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Brief eines chinesischen Stahlarbeiters über seine Arbeitsbedingungen

Eingereicht on 22. August 2023 – 8:18

Stahlarbeiter aus China. Hier im Folgenden der Brief eines jungen chinesischen Stahlarbeiters an die World Socialist Web Site mit der Bitte um Veröffentlichung. Der Arbeiter schildert darin den erschreckenden Mangel an Sicherheitsvorkehrungen, der in seiner Fabrik vorherrscht.

* * *

Bei meinem Vorstellungsgespräch für diesen Job führte mich eine Managerin zusammen mit anderen angehenden Arbeitern durch die Fabrik. Dann gab sie uns zehn Minuten Zeit, um die Sicherheitsrichtlinien durchzulesen. Das war und blieb die einzige Sicherheitsschulung, die wir erhielten. Sie teilte uns mit, dass unser Grundgehalt gerade mal 3.000 RMB (knapp 380 Euro) pro Monat betragen werde, und dass etwaige Prämien von der Produktionsleistung unseres Werks abhängen würden.

Unser Vertrag bestand in einem leeren Blatt Papier. Die Fabrik hat ihre Bedingungen später hineingeschrieben, nachdem wir das Papier unterschrieben hatten. Wir können nicht einmal eine einzige Klausel unseres eigenen Vertrags einsehen.

An unserem zweiten Tag bat die Fabrik die neuen Arbeiter, zuzuschauen, wie die erfahrenen Kollegen arbeiten, und ihnen zu helfen. Die meisten Arbeiten sind extrem gefährlich; Sicherheitsvorkehrungen existieren so gut wie nicht.

Vor uns rollt der Rundstahl, auf Tausende von Grad erhitzt, auf seiner Straße heran, und wir müssen ihn anstechen und auf eine andere Straße schieben. Ein älterer Kollege erzählte mir, es sei schon vorgekommen, dass heiße Stahlbänder von der Schiene glitten und Arbeiter unter sich begruben. Die Fabrik hat jedoch längs der Walzstraßen nur ein paar eher symbolische Absperrungen angebracht, die kaum von Nutzen sind. Immer noch müssen Arbeiter direkt neben den Walzstraßen arbeiten.

Die Disziplin in der Fabrik ist äußerst streng. Wenn einem Arbeiter aus Versehen ein Fehler unterläuft, werden ihm zwei bis drei Tage Lohn abgezogen. Verursacht ein Arbeiter einen Schaden an der Fabrikanlage, muss er extra dafür bezahlen. Auf dem Papier sollen wir acht Stunden pro Tag arbeiten. In der Realität müssen wir eine halbe Stunde früher mit der Arbeit beginnen. Wird das Tagespensum nicht erreicht, müssen wir Überstunden machen. Wenn man die Zeit für die Arbeitswege und das Wechseln der Arbeitskleidung mit einrechnet, verbringen wir jeden Tag mehr als 10 Stunden auf der Arbeit.

Mein Mentor war jung, aber hatte schon seit Jahren in dieser Fabrik gearbeitet. Er hatte eine große Narbe an seinem rechten Bein, weil er sich einmal an einem heißen Stahlband verbrannt hatte.

Bevor wir die tägliche Arbeit beginnen, müssen wir prüfen, ob alle Geräte und Instrumente ordnungsgemäß funktionieren. Dazu müssen wir zum höchsten Punkt eines Ofens klettern, der eine Temperatur von etwa 1.300 °C hält, und in die Ofenöffnung einsteigen, wo die Temperatur mehr als 55 °C beträgt, um sicherzustellen, dass die Instrumente dort funktionieren.

Außerdem muss ich Rohre öffnen, die mit einem hochgradig ätzenden und giftigen Fluorid angefüllt sind, um zu prüfen, ob genügend von der Chemikalie darin enthalten ist. Die Fabrik verwendet Fluorid, um bestimmten Umweltstandards gerecht zu werden und um Geldstrafen zu vermeiden. Weil die Verschlüsse nicht richtig passen, stehen diese Rohre ständig offen. Man kann die giftige Chemikalie schon aus meterweiter Entfernung riechen. Wenn ich in ihrer Nähe arbeiten muss, kann ich nicht atmen und muss beim Nachschauen jedes Mal die Luft anhalten.

