Frankreich nach den heterogenen Agrarprotesten
Bernard Schmid. Als Reaktion auf die heterogen zusammengesetzten und z.T. unterschiedlich motivierten Agrarproteste in Frankreich gibt die Regierung nur vage Garantien für höhere Einkommen ab – dagegen handfeste Garantien für stärkeren Pestizidverbrauch. Rechtere Bauernverbände freuen sich über Gelegenheiten zum billigeren Produzieren und zum besseren Mit- und Niederkonkurrieren. Hingegen kritisieren linkere Kräfte auch innerhalb der Agrarwirtschaft wie auch Umweltinitiativen die Regierungsbeschlüsse in Grund und Boden. Die Regierung Attal dürfte damit erfolgreich an den lautstark rumorenden, doch das Wirtschaftssystem keinesfalls in Frage stellenden rechten Flügel der Bauernschaft andocken. Ob die in erster Linie sozio-ökonomisch motivierten Bauernproteste dadurch vorläufig stillgelegt werden können, diese Frage bleibt derzeit noch offen.
Ein in diesen Tagen u.a. in gewerkschaftlichen Kreisen (und bei umweltpolitisch engagierten Menschen zirkulierender Aufkleber besagt: „Abkommen zwischen (Premierminister Gabriel) Attal und (der stärksten Landwirtevereinigung) FNSEA: Die Bauern sind immer noch genau so arm, aber mit mehr Pestiziden. Danke, FNSEA!“ (siehe das Foto zum Artikel)
So lässt sich der politische „Deal“, den die französische Regierungsspitze am Donnerstag Abend – 1. Februar 24 – ankündigte ( https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/02/02/gabriel-attal-tente-d-eteindre-la-colere-des-agriculteurs-en-cedant-sur-l-environnement_6214355_823448.html) und mit dem die Exekutive die jüngst auch in Frankreich aufflammenden Agrarproteste einzudämmen und zu bändigen versuchte, ungefähr zusammenfassen. Ob damit jedoch „Ruhe im Karton“ einkehren wird und in nächster Zeit der Topf auf dem Deckel bleibt, wird sich erst noch erweisen müssen.
Jüngste Agrarproteste begannen im Oktober und November 2023 in Südwestfrankreich, wo unzufriedene und protestierende Landwirte oder Landwirtinnen bei nächtlichen Aktionen die Ortschilder am Eingang vieler ländlichen Kommunen umkehrten und auf den Kopf stellten. Ab Mitte Januar d.J. fing, zunächst mit regionalen Traktordemonstrationen etwa in Toulouse und kurz darauf mit einer einsetzenden landesweiten Protestmobilisierung, die „heiße Phase“ an. Dazu zunächst ein kurzer Rückblick, dann ein Überblick über die wichtigsten Akteur/inn/e/n, d.h. die in Frankreich als „Gewerkschaften“ (syndicats agricoles) bezeichneten agrarischen Interessenverbände, von „rechts“ bis „links“, und im Anschluss ein kurzer Ausblick.
Rückblende auf die jüngeren Ereignisse
„Man antwortet nicht auf Leiden, indem man Bereitschaftspolizisten ausschickt“: Diese, aus seinem Munde ungewöhnlichen Worte kamen am vorigen Donnerstag, den 25. Januar 24 vom französischen Innenminister Gérald Darmanin.
Dieser rechtfertigte damit bei den Abendnachrichten des Fernsehsenders TF1, dass die staatlichen Einsatzkräfte bis dahin am Rande der Agrarproteste nicht eingriffen, obwohl etwa im südwestfranzösischen Agen am Tag zuvor ein Feuer mit brennenden Reifen vor der Präfektur – der Vertretung des französischen Zentralstaats im Département – entzündet worden war. „Die Landwirte arbeiten und wenn sie zeigen wollen, dass sie Forderungen haben, muss man ihnen zuhören“, fügte Darmanin hinzu. ( https://www.lemonde.fr/politique/article/2024/01/25/gerald-darmanin-assume-de-laisser-faire-les-agriculteurs-lors-de-leurs-actions-de-blocage_6213019_823448.html) Andere soziale Gruppen, die in jüngerer Vergangenheit etwa aus sozioökonomischen Motiven protestierten und zum Teil mit stattlichen Polizeikräften konfrontiert waren, werden es ihm danken.
Am Montag dieser Woche, den 29. Januar d.J. dagegen war Emmanuel Macrons Innenminister tunlichst bemüht, nichts anbrennen zu lassen, und schickte 15.000 Angehörige von Polizei und Gendarmerie in den Einsatz. Ab 14 Uhr an diesem Montag wollten erzürnte Landwirtinnen und Landwirte, so hatten sie es im Laufe des Wochenendes angekündigt, „Paris blockieren“. Alle Zufahrten auf Autobahnen und Ausfahrtstraßen sollten lahmgelegt werden. Mehrere Autobahnschnitte waren bis zu vier Tage lang tatsächlich blockiert.
Konkret zielten einige der Protestierende vor allem auf den Großmarkt von Rungis in der südlichen Pariser Vorstadtzone, den weltweit größten Frischmarkt, auf dem Grossisten aus Gastronomiegewerbe und Lebensmittelvertrieb sich mit Gemüse, Fleisch, Meeresfrüchten und sonstigen Bedarfsgüter eindecken. Das 234 Hektar große Gelände ist über fünf Auffahrstraßen mit Mautstellen zugänglich.
