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Nord Stream 1 und 2 und die geostrategischen Interessen der USA

Eingereicht on 16. Oktober 2022 – 18:35

Philipp Fess. Die Hintergründe der Sabotage an den deutsch-russischen Ostsee-Pipelines sind weiterhin ungeklärt. Und doch verdächtigen deutsche Medien bereits einmütig den Kreml-Herrscher Wladimir Putin.

Dabei lässt sich eigentlich schwer unterschlagen, dass Nord Stream 2 seit Jahren im Mittelpunkt einer US-amerikanischen Geostrategie steht, die, wie es Äußerungen, die im Folgenden zur Sprache kommen, verstehen lassen, auch eine extreme wirtschaftliche Schwächung ihres scheinbar engsten Verbündeten in Kauf nimmt.

Mittlerweile werden nur mehr wenig Zweifel daran geäußert, dass die in der Nacht zum 26. September erkannten Druckabfälle in den beiden Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und 2 auf einen Sabotageakt zurückzuführen sind.

Obwohl sich die eindeutige Ermittlung des Täters als schwierig bis unmöglich erweisen dürfte, wird in Deutschland wie in Russland angenommen, dass ein staatlicher Akteur hinter dem Anschlag steckt. Nur, wer – darüber gehen die Meinungen der immer mehr zu Blöcken eines Kalten Kriegs erstarrenden politischen Lager auseinander.

Während Putin gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan von einem „Akt des internationalen Terrorismus“ spricht und der Sekretär des russischen Sicherheitsrates, Nikolai Patruschew, die USA als Hauptverdächtigen nennt, entwerfen deutsche Medien, (militärische) Sachverständige und politisch Verantwortliche das Spiegelbild der Beschuldigung.

Für sie scheint sich angesichts des völkerrechtswidrigen Einmarschs in die Ukraine nicht mehr die Frage zu stellen, wer für Kriegs-(Verbrechen) jeglicher Art verantwortlich zeichnet.

Bemerkenswert ist, wie dabei ohne faktische Grundlage eine russische Operation unter falscher Flagge für wahrscheinlich erklärt wird – eine Hypothesenbildung, die man im Falle der Gräueltaten im ukrainischen Butscha noch als unlauter oder gar irrational disqualifizierte.

Die üblichen Verdächtigen

Dieser False-Flag-Vorwurf, obwohl (wie eben vieles) definitiv nicht auszuschließen, ist im Falle der Pipelines allerdings (noch) schwer nachvollziehbar. Warum Russland sich entschieden haben soll, seine terroristische Drohgebärde ausgerechnet auf das (zur Hälfte) eigene Milliardenprojekt zu richten und dabei die in unmittelbarer Nähe befindliche „Konkurrenz“-Pipeline von Norwegen nach Polen verschonte, mag nicht recht einleuchten.

Ebenso wenig wie die von Journalistenkollegen vermutete Motivation, den Europäern vor Augen führen zu wollen, „wie verwundbar unsere Energieversorgung ist“. Hat es dazu jenseits eines beispiellosen Wirtschaftskriegs, der Deutschland in die Deindustrialisierung zu stürzen droht, wie ein ARD-Betrag befürchtet, wirklich noch einer Demonstration bedurft?

Was die Motive der USA angeht, die in nahezu keinem deutschen Leitmedium jenseits einer Darstellung als Kreml-Propaganda diskutiert wurden, so wirken sie deutlich weniger weit hergeholt. Und dazu muss man nicht russischer Propaganda oder dem inzwischen gelöschten Tweet des ehemaligen polnischen Außenministers blinden Glauben schenken.

Abgesehen von der Ukraine und Polen, die nicht zuletzt aufgrund des drohenden Verlusts ihres Transitland-Status von Beginn an Bedenken gegen das Großprojekt vorgebracht haben, war deren Schutzmacht USA der wohl verbissenste Gegner von Nord Stream 2.

