlich von den Menschen erhielten. Im Oktober wurde der unglückselige FSB-Erlass verabschiedet, der das Sammeln jedweder Information über die Armee faktisch verbietet. Dadurch drohte den betreffenden Personen eine strafrechtliche Verfolgung, und wir waren gezwungen, diese Arbeit einzustellen. (…) Wir versuchen, die Eltern untereinander zu vernetzen. Das ist für uns als Organisation eine schwierige Aufgabe, manchmal nicht machbar. Aber es ist wichtig, dass die Eltern gemeinsam handeln. Dass sie sich koordinieren, dass jemand direkt an den Dienstort [d. h. in die Militäreinheit] fährt, an dem sie das letzte Mal Kontakt [mit dem Vermissten] hatten, dass ein anderer am Telefon sitzt und wieder ein anderer Schreiben [an das Verteidigungsministerium und andere Behörden] aufsetzt. Sie müssen sich zusammentun. Wir haben auch früher alles dafür getan, solche Supportgruppen entstehen zu lassen: Damit der Rekrut nicht alleine zur Musterungsbehörde geht, damit er eine Gruppe von Eltern oder seine Kameraden plus seine Eltern hinter sich hat, die wenigstens eine minimale Kontrolle darüber haben, wie der Armeedienst abläuft. (…) An uns wenden sich Eltern, die jemanden suchen und in der Regel keine Informationen haben. Sie versuchen, Kontakt zu ihren Söhnen herzustellen, zu erfahren, wo sie sind und wie es ihnen geht. Wir dürfen keine Daten zu Verlusten sammeln. Wir hatten ein paar Anfragen, bei denen Eltern sagten, sie hätten ihre Söhne unter den Kriegsgefangenen erkannt. Die reichen wir an Kollegen weiter, die sich mit der Suche von Kriegsgefangenen auskennen. Wir geben den Eltern den Kontakt, alles weitere erfahren sie dort, was man überhaupt machen kann.(…) Es herrscht ein allgemeiner Zustand der Passivität: Apathie, Ohnmacht. Man könnte es auch schärfer formulieren. Jedenfalls hat man das Gefühl, das Leben eines Menschen sei nichts wert. Es gibt den Wunsch, irgendwo etwas zu beweisen, aber die Fähigkeit zum Handeln, um ein Leben zu retten, ist blockiert. Ich weiß nicht, ob es Angst ist, oder Schuld. Wenn man genauer hinschaut, hat da wahrscheinlich jeder sein Päckchen zu tragen. Aber dass dieser Impuls in der heutigen Zeit praktisch fehlt, ist, glaube ich, eine Tatsache. Da ist kein Impuls, Leben zu retten…“
  • Situation in Russland nach dem Angriff auf die Ukraine: „Hoffnung ist vielleicht nur eine Fata Morgana“ Proteste, Schweigen und Angst
    Ein Gespräch von und bei medico international vom 14. März 2022 mit einem russischen Staatsbürger über die Situation in Russland nach dem Angriff auf die Ukraine: „… Die Situation wird mit jedem Tag schlechter. Ich habe zum ersten Mal von Freunden gehört, dass sie so bald wie möglich ausreisen wollen. Jeden Tag gibt es Neuigkeiten, die Russland Verhältnissen wie in Nordkorea näher bringen. Leute fangen jetzt an, ihre Sachen zu packen und in Länder zu gehen, wo sie noch hin können, wenn sie kein anderes Visum haben, nach Georgien, in die Türkei usw. Seit zehn bis fünfzehn Jahren beobachte ich die Entwicklungen hier, natürlich mit dem Sonderstatus des Eingewanderten, der einen ausländischen Pass besitzt und hoffentlich auch künftig die bald schon geschlossene Festung, in die Russland sich gerade verwandelt, jederzeit verlassen kann. Aber für die Mehrheit der Russ:innen schließen sich die Türen nach außen und im Inneren. Das spüren sie, und das fürchten sie. Regimekritische Menschen haben das Gefühl, dass der Staat und die Teile der Gesellschaft, die Putin unterstützen, sie als fünfte Kolonne betrachten. (…) Zu der Zeit wurde ein Gesetz verabschiedet, das die Ahndung der