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Die Friedensbewegung – ein Erfahrungsbericht

Eingereicht on 24. September 2023 – 17:40

Hannah Behrendt. Am 1. September, dem Weltfriedenstag, gab es in Bernau, einer Kleinstadt im Nordosten von Berlin, eine Friedenskundgebung. Das ist an sich nichts Besonderes, auch in vielen anderen Orten gab es dazu Veranstaltungen. Wie die große Mehrzahl dieser Manifestationen richtete sich auch die Aktion in Bernau gegen die Kriegs- und Aufrüstungspolitik des Westens, der NATO und der Ampelregierung. Die Hauptlosung in Bernau war die Forderung nach Beendigung des Krieges durch Verhandlungen ohne Vorbedingungen. „Diplomaten statt Granaten“ verkündete das Leittransparent.

Wir meinen, dass die Aktion in Bernau in mehrfacher Hinsicht von Interesse ist und wichtige Lehren zulässt, wie eine starke Anti-Kriegsbewegung aufgebaut werden kann und wie nicht.

Bündnispolitik

Organisiert wurde die Kundgebung in Bernau von zwei Bündnissen: zum einen dem „Friedensbündnis Bernau“, das mit dem „Runden Tisch Bernau“ und der Montagsdemonstration verbunden ist. Dieses Milieu entstand im Zuge der Corona-kritischen Bewegung und wird von der Partei „Die Basis“ politisch dominiert. Das andere Bündnis ist das „Friedensbündnis Panketal“ (ein Nachbarort von Bernau), das von Parteilosen, darunter einem Mitglied der Initiative Aufruhrgebiet, und der örtlichen Basisgruppe der Linkspartei initiiert wurde.

Allein schon die Tatsache, dass die Linkspartei, Corona-Kritiker und die „Basispartei“ zusammenarbeiten, ist bemerkenswert. Es gab – wie überall – im Vorfeld diverse Ressentiments. Die Linke wollte mit „Schwurblern“ und den vermeintlichen Rechten von der „Basis“ nichts zu tun haben. Die andere Seite wiederum hatte mit vielen Positionen der LINKEN, insbesondere mit der inkonsequenten und tw. falschen Politik der LINKEN-Führung zum Ukraine-Krieg u.a. Fragen Probleme. Im Zuge der Zusammenarbeit zeigte sich jedoch, dass die Vorbehalte sich oft nicht aus der Kenntnis der Positionen der anderen Seite ergaben, sondern aus Unkenntnis und den von Medien und Politik geschürten Vorurteilen und Lügen. In vielen Fragen, die über die Position zum Krieg hinausgingen, stellte man erhebliche Übereinstimmungen fest. Im Zuge der Zusammenarbeit lernte man die engagierte und sachorientierte Arbeit des Bündnispartners schätzen. Diese seriöse Zusammenarbeit war die Grundlage für die gelungene Aktion am 1. September.

Nicht nur die Bernauer Montagsdemonstrationen, sondern auch das „Friedensbündnis Panketal“, von dem die Initiative zur Zusammenarbeit ausging, hatte bereits vor dem 1. September eine umfassende Aktivität entfaltet, um die Idee des Friedens zu vertreten: in einer öffentlichen Veranstaltung, mit umfangreicher Medienarbeit, mit Anschreiben an andere Initiativen und Gewerkschaften, mit Flyerverteilen usw. Die politische Ausrichtung dabei kann als pazifistisch und reformistisch bezeichnet werden. Doch das Bündnis war kein fauler Propagandablock, sondern eine Initiative, die auf Aktionen und die Einbeziehung und Aktivierung von Menschen ausgerichtet war, die bisher noch „außerhalb standen“. Die verschiedenen politischen Positionen, die es natürlich auch in diesem Bündnis gibt, wurden sowohl am 1. September wie auch schon zuvor durchaus zur Sprache gebracht und nicht verkleistert. Neben reformerischen Positionen (Betonung von „Entspannungspolitik“, der Rolle der UNO usw.) wurden öffentlich auch klar antikapitalistische Positionen vertreten.

