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Lüzerath: Wenn es um Kohle geht – und um viel mehr

Eingereicht on 16. Januar 2023 – 14:11

 

Wolf Wetzel. In Lützerath braucht man nicht die Kohle, sondern die Polizei, um ein Lauffeuer an Zusammenhängen, Erkenntnissen und Schlussfolgerungen auszutreten.

„Wir hoffen, dass wir Lützerath sechs Wochen lang halten können“, sagte Dina Hamid, Sprecherin der Initiative Lützerath Lebt, am 8. Januar 2023. Zu dieser Zeit befanden sich etwa 700 Menschen in dem Erkelenzer Ortsteil. Geplant seien unter anderem Sitzblockaden sowie die Besetzung von Baumhäusern und Hütten. „Wir werden um jeden Baum, um jedes Haus, um jeden Meter in diesem Dorf kämpfen. Denn wer Lützerath angreift, greift unsere Zukunft an“, erklärte Luka Scott von Ende Gelände.

„RWE will Lützerath abreißen lassen, um an den darunterliegenden Kohleflöz heranzukommen. Dies sei nötig, um die Energieversorgung sicherzustellen, sagt der Konzern. 280 Millionen Tonnen Braunkohle will RWE auf diese Weise allein in Garzweiler noch abbauen. Die schwarz-grüne NRW-Landesregierung und das grün geführte Wirtschaftsministerium hatten dies im vergangenen Oktober endgültig beschlossen. Dabei belegen wissenschaftliche Studien, dass der Dorfabriss für die Sicherung der Energieversorgung nicht nötig ist. Stattdessen würden der Abbau und das Verbrennen der besonders klimaschädlichen Braunkohle das Einhalten der 1,5-Grad-Grenze unmöglich machen und zum Hindernis für die notwendige Energiewende werden.“

(AFN News vom 8. Januar 2023)

Und die Kohle fällt nach oben

Hinter Kohlenpottkulissen/Wäscht Kohle manche Weste weiß/Und die Kohle fällt nach oben … (Faust auf Faust von Klaus Lage)

Nun hat am 11. Januar 2023 in Lützerath die „Energiewende“ mit mehreren Tausend Polizeibeamten zugeschlagen. Sie haben fast alles abgeräumt und zerstört, damit RWE das machen kann, was nicht nur „wissenschaftlich“ Irrsinn ist.

Aber darum geht es schon lange nicht mehr: Es geht darum, zu beweisen, dass man zu jedem Irrsinn bereit ist, dass man das mit allen Gewaltmitteln durchsetzen kann.

Natürlich wissen die Verantwortlichen, dass es um viel mehr geht als um das verlassene Dorf Lützerath.

Es geht darum, keinen Funken der Hoffnung zu entfachen, aus dem ein „Lauffeuer“ werden könnte. Es gibt genug Gründe, die Schnauze gestrichen voll zu haben. Deshalb stehen bis zu 3.000 bewaffnete Polizisten 700 BesetzerInnen gegenüber.

Sie wollen und sollen Ohnmacht verbreiten, die Erfahrung zementieren, dass Widerstand nichts bringt, dass man auf Facebook bleiben soll, zuhause und/oder einfach resignieren, sich raushalten.

Natürlich können die Landes-und Bundesregierung Lützerath für RWE räumen. Sie können auch Zäune und Absperrung errichten, damit RWE bald Kohle abbauen und machen kann.

Aber sie können nicht alles schützen, sie können nicht überall sein. Wenn sich ein „Lauffeuer“ bildet, dann kann der Widerstand überall stattfinden, überall dort, wo mit dieser Politik Kohle gemacht wird, wo Parteien und Regierungen diesen Weg ebnen.

Das ist bereits in mehreren Städten, an verschiedenen Stellen passiert. Es gab Besetzungen von Büros der GRÜNEN und in mehreren Städten wurde RWE-Einrichtungen blockiert.

