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Gaza: Menschliche Tragödie, Völkermord oder ortsübliche Friedlosigkeit?

Eingereicht on 27. März 2024 – 17:09

Suitbert Cechura. Deutsche Medien betreuen ihr Publikum mit geschärftem Unterscheidungsbewusstsein, wenn es um militärische Gewalt und ihre Verwüstungen geht.

Bei Kriegen und dem Elend, das sie anrichten, kommt es ganz darauf an, ob sie einen hohen oder überhaupt einen Nachrichtenwert besitzen. Wie empirische Vergleichsstudien zeigen, ist nicht automatisch klar, dass ein Krieg „nachrichtenrelevant“ ist. Da kann es in der deutschen Berichterstattung schon vorkommen, dass der Konflikt in Jemen, laut UN die „schlimmste humanitäre Krise weltweit“, jahrelang kaum wahrgenommen wird; oder dass über den „afrikanischen Weltkrieg“, der im Ostkongo Millionen Menschen das Leben gekostet hat und immer noch nicht beendet ist, nur am Rande berichtet wird.

Wenn Kriegsgräuel thematisiert und dem Publikum hautnah präsentiert werden, kommt es ebenfalls sehr darauf an, wie der nationale Blickwinkel des jeweiligen Mediums beschaffen ist. Renate Dillmann hat jüngst analysiert, wie deutschen Medien zum Krieg in Nahost „Ganz ohne Zensur“ dem nachkommen, was hierzulande Staatsaufgabe und Bürgerpflicht ist. Dillmanns Beitrag schliesst mit dem Fazit, dass man angesichts der Völkermordanklage Südafrikas gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in den hiesigen Medien wieder einmal studieren könne, wie die erschütternde Faktenlage aus dem öffentlichen Bewusstsein herausgehalten werde.

Eine besondere Art journalistischer Distanz

Natürlich wird nicht einfach verschwiegen, was Sache ist. „Lügenpresse“ in dem Sinne ist da ein dummer Vorwurf. Es geht vielmehr darum, wie die Nachrichtenlage aufbereitet und gewichtet wird und was dem Publikum damit an die Hand gegeben wird. Was z.B. in Gaza passiert, kommt durchaus vor, und es werden auch schon einmal – vielleicht nicht in der breiten Öffentlichkeit und nicht an prominenter Stelle – Vorgänge wie der folgende gemeldet:

„Weil Deutschland Israel politisch und militärisch unterstützt und UNRWA-Gelder gesperrt hat, hat Nicaragua die Bundesrepublik vor dem Internationalen Gerichtshof verklagt. Der Vorwurf: Begünstigung zum Völkermord.“ (Tagesschau, 2.3.24)

Dass im Gaza-Streifen massenhaft gestorben und gehungert wird, ist in den deutschen Medien Thema. Da ist oft von einer menschlichen „Tragödie“ (Bild am Sonntag, 3.3.24) die Rede. Auch wird daran erinnert, dass die Gewalt der Hamas ihre Tradition hat und die Region ein „Pulverfass“ darstellt. Doch die neue Leitlinie heisst: Der Konflikt zwischen den Palästinensern und Israel hat genau am 7. Oktober 2023 begonnen. Zu allem was davor passiert ist, gehen deutsche Journalisten auf Distanz; es interessiert irgendwie nicht, kann bei seiner Thematisierung sogar zu Vorwürfen härtesten Kalibers führen.

Und das Datum 7.10. kann nicht oft genug wiederholt werden, es darf in keiner Berichterstattung fehlen, auch wenn es um aktuelle Ereignisse im Gaza-Streifen geht. Denn nur unter Nennung der Ereignisse dieses Tages ist die Schuldfrage für alles Folgende geklärt – und dies gibt dann den Beurteilungsmassstab für die folgenden Entwicklungen ab. Wenn die 1200 toten Israelis genannt sind, ist klargestellt, dass über 30000 tote Palästinenser nicht einfach das Ergebnis der israelischen Kriegsführung sind, sondern dass hier die verständliche Reaktion eines angegriffenen Staates vorliegt. Angesichts der vielfältigen Gräuel der Kriegsführung muss dies dem Publikum ständig vor Augen geführt werden.