Eine Traktorkolonne aus Südwestfrankreich, wo die Proteste ihren Ausgang nahmen und wo im landesweiten Vergleich die bäuerlichen Einkommen am niedrigsten liegen, rollte seit Montag auf Paris zu, mit dem erklärten Ziel „Rungis“. In der Nacht zum Dienstag durchquerte sie Limoges, der Konvoi mit Begleitfahrzeugen hatte sieben Kilometer Länge. Am Dienstag früher versuchten Polizeikräfte die Kolonne auf der Autobahn zu blockieren, doch die Landwirte drückten Leitplanken flach und rollten auf anderen Straßen weiter in Richtung Norden. Vier Tage lang stationierte der Konvoi von Agen in der Folgezeit auf einem Autobahnabschnitt in der Nähe von Paris – bis zur Ankündigung der jüngsten Ankündigungen der (inhaltlich jedoch höchst umstrittenen, vgl. unten) „Zugeständnisse“ von Premierminister Attal an die Adresse der Landwirte vom Donnerstag Abend, den 1. Februar. Daraufhin wurden die Autobahnsperren ab Freitag, den 02.02.24 abgebaut. Am darauffolgenden Tag kehrten die Landwirte aus dem südwestfranzösischen Raum Agen „im Triumphzug“, umsäumt von applaudierenden Anwohner/inne/n, in diese Stadt zurück. (Vgl. https://www.bfmtv.com/societe/convoi-d-agen-le-retour-triomphal-des-agriculteurs_VN-202402040067.html)
Da hört doch der Spaß auf
Da hörte auch beim Innenministerium der Spaß nun auf. „Die Pariser Flughäfen“ – der von Orly liegt in räumlicher Nähe zum Großmarkt Rungis, jener von Roissy hingegen auf der anderen Seite der Hauptstadt – „und Rungis als strategische Punkte zu blockieren“ hatte zuvor am Freitag, den 26.01.2024 ein Mitglied der französischen Nationalversammlung den protestierenden Landwirten vorgeschlagen, der als Wirtschaftsexperte des rechtsextremen Rassemblement national (RN) geltende Abgeordnete Jean-Philippe Tanguy, interviewt beim Sender BFM TV. (Vgl. https://www.bfmtv.com/replay-emissions/l-interview/face-a-face-jean-philippe-tanguy-26-01_VN-202401260273.html)
Es handelte sich nicht um den einzigen Versuch von Berufspolitikern, mit dem Bauernprotest, der nun nach Rumänien, Belgien, den Niederlanden und Deutschland auch Frankreich erreicht an, ein Süppchen zu kochen – mal mehr und mal weniger erfolgreich. Ursächlich für die Mobilisierung der Landwirte ist dieses Agieren von Politikern jedoch nicht, vielmehr ist es ihre sozio-ökonomische Lage.
Diese ist in ihrer Gesamtheit prekär, obwohl es erhebliche Disparitäten, ja Klassenunterschiede innerhalb der Agrarproduktion und der in ihr beschäftigten Bevölkerung gibt.
Soziostrukturelle Betrachtung
Im Jahr 1950 war in Frankreich noch ein Drittel der Erwerbsbevölkerung in der Landwirtschaft tätig – erheblich mehr als im selben Jahr in der Bundesrepublik mit knapp 25 Prozent -, zu Anfang der achtziger Jahre waren es immer noch acht Prozent reiner Landwirte oder vierzehn Prozent, rechnete man etwa Nebenerwerbsbauern mit hinzu. Zur gleichen Zeit wies die Statistik für die Bundesrepublik nur noch fünf Prozent auf. ( https://de.statista.com/statistik/daten/studie/275637/umfrage/anteil-der-wirtschaftsbereiche-an-der-gesamtbeschaeftigung-in-deutschland/) Heute sind in Frankreich nur noch 2,5 Prozent der Erwerbsbevölkerung im Agrarsektor tätig, rund 700.000 Menschen, davon 400.000 als reine Landwirte, in Deutschland sind es rund zwei Prozent. Der relativ geringe quantitative Anteil darf allerdings nicht über die Bedeutung dieser Berufsgruppe hinwegtäuschen. Zum Einen ernährt die Landwirtschaft alle übrigen Bevölkerungsteil, und tut es die inländische nicht, dann eben die anderer Staaten. Zum Zweiten weisen fast alle Franzosen, geht man zwei Generationen zurück, mindestens eine bäuerlichen Vorfahren-Anteil auf, so dass die Identifikation allgemeine stark ist.
Drei Viertel der aktiven Landwirte sind heute Männer – wobei heute oft die Ehefrau, die in einem Angestelltenverhältnis steht, die Haupternährerin der Familie geworden ist; ein wichtiger Unterschied zu früheren Zeiten, denn noch vor wenigen Jahren war die Bäuerin meist informelle Mitarbeiterin des Ehemanns in der Landwirtschaft ohne eigenen Status und ohne Rechtsanspruch, höchstens auf Witwenrente -, und die Hälfte stehen im Alter von fünfzig oder darüber. Deswegen wird für die kommenden zehn Jahren mit einem drohenden weiteren Rückgang der Zahl von Agrarbetrieben um bis zur Hälfte gerechnet. Der bisherige Prozess ging mit einer Zunahme von Exporten einher; aber auch mit einem Konzentrationsbereich in bestimmten Sektoren der Landwirtschaft, vor allem bei den Getreideherstellern, die heute oft eine Art moderner Großgrundbesitzer sind, solche mit hohem Maschineneinsatz.