„In Berlin-Mitte wurden die Schaufenster von insgesamt 26 Geschäften mit Kleinpflastersteinen sowie mit farbgefüllten Christbaumkugeln beworfen und beschädigt. Zudem wurden Parolen wie ‚Lützi bleibt‘ oder ‚Lützi lebt‘ auf Fenster und Fassaden gepinselt. Ein Polizeigebäude wurde mit Silvesterraketen und Böllern beschossen. Zwei Grünen-Parteibüros in den Bezirken Mitte und Lichtenberg wurden ebenfalls beschmiert. Der polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamts übernahm die Ermittlungen wegen schwerem Landfriedensbruch und Sachbeschädigungen.“

(RT DE vom 13. Januar 2023)

Einen Spagat mit Adduktorenproblemen musste die Partei die GRÜNEN vollziehen, um einerseits grüne Ideale hochzuhalten und gleichzeitig zu verraten. So erklärte sich der grüne Wirtschaftsminister Habeck:

Lützerath sei „schlicht das falsche Symbol. Lützerath ist der letzte Ort, der wegen der Braunkohle im Rheinischen Revier weichen muss.“

Es gibt aber auch Risse innerhalb der Parteibasis: Über 2.000 Mitglieder unterschrieben einen Aufruf, die Räumung und Zerstörung von Lützerath zu stoppen:

„(Der) ausgehandelte Deal mit dem Energiekonzern RWE droht mit den Grundsätzen unserer Partei zu brechen (…) Und nicht nur das, wir brechen damit auch mit dem Pariser Klimaabkommen.“

Davor haben sie Angst und deshalb ist noch gar nichts verloren. Schon gar nicht, wenn man Zusammenhänge begreift und sichtbar macht. Dann geht es eben nicht nur um Lützerath.

Kohle für den Krieg gegen Russland

Es ist naheliegend, sich die Frage zu stellen, warum man den Kohle-Deal mit RWE noch braucht. Ganz sicher gehört dazu, dass die Bundesregierung nichts gegen die Energiekonzerne durchsetzen, sondern nur mit ihren die „Energiewende“ umsetzen kann. Also müssen die Energiekonzerne von welcher Wende auch immer profitieren – wie zuvor beim Atomausstieg, der den Konzernen nochmals Milliarden Euro in die Kassen gespült hatte.

Aber, und das ist in diesem Konflikt sehr wichtig: es geht um mehr. Man will – koste was es wolle – den Krieg gegen Russland im wahrsten Sinne des Wortes mit Kohle befeuern.

Die „Energiekrise“, auf die sich die Bunderegierung auch bei dieser Entscheidung bezieht, ist eine politische gewollte und hat nichts, aber auch gar nichts mit der Zuverlässigkeit der Gas- und Öllieferungen durch Russland zu tun. Nicht Russland hat die Lieferung von Gas und Öl gestoppt, sondern die deutsche Bundesregierung. Dieser war klar, dass sie auf einen Kriegskurs zusteuert und dass sie aus diesem Grund die „Abhängigkeit“ von Russland lösen müsse. Die Energiekrise, die Angst um die Versorgungssicherheit hat also etwas mit dem Vorhaben zu tun, Russland zu „ruinieren“, wozu auch der Stopp von Öl- und Gaslieferungen über Nordstream I und II aus Russland gehört. Dennoch braucht man als Ersatz dafür nicht die Kohle aus Lützerath, die erst in ein paar Jahren zur Verfügung stände.

„Lützerath“ als falsches Symbol des Protestes, als richtiges Symbol für Kriegspolitik

Der grüne Wirtschaftsminister Habeck meinte, dass „Lützerath“ das falsche Symbol sei. Stimmt. Es geht in der Tat nicht um die Kohle aus Lützerath. Es geht vielmehr um eine Kriegslogik, die man füttern und die man befeuern muss: Wenn wir uns zum dritten Mal gegen Russland „verteidigen“ müssen, dann müssen wir Opfer bringen, und möglichst hochsymbolisch. Die Grünen müssen mit ihren Grundsätzen brechen, die BürgerInnen müssen frieren und wir zusammen und geeint müssen alle Reserven mobilisieren, um den nächsten Russlandfeldzug zu gewinnen. Genau deshalb geht es mit der Zerstörung von „Lützerath“ um viel mehr.

Viel wird in nächster Zukunft davon abhängen, ob wir den Zusammenhang von „Energiewende“, „Energiekrise“ und der „Kriegswirtschaft“ begreifen, die Wolfgang Ischinger, ehemaliger Botschafter in Washington und Ex-Chef der Münchner Sicherheitskonferenz in München gefordert hatte.

