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Der „€-Maidan“ 2014 in Kiew, in dem das Heute angelegt ist

Eingereicht on 7. März 2023 – 15:21

Wolf Wetzel. Wenn man sich die Ereignisse auf dem Maidan-Platz 2014 in Erinnerung ruft, wird man feststellen, dass alles bereits damals ‚am Start‘ war, was heute auf ganz großer Bühne ausgetragen wird.

Dieser (gekürzte) Text wurde Ende 2014 verfasst, um sich halbwegs in dem zu orientieren, was 2013/14 rund um den Maidan-Platz in Kiew passiert war.

Zu Beginn war die Sympathie für das, was wir hier in Deutschland zu sehen bekamen, sehr groß und auffallend breit. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten konnten von meterhohen Barrikaden und brennenden Mollies gar nicht genug bekommen und wir alle durften den Sturz eines korrupten Regimes gut finden. Mit der Zeit sickerten Informationen durch, die das Bild trübten. So war von einem „rechten Sektor“ die Rede und die Linken auf dem Maidan wurden plötzlich selbst Ziel dieser Angriffe. Was hat es mit dem „rechten Sektor“ auf sich? Warum haben öffentlich-rechtlich-private Medien so viel Sympathie für eine Revolte, die sie hier mit Eifer niederschreiben würden? Und dann drängte sich natürlich die Frage auf: Wer mischt/e sich da ein, was auf den Bildern nicht zu sehen ist?

Ich bin mir sicher, dass man einiges über den „Euromaidan“ wissen muss, um den Krieg heute und die politischen Positionierungen darin zu verstehen.

Die öffentlich-rechtliche Sympathie für einen „Aufstand“

Selten hat man in Deutschland die Gelegenheit, zusammen mit dem Staatsfernsehen und den private-state-Medien so nah, so sympathisierend an einer Revolte teilzunehmen. Zur Primetime sendeten sie wochenlang live vom Maidan-Platz in Kiew, wo Tausende den Platz besetzt gehalten hatten, mit dem erklärten Ziel, die gewählte Regierung zu stürzen.

Bis zum Sturz der Regierung und der Ernennung einer Übergangsregierung, die kurz darauf vom herbeigeeilten französischen, polnischen und deutschen Außenminister de facto anerkannt wurde, wiederholte sich ein eingeübtes Spiel: Nachdem man kurz auf das Laufende gebracht wurde, was bisher passiert war, wurde live nach Kiew geschaltet. Die Reporterin berichtete vom friedlichen Protest der Menschen auf dem Maidan-Platz, der bereits in „Euromaidan“ umbenannt wurde. Sie berichtete vom unerschütterlichen Willen, die gewählte Regierung zu stürzen, vom Mut der Menschen, sich keiner Repression zu beugen. Man sah Junge, man sah Alte, man sah traurige, man sah entschlossene Menschen.

Während die Reporterin das Bild vom friedlichen Protest und dem brutalen Regime ausmalte, liefen hinter ihr Männer mit (Gas-)Masken, mit Helmen, mit Schutzschilden und Molotowcocktails vorbei.

Dann schwenkte die Kamera Richtung Barrikaden. Sie waren meterhoch aufgetürmt. Rauschwaden von brennenden Autoreifen stiegen auf. Weit davon entfernt sah man Polizeiketten, die sich hinter ihren Schildern verschanzten. Immer wieder wurden von den Barrikaden aus Molotow-Cocktails Richtung Polizeikette geworfen.

All das, was wir als Zuschauer sehen durften, sah die Reporterin auch. Das hielt sie nicht davon ab, vom friedlichen Protest zu reden, der von einem brutalen Regime verfolgt wird.

Eigentlich müsste alleine das misstrauisch machen: Ein militanter Protest, der über Wochen ein Regierungsviertel lahmlegt, öffentliche Gebäude besetzt, Polizeieinheiten zurückschlägt und angreift und zum Sturz einer gewählten Regierung aufruft, genießt das Vertrauen und die Sympathie aller staatsnahen Medien in Deutschland. Hähh?