In der Getreideproduktion, aber auch im oberen Bereich der Weinproduktion, wo bekannte Marken hergestellt werden, gibt es deswegen durchaus wohlhabende Produzenten. Zugleich wurden die unteren Segmente der Landwirte wie auch der Weinbauern – vor allem in Südwestfrankreich – in eine materielle Verelendung getrieben, vor allem gemessen an der Zahl der von ihnen geleisteten Arbeitsstunden, die oft erheblich über die von Arbeitern in der Industrie oder Angestellten hinausgehen. Betroffen ist hier etwa die Milchviehhaltung oder Fleischproduktion, wobei es in Frankreich bislang im Vergleich zu Deutschland noch nur wenige große Mastbetriebe gibt. Auch die erforderliche Arbeitszeit und die daraus erwachsenden Zwänge unterscheiden sich erheblich. Wer Milchvieh hält, muss sieben Tage die Woche im Betrieb tätig sein, denn ob es stürmt, schneit, Sonn- oder Feiertag ist, die Kühe möchten gemolken und gefüttert und die Ziege kann krank werden. Salatköpfe schreien dagegen nicht am Sonntag früh im Stall.
Im Jahr 2021 lebten laut dem Statistikamt INSEE 18 Prozent der aktiven Landwirte unter der Armutsgrenze; ihr Durchschnittsverdienst betrug 1.475 Euro brutto und lag damit rund dreihundert Euro unter dem Brutto-Mindestlohn für Lohnabhänge bei Vollzeittätigkeit. Am geringsten verdienten Schaf- und Ziegenzüchter, am besten Getreideproduzenten. Laut INSEE verdiente ein bäuerlicher Haushalt in 2021 durchschnittlich nur 17.700 Euro aus landwirtschaftlichen Aktivitäten, dagegen 30.100 aus dem „Neben“verdienst – in Wirklichkeit mittlerweile Hauptverdienst -, den in der Regel die Ehegattin aus einer anderen Tätigkeit bezieht. ( https://www.sudouest.fr/economie/colere-des-agriculteurs-les-revenus-des-activites-agricoles-ne-suffisent-plus-pour-vivre-18245272.php) Innerhalb von dreißig Jahren sank das Nettoeinkommen aus landwirtschaftlichen Aktivitäten um vierzig Prozent. ( https://www.tf1info.fr/societe/ras-le-bol-agricole-combien-sont-payes-les-agriculteurs-en-france-2283447.html)
Abhilfe verschaffen sollte ein Gesetz vom Oktober 2018, die unter diesem Namenskürzel bekannt gewordene Loi EGALIM – also das durch eine Regulierung des Marktgeschehens „Landwirtschaft und Ernährung“ ( https://www.legifrance.gouv.fr/loda/id/JORFTEXT000037547946/) – ins Gleichgewicht bringen sollte. Es erlaubt nach wie vor Einkaufspreise für Nahrungsmittel unterhalb ihrer Herstellungskosten – wie die Einkaufszentralen von Supermärkten sie Landwirten mitunter aufzwingen, die mitspielen müssen, weil sie sich der Marktmacht ihrer „Partner“ nicht entziehen können und in deren Vertriebsnetz bleiben wollen -, beschränkt die Verkäufe von Lebensmitteln sowie Tiernahrung unter dem Herstellungswert allerdings auf zehn Prozent des Gesamtvolumens. Ferner sollen Schulkantinen und andere öffentliche Einrichtungen mindestens 50 Prozent „nachhaltig“ hergestellte Produkte, in der Regel aus regionalem Anbau, und darunter 20 Prozent Bioprodukte anbieten.
Mangels auch nur halbwegs ernstzunehmender Kontrollen werden die Vorschriften jedoch flächendeckend umgangen – auch durch die öffentliche Hand, zwei Drittel des Rindfleischs in Schulkantinen ist Importfleisch -, wie inzwischen auch das Regierungslager einräumt. Und Supermarktketten umgehen Kontrollen ihrer Einkaufspolitik äußerst locker, indem sie etwa ihre Einkaufzentralen im nahen EU-Ausland einrichten, wo es keine vergleichbaren Kontrollversuche gibt: die Supermarktkette Carrefour etwa mit EURECA in Spanien, die Kette Edouard Leclerc in den Niederlanden mit EVEREST und Super-U in Belgien mit EURELEC.
Auch aus diesem Grund attackierten Landwirt/inn/e/n, in diesem Falle von der linken Bauernvereinigung Confédération paysanne, am Montag, den 29.01.24 in den südfranzösischen Städten Beaucaire und Cavaillon Lager der deutschen Supermarktketten ALDI und LIDL, die ebenfalls über die Bundesrepublik die EGALIM-Kontrollen umgehen.
