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Frankreich nach den Riots: Politiker lassen es stinken. Und krachen

Eingereicht on 12. Juli 2023 – 19:30

Bernard Schmid. Uncool dürften manche Französinnen & Franzosen finden, dass es im Laufe dieser Woche nicht tüchtig kracht. Nein, die Rede ist nicht von denen, die sich eine Wiederaufnahme der jüngsten Riots in vielen französischen Trabantenstädten in der Ende Juni/Anfang Juli d.J. anzutreffenden Form wünschen würden; dies dürfte doch eine Minderheit sein.

Doch etwas mehr Leute hätten sich gewünscht, dass es am Donnerstag und Freitag dieser Woche stinkt & knallt. Auch von offizieller Seite unterstützt. Üblicherweise findet dann zum französischen Nationalfeiertag (er fällt dieses Jahres auf den Freitag dieser Woche), in einigen Städten auch am Vorabend, ein ordentliches Feuerwerk statt. Doch 2023 wird es in einigen französischen Ballungsräumen ausbleiben. In Montargis zwischen Paris und Orléans, im südfranzösischen Nîmes, aber auch in der Elsassmetropole Strasbourg wurde es verboten. Mancherorts hängt dies mit der in Teilen Frankreichs anhaltenden Dürreperiode zusammen, um zu verhindern, dass die Vegetation in Flammen aufgeht. Überwiegend allerdings liegt der Grund darin, dass es bereits in den letzten Juni- und ersten Julitagen zu viel rummste und knallte, wenn auch auf andere Weise. (Wir berichteten…)

Mitunter auch in mehr oder minder hoch problematischer Weise. Allerdings zeichnet sich derzeit ab, dass die vielleicht schmutzigste Aktion von allen im zeitlichen Zusammenhang mit den Riots (neben der Beschmierung des Ehrenmals für die Résistance in Nanterre am Rande der Demo vom 29. Juni 23, mutmaßlich durch anpolitisierte Idioten aus dem Umfeld der Autonomen – vgl. dazu im Bild mitsamt dickem Rechtschreibfehler in der Anti-Polizei-Parole, es fällt immer nicht immer nur Hirn vom Himmel: https://www.sudouest.fr/pyrenees-atlantiques/biarritz/nanterre-le-monument-cree-par-le-basque-eric-couprie-vandalise-apres-la-mort-de-nahel-15775741.php und https://twitter.com/ClementLanot/status/1674483806168817680) gar nicht auf das Konto der Riots ging.

Es handelt sich um den Angriff auf den privaten Wohnsitz, auf die Frau und die Kinder des (konservativen) Bürgermeisters der Pariser Vorstadt L’Haÿ-les-Roses in der Nacht vom 01. zum 02. Juli dieses Jahres – er selbst befand sich zum fraglichen Zeitpunkt jauf Krisenstabsitzung im Rathaus, doch seine Familie wurde u.a. mit Böllerschüssen und einem Brandanschlag auf ihr Wohngebäude attackiert.

Allerdings sieht es inzwischen sehr danach aus, dass diese Tat nicht aus den Revolten/Riots hervorging, sondern von organisierten kriminellen Gruppen (aus dem Drogenhandel) durchgeführt wurden, die den Bürgermeister unter Druck setzen wollten – und nur den Zeitpunkt der Riots als geeigneten Moment zu nutzen verstanden.

Die Ermittler gehen jedenfalls davon aus, dass diese Aktion länger, als die Riots dauerten, vorgeplant worden sei und einen organisierten (kriminellen) Hintergrund habe; von ihrer Seite ist vom „Werk von Profis“ die Rede. (Vgl. dazu: https://twitter.com/canardenchaine/status/1676508790772867072

und https://www.midilibre.fr/2023/07/05/un-acte-de-vengeance-pourquoi-il-est-peu-probable-que-les-emeutiers-aient-attaque-le-domicile-du-maire-de-lhay-les-roses-11323409.php)

In der Sache ist auf jeden Fall zu unterscheiden zwischen den Teilnehmer/inne/n an spontanten Riots, wie immer man deren Aktionen auch im Einzelnen bewerten mag, und den Tätern im o.g. Falle. Was die oft jugendlichen Riot-Teilnehmer/innen (und mutmaßlichen) betrifft, gibt es inzwischen aus Teilen der Linken heraus eine Forderung nach Amnistie. Diese erscheint durchaus legitim, handelt es sich doch um ein gesellschaftliches Phänomen mit strukturellen Ursachen – was nicht jede einzelne Aktion entschuldigt, geschweige denn adelt. Den Tätern, die Feuer an das Wohnhaus Familie in L’Haÿ-les-Rose legten, sind hingegen Haftstrafen von nicht unter fünfjähriger Dauer zu wünschen. Was nicht daran hindert, festzustellen, dass der Bürgemreister dieser Stadt (Vincent Jeanbrun) politisch eher ein ziemlich übler Kerl ist, der in diesem Pariser Vorort einen besonders rapiden und brutalen Gentifizierungsprozess einleitete. Wohl auch – wie dies ihn ähnlichen Fällen bei einer kommunalen Machtübernahme durch üble Knaben öfters zu verzeichnen war – in der Anfangsphase gestützt auf eine Allianz mit kriminellen Gruppen, mit denen er sich dann überworfen haben könnte.

Ordentlich krachen lassen es aber auch diverse französische Politiker auf nationaler Ebene.