Der 1. September: ein Erfolg?

Die beiden Bündnisse hatten sich das ambitionierte Ziel gesetzt, etwa 1.000 Menschen zu mobilisieren. Es wurden dann aber nur knapp 400. So gehen war es kein wirklicher Erfolg – v.a. angesichts dessen, dass über 13.000 (!) Flyer verteilt worden waren und eine intensive Medienarbeit erfolgte.

Trotzdem schätzten alle Initiatoren – und wir meinen zu recht – ein, dass die Veranstaltung insgesamt erfolgreich war. Dafür gibt mehrere Argumente:

  • die Stimmung der Teilnehmer war sehr gut;
  • es wurden mit der Aktion auch Menschen aktiviert – nicht nur für die Kundgebung, sondern auch zur Mitarbeit in den Komitees -, die zuvor nicht involviert waren;
  • sowohl die Reden als auch die kulturellen Beiträge (darunter die Liedermacher Tino Eisbrenner und Karsten Troyke) kamen gut an;
  • es gab viel Zustimmung auch für klar antikapitalistische Aussagen;
  • durch die Demo, die Flyer-Verteilung und das Medienecho wurde sehr vielen Einwohnern von Bernau, Panketal und umliegenden Orten bewusst, dass es auch andere Positionen zum Krieg gibt als die, die von den Großmedien lanciert werden.

Der wichtigste Erfolg war aber die intensive, engagierte und sachliche Zusammenarbeit beider Bündnisse, v.a. angesichts dessen, dass das nicht überall üblich ist und oft starke gegenseitige Vorbehalte existieren, die oft jede Kooperation verhindern. Insofern war die Zusammenarbeit in Bernau und Panketal beispielhaft.

Die zweite Lehre, die man hinsichtlich der Taktik des Aufbaus einer starken Friedensbewegung ziehen kann ist folgende: Es hat sich gezeigt, v.a. beim „Friedensbündnis Panketal“, dass es möglich und notwendig ist, eine Struktur, ein „Komitee“ zu gründen, dass in seinem örtlichen sozialen und politischen Umfeld arbeitet und konkret versucht, Menschen anzusprechen und zur Mitarbeit zu motivieren. Die meisten linken Strukturen tun aber genau das nicht, sie verbleiben unter sich und begnügen sich damit, eine Demo zu organisieren. Das ist Ausdruck ihres Sektierertums, ihrer (auch selbstverschuldeten) Isolation und ihrer mangelhaften politischen Konzepte. Ein überzeugter Reformist, der wirklich aktiv ist, erzeugt da oft mehr Wirkung als die selbsternannten „Revolutionäre“. Traurig, aber wahr!

Schwäche

400 Teilnehmer der Kundgebung in Bernau sind angesichts der Situation und des großen Aufwands nicht besonders viel und sie provozieren die Frage, warum nicht mehr Menschen gekommen sind, obwohl eine wesentlich größere Zahl eine sehr kritische bis ablehnende Haltung zur Ampel und deren Ukraine-Politik hat.

Zunächst einmal ist es so, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung, v.a. im Westen, die Ukrainepolitik der Ampel unterstützt. Das zeigen die Wahlumfragen, wo die Ampel-Parteien (und die Union, die den Kriegskurs mitträgt) zusammen immer noch eine klare Wähler-Mehrheit vertreten. Verteidigungsminister Prätorius ist lt. Umfragen der beliebteste Politiker. Das ist auch nicht verwunderlich, da 1. die Medien zu reinen Kriegstrommlern verkommen sind. 2. ist deutlich spürbar, dass es Staat und Kapital in den letzten 2-3 Jahrzehnten gelungen ist, die Bevölkerung, v.a. die Jugend, stark ideologisch zu „korrumpieren“. Mit vielen Medienkampagnen (Klima, Energie, Kernenergie, Corona usw.) wurde die Bevölkerung „auf Linie gebracht“, in Angst versetzt und von der Systemfrage durch Pseudo-Probleme (Genderei u.a.) abgelenkt. So ist es natürlich schwer, in der Ukraine-Frage größere Bevölkerungsteile für eine kritische Haltung zu Staat und Politik zu gewinnen, wenn man vorher Staat und Politik die Rolle des Managers und Weltretters zugedacht hat.