wiederholten Teilnahme an Protesten nicht mehr als Ordnungswidrigkeit, sondern direkt als Straftat ermöglichte, auf die eine Strafe von 500.000 oder 600.000 Rubel stand – das ist für viele, viele Menschen in Russland mehr als ein Jahreseinkommen – und bis zu fünf Jahre Haft. Nur weil man an einer Demonstration teilnahm. Du kannst dir also den Druck vorstellen und die Angst der Menschen, weil sie wirklich wissen, dass sie alles verlieren können, nur weil sie auf die Straße gehen. Nun wollen Leute nur auf die Straße gehen, um „Nein zum Krieg“ zu sagen und nicht mal, um gegen Putin zu protestieren. Aber das „Nein zum Krieg“ wird ihnen als ein „Nein zum Präsidenten“ ausgelegt. Die Menschen verstehen und erwarten, dass sie als erste weggesperrt werden und diejenigen, die in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren zu diesen Demonstrationen gegangen sind, wollen jetzt weg. Angesichts des Krieges in der Ukraine ist es aber nicht mehr nur diese vergleichsweise kleine Gruppe von Putin-Gegner:innen, die in der Emigration den einzigen Ausweg sieht: Ein breiterer Teil der russischen Stadtbevölkerung, der vielleicht nicht so sehr gegen Putin, sondern in erster Linie gegen diesen Krieg ist, könnte sich jetzt ebenfalls für den Exodus entscheiden. Auch wenn unklar ist, ob sich dieser Trend zur Auswanderung überhaupt materialisieren können wird. (…) Im Moment kann die Revolution in diesem Land nur eine Palastrevolte sein, so wie es schon immer war, auch vor der großen Revolution von 1917. Oder wenn sie von unten kommt, dann erst in einigen Jahren, wenn Russland in ein mittelalterliches Stadium zurückgefallen sein wird. (…) Die kleine Hoffnung auf die neue Generation, die ich mit Blick auf Voyna und die Künstler:innen zu bewahren versucht habe, ist vielleicht nur eine Fata Morgana. Um ehrlich zu sein, ich denke zum ersten Mal darüber nach, wann ich meine Sachen packen und gehen sollte und was ich als nächstes tun könnte.“
  • Landesweiter Antikriegs-Protesttag in Russland am 13. März über 800 DemonstrantInnen festgenommen
    • Im Thread von Nelli Tügel vom 13.3. sind Berichte, Fotos und Videos gesammelt vom landesweiten Antikriegs-Protesttag in Russland, zu dem die Jugendbewegung „Vesna“ aufgerufen hat. Christoph Wälz hat den Aufruf übersetzt, leider nur auf Fratzebuch verfügbar.
    • tagesschau.de berichtet am 13.3.2022 (mit Videos):  Viele Festnahmen bei Protesten in Russland. „In Russland sind erneut landesweit zahlreiche Menschen auf die Straße gegangen, um gegen den Angriffskrieg zu protestieren. Mehr als 800 Demonstranten wurden festgenommen seit Beginn der Invasion bereits mehr als 14.000. Bei neuen Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine sind in Russland nach Angaben von Bürgerrechtlern landesweit mehr als 800 Menschen festgenommen worden. Zu den Festnahmen sei es bei Protesten in 37 Städten gekommen, teilte die Organisation Owd-Info mit. Aktionen gab es demnach etwa in Wladiwostok im äußersten Osten Russlands und in Irkutsk am Baikalsee sowie in der sibirischen Stadt Tomsk, in Moskau und St. Petersburg. Unter den Festgenommenen in St. Petersburg waren auch mehrere Journalisten. Bilder und Videos in sozialen Netzwerken zeigten, wie Menschen von Polizisten mit Schutzhelmen und schwerer Ausrüstung weggezerrt wurden…“
    • Werft die Fahnen fort! Die Militärkapellen spielen auf zu euerm Todestanz. Seid ihr hin: ein Kranz von Immortellen das ist dann der Dank des Vaterlands.“ #Tucholsky vor der #RussischenBotschaft #нетвойны! #Ukrainewar #Ukraine