Hinzu kommt, dass einige Umweltauflagen in Frankreich etwas strenger ausfallen als in vielen übrigen EU-Staaten, nachdem die Grünen unter François Hollande von 2012 bis 2017 mitregierten. EU-weit sind gut 300 Substanzen, darunter bestimmte Pestizide, verboten und in Frankreich gut 400, da das Land die EU-Richtlinien bei ihrer Umsetzung in nationale Gesetze an einigen Punkten verbessert hat – was das EU-Recht grundsätzlich zulässt, da EU-Normen nur einen Mindestsockel bilden. Laut der Verbraucherschutzorganisation UFC-Que choisir sind Obst und Gemüse aus französischer Herstellung mit 34 % bei Gurken bis zu 80 % bei Birnen mit Pestizidrückständen behaftet, solche aus spanischer Produktion dagegen zu 83 Prozent bei Gurken und zu 100 Prozent bei Birnen. ( https://www.dailymotion.com/video/x8roxlz)
Verschärft wird das Problem durch die innereuropäische Konkurrenz, wo vor allem Spanien – mit riesigen Gewächshäusern im Süden wie bei Almeria, der massiven Ausbeutung geringfügig bezahlter migrantischer Arbeit sowie hohem Einsatz von schädlichen Chemikalien – preisgünstig und massenhaft produziert, aber auch durch internationale Freihandelsabkommen. Bereits seit längerem laufen Verhandlungen zwischen der EU und dem südamerikanischen Wirtschaftsbund Mercosur, die darauf hinauslaufen sollen, dass etwa Deutschland leichter Autos nach Argentinien und Brasilien absetzen kann, und umgekehrt Brasilien Soja und anderen Dreck aus Intensivproduktion in Richtung EU exportiert. Unter dem Druck der beginnenden Bauernproteste erklärte nun allerdings der Elysée-Palast, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron werde an diesem Donnerstag (den 01.02.24) in Brüssel auf einen Abbruch der Verhandlungen mit dem Mercosur dringen, während RN-Parteichef Jordan Bardella am Montag früh (29.01.24) bei RMC und BFM TV anprangerte, französische Agrar- würden bislang bei diesen Verhandlungen deutschen Exportinteressen geopfert. Auf dem EU-Gipfel vom 1. Februar 24 wurde übrigens eine „Aussetzung“ dieser Verhandlungen angekündigt; nicht ihr definitiver Abbruch.
Neu begonnen wurden jüngst Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit Neuseeland, das massenhaft Schafs- und Ziegenfleisch ausführen möchte. Dessen Qualität hat einen guten Ruf, aber es liegt auf der Hand, wie ökologisch irrsinnig es wäre, Fleisch, das vor Ort hergestellt werden, in Containern über solche Strecken zu transportieren: Die Entfernung zwischen Paris und Auckland beträgt per Vogelfluglinie 18.500 Kilometer, auf dem Seeweg jedoch eher25.000 Kilometer. Die CO2-Bilanz liegt auf der Hand.
Aber auch die jetzt gerne protektionistische Töne für den „Schutz der eigenen Interessen“ auftretende extreme Rechte befürwortete im Parlament die Aufnahme der Verhandlungen mit Neuseeland. Denn RN-Abgeordnete sind für Protektionismus, so lange es gegen den Eintritt ausländischer Waren auf den französischen Markt geht – jedoch sehr dafür, mit den hochproduktiven oder renommierte Markennamen genießenden Sektoren der französischen Landwirtschaft ausländische Märkte zu überfluten.
Antwortsuche… rechts oder links…
Da es sich bei den Agrarproduzenten überwiegend um selbstständige Produzenten handelt, die sich dafür fürchten, niederkonkurriert zu werden – wofür es materiell handfeste Gründe gibt, aufgrund der Regeln, in denen sich der nationale und vor allem internationale Wettbewerb unter ihnen abspielt -, lässt sich der sozio-ökonomisch motivierte Protest aus ihren Reihen strukturell leichter nach rechts als links politisieren.
Grundsätzlich sind mehrere Auswege aus der Misere möglich. Die rechtere Option lautet, Barrieren auf dem Weg zu günstigerer Produktion auch in Frankreich zu beseitigen, etwa Umweltnormen, und dadurch konkurrenzfähiger zu werten. Die fortschrittlichere Herangehensweise lautet, zwar nicht generellen Protektionismus zugunsten „nationaler“ Interessen zu betreiben, wohl aber an Produktionsbedingungen aufgehängte Normen zu gezielten Importbeschränkungen und -verboten durchzusetzen sowie Mindestverkaufspreise für Lebensmittel festzulegen. Dies widerspricht allerdings der bisherigen Wirtschaftspolitik, denn läuft daraus hinaus, das sozioökonomische Elend vieler abhängig Beschäftigten – zu kaschieren, indem eine breite Konsumpalette zu Billigpreisen zur Verfügung gestellt wird.
Zu den ersten Zugeständnissen, die die französische Regierung am vorigen Freitag ankündigte, zählte der Verzicht auf die – wie in Deutschland – zuvor geplante Aufhebung der Steuerbefreiung auf Agrardiesel, französisch GNR abgekürzt. Dies stellte die Landwirte und ihre Verbände aber keinesfalls zufrieden, handelt es sich dabei doch lediglich um die Aussetzung einer Verschlechterung, die sich bislang noch gar nicht in ihrem Budget bemerkbar machte, sondern erst für die Zukunft angekündigt war. Geht es vielen doch bereits heute um die nackte ökonomische Existenz. Ferner stellte Premierminister Gabriel Attal, der am Vortag demonstrativ ein Interview auf einer Barrikade gab und sein Redemanuskript kamerawirksam auf Strohballen ausbreitete, eine „Schockwelle der Vereinfachung von Normen“ in Aussicht.