  1. mangelt es an einer klaren und konsequenten Opposition. Die AfD stellt sich zwar gegen den Krieg, doch sie befürwortet die NATO-Mitgliedschaft und stimmte den Rüstungspakten zu. Zudem mobilisiert sie auch nicht wirklich gegen die Kriegspolitik.

Die „traditionellen“ Anti-Kriegs-Kräfte, die Friedensbewegung, die LINKE und die Gewerkschaften fallen als ernst zunehmende Faktoren weitgehend aus. Die Friedensbewegung hat sich über die Ukraine-Frage gespalten. Eine Ursache dafür ist, dass sie die Friedenspolitik schon früher nie als antiimperialistischen Kampf betrachtet und sich nicht primär auf die Arbeiterbewegung bezogen hat (was auch Kampf gegen den dort herrschenden Reformismus bedeutet), sondern sich auf bestimmte Flügel des Kapitals orientierte, so etwa auf den angeblich „friedlicheren“ und „sozialeren“ EU-Imperialismus im Unterschied zu den aggressiven USA.

Ähnlich war auch die Politik der LINKEN ausgerichtet. Sie ist im Lauf der Jahre auch zunehmend von ihren pazifistischen und zumindest ansatzweise anti-imperialistischen Positionen abgewichen. So forderte man früher den Austritt aus der NATO, während z.B. Gysi zuletzt nur deren Auflösung forderte – eine unverbindliche (und völlig illusorische) Forderung). Die halbseidene Friedenspolitik der LINKEN ist allerdings kein „Unfall“, sondern nur Ausdruck ihrer Gesamtstrategie, die nur (!) auf Reformen und auf das Mitregieren orientiert ist. Doch niemand würde mit der LINKEN auf Bundesebene koalieren, wenn diese für den Austritt aus der NATO eintreten, geschweige denn dafür mobilisieren würde. Auch der DGB – besser gesagt: die Bürokratie – ist inzwischen derart systemkonform, dass sie (fast) jede Kritik an der Kriegs- und Rüstungspolitik der Ampel unterlässt und schon gar nicht mobilisiert.

Die „radikale Linke“ ist über die Ukraine ebenfalls gespalten. Außerdem ist sie viel zu sektiererisch, um eine relevante Rolle spielen zu können. Das ist ihr auch deshalb unmöglich, weil sie bisher mehr oder weniger unkritisch die offiziellen Kampagnen (Klima, Corona usw.) mitgetragen und daher viel kritisches Potential abgestoßen hat.

Ein besonderer Fall ist Sahra Wagenknecht. Mit ihrem zusammen mit Alice Schwarzer verfassten Aufruf und der Kundgebung am Brandenburger Tor hat sie zweifellos ein wichtiges Signal gegen den Krieg und der Friedensbewegung einen starken Impuls gegeben. Doch es gab von ihr keinen einzigen Vorschlag, keine Initiative, wie eine starke Bewegung aufgebaut werden könnte, es blieb bei der einmaligen Aktion. Auch ihre Programmatik für eine neue Partei zeigt – wie auch schon der Gründungsaufruf von „Aufstehen“ – keinen Plan, keine Taktik, ja tw. noch nicht einmal konkrete Forderungen bezüglich des antimilitaristischen Kampfes. Nein, eine Wagenknecht-Partei bietet keinen Ausweg aus der Schwäche der Friedensbewegung und aus der Umklammerung des Reformismus – sie ist nur eine neue Sackgasse.