Deshalb werden Journalisten z.B. der Süddeutschen Zeitung radikal, wenn Künstler auf der Berlinale es wagen, ohne unmittelbaren Bezug auf den Angriff der Hamas der israelischen Politik entgegenzutreten, den Vorwurf des Völkermords im Gaza-Streifen zu erheben und Israel für seine Apartheids-Politik im Innern zu kritisieren. Der Vorfall füllt dann ganze Seiten des Blattes, das sich – wie auch die Bildzeitung – sofort aufmacht, nach Prominenten im Publikum zu fahnden, die sich propalästinensische Äusserungen angehört hätten, ohne auf die Barrikaden zu gehen.

So muss sich selbst ein über jeden Antisemitismusverdacht erhabener Regierender Bürgermeister aus den Reihen der CDU vorwerfen lassen, mangelnde Zivilcourage gezeigt zu haben. Ohne die moralisch begründete Parteinahme für Israel als Einstieg ins Thema wird in der deutschen Öffentlichkeit keine Äusserung mehr durchgelassen. Und wer an dieser Stelle versagt, darf sich des öffentlichen Prangers sicher sein, wenn er oder sie nicht gleich durch Entzug seiner Anstellung oder Ausladung bei Veranstaltungen wirtschaftlich in die Klemme gebracht wird.

Dass nicht sein kann, was nicht sein darf

Auf diese Weise muss man die Dinge also einordnen. Wie gesagt, die betreffen Fakten findet man daneben (vor allem, wenn man danach sucht) auch. So wurde nach der Attacke der Hamas auf Israel auch in der BRD gemeldet, dass die israelische Regierung unter Ministerpräsident Netanjahu keinen Zweifel darüber gelassen hat, welches Ziel sie mit dem Krieg im Gaza-Streifen verfolgt: „Kein Strom, kein Wasser, keine Lebensmittel“ (Berliner Zeitung, 9.10.23).

Neu ist das alles nicht. Der israelische Aussenminister Avigdor Liebermann äusserte z.B. vor Jahren: „Die Zeit ist gekommen, die Bevölkerung von Gaza mit Aktionen zu schockieren, die uns bisher zuwider waren – Aktionen wie die politische Führung zu töten, Hunger und Durst in Gaza zu verursachen, die Energieversorgung zu unterbinden, umfassende Zerstörung zu verursachen und weniger peinlich Unterschiede bei der Tötung von Zivilisten zu beachten. Es gibt keine andere Wahl … die Bevölkerung und ihre Führung, sie sind dasselbe, weil die Bevölkerung die Hamas gewählt hat. Ich kann zwischen einem Hamas-Wähler und einem Hamas-Führer keine Trennung vornehmen.“ (Zitiert nach Al Ahram weekly, 5.-11.2.09)

Mit solchen Statements wurde im Grunde die Vernichtung der Palästinenser angekündigt, ihnen sollte das Leben im Gaza-Streifen unmöglich gemacht werden. Liebermanns Kabinettskollegen assistierten ihm gleich, schlugen etwa eine Atombombe auf Gaza oder die Vertreibung nach Ägypten bzw. auf eine Insel im Mittelmeer vor.

Polemisch könnte man somit sagen, dass die „Endlösung“ der Palästinenserfrage auf die Tagesordnung gesetzt worden sei; immerhin bekannten sich Teile der politischen Klasse explizit zu radikalen Lösungen. Eine solche Bezeichnung ist natürlich in Deutschland verboten. Es ist ja gesetzlich geregelt, dass der Holocaust als einzigartiges historisches Ereignis zu behandeln ist, das allein aufs deutsche Konto geht – als Untat, die nur an den Juden begangen wurde.

