Ukraine-Krieg: Zwischen klassenneutralem Pazifismus und Chauvinismus
Dieser Text erschien unter dem Titel “Glaubst du, die Linken wollen Krieg?” auf der Seite des Marxistischen Klubs “Obschtscheje delo” (“Gemeinsame Sache”) aus Belarus
Acht Jahre lang glühte im Osten der Ukraine ein Konflikt, der sowohl die ukrainische, als auch unsere Gesellschaft spaltete. Wie ein Damokles-Schwert stand mal die Bedrohung eines Krieges im großen Maßstab, mal die eines “Kosovarischen Szenarios” im Raum. Viele Linke unterstützte die Schaffung von selbständigen Republiken in Donbass, die anderen hielten es für wichtiger jeglichem Ausdruck des Imperialismus seitens Russland Widerstand zu leisten. Häufig haben sie ihre Positionen mit humanistischen Werten und guten Absichten begründet.
Wir sollten jedoch bedenken, dass die Gesellschaft nach den materialistischen Gesetzen lebt und unsere Vorstellungen vom Schönen und Gerechten darauf keinerlei Einfluss haben. Die Haltung “Für alles Gute” und “Gegen alles Schlechte” teilen wir schon einfach deshalb nicht, weil jeder “klassenlose” Blick auf die Gesellschaft kontraproduktiv ist. Diese oder jene Ereignisse können nur vom Standpunkt der Interessen der Werktätigen, der Veränderung ihrer Lage, dem Wachstum des Klassenbewusstseins und der Entwicklung der Arbeiterbewegung bewertet werden. Außer dem Tod der Leute im Laufe des Konfliktes, ist die offensichtliche Gefahr für unsere Völker der Aufschwung der nationalistischen Stimmungen. Und zwar auf allen Seiten. Chauvinistischer Dünkel wird maximal genutzt werden, um die Werktätigen für den Schutz ihrer Interessen um die Elite zu scharen.
Die andere Hälfte [der Linken] gerät in die Falle des klassenlosen Pazifismus, denn die Slogans des Widerstandes gegen die Ungerechtigkeit werden mal wieder im Interesse der Gruppierungen von reichen und einflussreichen Menschen zur Umverteilung der Macht und des Eigentums genutzt, worüber wir schon mehrmals geschrieben haben, oder für die Kanalisierung der Proteststimmmungen und Spaltung der Bewegung.
Wird das zur Milderung des Regimes gegenüber den Werktätigen und den Linken führen? Einerseits waren die bisherigen ukrainischen Machthaber nicht gerade Verteidiger der Freiheit und der Demokratie. Trotz des formalen Wechsels der Regierungen und der Einhaltung eines formellen Prozedere, greift die ukrainische Exekutive hart durch. Wir sollten auch nicht die Nazis in Uniform vergessen, die straflos agierenden “Aktivisten”, die auch töten dürfen. Auf der andere Seite wird etwa die “Denazifizierung” im Zusammenspiel mit der von Putin angekündigten “Dekommunisierung” Besserung bringen? Die Säuberungen lassen keine friedlichen Lösung zu. Zudem werden diese dann nicht ebenfalls [russische] Ultrarechte durchführen?
Die Bourgeoisie hat sich nie durch Humanität ausgezeichnet und es interessiert dann niemanden, ob du für die Wahrheit oder für die Lüge, für die Linke oder für die Rechte bist, wenn du als Bedrohung ihrer Herrschaft wahrgenommen wirst. Besonderes, wenn die Bevölkerung vor Ort sich als nicht so loyal erweist, wie es sich die Strategen im Stab vorgestellt haben. Kann man auf die Versuche hoffen, die Bevölkerung vor Ort [in der Ukraine] mit irgendetwas wohl gesonnen zu stimmen, was die Lage der Werktätigen bessert? Hypothetisch, kann die Russische Föderation ihre alte Trumpfkarte spielen – Kampf gegen die Oligarchie. Den Oligarchen ihr ganzes Eigentum wegnehmen (außer dem loyalen Medwedschuk) und es den ukrainischen Stiftungen übergeben (damit niemand sagen kann, die Moskowiter hätten etwas geklaut) – und in ein paar Jährchen wird das ganze Eigentum in den Händen der “richtigen” Kapitalisten landen. Ganz ohne Kriegserklärung. Was ist schon dabei, wenn “ehrliche Unternehmer” in die “Entwicklung der Regionen” investieren?
Kurz gesagt, bei allen möglichen Szenarien ist die Verbesserung der Lage der Werktätigen unwahrscheinlich.
5.3.2022
Original hier: https://vk.com/res_publica_marx
Quelle: lowerclassmag.com… vom 28. Juni 2022
Tags: Arbeiterbewegung, Arbeitswelt, Belarus, Imperialismus, Repression, Russland, Ukraine
Neueste Kommentare