      In Solidarität mit der russischen Antikriegsbewegung! Verteilt es gern. Auf den Netzwerken wo auch die Untertitel Sinn machen. Und die in RU noch erreichbar sind
      …“ Thread von Paul Geigerzaehler vom 11.3.2022 zum Video des Geigers vor der russischen Botschaft, der „Der Graben“ spielt mit Text von Tucholsky auf Russisch und Deutsch
  • Antikriegsbewegung in Russland: Wie weiter? Diskussionsbeiträge aus der russischen Linken nach dem landesweiten Protesttag am 6. März 2022
    Zwei Tage nachdem der russische Präsident Wladimir Putin ein Paket an Gesetzesverschärfungen unterzeichnet hatte, das etwa die Verbreitung von »Falschinformationen« über die russischen Streitkräfte mit bis zu 15 Jahren Gefängnisstrafe bedroht, gingen im ganzen Land tausende Menschen gegen den Krieg in der Ukraine auf die Straßen. Die Sicherheitskräfte gingen überall mit großer Härte gegen die Demonstrierenden vor. Wir dokumentieren im Folgenden drei Statements russischer linker Gruppen, die sich mit der Frage nach dem »Wie weiter mit den Antikriegsprotesten« befassen. (…) Die Polizei war nicht zimperlich bei der Wahl ihrer Mittel, schlug die Festgenommenen und setzte Elektroschocker ein. In vielen Städten wurden nicht gekennzeichnete Ordnungshüter gesichtet, die die unmenschlichsten Methoden anwenden können, ohne Strafen befürchten zu müssen. Dies zeigt, wie sehr sich die Behörden der prekären Lage bewusst sind, in der sie sich befinden. Die Repression wird den Herrschenden jedoch nicht helfen, die von ihnen verursachte Krise zu lösen. Im Gegenteil, der Wille zum Widerstand wird angesichts des drohenden Zusammenbruchs der Wirtschaft nur noch wachsen. Zehntausende von Menschen sind in 56 Städten auf die Straße gegangen. Sie ließen sich von den Verhaftungen von Aktivist*innen, der Panikmache und der Polizeibrutalität nicht abschrecken. (…) Die Aktionen am 6. März sind auf eine neue Qualität von Unterdrückung durch das Regime gestoßen, das begonnen hat, die Methoden der belarussischen Sicherheitskräfte anzuwenden. In Jekaterinburg halfen schwarzgekleidete Männer ohne jegliche dienstliche Erkennungszeichen dabei, die Leute zu verhaften. In Moskau zwang die Polizei junge Leute dazu, ihr Zugang zu den Messengerdiensten auf ihren Handys zu verschaffen. Die Gewalt, die wir letztes Jahr bei den Protesten nach der Rückkehr Nawalnys erlebt haben, ist uns wieder begegnet. Leute wurden geschlagen, auf den Boden geworfen, es wurden Elektroschocker eingesetzt. Gegen die Inhaftierten wurde auf den Polizeirevieren Gewalt und Folter angewandt. Dabei waren die Polizist*innen sich ihrer Straflosigkeit bewusst, sie waren von der Richtigkeit ihrer Handlungen überzeugt. Auf dem Moskauer Polizeirevier Bratejevo konnte Alexandra Kaluzhskikh aufnehmen, wie sie während eines Verhörs geschlagen wurde. Die schreckliche Aufzeichnung, die von dem »Feministischen Widerstand gegen den Krieg« veröffentlicht wurde, zeigt erneut, dass das Putin-Regime nicht nur gegen die Ukrainer*innen kämpft, sondern auch gegen das eigene Volk. Zu einer Massenmobilisierung, die nicht gewaltsam aufgelöst werden kann, kam es am 6. März nicht, obwohl im ganzen Land mehr Leute auf die Straße gingen als in den Tagen zuvor. Wenn man die Welle von Hausdurchsuchungen und Verhaftungen, die Abschaltung vieler Medien und die neuen repressiven Gesetze, die buchstäblich vor ein paar Tagen erlassen wurden, berücksichtigt, also eine neue Wucht der Einschüchterung und Abschreckung, dann kann man diese Mobilisierung als einen Punkt für die Antikriegsbewegung werten. Doch es stellt sich die Frage: Was sollen wir jetzt tun?