In der BILD-Zeitung vom 21. November 2022 lässt er Deutschland und die Welt wissen: Deutschland braucht die „Kriegswirtschaft“!

„Ischinger sieht auch einen politischen Grund, um von ‚Kriegswirtschaft‘ zu sprechen: ‚Offenbar haben allzu viele noch nicht begriffen, dass wir erst am Anfang der Zeitenwende stehen, und dass es tatsächlich richtigen Krieg mitten in Europa gibt, dessen Ende leider nicht absehbar ist‘.“

Genau das kam auf einer Bürgerversammlung am 10. Januar 2023 in Erkelenz zur Sprache, zu der Dirk Weinspach eingeladen hatte. Dirk Weinspach ist Polizeipräsident in Aachen und zugleich Mitglied der Partei Bündnis 90/Die Grünen. Fast alle auf dem Podium fand den „Klimaschutz“ ganz toll, um dann zu erklären, warum man das Gegenteil davon mit 3.000 Polizisten durchsetzen müsse – natürlich mit Bauchschmerzen und schweren Herzens. Nachdem einige auf diese Schlaglöcher hinwiesen, kam dann doch noch ein wenig Wahrheit ans Licht. Der grüne Polizeipräsident Dirk Weinspach löste für das Publikum das Rätsel auf:

„Er teile die Sorge über die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels, hob der Polizeipräsident hervor. Aber diese Einhaltung von Lützerath abhängig zu machen, schiene ihm symbolhaft überhöht. Es ginge schließlich auch um die Gewährleistung und Sicherheit der Energieversorgung: Dabei bestehe ‚eine drohende Gasmangellage angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine‘, so Weinspach.“

(RT DE vom 11.1.2023)

„Lützerath“ gibt es demzufolge in allen Bundesländern, in allen Varianten, in Kohle-, Waffen- und Kriegsformationen. Und wenn man versteht, dass es Grün in jeder Variante gibt, dass Grün mit allen kann und mit allem geht, dann zerstört man deren Nimbus nachhaltiger als jede Räumung.

Für den 14. Januar 2023 hatte „Lützerath Unräumbar“ zu einem gemeinsamen Aktionstag aufgerufen. Daran nahmen nach Angaben der VeranstalterInnen über 30.000 TeilnehmerInnen teil. Dabei war auch Greta Thunberg. Völlig unabhängig davon, wer sie aufs Schild hebt oder wer sie zur Ikone des Klimaprotestes machen will, hat sie sehr klare Gedanken:

Solange die Kohle in der Erde ist, ist der Kampf nicht zuende.

Viel früher hat sie noch weitreichendere Aussagen gemacht, an denen sich auch die KritikerInnen messen lassen sollen:

„Wir können die Welt nicht retten, indem wir uns an die Spielregeln halten. Die Regeln müssen sich ändern, alles muss sich ändern, und zwar heute.“

Oder diese Überlegung, für die sie gerade einmal einen Satz braucht:

„Wenn eine Lösung im System unmöglich zu finden ist, sollten wir das System ändern.“

Quellen und Hinweise:

Klimaaktivist:innen in Lützerath rufen Tag X aus: https://anfdeutsch.com/Oekologie/klimaaktivist-innen-in-lutzerath-rufen-tag-x-aus-35736

Der Tunnel unter Lützi: https://www.youtube.com/watch?v=xonrW2smPyg

Bürgerversammlung in Erkelenz: Hängt das Überleben des Planeten an Lützerath? RT DE vom 11.1.2023: https://test.rtde.tech/inland/159540-buergerversammlung-in-erkelenz-haengt-ueberleben/

Jenseits der Kriegslogik. Weder Bauer noch Läufer auf dem Schachbrett der Granden sein: https://wolfwetzel.de/index.php/2022/07/27/jenseits-der-kriegslogik/

Greta und die Vermummte: https://wolfwetzel.de/index.php/2019/08/16/greta-und-die-vermummte/

Greta Thunberg und die schwerste Form des Autismus … ist der Kapitalismus: https://wolfwetzel.de/index.php/2019/09/20/greta-thunberg-und-die-schwerste-form-des-autismus-ist-der-kapitalismus/

Quelle: overton-magazin.de… vom 16. Januar 2023

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