Über die geschichtliche Faktizität muss man dabei grosszügig hinwegsehen. Schliesslich hat der junge deutsche Nationalstaat 1870/71 – nach seiner Entstehung im Krieg gegen Frankreich – sofort begonnen, in puncto Kolonialherrschaft und -massaker mit den anderen europäischen Grossmächten gleich zu ziehen. So wurden, was Deutschland hundert Jahre später eingestand, ganze Völkerschaften in Afrika ausgelöscht. Der Unterschied zum Vorgehen der Nationalsozialisten bestand lediglich in der Wahl der Mittel.

Wegen der deutschen Staatsräson sind Holocaust-Vergleiche in der gegenwärtigen Nahost-Lage tabu –jedenfalls in Richtung der israelischen Regierung, sonst werden schon einmal Ausnahmen gemacht. Und diejenigen, die angesichts der Lage im Gaza-Steifen Völkermord-Vorwürfe erheben, müssen sich selber des Antisemitismusvorwurfs erwehren, während das angekündigte Ziel des Aushungerns von mehr als zwei Millionen Menschen aussen vor ist.

Gegen diese Zielsetzung werden in den Medien allenfalls leise Bedenken angemeldet, passend etwa zu den sanften Ermahnungen einer deutschen Aussenministerin: „An die Regeln halten müssen sich auch all jene, die auf solchen Terror reagieren müssen. Regierungen müssen dabei die Verhältnismässigkeit wahren. Zweifel sind angebracht, dass die israelische Regierung sich daran hält.“ (taz, 20.2.23)

Der Zweifel der taz bezieht sich nicht auf die verkündete Zielsetzung der Netanjahu-Regierung, sondern auf die Frage, ob das, was Israel macht, immer mit dem Kriegsrecht zu vereinbaren ist. Denn die Kriegsziele selber will das Blatt nicht in Frage stellen. Und wie das angestrebte Aushungern der Bewohner des Gaza-Streifens verhältnismässig organisiert werden kann, bleibt das Geheimnis des Schreibers oder der Schreiberin.

From the River to the Sea – yes and no

Mit dieser Parole bekunden Demonstranten den Anspruch der Palästinenser auf die Region zwischen Mittelmeer und Jordan – ebenso wie der israelische Ministerpräsident Netanjahu damit den Anspruch Israels auf ganz Palästina ausdrückt (Washington Post, 22.1.24). Während die Palästinenser mit dieser Parole ihren Anspruch auf das von ihnen bewohnte Gebiet und auf einen eigenen Staat anmelden, formuliert Netanjahu Israels Anspruch auf ganz Palästina. Damit stehen zwei Rechtsansprüche gegeneinander, die mit Gewalt ausgetragen werden – wobei die überlegene Gewalt, wie jeder weiss, auf Seiten Israels ist.

Mit dem Verbot der Parole bei Demonstrationen hat Deutschland eindeutig Partei in diesem Konflikt ergriffen. Wer sie öffentlich bekundet muss mit Bestrafung rechnen. Nicht so im Fall der Vertreter Israels. Ihr Anspruch wird nicht offen geteilt, ihm wird aber auch nicht widersprochen. Israel beruft sich bei seinem Anspruch auf die Bibel, schliesslich hat Gott seinem auserwählten Volk Judäa und Samaria als das gelobte Land versprochen – und welcher deutsche Politiker oder Journalist wendet sich schon gegen Gott oder die Religion (es sei denn ein religiöses Oberhaupt wie der Papst kommt mit seinen Friedensmahnungen zur ungelegenen Zeit oder ein Imam beruft sich auf den Koran).

Israel versucht mit seinem Verweis auf die Bibel die Vertreibung der Palästinenser unangreifbar zu machen, mit einem Bezug auf frühgeschichtliche Zeiten sollen die Prinzipien des modernen Staatenverkehrs angereichert werden. Dieser Anspruch ist natürlich nicht erst mit dem 7. Oktober in die Welt gekommen. Und die Vertreibung der Palästinenser hat nicht mit der Gründung des Staates Israel aufgehört, sondern ist Dauerprogramm.