Für diese täglichen Kontrollen gibt es keinerlei Schutz. Alles, was wir haben, sind ein Paar Thermohandschuhe und ein Helm.

Eine Aufgabe in der Fabrik besteht darin, die Förderbänder zu bedienen und über 200 Kilogramm schwere Knüppel in den Ofen zu befördern. Die Förderbänder sind alt, und oft lösen sich die Ketten. Wenn die Förderbänder stecken bleiben, müssen die Arbeiter die 200 Kilogramm schweren Knüppel mühsam herauslösen, um das Band wieder in Gang zu bringen.

Eine Mittagspause gibt es nicht, aber zum Glück kümmern sich die Kollegen selbst umeinander. Die Arbeiter wechseln sich ab, um Essen zu holen, damit wir bei der Arbeit nicht verhungern.

In der Fabrik ist es sehr feucht und heiß, wahrscheinlich über 40˚C. Die riesigen Industrieventilatoren sind nicht in der Lage, die Hitze wegzublasen. Die Werksleitung stellt nur zu Beginn der Arbeit etwas Trinkwasser zur Verfügung. Wenn man später während der Arbeit durstig wird, muss man dafür extra bezahlen. Dabei müssen wir, um einen Hitzschlag zu vermeiden, täglich mehr als drei Liter Wasser trinken.

Die Arbeiter sind sehr solidarisch und bereit, sich in ihrer Freizeit gegenseitig zu helfen. Aber jeder braucht auch Zeit zum Ausruhen. Ich habe meine Kollegen gefragt, was sie von den Arbeitsbedingungen halten. Aber sie sagten nur, man müsse sich daran gewöhnen. Dennoch ist das Interesse der Arbeiter an Politik keineswegs gering.

Wenn ich mit ihnen über politische Themen diskutiere, sind sie vor allem an Geschichte sehr interessiert. Leider kann ich keine tiefer gehenden Diskussionen führen. Die Kollegen zögern, ihre eigene Meinung zu äußern. Vielleicht liegt es daran, dass wir uns noch nicht gut genug kennen.

Die Fabrik ist sehr gut darin, subtile Manöver anzuwenden, um die Einheit unter den Arbeitern aufzubrechen. Die Betriebsleitung lässt zum Beispiel nicht zu, dass sich zu viele Arbeiter zusammenfinden und unterhalten. Sie setzen Geldstrafen und Prämien ein, um zu spalten und die Kontrolle zu behalten. Absichtlich werden widersprüchliche Arbeitsvereinbarungen getroffen, um die Arbeiter gegeneinander auszuspielen. Das Management, das dies alles organisiert, arbeitet selbst in zurückgezogenen, klimatisierten Räumen.

Fast jeder Arbeiter, der unter solch gefährlichen Bedingungen arbeitet, hat schon irgendwo an seinem Körper eine Narbe. Die Fabrik kümmert sich nicht um die so genannte Produktionssicherheit. Jeden Monat kommt es zu Unfällen, und die Fabrik reagiert darauf, indem sie den Arbeitern Geldstrafen auferlegt.

Diese Bedingungen sind nicht nur in chinesischen Fabriken anzutreffen. Auch in Betrieben in Vietnam, Indien und Malaysia herrschen ähnliche Zustände. Arbeiter werden auf der ganzen Welt unmenschlich behandelt. Dies ist nicht einfach auf die Kriminalität dieses oder jenes rückständigen kapitalistischen Staates zurückzuführen. Diese schrecklichen Bedingungen sind ein Ergebnis des globalen kapitalistischen Systems, und jedes imperialistische und kapitalistische Land ist ein Glied in diesem System. Nur die proletarische Revolution im Weltmaßstab kann die Arbeiterklasse und die ganze arbeitende Bevölkerung von dieser Unterdrückung befreien.

#Titelbild: Blick in das Ansteel-Stahlwerk Bayuquan in Yingkou, nordostchinesische Provinz Liaoning, 2019 [AP Photo/Olivia Zhang]

Quelle: wsws.org… vom 22. August 2023

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