Haben jetzt endlich staatliche Medien und die politische Klasse in Deutschland das Recht der Unterdrückten entdeckt, sich auch gewaltsam gegen ihre Unterdrücker zu wehren – selbst dann, wenn die „demokratisch“ gewählt sind? Werden jetzt endlich Armut, Unterdrückung und Ausbeutung als legitime Gründe anerkannt, sich gewaltsam zu wehren, eine Regierung zum Teufel zu jagen, die dies ermöglicht bzw. aufrechterhält?

Die Frage kann man sehr schnell beantworten: Ganz sicher nicht. Man möge sich vorstellen, was in Frankfurt, in Paris oder Madrid passieren würde, wenn sich dort Ähnliches ereignen würde?

Ganz sicher haben die hiesigen Medien nicht die geringste Sympathie für Unruhen. Aber sie helfen, eine Regierung aus dem Amt zu jagen, die den europäischen und westlichen Interessen nicht dient, die das Angebot, sich in die EU-Fight-Zone einzureihen, zurückgestellt hatte und dabei war, sich dem Konkurrenten der EU, der Russischen Föderation, anzudienen. Das ist keine leichtfertige Behauptung.

Ein Beispiel: Das ZDF hatte (später) zugegeben, mit der Einhegung zahlreicher „Fakten“ in die eigene Berichterstattung gute Erfahrungen gemacht zu haben, die direkt vom „Ukrainian Crisis Media Center” übernommen wurden. Dieses „Zentrum“ hatte es sich zum Ziel gesetzt, nur ganz bestimmte politische Positionen zur Lage in der Ukraine weiterzugeben und alle anderslautenden Nachrichten als „russische Propaganda“ zu verunglimpfen.

„Finanziert wird die PR-Kampagne u.a. von George Soros, der ukrainischen Übergangsregierung und einer ukrainischen Tochtergesellschaft von Weber Shandwick, dem weltweit führenden PR-Unternehmen“.

(ZDF-Skandal – Berichte im Auftrag Kiews? Freitag vom 7.4.2018)

Eine seiner führenden Mitarbeiterinnen erklärte, sie sei stolz, eine Verehrerin des ukrainischen Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera zu sein.

Die geradezu mitreißende Sympathie derer, die in ihren eigenen Ländern selbst eine Sitzblockade mit allen Mitteln zu verhindern suchen, die Sonnenbrillen und aufgespannte Regenschirme für „passive Bewaffnung“ halten und deshalb einen ganzen Demonstrationsblock einkesseln und festnehmen (wie anlässlich von Blockupy 2013), hätte also misstrauisch machen müssen.

Dennoch hielten sich die Sympathiebekundungen aus dem linken, außerparlamentarischen Spektrum für die Maidan-Revolte lange und fast hartnäckig. Lag das an persönlichen Erfahrungen oder Berichten von für glaubwürdig gehaltenen Personen und Gruppen vor Ort, die, so hieß es zum Beispiel damals, Mitte Februar 2013, „mit dem Aufstand fiebern“? Liegt es an den Bildern von den vielen Mollies, die auf Polizeiketten geworfen wurden?

Man muss sich das auf dem Munde zergehen lassen, was die Vorsitzende der GRÜNEN-Fraktion des EU-Parlaments, Rebecca Harms sagte:

Die Bewegung ist gegen die Gewalt gewachsen. Der Platz und die Menschen haben sich verändert. Es gibt den rechten Sektor. Es gibt die Veteranen. Es gibt junge Leute, die mich an den schwarzen Block erinnern. Es gibt die Babuschkas, die Molotowcocktails füllen und ihre Enkel ermutigen, sie auch zu werfen.

Liegt es an den militanten Kämpfen, die dort tatsächlich ausgetragen wurden? Sieht man nur das, was einen dabei nicht stört?