Noch am 22. September 2023 hat Netanyahu vor der UNO eine Israel-Karte präsentiert, die auch Gaza umfasste – kein Platz für Palästinenser also. Vom selben Anspruch zeugen auch die Siedlungen im Westjordanland. Ständig werden sie neu aufgemacht und jede Gegenwehr der dortigen palästinensischen Bewohner stellt eine Bedrohung Israels dar. Dessen ständig ausgeweitete Sicherheitsinteressen – von deutscher Politik offiziell bekräftigt – werden dann entsprechend medial aufbereitet.

entsprechend medial aufbereitet.

Konflikte, die sich im Westjordanland aus diesem Anspruch ergeben, werden auch nicht ausgeblendet. Der Qualitätsjournalismus der FAZ bringt es sogar fertig, lange Hintergrund- und Vor-Ort-Berichte der Korrespondenten zu veröffentlichen, die anschaulich die Not der Palästinenser – der einfachen Leute, denen ihre Häuser oder ihre Weiden weggenommen werden – vorführen. Durchaus ergreifend!

Das Ganze lässt sich auch medial menschlich präsentieren – als Leben von gläubigen jüdischen Siedlern, die sich im gelobten Land niedergelassen haben und sich nun in einer feindlichen Umgebung wiederfinden. Da können diese Menschen nicht einfach nur ihren Acker bestellen, sondern sind ständig mit Sicherheitsproblemen befasst und müssen wachsam sein, überreagieren vielleicht auch dann und wann. Bei einem solchen Leben können sich die Siedler jedenfalls des Mitgefühls deutscher Journalisten sicher sein. Und auch der Qualitätsjournalismus der SZ versteht sich darauf, damit die Seiten füllen.

Als ausgewogenes Blatt kann die SZ dann zudem das Leben im Gaza-Streifen als menschliches Schicksal präsentieren. Die Bewohner dort haben z.B. tatsächlich ein Problem, an ihr Geld zu kommen, da es nur wenige Automaten gibt usw. Und das bei der herrschenden Inflation! Das sorgt für Mitgefühl, schliesslich kennen auch viele Bundesbürger das Problem, wenn auch nicht so dramatisch. Man muss nur die politischen Programme ausblenden, aus denen die Notlagen der Menschen rühren, und schon geht es ganz schön menschelnd zu.

Fazit: Das Verhängnis nimmt seinen Lauf…

Israel ist dabei, sein Programm der Vertreibung und Vernichtung der Palästinenser systematisch umzusetzen. Nicht nur im Gaza-Streifen wurden die Menschen vom Norden in den Süden an die Grenze von Ägypten vertrieben, sondern auch in der Westbank hat die Vertreibung durch die Siedler unter dem Schutz des Militärs zugenommen.

Eingeleitet wurde die Offensive mit einer flächendeckenden Bombardierung des Gaza-Streifens von Nord nach Süd. Die Bombardierung von Wohnhäusern oder Krankenhäusern wurde damit begründet, dort befänden sich Kommandozentralen der Hamas. Deutsche Journalisten wurden an solchen Behauptungen nicht irre, obgleich die Bombenziele zahlreicher waren als die von ihnen selbst in die Welt gesetzten Zahlen der Hamas-Kämpfer. Die Darstellungen Israels wurden nahtlos übernommen oder wie in den öffentlich-rechtlichen Medien gleich durch die Militärsprecher Israels mit O-Ton ins Bild gesetzt.

Die systematische Vertreibung der Bevölkerung von Nord nach Süd wurde als Evakuierung in den Medien schöngeredet, obgleich von einer Rettungsaktion in keiner Weise die Rede sein konnte. Die Fristen für die Flucht waren knapp bemessen, der Fluchtweg nur grob gekennzeichnet und er wurde regelmässig durch Israels Militär beschossen. Die Sprengung der noch verbliebenen Häuser durch das Militär wurde nur deshalb bekannt, weil dabei auch israelische Soldaten ums Leben kamen.