Insofern ist zu befürchten, dass das Regierungslager letztendlich die aktuellen Proteste nutzen könnte, um die Ergebnisse von Verhandlungen als Rammbock gegen bisherige Regulierungen einzusetzen. Dabei könnte sie tendenziell auch den rechteren Teil der Bauerngewerkschaften in einen, relativen, Konsens einbinden.
FNSEA
Unter den Agrarorganisationen ist die mit Abstand die stärkste die FNSEA, die rund 55 Prozent der Stimmen bei den Landwirtschaftskammern auf die Waage bringt. Diese wirkt als konservativer Interessenverband – ungefähr vergleichbar mit dem Deutschen Bauernverband (DBV) – der aufgrund seiner Positionen und Ämter in den Landwirtschaftsbanken, bei den Wasserverteilungsämtern und an anderen Stellen die staatliche Agrarpolitik mit verwaltet und flankiert. Hier tritt man vor allem für das Schleifen von lästigen Normen wie Umweltvorschriften, „Bürokratieabbau“ und erleichterte Exportchancen ein. An ihrer Spitze steht Arnaud Rousseau, der nicht nur Getreide-Großproduzent im östlichen Pariser Umland ist, sondern auch Direktor des börsenorientierten Nahrungsmittelkonzerns AVRIL sowie Aufsichtsratsmitglied bei fünfzehn weiteren Unternehmen.
Um ihre soziale Basis aufrecht und mobilisierbar zu halten, übt auch die FNSEA sich auf örtlicher Ebene allerdings an Kritik an den Auswirkungen der „produktivistisch“ und auf maximale Konkurrenz ausgerichteten Politik, die sie auf nationaler und internationaler Ebene mitträgt. (Vgl. https://www.lefigaro.fr/vox/societe/la-fnsea-defend-les-traites-de-libre-echange-a-bruxelles-et-s-y-oppose-a-toulouse-quimper-ou-limoges-20240201)
Coordination rurale
Ähnliche Forderungen mit besonderer Stoßrichtung gegen „bürokratische Normen“ und ökologische Auflagen vertritt auch die Coordination rurale (CR), die allerdings im Vergleich zur FNSEA und den mit ihr verbündeten „Jungen Landwirten“ (JA) die weniger arrivierten, ökonomisch schlechter gestellte Segmente der Agrarproduzenten vertritt. Diese Vereinigung, die bei den letzten Landwirtschaftskammerwahlen 2019 gut zwanzig Prozent erhielt, gilt als rechtsoffen und akzeptiert aufgrund dessen mit Protestakzent vorgetragenem pro-protektionistischen Diskurs mitunter auch Vorschläge des Rassemblement national. Mehrere aktuelle Abgeordnete des RN gingen aus dieser Landwirte-Organisation hervor bzw. waren früher in ihr aktiv. (Vgl. u.a. https://www.linternaute.com/actualite/politique/4472267-des-accointances-entre-la-coordination-rurale-et-le-rassemblement-national/)
Allerdings sollte man sich vor Vereinfachungen hüten: Die CR ist ein sozio-ökonomischer Interessenverband und keine politische Partei, bei welcher (jedenfalls theoretisch) Alle in eine Richtung denken. In der Vergangenheit gab es auch Berührungspunkte in konkreten Fragen – etwa bei der Kritik bestimmter Freihandelsabkommen, die die französischen Landwirt/inn/e/n niederkonkurrieren – zur weitaus eher links angesiedelten Confédération paysanne (siehe unten), und zeitweilig schienen beide auf regionaler Ebene auch zusammenarbeiten zu können. Doch in jüngster Zeit entzweiten beide sich auf heftige und tiefgreifende Weise über Umweltpolitikfragen ( https://reporterre.net/Virile-anti-ecolo-protectionniste-Que-defend-la-Coordination-rurale), insbesondere aber um die Frage der in den letzten Monaten vor allem in Westfrankreich aus ökologischen Motiven und Nachhaltigkeits-Gründen umstrittenen und umkämpften Wasserrückhaltebecken, die durch die CR energisch befürwortet ( https://www.coordinationrurale.fr/nos-actions-sur-le-terrain/oui-aux-bassines/
), durch die Confédération paysanne hingegen scharf abgelehnt ( https://www.confederationpaysanne.fr/sites/1/articles/documents/bassinesbd02-2022.pdf ) werden.