Pipeline-Protest bis an die Grenze des Völkerrechts

Die Vereinigten Staaten torpedieren das deutsch-russische Projekt aktiv seit 2017, als der amerikanische Kongress unter Präsident Donald Trump den gegen die Feindstaaten der USA – wie den Iran, Nordkorea und Russland – gerichteten Countering America’s Adversaries Through Sanctions Act (CAATSA) verabschiedete.

Im Dezember 2019 folgte mit dem Protecting Europe’s Energy Security Act (PEESA) das zweite Gesetz, das den Bau der Pipeline durch US-Sanktionen gegen die beteiligten Unternehmen zu verhindern trachtete.

Vor fünf Jahren wurde das in der deutschen Öffentlichkeit noch als Übergriff, wenn nicht gar – so etwa vom damaligen Außenminister Sigmar Gabriel – als völkerrechtswidrigen Eingriff in die Souveränität Deutschlands gedeutet. Damals war die Gefahr geringer, von den Medien deshalb als antiamerikanisch oder gar pro-diktatorisch dargestellt zu werden.

Ex-Außen- und Wirtschaftsminister Gabriel war nicht der einzige, der den USA (wirtschafts-)imperialistische Interessen in Bezug auf den Verkauf von Flüssigerdgas (liquified natural gas, LNG) unterstellte – eine, wie das Handelsblatt noch im Juli 2020 schrieb, wirtschaftliche Blase, die aufgrund des gesättigten europäischen Gasmarkts sowie des Ausbaus der Erneuerbaren zu platzen drohte:

Aus Russland kommen über 40 Prozent der europäischen Gasversorgung. Die USA nutzen den Streit um die Gaspipeline Nord Stream 2 deshalb auch weiterhin, um die EU von der Notwendigkeit von mehr Flüssigerdgas zu überzeugen. […]

Andrew McDowell, Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank, betonte kürzlich, dass Investitionen in neue Infrastrukturen für fossile Brennstoffe einschließlich LNG ‚wirtschaftlich eine zunehmend unsicherere Entscheidung‘ seien.

„Jedes weitere Wachstum von LNG in Europa müsste schon politisch getrieben werden“, ist auch [Energie-Experte Jens] Burchardt überzeugt.

Handelsblatt

Die Zukunft des Frackings

Als weiterer scharfer Kritiker der US-Gesetze von 2017 und 2019 hat sich der ehemalige Chef der Deutschen Energie-Agentur (dena), Stephan Kohler, hervorgetan. In einem Interview von 2017 weist er darauf hin, dass die USA im CAATSA-Gesetzesentwurf ganz offen mit besseren Marktchancen für ihr Flüssiggas argumentierten.

2019 – das Gespräch mit russischen Informationsplattformen war noch nicht synonym mit einem Karriere-Ende – erneuert Kohler im Interview mit Sputnik seinen Standpunkt und ergänzt ihn um eine brisante Dimension:

Was ich viel interessanter finde, ist der politische Aspekt. Ich denke, dass die Amerikaner kein Interesse daran haben, dass Europa und Russland sich wieder annähern. Eben genau deshalb werden die Sanktionen erlassen, um den politischen Keil zwischen Europa und Russland weiter hineinzutreiben.

Stephan Kohler

Noch im März 2020 äußerte sich Kohler mit Blick auf die kritische Situation in der Ukraine und Angela Merkels Beteuerung, man sei mit dem russischen Gas auf dem richtigen energiepolitischem Kurs, dass der Ankauf von amerikanischem Fracking-Gas in Deutschland in absehbarer Zukunft keine Option darstelle, schon allein wegen seines umweltschädlichen Rufs, den vor allem die Grünen lange in den Vordergrund ihres politischen Programms stellten – den Ausbau von LNG-Terminals aber dennoch mit vorantrieben.

Hätte sich der Ende Oktober 2020 verstorbene Kohler vorstellen können, dass die Bundesregierung gut anderthalb Jahre später, am 31. Mai 2022, eine kleine Anfrage der AfD zum künftigen Ersatz der russischen Erdgaslieferungen mit den folgenden Worten beantwortet?