Wussten wir, die verschiedenen Spektren der Linken, wofür die Leute auf dem Maidan-Platz kämpfen, wofür sie ihr Leben riskieren? Wussten wir mehr als das, was die Medien jeden Tag und jede Nacht als Motiv verkündeten: Die Menschen wollen einen Beitritt zur EU, wollen eine Regierung, die das EU-Assoziierungsabkommen unterschreibt?

Es gab vereinzelte Kontakte zu Menschen und Gruppierungen auf dem Maidan Platz. Was wollten sie tatsächlich, was wollen sie heute? Wollten sie mehr als eine neue, nun eine EU-konforme Gefängnisführung? Oder wollen sie weder eine russische, noch eine EU-Gefängnisleitung? Aber was dann? Nationale Unabhängigkeit? Einen ukrainischen Kapitalismus?

Ziele der Maidan-Bewegung

Wenn das Wissen darüber, was die Mehrheit der Menschen mit dem Sturz der Regierung erreichen wollen, sehr marginal ist, hilft eine zweite Annäherung. Welche Führer hatte und hat die Bewegung? Was ist das Programm der drei auf dem Maidan besonders in den Vordergrund rückenden Führer Jazeniuk, Klitschko, Tjagnibok?

Sicherlich werden viele darin übereinstimmen, dass man eine Bewegung, eine emanzipatorische Revolte nicht an ihren Mitteln erkennt, sondern an ihren inneren Strukturen, an der Weise, wie Entscheidungen zustande kommen, an den Zielen, die sie sich setzt.

Wenn sie mehr als eine andere Regierung, also eine andere Form der Unterdrückung will, dann muss sich die Bewegung andere Formen der Repräsentation, andere Formen der Willensbildung, andere Mechanismen, Macht zu kontrollieren, zulegen. Bisher ist eine solche neue demokratische Struktur weder öffentlich vorgestellt noch als gemeinsame Agenda formuliert worden. Das Gegenteil scheint doch offensichtlich der Fall zu sein. Zehntausende kämpften ‚unten‘ auf der Straße und ‚oben‘ auf der Bühne (der Macht) gerieren sich drei Führer, die die Kämpfe auf der Straße als Kulisse für machtpolitische Entscheidungen nutzten, die mit den Wünschen der Kämpfenden (am Ende) sehr wenig zu tun haben werden.

Zudem wird im Prozess der Proteste überdeutlich, daaa auch diese drei nur sehr beschränkt die Handelnden sind. Spätestens durch das geleakte Telefonat des US-Botschafters in Kiew mit der US-Außenpolitikerin Victoria („Fuck the EU“) Nuland wurde es Allgemeinwissen: Die USA und die EU, genauer gesagt, deren deutsche Dominanzmacht BRD, präferieren auf dem Maidan unterschiedliche Protagonisten. Um es in der Sprache des Telefonats zu sagen:

Klitsh“ ist der Mann der Deutschen (und der EU),

Yatz“ ist der guy der USA: Mit „I don’t think, Klitsh should go into the government“, legte die US-Vertreterin am 6.2.2014 fest, also zwei Wochen vor der Machtübernahme der „Übergangsregierung” – wer gewinnen wird. „Yatz“, also Jazeniuk wurde der neue Chef.

Wer mit wem gegen wen?

Zur Funktion des speziellen ukrainischen Nationalismus und zur Herausbildung der faschistischen Aktionsdominanz auf dem Maidan

Kennzeichnend für die innere Situation der postsowjetischen Ukraine ist der außerordentlich hohe Konzentrationsgrad von Vermögen und Macht in der Hand einiger weniger strikt kapitalistisch agierender Oligarchen. Wie Jörg Kronauer (german-foreign-policy.com) Anfang März 2014 darlegte, befindet sich etwa 40 Prozent des ukrainischen Vermögens direkt in der Hand von etwa einhundert Oligarchenfamilien. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen liegt offiziell bei 180 Euro pro Monat – die Oligarchen und ihren Reichtum mit eingerechnet.

Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ist bekanntlich extrem ungleichmäßig: im Westen eher Landwirtschaft, im Osten der Kohle-Stahl-Komplex des Donbass, dessen ökonomische Verflechtung mit der russischen Industrie dominiert. In dieser Situation agieren die Oligarchen der Ukraine in all ihren widersprüchlichen Interessen tendenziell am erfolgreichsten, wenn sie sich weder auf eine allzu große Abhängigkeit von der Russischen Föderation, noch auf eine Vereinnahmung durch die EU einlassen. Sie leben von den Geschäften mit und zwischen beiden.

Als es im Herbst 2013 zu antioligarchischen Protesten gegen die Regierung Janukowitsch kam, an denen anfänglich auch linke Gruppen teilnahmen, kam es aufgrund der Tatsache, dass zeitgleich das EU-Assoziierungsabkommen verhandelt werden sollte, zu einer sofortigen geopolitischen Überlagerung des innerukrainischen Protests gegen die „antieuropäische“, die Fraktion des Russland-orientierten Donbass-Kapitals und Janukowitsch. So nahmen die Proteste im Verlauf der Zeit Dezember 2013/Januar 2014 einen anderen Charakter an, als immer mehr Aktivisten offenbar vorwiegend aus den westukrainischen Städten in die Auseinandersetzung eingriffen: „Pro-europäisch“ einerseits, extrem nationalistisch und in Teilen explizit faschistisch andererseits.

Das geschah alles andere als spontan. Das belegt u.a. das geleakte telefonische Eingeständnis Victoria Nulands, die US-Regierung habe in den Umsturz in der Ukraine fünf Milliarden Dollar investiert. Was verwendet man dabei als politischen Kit? Hier bot sich der ukrainische Nationalismus als gesellschaftlicher Kitt an, weil er oligarchische Interessen mit nationalistischer Glorie abdecken konnte. Dieser hat, insbesondere in der Westukraine, also im jahrzehntelang durch immer wiederkehrende Grenzverschiebungen charakterisierten Gebiet, einen besonders reaktionären Charakter angenommen. Diese Form des Nationalismus, organisatorisch mit den verschiedenen Fraktionen der „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN) verbunden, war und ist in seiner Grundhaltung antisowjetisch/antirussisch, zugleich von der Überzeugung durchdrungen, dass eine unabhängige ukrainische Nation nur „von oben“ gegründet werden könnte.

Dieser autoritär und tief katholisch geprägte, bis zur Kollaboration mit dem Nazifaschismus bereite ukrainische Nationalismus dient als ideologischer Kitt. Die zusehends von ihm mindestens aktionspraktisch dominierte Bewegung des Euro-Maidan wurde so zu einer chauvinistischen, antirussisch dominierten Militanz, deren weithin akzeptierte Vorbilder Stepan Bandera, OUN, die „Geheime Aufstandsarmee der Ukraine“ (UPA) ud sogar die in der Zeit der Nazi-Okkupation aktive „SS-Freiwilligen-Division Galizien“ umfasste.

Kerstin S. Jobst weist zudem darauf hin, dass bis heute in der Ukraine weitere, bequem antisowjetisch bzw. antirussisch zu interpretierende nationale „Mythen“ tief verwurzelt sind: die Katastrophen des als „Holdomor“ bezeichneten Hungertod in der Sowjetukraine von 1932/33 und die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986.

Nationalismus geht in dieser Konstellation wie von selbst mit Hassausbrüchen gegen den russischen Außenfeind einher. Stepan Bandera und sein Bild, Standbilder für den Mitbegründer und Führer des militärischen Flügels der OUN, sind in der Westukraine von Stadtplätzen bis zu Fußballstadien allgegenwärtig, sie waren es zunehmend auch auf dem Maidan, ebenso wie die schwarzroten Fahnen der UPA, die noch nach 1945 bis Mitte der 1950er Jahre vor allem im Westen des Landes die Sowjetmacht bewaffnet bekämpfte – militärisch verdeckt unterstützt von der CIA. Bandera und die OUN kämpften nach dem „Fall Barbarossa“ an der Seite der Naziwehrmacht, von ihr finanziert, bewaffnet und geführt gegen die Sowjetunion, vulgo „Russland“, sie waren an antikommunistischen und antisemitischen Massakern wie dem von Lemberg im Juni 1941 nicht nur beteiligt, sondern führten sie durch: 7.000 Tote.