Harte Urteile im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen Wasserrückhaltebecken
Im Zusammenhang mit den Demonstrationen im Jahr 2023 gegen Wasserrückhalteprojekte im westfranzösischen Département Deux-Sèvres, mit Schwerpunkt in der Kommune Sainte-Soline. fielen am 17. Januar d.J. die Urteile gegen mehrere Gewerkschafter/innen und andere Aktive, insgesamt neun Personen, die wegen einer kriminalisierten Demonstration in Saint-Soline vom 25. März 2023 strafrechtlich verfolgt wurden. Unter ihnen sind auch drei Mitglieder der in den folgenden Zeilen behandelten linken Agrargewerkschaft Confédération paysanne, darunter ihr früherer landesweiter Sprecher Nicolas Girod. (Vgl. https://www.confederationpaysanne.fr/actu.php?id=13797 ) Umgekehrt trat die weitaus rechtere, oben behandelte Agrargewerkschaft Coordination rurale (CR) im Prozess als Nebenklägerin auf, wenngleich sie durch das amateurhafte Auftreten ihres Anwalts vor Gericht aneckte. (Vgl. https://france3-regions.francetvinfo.fr/nouvelle-aquitaine/deux-sevres/niort/la-suite-du-proces-des-neuf-manifestants-anti-bassines-de-sainte-soline-se-tient-aujourd-hui-a-niort-2880275.html )
Im Schlusseffekt lauten die Urteile auf 1.000 Euro Geldstrafe zuzüglich drei Jahre strafbewehrten Aufenthaltsverbots im Département Deux-Sèvres für die niedrigste Strafe (bei dem erwähnten Nicolas Girod), bis zu drei Haftstrafen auf Bewährung, je zwischen sechs und zwölf Monaten, für die drei höchsten Strafmaße. Am härtesten fiel das Urteil gegen den Sprecher des Bürgerinitiativen-Kollektivs gegen die Rückhaltebecken Bassines, non merci (BNM), Julien Le Guet, aus mit zwölf Monaten Haft auf Bewährung, einem dreijährigen Aufenthaltsverbot in Sainte-Soline und einer weiteren Kommune sowie rund 20.000 Euro Zahlungen an Geldbuße sowie „Entschädigungen“ an Nebenklägerparteien. Vgl. dazu:
https://www.liberation.fr/societe/police-justice/sainte-soline-de-la-prison-avec-sursis-pour-les-organisateurs-de-la-manif-anti-bassines-20240117_ALX2TVERSNAPTGUZERDB7VKOTI/ Mehrere der Angeklagten legten Berufung gegen das Urteil ein.
[Siehe dazu auch die Aktualisierung im Dossier: Der „Wasserkrieg der Deux Sèvres“: Mit den Protesten gegen das Bewässerungsprojekt startet Frankreichs Repressionswelle gegen die Umweltbewegung]
Confédération paysanne
Knapp auf gleicher Höhe wie die CR liegt, mit 19 Prozent der Stimmen unter den Landwirten, die linke und eher ökologisch orientierte Confédération paysanne. In deren Aufbau (vgl. dazu ein Artikelchen vom Autor dieser Zeilen aus dem Jahr 1999: https://jungle.world/artikel/1999/44/rebellische-bauern) flossen Erfahrungen wie die des Kampfs gegen ein in den siebziger Jahren geplantes gigantisches Armeegelände auf dem Larzac-Plateau – das Projekt musste aufgrund von Massenprotesten aufgegeben werden – ein, die damals im Zuge der Protestaktivitäten auch zur Herausbildung von Agrarkooperationen und -genossenschaften führten. Durch solche Ansätze kollektiver Bewirtschaftung konnten die Beteiligten, anders als viele andere Landwirte, auch Zeit für politische Betätigung, für Kinderbetreuung und Urlaub finden. Die Angehörigen der Confédération paysanne, deren historischer Vorläufer – die Bewegung der paysans travailleurs (Arbeiter-Bauern) – in den Siebzigern stets die Annäherung an die Industriegewerkschaften suchte, verstehen sich deswegen weitaus weniger als Unternehmer als rechtere Bauern. [Siehe die Stellungnahme von Soulèvements de la Terre“ zu den bäuerlichen Bewegungen in deutscher Übersetzung beim untergrundblättle]
Gesunken, erheblich zurückgegangen dagegen ist der Einfluss des MODEF, einer aus der Tradition kommunistischer Landarbeitergewerkschaften in den „roten Landstrichen“ wie der nördlichen Auvergne kommende Tradition, die zuletzt nur noch zwei Prozent erhielt. Der MODEF ist nur noch regional aktiv.