Sie [die Bundesregierung, d. Red.] geht davon aus, dass neben leicht höheren Lieferungen aus Norwegen, hauptsächlich Flüssigerdgas (LNG) aus unterschiedlichen Herkunftsländern nach Europa und Deutschland geliefert wird. Dazu zählen u. a. die USA, Katar, Algerien und Lieferländer aus Afrika.

Antwort der Bundesregierung

Wohl kaum.

Konflikt beendet den Konflikt

Im November 2021 kommt der Konflikt um die Pipeline scheinbar zum Ende. Deutschland gibt gegenüber seinem transatlantischen Verbündeten das Versprechen ab, Sanktionen gegen Russland zu verhängen, sollte Putin sich jemals dazu entscheiden, Energie als Waffe einzusetzen.

Zuvor war der Pipeline-Betrieb im Juli von Präsident Biden an die Bedingung geknüpft worden, den Gas-Transit durch die Ukraine für weitere zehn Jahre zu sichern.

Im Januar spricht die unter Präsident Joseph Biden erneut in Regierungsverantwortung stehende Victoria Nuland, legendär durch ihr „Fuck the EU“-Telefonat, die Drohung aus, dass die USA Nord Stream 2 unterbinden werden, falls Russland in die Ukraine einmarschiere.

Am 7. Februar verspricht Joe Biden, dass man im Falle einer Invasion „fähig sein werde“, das Projekt zu stoppen. Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland seinerzeit in einem Artikel richtig bemerkte, ist das allerdings nur auf illegalem Wege möglich.

Am 22. Februar kündigt Bundeskanzler Scholz aufgrund des erwarteten Einmarschs in die Ukraine – Bloomberg veröffentlichte (irrigerweise) schon am 4. Februar einen entsprechenden Zeitungsbericht – an, das Zertifizierungsverfahren für die Pipeline unverzüglich zu stoppen.

„Die Aufrechterhaltung eines starken Keils zwischen Deutschland und Russland“

Wenn der ehemalige Chef der Deutschen Energieagentur, Stephan Kohler, in einem Interview mit einem russischen Medium von einem „politischen Keil“ sprach , ist man jetzt vielleicht versucht, ihn als russischen Propagandisten einzustufen.

Doch es gibt irritierenderweise auch einflussreiche Personen aus dem Westen, die sich genau dieses Sprachbildes bedienen. So zum Beispiel einer der renommiertesten US-Geostrategen, George Friedman, dessen Einschätzungen und Analysen in der Außenpolitik wie in nachrichtendienstlichen Kreisen geschätzt werden. Friedman schreibt 2010 in seinem Buch „The Next Decade: What The World Will Look Like“:

Russland bedroht nicht Amerikas globale Position, aber die bloße Möglichkeit, dass es mit Europa und insbesondere Deutschland zusammenarbeitet, eröffnet die größte Bedrohung in diesem Jahrzehnt, eine langfristige Bedrohung, die im Keim erstickt werden muss.

George Friedman

und weiter:

Die Aufrechterhaltung eines starken Keils zwischen Deutschland und Russland ist für die Vereinigten Staaten von überwältigendem Interesse.

George Friedman

Diese Forderung hat Friedman bei seinem Auftritt vor dem Chicago Council on Global Affairs (vormals Chicago Council on Foreign Relations), einem transatlantischen Thinktank, im Jahre 2015 erneuert:

Das Hauptinteresse der Vereinigten Staaten, wegen dem wir jahrhundertelang Kriege geführt haben – den Ersten, den Zweiten und den Kalten Krieg –, ist die Beziehung zwischen Deutschland und Russland, weil sie dort vereint die einzige Kraft sind, die uns bedrohen könnte. Und wir müssen sicherstellen, dass das nicht passiert.