Perspektive

Entgegen der in der Friedensbewegung und im linken Spektrum weit verbreiteten Illusion, den Frieden durch „Entspannungspolitik“, durch Diplomatie oder die UNO sichern zu können, zeigt die historische Erfahrung ganz klar, dass Kapitalismus, umso mehr in seiner imperialistischen Epoche, Krieg bedeutet. Die aus seiner Produktionsweise objektiv folgenden Krisen und Widersprüche können zwar mitunter per Diplomatie (meist auf Kosten Dritter) „entschärft“ werden, gelöst werden können sie nicht. Unsere Welt des Spätimperialismus befindet sich in einer Periode zunehmender Krisen und Konflikte. Die Welt „sortiert“ sich gerade neu in zwei antagonistische Lager: den „Westen“ um die USA und den „Osten“ um China, Russland und die BRICS-Länder. Die kommenden Jahre werden von dieser konfliktreichen imperialen Neuaufteilung der Welt geprägt sein.

Das historische Dilemma besteht nun aber darin, dass – anders als mit dem Aufkommen des Imperialismus Ende des 19. Jahrhunderts – die Arbeiterbewegung und die Linke als Gegenpol sich in einer deutlich schlechteren Verfassung befinden als damals. Zwar ist die Weltarbeiterklasse größer als je zuvor, doch zugleich ist sie in Folge jahrzehntelanger Niederlagen und des Einflusses von Sozialdemokratie und Stalinismus politisch von Staat und Kapital domestiziert worden. Es mangelt dem Weltproletariat an einer revolutionären Führung. Diese „historische Führungskrise“ (Trotzki) muss überwunden werden! Die dramatische Schwäche der aktuellen Friedensbewegung – nicht nur in Deutschland – resultiert v.a daraus, dass die Gewerkschaften und die „Linksparteien“ als Faktor ausfallen.

Insofern geht es aktuell nicht nur darum, eine starke Bewegung aufzubauen, die Druck auf die Bundesregierung ausübt; es geht auch und v.a. darum, zugleich ein antikapitalistisches Potential aufzubauen. Der Kern dieses Potentials kann nur eine neue Partei sein, die sich auf die Arbeiterklasse bezieht – was bedeutet, gegen den Reformismus dort zu kämpfen -, die sich als revolutionär-antikapitalistisch versteht und für eine grundsätzliche politisch-programmatische Erneuerung eintritt.

Damit verbunden ist ein konzeptionelles Problem. Entweder man orientiert sich v.a. auf die Gewinnung von „aufgeklärten“ bürgerlichen, sog. zivilgesellschaftlichen Kräften, oder man orientiert sich auf die Arbeiterbewegung und die linken Kräfte. Entweder man orientiert sich auf Klassenkampf bzw. eine aktionsorientierte Bewegung oder man setzt auf die Beeinflussung der „hohen Politik“ mittels Offenen Briefen an den Kanzler, Abgeordnete usw. Letzteres kann man machen, aber es darf nicht dazu führen, bestimmte Inhalte zu vermeiden und den Schwerpunkt darauf zu legen. Entweder man orientiert sich auf das aktive linke, kritische Milieu (etwa kritische Gewerkschafter oder die Ramstein-Blockade-Bewegung) oder aber man orientiert sich auf die (angenommene) Mehrheit. Das Problem besteht hier z.B. darin, auf bestimmte „radikale“ Losungen wie die nach Austritt aus der NATO zu verzichten oder sie aber gerade zu betonen. Die Veranstaltungen des Panketaler Friedensbündnisses haben klar gezeigt, dass nicht die „moderaten“ Positionen, sondern gerade die klar antikapitalistisch-“radikalen“ Positionen viel Anklang fanden.

Quelle: aufruhrgebiet.de… vom 24. September 2023

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