    Das Regime wird jetzt Aktivist*innen suchen und bestrafen. Es haben bereits Entlassungen von Kriegsgegner*innen begonnen. Die seit 20 Jahren andauernde Politik der Unterdrückung von Freiheiten hat dazu geführt, dass weder die Arbeiter*innenklasse noch die Studierenden eigene Organisationen haben, die in der Lage wären, für einen solidarischen Kampf gegen den Krieg zu mobilisieren. Die Antikriegsbewegung muss aus dem Nichts aufgebaut werden, ohne jede Unterstützung von Gewerkschaften oder studentischen Organisationen und unter den Bedingungen des politischen Staatsterrors. Auf uns wartet eine harte Arbeit, fast schon im Untergrund. (…) Anstatt eine erneute Mobilisierung anzustrengen, müssen wir die Antikriegsbewegung breiter aufstellen, also breitere Schichten der Gesellschaft heranziehen und organisieren. Die Wirtschaftskrise und die Sanktionen versetzen dem Lebensstandard ungeheuerliche Schläge. Millionen verlieren aufgrund von Kapitalflucht ihre Arbeitsplätze. Zusammen mit der Bestattung getöteter Soldaten und mit Zeugenberichten von Soldaten werden damit vielen die Augen über den Krieg geöffnet werden. Der Propagandaschleier wird fallen, besonders wenn sich der Krieg noch hinziehen wird. Die Bewegung wird wachsen, wenn es dem Regime nicht gelingt, heute ihren aktiven Kern zu erdrücken
    …“ Aufrufe vom Russischen ins Deutsche übersetzt durch Christoph Wälz am 8. März 2022 im ak online
  • Feministinnen in Russland protestieren gegen Putins Krieg
    „Der folgende Text ist ein Manifest von Feministinnen in Russland, die sich gegen die Besetzung und den Krieg in der Ukraine zusammengeschlossen haben. Mehrere Dutzend feministische Basisgruppen sind aktuell in mindestens dreißig Städten aktiv. In diesem Manifest rufen Feministinnen, die in die Antikriegsproteste in Russland involviert sind, Feministinnen auf der ganzen Welt dazu auf, sich gegen die militärische Aggression der Putin-Regierung zu wehren. (….)
    Als russische Bürgerinnen und Feministinnen verurteilen wir diesen Krieg. Feminismus als politische Kraft kann nicht auf der Seite eines Angriffskrieges und einer militärischen Besatzung stehen. Die feministische Bewegung in Russland kämpft für benachteiligte Gruppen und die Entwicklung einer gerechten, gleichberechtigten Gesellschaft, in der Gewalt und militärische Konflikte keinen Platz haben dürfen.
    Krieg bedeutet Gewalt, Armut, Zwangsvertreibung, zerstörte Leben, Unsicherheit und fehlende Zukunft. Er ist unvereinbar mit den grundlegenden Werten und Zielen der feministischen Bewegung. Krieg verschärft die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und wirft menschenrechtliche Errungenschaften um viele Jahre zurück. Krieg bringt nicht nur die Gewalt der Bomben und Geschosse mit sich, sondern auch sexuelle Gewalt (…)
    Feministinnen sind heute eine der wenigen aktiven politischen Kräfte in Russland. Lange Zeit wurden wir von den russischen Behörden nicht als gefährliche politische Bewegung wahrgenommen und waren daher vorübergehend weniger von staatlicher Repression betroffen als andere politische Gruppierungen. Derzeit sind mehr als fünfundvierzig verschiedene feministische Organisationen im ganzen Land tätig, von Kaliningrad bis Wladiwostok, von Rostow am Don bis Ulan-Ude und Murmansk. Wir rufen russische feministische Gruppen und einzelne Feministinnen auf, sich dem Feministischen Widerstand gegen den Krieg anzuschließen und ihre Kräfte zu vereinen, um sich aktiv gegen den Krieg und die Regierung, die ihn begonnen hat, zu stellen. Außerdem rufen wir Feministinnen in der ganzen Welt auf, sich unserem Widerstand anzuschließen. Wir sind viele, und gemeinsam können wir viel erreichen: In den letzten zehn Jahren hat die feministische Bewegung eine enorme mediale und kulturelle Macht erlangt. Es ist an der Zeit, diese in politische Macht umzumünzen. Wir sind die Opposition gegen Krieg, Patriarchat, Autoritarismus und Militarismus. Wir sind die Zukunft, die sich durchsetzen wird. Wir rufen Feministinnen auf der ganzen Welt auf: Beteiligt euch an friedlichen Demonstrationen, startet Offline- und Online-Kampagnen gegen