George Friedman

Im April 2011 veröffentlicht der Deutschlandfunk eine wenig schmeichelhafte Rezension zu Friedmans „The Next Decade“. Darin wird seine geostrategische Grundüberzeugung folgendermaßen zusammengefasst:

Aufgabe kommender US-Präsidenten sei es, zur Eindämmung Deutschlands die EU-Partner systematisch gegeneinander auszuspielen und vor allem enge Beziehungen etwa zu Polen oder Dänemark zu pflegen. Von der früher gepflegten transatlantischen Rhetorik ist bei Friedman nichts mehr zu finden. Er argumentiert sogar, dass die USA zur Durchsetzung ihrer Politik der regionalen Balancen lieber gleich Organisationen wie die Nato abwickeln sollten.

Deutschlandfunk über „The Next Decade“ von George Friedman

Unverhohlenes Weltmachtstreben

Seit Beginn des gegen das Völkerrecht verstoßenden Einmarschs Russlands in die Ukraine publiziert Friedman auf seinem Portal Geopolitical Futures regelmäßig Artikel zum Ukraine-Krieg und den beteiligten Akteuren.

Deren Fokus liegt auf der Kritik Russlands und seiner Narrative („Die irre Nazi-Erzählung und anderer Blödsinn“) sowie der Bedeutung des Konflikts für eine Neuordnung der Welt unter US-amerikanischer Vorherrschaft („Wir erleben das Ende einer Ära“, „Warum Amerika wieder zum Hegemon wird“). In der letztgenannten Publikation heißt es:

Das Wachstum Russlands und Chinas hat die Vereinigten Staaten dazu veranlasst, in jene Position zurück zu streben, die sie zwischen 1945 und 1991 innehatten. Die USA engagieren sich jetzt in Russland und China und, was das betrifft, auch in Europa.

George Friedman

In den Texten von Friedmans Mitstreitern bei Geopolitical Futures spiegelt sich dieser Tenor des Kalten Krieges in Form von unfundierten Verdachtsbekundungen und relativ unverhohlener Block-Mentalität wider, so etwa zuletzt in „Warum Russland Interesse an der Sabotage (von Nord Stream 2, d. Red.) hat“.

2012 hat die Enthüllungsplattform Wikileaks Dokumente veröffentlicht, die Einblicke in die Verstrickungen und Interessenssphären von Friedmans Beratungsunternehmen Strategic Forecasting (Stratfor) geben.

Die Enthüllungen zeichnen das Bild eines eng mit Nachrichtendiensten verbundenen Unternehmens, das selbst nicht vor der Anwendung unlauterer Mittel zur Beschaffung von Informationen zurückschreckt.

Fragwürdige Methoden

Das Kundenportfolio von Friedmans Beratungsfirma erstreckt sich den Wiki-Leaks-Dokumenten zufolge auf so unterschiedliche Unternehmen und Institutionen wie die Bank of America, das US-Verteidigungsministerium, Ärzte ohne Grenzen, das nationale US-Forschungslabor in Los Alamos sowie die Vereinten Nationen.

Wie der Guardian 2012 berichtet, waren unter den Stratfor-Kunden auch multinationale Konzerne wie der Chemie-Riese Dow Chemical, die Rüstungsunternehmen Lockheed Martin, Raytheon und Northrop Grumman sowie Coca-Cola. Sie sollen Stratfor unter anderem dafür bezahlt haben, (kompromittierende) Informationen über ihre Kritiker einzuholen.

Friedmans Firma soll außerdem Verträge mit Sicherheitdiensten geschlossen haben und direkt in der Überwachung von proto-revolutionären Gruppen wie der Occupy-Bewegung involviert gewesen (Rolling Stone) sein und sogar koordinierte Angriffe auf Demonstranten geplant haben.

Wie Al Jazeera berichtete, soll Stratfor der Bank of America angeboten haben, den Journalisten Glen Greenwald zu überwachen, der 2013 durch die Publikation der NSA-Leaks Bekanntheit erlangte.

Aber zurück zum Keil zwischen Deutschland und Russland.

Kalkulierte Eskalation

Am 8. Februar, einen Tag nachdem US-Präsident Biden seine Drohung aussprach, das Nord-Stream-2-Projekt falls nötig zu beenden, schreibt der renommierte US-amerikanische Ökonom und Schuldenforscher Michael Hudson (Inspiration für David Graebers berühmtes Buch) auf seinem Blog einen Text mit dem Titel „Amerikas wahre Feinde sind seine europäischen und anderen Verbündeten“.

