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Wen unterstützt der Westen, wenn er vorbehaltslos „die Ukraine“ unterstützt

Eingereicht on 20. Oktober 2022 – 9:54

Florian Rötzer. Jede kritische Sicht auf die Ukraine ist derzeit tabu, Hauptsache die Waffen und das Geld fließen in das Land der tapferen Kämpfer. Die rechtsnationalistischen Freiwilligenverbände wie Asow sind aus dem Blick geraten oder weißgewaschen worden, Asow-Kämpfer touren durch die USA und werben für ihre Miliz.

Es ist immer nur davon die Rede, dass „die Ukraine“ finanziell und militärisch unterstützt werden muss in ihrem totalen Verteidigungskrieg, der seit kurzem zu Offensiven übergegangen ist. Nicht gesprochen wird, wer in dem von hoher Korruption gezeichnetem Land die Gelder und die Waffen bekommen soll bzw. bekommt. Schon vor dem Krieg gab es zahlreiche Freiwilligenverbände oder Milizen, die meist extrem nationalistisch gesinnt waren und weiterhin sind und nur formell in die Streitkräfte bzw. die Nationalgarde eingegliedert waren. Sie hatten sich nach 2014 herausgebildet und sich angesichts der desolaten Kampfkraft der regulären ukrainischen Armee als hochmotivierte Einheiten gezeigt, beispielsweise beim Kampf um den Flugplatz in Donezk oder wie Asow beim Kampf gegen die Separatisten in Mariupol, wo sie dann einen Stützpunkt und später ihr Hauptquartier hatten. Sie gaben sich seitdem als Retter der Ukraine und wurden entsprechend als Kriegshelden verklärt.

Das bekannte Foto von einem Asow-Kämpfer in Asovstal verklärt den Krieg zur religiösen Erleuchtung oder eher Weihe

Zunächst sollten sie aufgelöst werden und ihre Waffen niederlegen, dann hat Arsen Avakov, von 2014 bis 2021 Innenminister, die Milizen in die von ihm geschaffene Nationalgarde pro forma eingegliedert. 2019 hatten die noch unabhängigen Freiwilligenbataillone Sheikh Mansur, die OUN (Organisation ukrainischer Nationalisten) und das 8. Bataillon der ukrainischen Freiwilligenarmee (Rechter Sektor) die Waffen niedergelegt und sich meist in Freiwilligenverbände unter der Nationalgarde eingereiht. Avakov sicherte mit Tausenden von gut bewaffneten und auch von der amerikanischen Armee ausgebildeten Milizen seine Macht über mehrere Regierungen hinweg, da nun das Innenministerium die Ausrüstung, Bewaffnung und Bezahlung der Milizen übernahm, die aber weiter recht selbständig agieren und sich über Spenden finanzieren.

U.a. ernannte Asakov den Asow-Kommandeur Vadym Troyan zum Polizeichef von Charkiw, 2016 wurde er zum Stellvertretenden Chef der Nationalen Polizei bis 2021. Die Asow-Bewegung gründete etwa die Partei National Corps, das Yunatskyy Korpus schult Kinder nationalistisch und militärisch, die Nationale Miliz (Natsionalni Druzhyny) wollte für öffentliche Ordnung sorgen und war dafür auch zuständig in Kiew, wo sie durch brutale Angriffe auf Roma auffiel, auf sie folgte die rechtsextreme Miliz Centuria, die sich auch um die „kulturelle und ethnische Identität“ oder um die „Wiederbelebung der Großukraine“ sorgt und enge Verbindung zum Militär hat (Far-Right Group Made Its Home in Ukraine’s Major Western Military Training Hub). Sie soll seit 2018 mit der Hetman Petro Sahaidachny National Army Academy (NAA) verbunden sein. Dort wurden offenbar auch Centuria- und Asow-Mitglieder von der US-Armee und von Briten ausgebildet. Sie nahmen auch an Militärübungen mit den USA, Großbritannien, Polen, Frankreich und Deutschland teil.

Das seit 2014 umgesetzte Resistance Operating Concept, das von amerikanischen Spezialeinheiten entwickelt wurde, setzt auf totale Verteidigung, also die Einbeziehung der Gesamtbevölkerung, auf Freiwilligenverbände, die kampfbereiter sind, und auf „die Entwicklung einer starken Nationalität“ und „patriotische Erziehung“. Das soll in der Ukraine seit 2014 umgesetzt worden sein (Ukraine hat das amerikanische Resistance Operating Concept umgesetzt).

Über die Größenordnung der Freiwilligenverbände gibt es, soweit ich sehe (bitte um glaubwürdige Quellen, sofern es solche gib), keine verlässlichen Daten. Zumal mit der Gründung der Territorialverbände vor allem die Freiwilligenverbände ins Geschäft kamen. Reuters berichtete 2020, dass es in der Ukraine 102.000 Kämpfer in paramilitärischen Verbänden gebe. Gemeint sein dürften damit die Freiwilligenverbände. Die reguläre Armee soll damals 145.000 Soldaten umfasst haben.

Ob die Zahlen stimmen, kann ich nicht beurteilen, man kann aber wohl davon ausgehen, dass die Freiwilligenverbände schon vor dem Krieg Zehntausende von Kämpfern stark waren, sie stellten also eine erhebliche Macht dar, die zwar in Wahlen marginal blieb, aber allein durch ihr Drohpotenzial  großen politischen Einfluss ausübte. So soll Präsident Selenskij, der die Wahl vor allem mit dem Versprechen gewonnen hatte, mit Russland Frieden zu schließen, auf Druck und durch Bedrohung der nationalistischen Verbände davon abgerückt sein. In dem Video sieht man einen Vorfall, wie Selenskij bedroht wurde. Schließlich wurde im Vorfeld des Kriegs das Minsker Abkommen als Verrat und Zerstörung der Ukraine propagiert, das auf keinen Fall umgesetzt werden darf.