Das ist allgemein bekannt, niemand bestreitet das ernsthaft. Ebenso sind es Fakten, dass die aktuelle Mit-Regierungspartei Swoboda sich ausdrücklich positiv auf Bandera und die OUN bezieht, wie auch auf die ukrainischen Freiwilligen in der faschistischen Waffen-SS, die sie zu ehren pflegt. Swoboda blieb nicht allein: Mit und neben ihr agierte auf dem Maidan der bewaffnete „Rechte Sektor“ mit seinen der UPA-Tradition entstammenden Fahnen, in deren Reihen sich viele militärisch gut ausgebildete Männer aus den Zeiten Sowjet-Armee oder anderen bewaffneten Gruppen befanden. Sie waren keineswegs marginal, wie von westlichen JournalistInnen immer wieder behauptet wurde. Über die Rolle des rechten Sektors äußerte sich Alexander Rahr, Leiter des „Berthold Beitz-Zentrums – Kompetenzzentrum für Russland, Ukraine, Belarus und Zentralasien“ bei der Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik:

„Der rechte Sektor war aus meiner Sicht entscheidend für den Umsturz, weil er eine Organisation ist, die auch bereit war, in Kampfhandlungen mit den Polizisten, mit den Sicherheitskräften einzutreten. Sie waren gut organisiert, sie hatten auch immer wieder einen Plan, wie sie angriffen, wie sie sich verteidigten, so dass sie einen großen Anteil am Erfolg des Maidans gehabt haben.“

(„Panorama“ vom 6. März 2014)

Dass für Mitglieder aus diesem politischen Bereich regelrecht Sold gezahlt wurde, ist seit Victoria Nulands Telefongeplauder bekannt: Fünf Milliarden Dollar waren den USA „Freiheit“, „Demokratie“, „Menschenrechte“ sowie deren Durchsetzung mithilfe von (Neo-)Faschisten wert.

Dass Faschismus und grüne Politik durchaus harmonieren können, beweist Rebecca Harms, führende EU-Parlamentarierin der GRÜNEN, mit folgendem Bekenntnis:

„Ich, die ich sehr zurückhaltend bin, was Flaggen und Hymnen angeht, habe ‚Ruhm der Ukraine‘ gerufen und geweint, wenn immer zur vollen Stunde die Hymne angestimmt wurde.“

(Diesmal muß die EU mehr Mut haben, in: Majdan! Ukraine, Europa, Hg. Claudia Dathe und Andreas Rostek, Berlin 2014, S. 63f.)

Vom Schweigen der Hirten und stillen Triumph

Völlig zu Recht spricht eine der wenigen sprachfähig gebliebenen antifaschistischen Organisationen der Ukraine, die Gruppe Borotba, von der aktuellen Regierung als der eines „neoliberal-faschistischen Blocks“. Diesen Block mit an die Macht gebracht zu haben und ihn mit dem Mittel der internationalen Politik den Rücken „gegen Russland“ zu stärken, ist nicht zuletzt das Verdienst des deutschen Imperialismus und seiner jahrzehntealten Tradition, die Ukraine seiner Machtsphäre einordnen zu wollen. Dass dies nach den beiden Fehlschlägen 1914-1918 und 1939-1945 nun als dominierende Kraft des Friedensnobelpreisträgers Europäische Union gelang, ist ein historischer Erfolg einer Politik, die man zu Recht als „neuen Wilhelminismus“ bezeichnen kann – exakt 100 Jahre nach 1914.