Darin stellt Hudson die These auf, dass den USA ihre Weltmachtposition zu entgleiten droht:

Amerika hat nicht mehr die Währungsmacht und den scheinbar chronischen Handels- und Zahlungsbilanzüberschuss, der es ihm 1944-45 ermöglichte, die Regeln für den Welthandel und die Investitionen aufzustellen.

Die Bedrohung für die Vorherrschaft der USA besteht darin, dass China, Russland und [Halford] Mackinders eurasische Weltinsel bessere Handels- und Investitionsmöglichkeiten bieten als die Vereinigten Staaten, die von ihren NATO- und anderen Verbündeten zunehmend verzweifelt Opfer verlangen.

Michael Hudson

In diesem drohenden Niedergang des US-amerikanischen Einflusses auf das ökonomische und damit geopolitische Weltgeschehen sieht Hudson den Grund, warum das Projekt Nord Stream 2 von den USA so konsequent torpediert wurde:

Das eklatanteste Beispiel ist das Bestreben der USA, Deutschland von der Genehmigung der Nord Stream 2-Pipeline abzuhalten, um russisches Gas für den kommenden kalten Winter zu beziehen […]

Die einzige Möglichkeit, die den US-Diplomaten bleibt, um europäische Käufe zu blockieren, besteht darin, Russland zu einer militärischen Reaktion zu veranlassen und dann zu behaupten, dass die Rache für diese Reaktion schwerer wiegt als jedes rein nationale wirtschaftliche Interesse.

Michael Hudson

Nun mag man auch Hudson – dessen Vater immerhin Trotzkist war, und der sich zeit seines Lebens für die marxistische Theorie der politischen Ökonomie interessierte – eine ideologische Nähe zum Kreml unterstellen und daher die (indirekte) Anschuldigung einer bewussten Provokation durch die USA im Ukraine-Konflikt folgerichtig als Hirngespinst bezeichnen. Doch es gibt ein Dokument, das Hudsons These zumindest diskussionswürdig macht.

Der US-amerikanische Thinktank RAND Corporation, die semi-offizielle Interessenvertretung der US-amerikanischen Sicherheits- und Rüstungsindustrie (dem sogenannten military-industrial complex, der am Ukraine-Krieg „kräftig mitverdient“), veröffentlicht am 2019 ein Dokument mit dem Titel „Overextending (etwa: Überspannen, überreizen) and Unbalancing Russia“.

In diesem Dokument entwirft die Lobby-Institution eine Kosten-Nutzen-Rechnung über Strategien zur gezielten Provokation Russlands – mit dem Ziel, die Kreml-Regierung zu destabilisieren, schließlich: einen weiteren Regime Change herbeizuführen (von dem auch Biden in diesem Zusammenhang einmal gesprochen hat).

Zu den Strategien zählt die RAND Corporation unter anderem die Expansion der US-Energieproduktion, die Stärkung der Militärpräsenz, Streitkräfte-Verlegungen an der Nato-Außengrenze (sog.: Reposture), den Ausstieg aus dem Mittelstrecken-Nuklearstreitkräfte-Vertrag (INF, geschehen unter Trump 2018), das „Werben um Liberalisierung“ in Weißrussland sowie die Lieferung von (Defensiv-)Waffen in die Ukraine.

Das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis weist dem RAND-Dokument zufolge jedoch schlicht die „Rufschädigung“ der russischen Regierung auf – also Propaganda, Desinformation.

Talkshows mit der Transatlantik-Lobby

Es gibt auch innerhalb Deutschlands Stimmen, die sich gegen eine zu enge Verbindung Deutschlands mit Russland und, als Kristallisation dieser postulierten geopolitischen Gefährdung, gegen Nord Stream 2 aussprechen.