Inzwischen ist die noch verbliebene Bevölkerung des Gaza-Streifens weitgehend an die Grenze zu Ägypten vertrieben und dort dem Beschuss israelischen Militärs ausgesetzt. Die Tötung von Palästinensern soll nach überwiegender Mediensicht aber nicht Resultat israelischer Kriegsführung sein, sondern aus der Schwierigkeit folgen, die die Hamas Israel bei der Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung bereitet. Schliesslich kann ja jeder Palästinenser ein Hamas-Mitglied sein. Daniel Hagari, Sprecher des israelisches Militär am 1.11.2023: „Das zeigt erneut, dass die mörderischen Terroristen die Zivilbevölkerung als menschliches Schutzschild missbrauchen. Denn wir hatten die Menschen aufgerufen, in den Süden zu fliehen.“ (WDR, Monitor, 23.11.23, Übersetzung von Monitor) Wer nicht schnell genug vor den Kugeln Israels flieht, muss daher ein Anhänger der Hamas sein und verdient den Tod.

Auf Druck der USA hat Israel die Lebensmittelblockade teilweise gelockert, aber nicht aufgehoben. Hatten die im Gaza-Streifen Zusammengepferchten schon vor dem Krieg keine eigene Lebensgrundlage und waren auf Lebensmittellieferungen durch die UN angewiesen, so lässt Israel nur einen Bruchteil an Versorgungs-LKW durch und hält so an seinem Programm des Aushungerns fest. Mit dem Resultat, dass die Menschen im Gaza-Streifen buchstäblich Gras essen.

Dass Israel ein Vernichtungsprogramm gegen die Palästinenser betreibt, wollen weder deutsche Politiker noch deutsche Journalisten je behauptet haben. Sie werfen Israel vor, nicht genügend für die Versorgung der dortigen Bevölkerung zu tun – ganz so, als ob dies das Anliegen Israels wäre und noch einzelne Lücken beständen. Auch so kann angesichts von massenhaftem Sterben die Welt schön geredet werden, während die Zahl der getöteten und verhungerten Kinder täglich wächst.

Die Mahner mahnen

Israel ist ein kleines Land mit einem enormen Gewaltapparat, den es sich nur deshalb leisten kann, weil es durch die USA und z.B. durch Deutschland finanziell und mit Waffen unterstützt wird. Die israelische Regierung nutzt ihren Gewaltapparat zur Bombardierung ihrer Nachbarn – etwa regelmässig in Syrien – und zur Abriegelung des Gazastreifens. Dass nur geringe Mengen an Lebensmitteln hineingelangen und die Lebensgrundlagen weitgehend zerstört sind, ist der Grund der Hungersnot in Gaza.

Die Unterstützer Israels treten in der Öffentlichkeit als Mahner auf und distanzieren sich so von den Konsequenzen der von ihnen unterstützten Politik. Dass sich die Waffenlieferungen von Deutschland nach Israel im letzten Jahr verzehnfacht haben (Tagesschau, 8.11.23), zeigt die wichtige Rolle der auswärtigen Paten. Ihre Unterstützung wollen die Mahner wegen der Blockade aber nicht in Frage stellen.

Die Blockade bewirkt auch, dass Bilder von hungernden Menschen nur spärlich nach aussen dringen. Gaza ist bekanntlich „der gefährlichste Ort für Journalisten“ (RBB, 1.2.24). Eine solche Art von Zensur oder Filterung des Nachrichtenmaterials ist den hiesigen Medien kein Problem, ein Vorwurf an Israel ergibt sich daraus nicht. Da folgt man lieber den Presserklärungen der Israelischen Streitkräfte (IDF), die alle Getöteten als Hamas-Kämpfer oder Sympathisanten einstufen. So werden hierzulande eben die Bilder veröffentlicht, die Israel zur Verfügung stellt. Dort kann man sehen, wie sich Menschen auf die Hilfskonvois zubewegen, um das Nötigste für sich zu ergattern. Dabei bewegen sie sich im Fadenkreuz des israelischen Militärs.

