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Nawalnys Tod und die Scheinheiligkeit des Westens

Eingereicht on 18. Februar 2024 – 11:10

Florian Rötzer. An das vergleichbare Schicksal von Assange wird nicht erinnert. Eine große Frage ist noch immer, warum Nawalny nach Russland in einer vorhersehbaren Kamikaze-Aktion zurückkehrte.

Im Westen ist es die Top-Meldung, dass der russische Oppositionelle Alexej Nawalny vorgestern nach russischen Angaben in einer sibirischen Strafkolonie nach einem Spaziergang zusammengebrochen und gestorben ist. Die Todesursache ist noch unbekannt. Schnell wurde trotzdem sofort Putin die Schuld gegeben und sogar wie vom ukrainischen Präsidenten Selenskij und Nawalnys Mitarbeitern von Ermordung gesprochen. Aus Russland heißt es inoffiziell, er sei an einem Blutgerinnsel gestorben. Ob die Todesursache einmal zweifelsfrei bekannt wird, daran kann gezweifelt werden. Zuletzt war er am 15. Februar noch in einem Video während einer Anhörung zu sehen.

Die Bestürzung über Nawalnys Tod im Westen ist scheinheilig und politisch instrumentalisiert. Bundeskanzler Scholz gab über X bekannt: „Der Tod von Alexej Nawalny bedrückt mich zutiefst. Er hat sich in Russland für Demokratie und Freiheit eingesetzt und offenbar seinen Mut mit dem Leben bezahlt. Die furchtbare Nachricht zeigt einmal mehr, wie sich Russland verändert hat und was für ein Regime in Moskau regiert.“ Außenminister Annalena Baerbock ganz ähnlich: „Wie kaum ein anderer war Alexej Nawalny Sinnbild für ein freies und demokratisches Russland. Genau deswegen musste er sterben.“

Natürlich wird nirgendwo auf Julian Assange verwiesen, der sich auch für Demokratie und Freiheit – nur für die falsche – eingesetzt und seinen Mut mit Isolationshaft in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis und womöglich mit lebenslänglicher Haft in den USA wegen Spionage bezahlt.

Natürlich wird nun an den Tod des Anwalts Magnitski 2009 in einem russischen Gefängnis erinnert werden, der im Westen auch als Ermordung bezeichnet wurde. Magnitski wurde als Betrugsaufdecker geschildert, der sich in der Gefängniszelle lieber zu Tode prügeln ließ, als klein beizugeben. Sein Arbeitgeber, der Ex-Hedgefonds-Verwalter Bill Browder, hatte erfolgreich daraus eine Kampagne inszeniert, sich selbst als den größten Gegner Putins bezeichnet und sich als Verteidiger von Menschenrechten und Kämpfer gegen Korruption stilisiert. Das kam bei vielen Regierungen gut an, die entsprechende Magnitski-Gesetze erließen. Andrei Nekrasow hat mit seinem investigativen Dokumentarfilm „Der Fall Magnitski“ (2016) nachvollziehbar herausgearbeitet, dass das von Browder erzählte Narrativ zu großen Teilen nicht stimmt (Browder scheitert mit seinem Magnitski-Narrativ vor der Schweizer Staatsanwaltschaft).

Nawalny galt im Westen als Putins gefährlichster Gegner

Nawalny wurde, wie etwa die Tagesschau wiederholt, zu „Putins gefährlichstem innenpolitischen Gegner“ aufgebauscht. Bekannt wurde er vor allem wegen seiner Korruptionskritik, seiner Internetpräsenz und seiner Teilnahme an den Protesten 2011/2012. Als Bürgermeisterkandidat in Moskau erzielte er einen beachtlichen Erfolg bei der Wahl. Populär war er bei jüngeren Menschen in den größeren Städten, ansonsten blieb sein Einfluss relativ gering. Im Westen wurde er auch deswegen überschätzt, weil es sonst keinen charismatischen Oppositionsführer gab. Nawalny war allerdings ein Aktivist und Spieler, der die Show liebte, was er politisch verfolgte, blieb eher unklar.