Bemerkenswerterweise haben prominente Akteure selbst enge Verbindungen zu transatlantischen Netzwerken und lassen somit Zweifel an ihrer neutralen Perspektive aufkommen.

Zu diesen gern in Talkshows geladenen Gästen gehören etwa die Vorsitzende des Bundesverteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die 64-Jährige vertritt nicht nur eine Partei, die sich, wie auch die Grünen, bei der Bundestagswahl 2021 eigentlich gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete ausgesprochen hatte.

Die NGO Lobbycontrol sieht in Strack-Zimmermanns Positionen als Vizepräsidentin des Nato-Interessenverbands Deutsche Atlantische Gesellschaft sowie als Präsidiumsmitglied in den Rüstungslobby-Vereinen Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik sowie Förderkreis Deutsches Heer eine mögliche Gefährdung ihrer politischen Neutralität.

Strack-Zimmermann hält auch Vorträge bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (engl.: German Council on Foreign Relations), einer Organisation, die sich dem Ziel verschrieben hat, die öffentliche Meinung und politische Entscheidungsträger im Sinne der transatlantischen Interessen zu beeinflussen.

Christian Mölling, der Sicherheits-Experte, der in einer Folge der ZDF-Sendung Markus Lanz wenig Zweifel an der Verantwortlichkeit Russlands für die Nord-Stream-Sabotage aufkommen ließ, ist Forschungsdirektor der DGAP und leitet dort das Programm „Sicherheit und Verteidigung“.

Zuvor war Mölling unter anderem beim German Marshall Fund of the United States (GMF) tätig, der ebenfalls als transatlantische Einflussorganisationen gilt. Norbert Röttgen und Roderich Kiesewetter, deren O-Töne ebenfalls gerne zur Ukraine-Krise eingefangen werden, sind Mitglieder im transatlantischen Lobby-Verein Atlantik-Brücke.

Parteiische Freundschaften

Zu guter Letzt gibt es auch eine Partei, deren Mitglieder schon vor Beginn des Ukraine-Kriegs am 24. Februar entschieden gegen den Bau der Ostsee-Pipeline protestiert haben: Die Grünen. Sowohl Omid Nouripour als auch Annalena Baerbock wie auch Robert Habeck orientierten sich dabei eng an der Darstellung aus Übersee („Defensivwaffen liefern“, „geopolitischer Fehler“, „mehr Druck auf Russland ausüben“).

Auffällig ist, dass auch innerhalb der Partei, die das Außen- und Wirtschaftsministerium sowie das Landwirtschaftsministerium besetzt, enge Verknüpfungen mit transatlantischen Organisationen gibt – und das gilt nicht nur für Ralf Fücks’ und Marie-Luise Becks üppig mit Staatsgeldern versorgtes Zentrum Liberale Moderne.

So ist etwa Annalena Baerbock nicht nur ehemaliger Young Global Leader des World Economic Forum, sondern auch Mitglied im German Council on Foreign Relations, ebenso aber auch Teilnehmerin von Studienreisen der Atlantik-Brücke oder Rednerin bei Online-Konferenzen des transatlantischen Lobby-Vereins Atlantic Council (so im Mai 2021 zum Thema „Ein ‚transatlantischer Green Deal‘ und Deutsche Strategien gegenüber Russland und China“).

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ist seines Zeichens „Transatlantic Fellow“ des German Marshall Fund, einer Organisation, die der Journalist Friedrich Küppersbusch zuletzt für ihre tendenziöse Darstellung Deutschlands im Bericht „Transatlantic Trends“ kritisiert hat.

Eine vermeintliche „wachsende Unbeliebtheit“ Deutschlands innerhalb der EU wurde dabei unter anderem auf die zögerliche Haltung der Bundesrepublik bei der Entscheidung zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine zurückgeführt.

#Bild: Die Feier am 8. November 2011 mit dem damaligen französischen Premierminister François Fillon, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte, dem damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew und dem seinerzeitigen EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger. Bild: Kremlin.ru/CC BY 3.0

Quelle: Telepolis… vom 16. Oktober 2022

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