den Krieg in der Ukraine und Putins Diktatur, und organisiert eure eigenen Aktionen. Gerne könnt ihr das Symbol des Feministischen Widerstands gegen den Krieg in euren Materialien und Publikationen verwenden, ebenso wie die Hashtags #FeministAntiWarResistance und #FeministsAgainstWar. Verbreitet Informationen über den Krieg in der Ukraine und Putins Aggression. Wir brauchen die ganze Welt, um die Ukraine in diesem Moment zu unterstützen und Putins Regime jede Unterstützung zu entziehen. Teilt dieses Manifest mit anderen. Es ist notwendig zu zeigen, dass Feministinnen gegen diesen Krieg sind – und gegen jede Art von Krieg. Ebenso wichtig ist es zu beweisen, dass es noch russische Aktivistinnen gibt, die bereit sind, sich zum Widerstand gegen Putins Regime zusammenzuschließen. Wir alle laufen jetzt Gefahr, vom Staat verfolgt zu werden und brauchen eure Unterstützung.“
     Aus dem Manifest des Feministischen Widerstands gegen den Krieg in der Übersetzung von Nikolas Perneczky vom 2. März 2022 bei Jacobin.de
  • Gegen den Krieg. In Russland formiert sich mutiger Protest gegen das Blutvergiessen
    „… Bereits am Abend des Kriegsbeginns, am 24. Februar, als Tausende versuchten, sich im Zentrum Moskaus zu versammeln, fiel die jugendliche Zusammensetzung der Protestierenden auf. Die Polizei sorgte für die Zerstreuung der Menschenmassen, weshalb sich immer wieder neue Protestzüge auf dem Moskauer Gartenring formierten. Einen davon führte eine Gruppe erfahrener Antifaschist:innen mit einem selbstgemachten Transparent an: «Frieden für die Ukraine – Freiheit für Russland» stand in grossen schwarzen Lettern auf weissem Stoff. Sie wollten den hinter ihnen marschierenden, wesentlich jüngeren Teilnehmer:innen eigentlich zeigen, wie man sich und andere durch die Bildung von Ketten auf friedliche Weise vor einer Festnahme schützen kann. Doch als sich die Polizei von vorn auf die Versammelten stürzte, hatten die demonstrationsunerfahrenen Kriegsgegner:innen hinter ihrem Rücken bereits die Flucht ergriffen. Der russischen Antikriegsbewegung fehlt es an einer koordinierenden Instanz. Eine solche sei aber gar nicht nötig, meint indes der Oppositionspolitiker Ilja Jaschin. Er legte in einem Videoaufruf am Montag seine Vision von dezentralisiertem Widerstand gegen den «verbrecherischen Krieg» dar: Lokale Antikriegskomitees, die in ihrem Umfeld agierten, seien das Gebot der Stunde. Aber es müssten viele sein. (…) Derweil meldet sich auch Prominenz aus Russlands Kulturbetrieb zu Wort: Der Schauspieler Danila Koslowski outete sich genauso als Kriegsgegner:in wie die Sängerin Semfira oder die Rapper Morgenstern und Oxxxymiron. Hip-Hop-Star Allj verschob wegen des Krieges seine Konzerte in Jekaterinburg und Tscheljabinsk. Elena Kowalskaja, Theaterdirektorin des Moskauer Meyerhold-Zentrums, trat zurück, weil sie unter den gegebenen Umständen eine Vergütung durch den Staat als inakzeptabel ansieht. Aus gleichem Grund kündigte der aus Litauen stammende Regisseur Mindaugas Karbauskis seinen Posten als Indendant beim Majakowski-Theater. Selbst das staatliche Puschkin-Museum schloss sich einer Antikriegserklärung des International Council of Museums an…“ Bericht von Ute Weinmann aus Moskau aus der WOZ vom 3. März 2022, siehe auch:

  • »Nein zum Krieg!« Linke Stimmen aus Russland und der Ukraine
    In zwischenstaatlichen Eskalationen und Kriegen richten sich alle Blicke auf die Entscheidungen und nächsten Handlungen der Mächtigen. Wir wollen Stimmen von unten stärken und dokumentieren daher übersetzte Auszüge von Statements unterschiedlicher linker Gruppen aus beiden Ländern…“ Doku vom 25. Februar 2022 beim ak online
  • Siehe das Dossier zum zivilem Widerstand in der Ukraine und Russland gegen den Krieg in der Ukraine beim Bund für soziale Verteidigung
  • siehe auch die Berichterstattung von Human Rights Watch (u.a. über Verhaftungen von Anti-Kriegs-Demonstranten in Russland)
  • und Berichte bei Crimethinc

Siehe zum Hintergrund unser Dossier: Keine Waffenlieferungen in die Ukraine! Friedenspolitik statt Krieg!

Quelle: labournet.de… vom 6. Mai 2022

Tags: , , , , , , , ,