In diesem Sinne hatte bereits 2007 der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Günther Gloser (SPD), die entsprechenden Versuche des deutschen Imperialismus während des Ersten und Zweiten Weltkriegs sowie mit dem Mittel der Europäischen Integration „kritisch“ verglichen und war zu dem Schluss gelangt:

„Wir haben in der jüngeren Geschichte dreimal sehr viel Geld investiert, und nur einmal ist eine positive Dividende dabei herausgekommen.“

(jW vom 19. Februar 2007)

Die Dividende scheint dieses Mal besser auszufallen: Im März 2014 flog der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier in die Ukraine, um die neue Mannschaft der politischen und ökonomischen Player zu begutachten. Dass es dabei nicht so sehr auf das politische Personal ankommt, sondern zuvorderst auf die ökonomische Klasse, weiß neben Steinmeier auch die Frankfurter Rundschau (wenn sie auf die wahren Machtverhältnisse in der Ukraine schaut):

„Er will die politischen und wirtschaftlichen Akteure hier kennenlernen. Allerdings in umgekehrter Reihenfolge: Vor dem politischen Akteur, dem neu eingesetzten Gouverneur Serhij Taruta, hat Steinmeier den wichtigsten wirtschaftlichen Akteur getroffen, den ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow. Achmetow ist der reichste Mann der Ukraine und der größte Stahlproduzent der GUS. Ihm gehören hier ein Handelszentrum, das Hotel Donbas Palace und der Fußballclub Schachtjor Donezk samt Fünf-Sterne-Stadion, der Donbas-Arena. Als der ukrainische Übergangspräsident Olexander Turtschynow acht Tage nach dem Sturz Janukowitschs die Einsetzung des Multimillionärs Serhij Taruta als Gouverneur von Donezk bekannt gab, erklärte er zeitgleich, dies sei mit dem Stahl- und Kohlebaron Achmetow abgesprochen. Kurz, Achmetow gehört auch die staatliche Gebietsverwaltung von Donezk, nebst Personal und Inventar.“

(Steinmeier im Land des Oligarchen, FR vom 24.3.2014)

Eine weitere schnörkellose Bilanz zog die Tageszeitung Welt am 9. März 2014:

„Eine Handvoll ukrainischer Wirtschaftsbosse hat die Macht im Land. Einige mussten jetzt das Weite suchen. Aber deren Plätze haben längst andere eingenommen. Ändern wird sich nichts.“

(Böser Oligarch, guter Oligarch, Die Welt vom 9.3.2014)

Nachklang

Das dass, was mit dem “Euromaidan” eingeleitet wurde, in Richtung Krieg weist, haben die UnterzeichnerInnen des Aufrufes „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ bereits Ende 2014 ausgeführt:

„Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen. Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden. Es geht nicht um Putin. Staatenlenker kommen und gehen. Es geht um Europa.“

Quellen und Hinweise:

“Euro-Maidan” – das laute Schweigen des Antifaschismus, Hans Christoph Stoodt und Wolf Wetzel, 20214: https://wolfwetzel.de/index.php/2014/04/14/euro-maidan-das-laute-schweigen-des-antifaschismus/

Fuck the EU, US-Außenpolitikerin Victoria, Text und Ton: https://www.youtube.com/watch?v=-Vo47o4XvaM

Faschisten zum Vorbild. Viele Oppositionelle auf dem Kiewer Maidan berufen sich auf die “Organisation Ukrainischer Nationalisten”, Frank Brendle: http://www.jungewelt.de/2014/02-20/024.php

Faschistische Hegemonie, Thomas Eipeldauer, junge Welt vom 8. März 2014: ( http://www.jungewelt.de/2014/03-08/021.php)

ZDF-Skandal – Berichte im Auftrag Kiews?, L. Applebaum, Freitag vom 7.4.2018: https://www.freitag.de/autoren/lapple08m214/zdf-skandal-berichte-im-auftrag-kiews

Diesmal muß die EU mehr Mut haben, Rebecca Harms, in: Majadan! Ukraine, Europa, hg. Claudia Dathe und Andreas Rostek, Berlin 2014, S. 65.

Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ Aufruf Dezember 2014: https://www.zeit.de/politik/2014-12/aufruf-russland-dialog?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.nachdenkseiten.de%2F

Quelle: overton-magazin.de… vom 7. März 2023

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