Dazu zählen jene der konservativen Oppositionspartei Les Républicains/LR. Diese legten als angebliche Antwort auf die Riots am 04. Juli d.J. einen Katalog für repressive Vorschläge der Superlative vor (auch wenn er in Wirklichkeit tendenziell eher einige ihrer langjährigen Ladenhüter enthält), darunter auch solche zu Einwanderung und Staatsbürgerschaft; etwa zur Verhinderung des derzeit geltenden automatischen Erwerbs der französischen Staatsbürger/innen/schaft bei Volljährigkeit für in Frankreich geborene Heranwachsende ausländischer Eltern qua ius soli/Bodenrecht (französisch droit du sol). Dieser soll künftig für jugendliche „Randalierer“ ausgeschlossen werden, und auf diese Weise quasi zusätzliche „Ausländer“ produzieren. (Vgl. https://www.lemonde.fr/politique/article/2023/07/04/emeutes-urbaines-lr-se-lance-dans-une-surenchere-de-propositions-securitaires_6180517_823448.html und https://www.publicsenat.fr/actualites/politique/securite-immigration-le-tournant-identitaire-de-lr-embarrasse-la-majorite-senatoriale) Der Senatsfraktionsvorsitze der Partei LR, der notorische Reaktionär Bruno Retailleau, welcher im Zusammenhang mit den Riots bereits den Klowandspruch von der „ethnischen Regression“ in den betroffenen Wohngegenden prägte ( https://www.publicsenat.fr/actualites/politique/securite-immigration-le-tournant-identitaire-de-lr-embarrasse-la-majorite-senatoriale), kommentierte inzwischen auf Nachfragen und Einwände hin kurz und trocken, es sei „uns wurscht“, wenn diese Vorschläge in geistiger Nähe zu jenen der extremen Rechten lägen. (Vgl. https://www.rtl.fr/actu/politique/invite-rtl-lr-proche-des-idees-du-rn-on-s-en-fiche-balaye-bruno-retailleau-7900281914

und https://www.lefigaro.fr/politique/retailleau-s-en-fiche-que-les-propositions-des-republicains-soient-proches-de-celles-du-rn-20230711

oder https://www.bfmtv.com/politique/les-republicains/marre-du-poliiquement-correct-retailleau-se-fiche-que-le-discours-de-lr-s-approche-de-celui-du-rn_AN-202307110386.html)

Aber auch Emmanuel Macrons Justizminister Eric Dupond-Moretti steht bei dem Konzert nicht unbedingt nach. Infolge von Beschwerden seitens von Abgeordneten des rechtsextremen Rassemblement national (RN) betreffend die Teilnahme von linken Parlamentarier/inne/n an der verbotenen Demonstration gegen Polizeigewalt am Samstag, den 08.07.23 in Paris – wir berichteten – erwiderte er diesen nicht etwa, sie mögen doch gerne zur Hölle fahren. Vielmehr forderte er die Rechtsextremen höflich dazu auf, diese könnten doch bitte bei der Justiz Anzeige gegen ihre Abgeordnetenkolleg/inn/en aus den Reihen des Linksbündnisses NUPES (in diesem Fall vor allem von LFI und den Grünen) erstatten. (Vgl. https://www.bfmtv.com/police-justice/marche-pour-adama-traore-dupond-moretti-invite-le-rn-a-saisir-la-justice-contre-les-elus-presents_AV-202307110701.html

und https://www.bfmtv.com/politique/eric-dupond-moretti-en-reponse-a-un-depute-rn-moi-je-ne-deteste-pas-la-police-j-aime-la-police_VN-202307110586.html)

Eine durch den Rechtsextremen Jean Messiha gestartete Spendensammlungen für den polizeilichen Todesschützen „Florian M.“ wurde, wie wir berichteten, nach einer guten Woche mit 1,6 Millionen in der Online-Spendenkasse abgeschlossen. Eine Spendensammlung mit gegenläufiger Tendenz für die Mutter des im Alter von 17 getöteten Nahel Merzouk, die noch läuft, jedoch im Internet schwerer zu finden ist, trug bislang insgesamt 477.000 Euro ein. (Vgl. https://www.lavoixdunord.fr/1348157/article/2023-07-03/mort-de-nahel-la-cagnotte-pour-sa-famille-depasse-230-000-euros und https://www.leetchi.com/fr/c/soutien-a-la-maman-de-nael-decede-ce-jour-a-nanterre-1608932)

Post scriptum 1: Am heutigen Abend um 21 Uhr wollen Recht(sextrem)e diverser Schattierungen, unter ihnen die tendenziell neonazistische Kleinparti Le Parti de la France – PdF – von Carl Lang und Thomas Joly, welche 2009 als Abspaltung vom damaligen Front National entstand, zur Unterstützung für die Polizei im Allgemeinen und den aufgrund des Todesschusses von Nanterre inhaftierten Polizisten „im Besonderen“ öffentliche demonstrieren. Wir beobachten die Lage. (Nein, den Dreck vom PdF verlinken wir nun nicht.)

Post scriptum 2: Wie inzwischen bekannt wurde, erhielt die französische Regierung bzw. Polizei im Zusammenhang mit den jüngsten Revolten/Riots in den französischen banlieues auch offizielle Amtshilfe aus Israel, also einem Staat, wo man sich mit der Repression ganzer Bevölkerungsgruppen in gewisser Weise (oder eher, in nahezu jeglicher Weise) ziemlich gut auskennt. (Vgl.: https://www.humanite.fr/monde/mort-de-nahel/maintien-de-l-ordre-quand-le-gouvernement-francais-demande-conseil-israel-801722 und http://www.communcommune.com/2023/07/prenant-pour-exemple-la-repression-sanglante-des-palestiniens-a-jenine-israel-est-il-sollicite-par-la-france-pour-sa-securite.par-jean-levy.html)

Quelle: labournet.de… vom 12. Juli 2023

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