Mit Kriegskitsch wird für Spenden geworben

Asow war bis zum Krieg ein besonders umstrittener Freiwilligenverband, der schon wegen seiner faschistoiden, weiterhin gepflegten Rituale und Zeichen als rechtsextremistisch bzw. als Neonazi-Gruppe  eingestuft wurde. Seit dem Krieg und seit der „heldenhaften“ Verteidigung von Mariupol hat sich die Einschätzung gewandelt und wurde die Miliz weißgewaschen (Asow-Regiment: Journalisten sollen Abbuße leisten). Das war auch deswegen notwendig, um weiterhin die westlich orientierte Ukraine („die Ukraine“) militärisch unterstützen zu können, ohne unter Kritik wegen der Förderung von zumindest extrem nationalistischen, auch rassistischen Milizen zu geraten. Mariupol war für Asow und andere Freiwilligenverbände ein Propagandaschub, der für viel Solidarität und auch Spenden sorgte, aber auch dafür, dass neue Einheiten entstanden wie die Spezialeinheit Azov SSO Regiment oder Kraken.

Seit September touren Asow-Kämpfer, darunter zwei ehemalige Kriegsgefangene und der Kommandeur sowie Asow-Mitgründer Giorgi Kuparashvili, der verwundet aus Mariupol noch ausgeflogen werden konnte, durch die USA, um für den Krieg gegen Russland, vor allem aber für Asow zu werben. Auch Kateryna Prokopenko  ist dabei, die Frau des bekannten Asow-Kommandeurs, der durch einen Gefangenaustausch freikam und sich in der Türkei aufhält. Er wurde von Präsident Selenskij zum „Helden der Ukraine“ geadelt. Im Augenblick formieren sich die aus russischer Gefangenschaft entlassenen „Helden“ neu und wollen wieder in den Kampf ziehen. Dafür wird kräftig um finanzielle Unterstützung geworben. Krieg ist halt auch hier Geschäft.

Zur Werbestrategie gehört, die Kämpfer als Beschützer von wehrlosen Tieren darzustellen.

Sie haben im Kampfanzug den Kongress-Abgeordnete besucht, vertreten die gewohnte These, dass die Ukraine den Westen verteidigt,  und wurden auch von Universitäten eingeladen, beispielsweise von der Stanford University, in deren Zeitschrift ein völlig unkritischer Artikel erschien. Natürlich streiten sie jede Verbindung mit Rechtsextremen ab, die bei der Eingliederung in die Nationalgarde entfernt worden sein sollen. Alles russische Propaganda. Das hört man gerne von den neuen Heroen im nicht mehr postheroischen Zeitalter, die die Kriegsmüdigkeit in den USA bekämpfen wollen. In Kiew wurde die Marshala-Malinovsky-Straße in „Helden des Asow-Regiments“ umbenannt. Unwidersprochen proklamiert Asow: „Jetzt steckt ASOW in jedem von uns. ASOW ist die ganze Ukraine!“

Dumm ist, dass ausgerechnet das Center for International Security and Cooperation (CISAC) an der Stanford University einen im August aktualisierten Bericht veröffentlicht hatte, in dem die Asow-Bewegung als „rechtsextremes nationalistisches Netzwerk in der Ukraine angesiedelter militärischer, paramilitärischer und politischer Organisationen“ bezeichnet wird, die „extensive transnationale Verbindungen mit anderen rechtsextremen Organisationen“  haben. Politisch will Asow wie andere rechtsnationalistische Milizen und Gruppen nicht in die EU. Man lehnt das liberale Europa ab und denkt an einen osteuropäischen Staatenverbund.

Andriy Biletsky, rechts.

Asow-Mitbegründer Andriy Biletsky, der vor 2014 bei den „Patriot der Ukraine“ und „Sozial-Nationalversammlung“, mit dem Euromaidan auch im Rechten Sektor und dann 2014 bis 2019 Abgeordneter war, gründete 2016 die rechtsnationalistische Partei Nationales Korps (interessantes Interview mit ihm aus dem Jahr 2018), ist jetzt wieder Asow-Kommandeur und damit Teil der ukrainischen Streitkräfte. Um einen Eindruck von der Mentalität der weißgewaschenen Asow-Bewegung und anderer Freiwilligenverbände zu erhalten, hier ein Auszug aus einem von ihm auf seinem Telegram-Kanal am 14. Oktober veröffentlichten Text zur angeblichen Notwendigkeit des Siegs über die „ewige eurasische Horde“:

„Jeder der Eroberer hat uns gesagt: Die Ukrainer sind eine Nation von Bauern und Bauern. Aber die Geschichte zeigt, dass die Ukrainer eine Kriegernation sind. Die Einzigartigkeit der ukrainischen Geschichte besteht darin, dass wir auch ohne eigene Staatlichkeit immer wieder eine nationale Armee hatten. Die Armee war wiederholt der einzige Ausdruck der nationalen Idee. … Heute wird das solide Fundament der ukrainischen Zukunft von der Armee gelegt. Wohlgemerkt nicht von Politikern, Diplomaten oder Geschäftsleuten. Der Staat ist heute durch den militärischen Geist vereint. Der Staat ist militärisch vereint. Der Staat ist durch eine wahrhaft ukrainische Nationalarmee vereint. Heute hängt nicht nur die Zukunft unseres Staates vom ukrainischen Krieger ab. Das Schicksal ganz Europas hängt von seiner Stabilität ab.“

#Bild: Asow präsentiert sich gerne als wilder Haufen, nicht als disziplinierte Militäreinheit.

Quelle: overton-magazin.de… vom 20. Oktober 2022

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