Trotzdem lebte Nawalny gefährlich. Er wurde mit Klagen überzogen, es gab einen Anschlag mit einem Desinfektionsmittel auf ihn, 2019 gab es vielleicht schon einen Giftanschlag auf ihn. 2020 schließlich erlange Nawalny weltweite Aufmerksamkeit, weil er in einem Flugzeug zusammenbrach und behandelt werden musste. Es gelang, ihn in die Charité zu verlegen, wo festgestellt wurde, dass es ein Anschlag mit dem zur Zeit der Sowjetunion entwickelten Nervengift Nowitschok gewesen sein soll.

Zuvor war 2018 in einem aufsehenerregendem Fall ein solche Nowitschok-Anschlag auf Sergei und Julia Skripal erfolgt, die überlebten. Eine weitere Frau, die mit Nowitschok in Berührung gekommen sein soll, verstarb. Die britische Regierung löste damit eine weitere Kampagne gegen Russland aus, Geheimdienstmitarbeiter sollen den Anschlag ausgeführt und bewiesen haben wie gefährlich Russland bzw. Putin ist.

Beide Fälle wurden aber wegen Geheimhaltungstaktiken nicht restlos aufgeklärt, die Skripals wurden  von den britischen Behörden schnell der Öffentlichkeit entzogen, Zweifel blieben auch, ob es sich wirklich um Notwitschok-Anschläge und wo sie genau stattgefunden haben. Es waren starke politische Interessen im Spiel, mitgemischt hat auch immer wieder Bellingcat, um „Beweise“ vorzulegen. Gut möglich, dass der russische Geheimdienst für die stümperhaften Anschläge verantwortlich war, es könnten aber auch andere Kreise im Spiel gewesen sein. Nawalny, der auch unter den Fittichen von Merkel stand, konnte unter aufwändigem Schutz nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus zur Vorbereitung seiner Rückkehr nach Russland einen Film über „Putins Palast“ verfertigen und hat unter Vortäuschung einer falschen Identität mit einem angeblichen Mitglied des Geheimdienstes FSB telefoniert, der am Anschlag beteiligt war und erklärt hat, dass das Gift in der Unterhose gewesen sein soll, weil die ursprüngliche Geschichte mit Wasserflaschen im Hotel auf einem wahrscheinlich gefakten Video basierte.

Nawalny als zweiter Guaidó?

In der Zeit, in der er sich in Deutschland aufhielt, gab es sicher ausführliche Gespräche mit Regierungsvertretern und Geheimdiensten, um zu planen, wie Nawalny am besten zur Destabilisierung des Putin-Systems eingesetzt werden könnte. Es gab vielleicht schon das Vorbild, einen inszenierten Präsidentschaftskandidaten in Venezuela. Juan Guaidó erklärte sich 2019 selbst zum Präsidenten und wurde schnell von den USA und den EU-Staaten anerkannt, um den venezolanischen Präsidenten Maduro zu stürzen (das ist nach anfänglichen Massenprotesten, aber dann kläglich gescheitert).

Wahrscheinlich hatte man mit Nawalny, der durch den Anschlag noch populärer geworden war, da auch die Staatsmedien darüber berichteten, ähnliches in Russland vor, vielleicht war es auch seine Idee, wieder nach Russland zu reisen, seine Anhänger im ganzen Land zu mobilisieren, ihn in Moskau wie einen Erlöser zu empfangen und  nach der Festnahme, landesweite Proteste zu veranstalten. Denn es war klar und angekündigt, dass Nawalny, sobald er russischen Boden betritt, verhaftet würde. Um für entsprechende Aufmerksamkeit zu sorgen, wurde am ersten Tag seiner Inhaftierung das in Deutschland fertiggestellte Video über „Putins Palast“ ins Internet gestellt, was von westlichen Medien weiter verbreitet wurde, und für das kommende Wochenende zu Protesten mobilisiert.