Deutsche Journalisten sind da in der Bewertung zurückhaltend, auch wenn später 100 Tote durch IDF-Beschuss und Massenpanik zu vermelden sind. Die Dementis der israelischen Führung werden natürlich aufgegriffen. Dass die Menschen in Gaza in ihrer Verzweiflung die wenigen Hilfskonvois stürmen, spricht nämlich deutscher Berichterstattung zufolge nicht gegen Israels Blockadepolitik, sondern zeigt den „Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung“ im Gaza-Streifen (Baerbock, Tagesschau, 1.3.24).

Eine seltsame Diagnose – bestand die öffentliche Ordnung doch in dem, was die Hamas als entscheidende politische Kraft in Gaza und die UN-Organisation für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) auf die Beine gestellt hatten. Die Hamas war übrigens anfangs von Israel als Konkurrenzorganisation zur Fatah unterstützt worden. Im Krieg sind nun beide Organisationen unter Beschuss Israels geraten, was auch auf Seiten der UN-Helfer einige Tote gekostet hat. Mit der Behauptung, UN-Helfer hätten sich am Massaker am 7. Oktober beteiligt, hat Israel diese Organisation diskreditiert, so dass auch Deutschland seine Hilfszahlungen ausgesetzt und damit seinen Beitrag zum Verhungern in Gaza abgeliefert hat.

Humanitäre Hilfe – in Szene gesetzt

Als Frontberichterstatter präsentieren sich deutsche Journalisten bei den Hilfslieferungen aus der Luft (RTL, 9.3.24). Die Blockade Israels ist dabei kein Thema, sondern die humanitäre Hilfe des Westens, vor allem der USA, wird bildreich in Szene gesetzt. Und da macht es auch gar nichts, dass die Menge der so auf Gaza niedergeworfenen Lebensmittel kaum in der Lage ist, den Hunger zu beseitigen, und dass die abgeworfenen Güter auch noch einige Menschen das Leben kosten.

Mit Computeranimationen für eine umfassende Hilfe von See aus, kann ebenfalls die Humanität westlicher Unterstützer Israels gezeigt werden. Ins Bild gesetzt wird auch das verzögerte Ablegen eines kleinen Schiffes von Zypern aus mit geringen Mengen an Lebensmitteln, das als Pilotschiff für die Versorgung von See aus dienen soll. Man hätte genauso gut ein Ruderboot vorstellen können, um die Ernsthaftigkeit der humanitären Absichten der EU zu demonstrieren. Und da stört es dann ebenfalls überhaupt nicht, dass Hilfe von See ihre Zeit braucht und viele Menschen in Gaza diese Hilfe wohl kaum mehr erleben werden. Als ein neues Übungsfeld für die deutsche Luftwaffe ist Gaza bereits fest ins Auge gefasst, so dass man nur hoffen kann, dass die Palästinenser den Abwurf von Lebensmitteln überleben werden.

Die eingangs zitierte Klage Nicaraguas gegen Deutschland wegen Beihilfe zum Völkermord bewegt natürlich auch deutsche Journalisten. Ihre Sorge gilt dabei nicht den verhungernden Menschen, sondern dem deutschen Ansehen in der Welt (SZ, 8.3.24). So geht eben national verantwortliche Berichterstattung: Das Elend kommt vor – und das Publikum weiss genau, wo das Böse nistet, wo die humanitäre Hilfe herkommt und was aufs Konto tragischer Verwicklungen geht.

#Titelbild: Zerstörtes Gebäude im Gaza Streifen, Oktober 2023.Foto: Fars Media Corporation (CC-BY 4.0 cropped)

Quelle: untergrund-blättle.ch… vom 27. März 2024

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