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Scheinheilige Aufregung über das georgische „Russen- oder Agenten-Gesetz“

Eingereicht on 17. Mai 2024 – 8:36

Florian Rötzer. Die georgische Regierung will angeblich für Transparenz über ausländische Einflussnahme sorgen, was gegen die EU verstoßen soll. Die aber hat eine ähnliche Richtlinie in der Schublade. Vorbild ist das amerikanische FARA-Gesetz.

Großer Aufschrei wird in den westlichen Medien verbreitet, weil in Georgien die Regierung die Einführung eines „Agenten-Gesetzes“ (tagesschau) mit einer Mehrheit von 84 Stimmen gegen 30 Nein-Stimmen beschlossen hat und dies massive Proteste hervorgerufen hat. Das Gesetz soll für Transparenz über „ausländische Einflussnahme“ sorgen, indem Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 20 Prozent Geld aus dem Ausland erhalten, über die Herkunft Rechenschaft ablegen müssen und als Organisationen bezeichnet werden, „die den Interessen einer ausländischen Macht dienen“.

Das westliche Ausland ist deshalb so erzürnt über das Gesetz, weil eben die zahlreichen  Organisationen kenntlich werden, die mit Geldern aus dem Westen die Menschen im Land für den Westen, die EU und die Nato beeinflussen. Das nennt man gerne Demokratiehilfe, ist aber auch ein Mittel gewesen, die farbigen Revolutionen voranzutreiben, in Georgien die Rosen-Revolution, die zum Sturz von Schewardnadse und zur Machübernahme von Micheil Saakaschwili führte. Damit strömten zahlreiche NGOs ins Land, heute gibt es mehr als 22.000 registrierte NGOs für alle Wirtschafts- und Lebensbereiche in dem kleinen Land, die ganz oder weitgehend vom Ausland finanziert werden. Über 3000 werden von den USA finanziert.

Das Gesetz wird auch „Russisches Gesetz“ genannt, man hätte es auch „Amerikanisches Gesetz“ nennen können, aber das passt nicht in die politische Stimmung und den Scheuklappenblick, den sich Politik und viele Medien im Westen zugelegt haben, obgleich hier der Kampf gegen Desinformation und Beeinflussung ganz oben steht. Das geht sogar so weit, demokratisch gewählte Regierungen und Abgeordnete wegen parlamentarischen Mehrheitsentscheidungen bestrafen zu wollen. Das Gesetz wird eingetragen in eine grundsätzliche Entscheidung pro Westen oder pro Russland.

So heißt es in einer Erklärung der EU-Georgien-Delegation vom 4. April: „Die EU erinnert daran, dass der Europäische Rat Georgien den Kandidatenstatus unter der Voraussetzung zuerkannt hat, dass die in der Empfehlung der Kommission vom 8. November 2023 genannten Schritte unternommen werden. In Schritt 9 wird Georgien empfohlen, dafür zu sorgen, dass die Zivilgesellschaft frei agieren kann, und in Schritt 1 wird Georgien aufgefordert, Desinformationen gegen die EU und ihre Werte zu bekämpfen.“ Das bedeutet, dass eine Registrierungspflicht die freie Aktion der Zivilgesellschaft per se behindert, aber auch, dass nicht Desinformation bekämpft werden soll, sondern nur die gegen die EU.

Abgeordnete des Europaparlaments aus den Fraktionen EPP, S&D, Greens und Renew haben einen Brief an den Außenbeauftragten Borrell geschrieben und gefordert, dass die pro-europäischen Kräfte gefördert und Regierungsmitglieder sowie alle Abgeordneten, die für das Gesetz gestimmt haben, mit Sanktionen belegt werden müssten. Und wenn das Gesetz nicht zurückgenommen wird, sollen Gelder und EU-Beitrittsverhandlungen gestoppt werden.

Unvereinbar mit der EU

Auch einige europäische Außenminister, darunter auch die deutsche Außenminister Baerbock, hatten am Freitag vor einer Woche Borrell aufgefordert, wie Politico berichtet, vor der Abstimmung im georgischen Parlament „eine unmissverständliche Botschaft an Tiflis zu senden, dass diese Gesetzgebung mit den Fortschritten Georgiens auf dem Weg in die EU unvereinbar ist“. Unterzeichnete wurde das Schreiben von den Außenministern Tschechiens, Dänemarks, Estlands, Finnlands, Frankreichs, Deutschlands, Irlands, Lettlands, Litauens, der Niederlande, Polens und Schwedens. Aufgrund des Widerstands von Ungarn und der Slowakei kam der Aufruf nach Politico doch nicht zustande.

Borrell handelte gleichwohl und erklärte: „Die Verabschiedung des Gesetzes wirkt sich negativ auf die Fortschritte des Landes auf dem Weg zur EU aus. Vereinigungsfreiheit und freie Meinungsäußerung sind Grundrechte, die den Kern der georgischen EU-Verpflichtungen bilden. Wir fordern die georgischen Behörden dringend auf, das Gesetz zurückzuziehen.“

Aus den USA hört man ähnliche Töne. So schrieb der nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, Jake Sullivan, auf X, Washington sei „zutiefst beunruhigt über den demokratischen Rückschritt in Georgien. Die georgischen Parlamentarier stehen vor einer kritischen Entscheidung – ob sie die euro-atlantischen Bestrebungen des georgischen Volkes unterstützen oder ein Gesetz über ausländische Agenten im Stile des Kremls verabschieden, das den demokratischen Werten zuwiderläuft. Wir stehen an der Seite des georgischen Volkes.“ Sullivan übersieht, dass das georgische Volk die Regierungspartei gewählt und zum Sieg verholfen hat. Aber so funktioniert Populismus und Desinformation.