Gemengelage
Getragen wurde die jüngsten Proteste zunächst vor allem durch die FNSEA, die „Jungen Landwirte“ sowie die Coordination rurale, und enthielten dadurch eine Spitze gegen ökologische Forderungen. Im westfranzösischen Saintes griffen protestierende, eher reaktionäre Landwirte am vergangenen Freitag, den 26.01.23 ( https://www.charentelibre.fr/arbres-tronconnes-portail-enfonce-a-saintes-les-agriculteurs-s-attaquent-aux-pecheurs-sous-les-yeux-des-forces-de-l-ordre-18309130.php und https://www.sudouest.fr/charente-maritime/jonzac/agriculteurs-en-colere-a-saintes-de-nouvelles-actions-coup-de-poing-generent-de-l-incomprehension-18314142.php oder https://www.leparisien.fr/charente-maritime-17/je-narrive-pas-a-trouver-la-definition-du-bon-sens-paysans-les-agriculteurs-de-charente-maritime-ciblent-les-pecheurs-26-01-2024-NZFBN2VOP5BMPO6GTDDUDECIS4.php) sogar ein Gebäude des Fischereiverbands an, weil dessen Mitglieder seit längerem gegen die Einleitung schädlicher Abwässer durch mehrere Landwirtschaftsbetriebe protestierten – diese schaden den Fischbestände. Auch fanden an mehrere Orten gezielte Aktionen gegen ausländische Waren statt, etwa spanisches sowie marokkanisches Obst und Gemüse, das bei LKW-Kontrollen durch kontrollierende Bauern wie in Montélimar aus den Lastwagen geholt und ausgeschüttet oder vernichtet wurde. Zum Teil mit den Worten, direkt in TV-Reportagen übertragen: „Hey, Burschen! Das hier ist nicht französisch!“
Auf erklärtermaßen anderer, ziemlich unterschiedlicher Basis klinkte sich seit Ende der letzten Januarwoche jedoch auch die Confédération paysanne in die Agrarproteste ein. Ihre Mitglieder versäumen es vor laufenden Kameras nie, darauf hinzuweisen, dass nicht alle ihre Forderungen identisch mit denen der übrigen Agrarverbände seien und sie besonders antiökologische Orientierungen nicht unterstützten. Die Confédération will den Streitgegenstand vor allem auf die Einkommen der Landwirte zuspitzen und die Frage nach Mindestabnahmepreisen und Konkurrenzkontrollen in den Mittelpunkt rücken.
Auch auf politischer Ebene melden sich von rechts wie von links her Oppositionsparteien ein, die jedenfalls angeben, Antworten auf die Anliegen der Protestierenden anzubieten. Die Spitzenkandidat/inn/en der beiden wichtigsten rechtsextremen Parteien zur kommenden Europaparlamentswahl, Jordan Bardella vom RN und Marion Maréchal von Reconquête! – der durch Eric Zemmour gegründeten Partei – mischten sich beide unter Bauernkundgebungen in Brüssel (vgl. https://www.youtube.com/watch?v=3Hqi91uETLw); Bardella besuchte zu Beginn der Agrarproteste medienwirksam einen landwirtschaftlichen Betrieb im südwestfranzösischen Médoc. (Vgl. https://www.sudouest.fr/gironde/colere-des-agriculteurs-jordan-bardella-en-visite-dans-le-medoc-brosse-dans-le-sens-du-poil-18224638.php)
Zu Wochenbeginn (29.01.24) zeigte sich aber auch der linke Abgeordnete François Ruffin von der Wahlplattform LFI – „Das unbeugsame Frankreich“ -, der sich in den letzten Monaten immer stärker von deren Gründer Jean-Luc Mélenchon absetzte, auf einer Straßensperre von Landwirt/inn/en im südfranzösischen Nîmes. Dagegen vertrieben in Montpellier ( https://www.liberation.fr/politique/a-montpellier-des-violences-dextreme-droite-dans-une-manifestation-dagriculteurs-20240127_PABPHVINXVFJXODGPF4TPRX2EE/)Aktivisten der „Identitären“ und anderer neofaschistischer Gruppen, mit Quarzhandschuhen ausgestattet, Linke und einen unliebsamen Photojournalisten von einer Kundgebung.
Viele eher bürgerlich-liberale Leitmedien, wie BFM TV, oder rechtslastige wie der Fernsehsender LCI begleiten die Proteste zehn Tage lang live Minute für Minute, ihre Reporter/innen fraternisieren quasi mit den Teilnehmer/inne/n, fuhren auf Traktoren mit und halfen ihnen oft demonstrativ bei der bestmöglichen Formulierung ihrer Antworten. Dabei ging es nicht nur um Einschaltquoten, sondern auch darum, dass dieser Protest populär ist – 85 bis 89 Prozent der Französinnen und Franzosen erklären lt. mehreren Umfragen ihre grundsätzliche Sympathie -, aber laut verbreitetem Wunsch in Politik und Leitmedien lieber nach rechts oder jedenfalls in eine antiökologische Richtung als anderswohin abbiegen sollte.
Die Regierung meint, dies sei ihr gelungen. Zu den Maßnahmen, welche Premierminister Attal am Abend des 1. Februar – in einer dritten Ankündigungswelle, die insofern zur entscheidenden wurde, als daraufhin die FNSEA den Abbruch der von ihr (mit) initiierten Proteste verkündete und die Coordination rurale den maßgeblich von ihr beeinflussten Treck aus Agen zurückrollen ließ – gehört:
- Die Aussetzung des Plans Ecophyte, der in den kommenden Jahren zu einer Reduzierung des Pestizideinsatzes hätte führen sollen; unmittelbare Konsequenz dürfte sein, dass viele Landwirt/inn/e/n selbst in naher Zukunft einem erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt werden. „Man hat ihnen (den Protestierenden) eine Droge zur Beruhigung verschrieben“, kritisierten Umweltverbände. Die in den letzten Jahren erfolgte Reduzierung des Pestizid-Einsatzes hatte dazu geführt, dass etwa das um Jahr 2000 beobachteten Bienensterben zurückging: Intensiv-Landwirte, die künftig aufgrund der Auswirkungen auf Insekten ein Bestäubungsproblem für ihre Pflanzen bekommen, dürften sich dann noch wundern. Umweltminister Christophe Béchu seinerseits ruderte übrigens an diesem Wochenende verbal zurück, indem er behauptete, neinnein, das Vorhaben der Pestizid-Reduzierung sei nicht vom Tisch, vielmehr würden die Pläne nur bis zur in drei Wochen beginnenden Landwirtschaftsmesse in Gestalt des Salon de l’agriculture (vgl. unten) überarbeitet (Vgl. https://actu.orange.fr/politique/pesticides-le-plan-ecophyto-clarifie-d-ici-trois-semaines-selon-christophe-bechu-magic-CNT000002c4B6w.html
und https://www.bfmtv.com/politique/gouvernement/pesticides-christophe-bechu-assure-que-le-plan-ecophyto-sera-clarifie-d-ici-trois-semaines_AD-202402040053.html). Welche Taten diesen Worten folgen, wird sich bald konkretisieren müssen… Inzwischen gibt es auch längst scharfe Kritik nicht allein von Umweltverbänden, sondern auch bspw. von Anwohner/innen/initiativen zu dem Pestizidbeschluss (vgl. dazu eine AFP-Meldung vom Montag, den 05. Februar 24: https://www.lefigaro.fr/conjoncture/pesticides-des-associations-de-riverains-denoncent-la-mise-en-pause-du-plan-ecophyto-20240205).