Man fragt sich, was und natürlich auch wer Nawalny bewegt haben könnte, sich dieser Gefahr auszusetzen, nachdem bereits angeblich der russische Geheimdienst einen Giftanschlag auf ihn ausgeführt hatte. Allerdings ließ ihn Putin aus Russland nach Deutschland zur Behandlung ausreisen, möglicherweise auch, um ihn auf diese Weise loszuwerden. Ich schrieb bereits vor seiner Ausreise: „Nawalnys Rückkehr nach Russland eine Kamikaze-Aktion?“

Nawalny muss, wenn er nicht lebensmüde war, davon ausgegangen sein, dass er auch in Russland so bekannt und anerkannt war, dass ihn die russischen Behörden angesichts der großen westlichen politischen und vor allem medialen Aufmerksamkeit und der erwarteten Massenproteste wieder freilassen oder zumindest sorgsam behandeln würden, damit er nicht zum Märtyrer wird. Vielleicht sollte sein inszenierter Opfergang auch als Fanal für eine landesweite Protestbewegung dienen. Aber Nawalny hat mitsamt seinen Beratern seinen Einfluss in Russland überschätzt und die Stabilität des Putin-Systems unterschätzt (Welche Bedeutung hat Nawalny in Russland?).

Der geplante Coup scheiterte schnell an zu geringer Unterstützung

Pech war schon, dass die Öffentlichkeit im Westen durch den Sturm auf das Kapitol und die Nachwehen abgelenkt war. Durchkreuzt wurde die Planung auch dadurch, dass Nawalnys Flugzeug unangekündigt und angeblich wegen technischer Probleme nicht in  Wnukowo, sondern auf dem Flugplatz Sheremetyevo landete, so dass die mobilisierten Anhänger am falschen Flugplatz warteten. Der Mediencoup – Anhänger und Journalisten begleiteten Nawalny im Flugzeug – ging daneben. Bei Ankunft im Terminal sagte Nawalny, er sei absolut glücklich, angekommen zu sein, das sei der schönste Tag seit 5 Monaten: „Dies ist mein Zuhause, ich habe keine Angst, ich weiß, dass ich Recht habe, die Strafverfahren gegen mich sind erfunden.“

Die Polizei ging hart gegen seine Anhänger vor und hatte zuvor vor der Teilnahme an ungenehmigten Aktionen  gewarnt, Berichterstattung verboten und die Betreiber von sozialen Netzwerken aufgefordert, Aufrufe zu sperren. Im Westen wurde seine Freilassung gefordert, man war auf die Festnahme auch vorbereitet. In den großen Städten kam es am 23. Januar 2021 zwar zu Protesten, an denen Zehntausenden in vielen Städten teilnahmen, aber es waren bei weitem keine Massen, die auf die Straßen gingen. Das Vorgehen der Polizei gegen ungenehmigte Massenveranstaltungen wurde wegen der Corona-Maßnahmen erleichtert („Freiheit für Nawalny“: Zehntausende haben landesweit in Russland an den Protesten teilgenommen). Es wurde zu weiteren Protesten aufgerufen, am nächsten Wochenende konnten wieder Zehntausende mobilisiert werden, die Polizei nahm mehr als 5000 vorübergehend fest (Nawalny-Proteste: Weniger Teilnehmer, aber mehr Inhaftierungen).

Nach dem gescheiterten Coup wurde Nawalny zur ersten Gefängnisstrafe verurteilt und seine Organisation verboten. Es folgten weitere Prozesse und Urteile. Ziel war es, Nawalny für immer hinter Gittern zu lassen. Zuletzt war er zu insgesamt 19 Jahren Straflager verurteilt und Ende Dezember in das sibirische Lage verlegt worden, in dem er nach russischen Angaben am 16. Februar gestorben ist. Seit seiner Inhaftierung und der Isolationshaft war Nawalny gesundheitlich angeschlagen, vorgeworfen wurde der Gefängnisverwaltung, dass er nicht ausreichend medizinisch versorgt wurde.

#Titelbild: Letzte Aufnahme von Nawalny am Donnerstag während einer Videoschalte bei einer gerichtlichen Anhörung.

Quelle: overton-magazin.de… vom 18. Februar 2024

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