Auch der Sprecher des US-Außenministeriums fordert die georgische Regierung zu einem Kurswechsel auf, zeigt aber noch nicht die Druckmittel: „Wir waren uns also darüber im Klaren, dass diese Gesetzgebung bezeichnend für die Art von Dingen ist, die wir im Kreml und anderswo sehen – Gesetze, die sich gegen die Zivilgesellschaft richten, Gesetze, die sich gegen Medienorganisationen richten, Gesetze, die sich gegen gemeinnützige Organisationen richten. All diese Dinge sind nicht nur unvereinbar mit den Werten, die wir mit den Vereinigten Staaten haben, sondern sie sind auch unvereinbar mit den Bestrebungen des georgischen Volkes.“

Ein Vorbild: der amerikanische Foreign Agents Registration Act (FARA)

Natürlich wird nicht erwähnt, dass das Gesetz sein Vorbild auch im amerikanischen Gesetz Foreign Agents Registration Act (FARA) hat. Eingeführt wurde das Gesetz 1938 gegen die Nazi-Propganda. Danach spielte er keine große Rolle, bis es in den 1060er Jahren in Richtung politischem Lobbyismus verändert und im Zuge von Donald Trump und der angeblichen Desinformationskampagnen wieder stärker verfolgt wurde. Begründet wird das Gesetz ähnlich wie in Georgien:

„Das FARA verlangt von bestimmten Vertretern ausländischer Auftraggeber, die an politischen oder anderen im Gesetz genannten Aktivitäten beteiligt sind, eine regelmäßige Offenlegung ihrer Beziehung zu dem ausländischen Auftraggeber sowie der Aktivitäten, Einnahmen und Ausgaben zur Unterstützung dieser Aktivitäten.  Die Offenlegung der geforderten Informationen erleichtert der Regierung und dem amerikanischen Volk die Bewertung der Aktivitäten dieser Personen im Hinblick auf ihre Funktion als ausländische Agenten.“

Wer sich nicht registriert oder falsche Angaben muss mit einer hohen Geldstrafe oder auch  mit Gefängnis rechnen. Als ausländische Agenten mussten sich beispielsweise China Daily, Xinhua, China Global Television Network, Al Jazeera und RT registrieren. RT America stellte seinen Betrieb 2022 ein, nachdem sein Programm nicht mehr von den amerikanischen Satelliten- und Kabelprovidern ausgestrahlt wurde. Daher musste der Sender nicht wie in der EU auf allen Kanälen  verboten werden. Die sozialen Netzwerke blockierten „freiwillig“ den Zugang.

Das russische Gesetz wurde erst 2012 eingeführt, im Unterschied zum amerikanischen müssen ausländische Agenten sich und ihre Veröffentlichungen als solche kennzeichnen, was Menschen und Firmen von Kooperation abschreckt.

Die europäische FARA-Richtlinie

Im März 2023 berichtete Politico, dass die EU ein ähnliches Gesetz wie FARA planen würde, das Nichtregierungsorganisationen, Beratungsfirmen und akademische Einrichtungen dazu zwingen würde, „jegliche Nicht-EU-Finanzierung offenzulegen, um den ausländischen Einfluss in der EU zu bekämpfen“. Ende 2023 wurde ein Vorschlag für eine Richtlinie zur Harmonisierung von der Europäischen Kommission vorgelegt, die für Transparenz bei ausländischen Einflussnahmen, verschwurbelt bezeichnet als „Interessenvertretungstätigkeit“ einer „Drittlandseinrichtung“, sorgen soll:

„Verdeckte Interessenvertretungstätigkeiten im Auftrag von Drittländern können sich auf die Erarbeitung, Formulierung oder Umsetzung der Innen- und Außenpolitik der Union sowie auf ihre Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen auswirken. Dies wiederum wirkt sich auf die Demokratie im Allgemeinen aus, die einen gemeinsamen Wert der Union darstellt, dessen Sicherung für die Union und ihre Mitgliedstaaten von grundlegender Bedeutung ist. Die Schaffung eines unionsweit einheitlichen Transparenzniveaus in Bezug auf solche Tätigkeiten sollte dazu beitragen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Entscheidungsprozesse der Union und der Mitgliedstaaten zu stärken.“

Die geplante Richtlinie wird auch „EU-FARA-Gesetz“ nach dem amerikanischen Vorbild genannt. Shalva Papuashvili, der Sprecher des georgischen Parlaments, erklärte Anfang April, dass das georgische Transparenzgesetz auf der Grundlage des europäischen Richtlinienentwurfs verfasst wurde. 2023 hatten 230 NGOs in einem offenen Brief vor dem Richtlinienentwurf gewarnt.  Zwar betont man in der EU, dass es kein Gesetz über ausländische Agenten und einzig und allein der Transparenz diene, aber es bestehen ernsthafte Zweifel.

Grotesk wirken angesichts dessen Bekundungen von Journalisten mit Scheuklappenblick oder Unwissen, die ideologisch getrimmt wie hier in der Süddeutschen Zeitung schreiben: „Klar dürfte nun einerseits sein: Die erst im Dezember 2023 von der EU beschlossene Hochstufung Georgiens zu einem offiziellen Beitrittskandidaten ist de facto von der Realität überholt worden. Momentan ist nicht ersichtlich, wie die EU mit einer Regierung Beitrittsverhandlungen führen kann, die wissentlich und auf höchst provokante Art gegen grundlegende Werte der Union verstoßen hat.“

Quelle: overton-magazin.de… vom 17. Mai 2024

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