- Ebenfalls eine Aussetzung des bislang durch die EU (im Zusammenhang mit ihrer nach der Coronakrise aufgelegten Subventionen) vorgeschriebenen Freihaltens von 4 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche als „Brachfläche“, die zur Einrichtung von Teichen, Kleingehölzen, Niststätten für Vögel und Insekten usw. dienen soll und vor allem den Getreidegroßproduzenten ein Dorn im Auge war – wer Schafe oder Ziegen weiden lässt, den oder die stört diese Auflage wohl weniger. Dazu hat die EU-Kommission selbst längst ihr Einlenken verkündet, jedenfalls auf Zeit, da 22 von 27 EU-Regierungen infolge der jüngsten Agrarproteste in ähnliche Richtung Druck machten.
- Eine Verdopplung der Kontrollen zur Einhaltung der Preisvorschriften im Zusammenhang mit der oben erwähnten, jedoch sicherlich unzureichenden (und bislang nicht einmal eingehaltenen, Gesetzgebung in Gestalt der Loi EGALiM.
- Weitere Maßnahmen wie etwa eine juristische Einschränkung von Klagemöglichkeiten gegen Begleiterscheinungen landwirtschaftlicher Tätigkeit, in Anspielung auf Affären, die jüngst Aufmerksamkeit erregten und bei denen etwa neu aus den städtischen Zentren zugezogene frische Landbewohner/innen kurz nach ihrer Ansiedlung Anzeigen gegen bimmelnde Kuhglocken und krähende Hähne wegen „Ruhestörung“ erstatteten und vor Gericht zogen. Solcherart Idiotentreiben einen Riegel vorzuschieben, ist nur zu begrüßen. Bleibt nur zu hoffen, dass eine solche Einschränkung der Möglichkeiten für Unfugklagen nicht auch dazu führt, dass etwa (begründete) Rechtsmittel gegen die Einrichtung oder Erweiterung von Großmastbetrieben – solche sind bislang in Frankreich noch relativ selten – erschwert werden. Laut Gabriel Attal sollen, auch im Zusammenhang mit landwirtschaftlichen Bauprojekten, Klagefristen und Bearbeitungsfristen bei Verwaltungsgerichten eingeschränkt werden.
Ob diese Rechnung aufgeht, wird nun die nähere Zukunft erweisen müssen. Die am 24. Februar d.J. eröffnete, höchst populäre jährliche Landwirtschaftsmesse an der porte de Versailles in Paris (dem Messegelände im Südwesten des Pariser Stadtgebiets), also der Salon de l’agriculture wird einen ersten Einblick in den Fortgang der Debatten eröffnen. Diese werden sich dort vor laufenden Kameras kristallisieren.
Als Letzte wurde jedenfalls die Confédération paysanne von der Straße geschoben, die auch nach dem Einlenken der FNSEA zur Beendigung ihrer Proteste noch eigene Straßenblockaden aufrecht erhielt, die dieses Mal auch unter polizeilichem Druck geräumt wurden, wo erforderlich – die letzten beiden verschwanden am Wochenende. Die Confédération paysanne, dabei mitunter auch etwa durch Gewerkschafter/innen der CGT begleitet (vgl. https://www.bfmtv.com/grand-lille/colere-des-agriculteurs-une-action-coup-de-poing-en-cours-dans-un-hypermarche-de-villeneuve-d-ascq_AN-202402030320.html), konzentriert sich nun auf die Durchführung von Aktionen gegen unlautere Preiskonkurrenz etwa in Supermärkten. Insofern hielt sie als Letzte die Protestfahne hoch, was ihr eventuell zugute kommen könnte.
#Titelbild: Bauern blockieren am 24. Januar die Autobahn M6 nahe Lyon. Die Aktion war Teil der Proteste von Bauern in ganz Frankreich und in Brüssel gegen niedrige Löhne, steigende Kosten und weitere Probleme. (AP Photo/Laurent Cipriani) [AP Photo/Laurent Cipriani]
Quelle: labournet.de… vom 5. Februar 2024
Tags: Frankreich, Freihandel, Neoliberalismus, Ökologie, Politische Ökonomie, Repression, Widerstand
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