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Eine Politik der Hasardeure

Eingereicht on 7. Juni 2024 – 13:33

Hans-Peter Waldrich. Ukrainekrieg: Lustig wird weiter eskaliert, die möglichen Folgen spielen keine Rolle. So werden die Menschen – nicht zuletzt in der Ukraine – einem abenteuerlichen Risiko ausgesetzt. Eine Risikoabwägung findet nicht statt. Verantwortungslosigkeit pur.

Nato-Generalsekretär Stoltenberg ruft die Mitgliedsstaaten dazu auf, Beschränkungen für den Einsatz von Waffen aufzuheben, deutsche Waffen sind nun freigegeben, Paris will Militärausbilder in die Ukraine schicken und vielleicht später Truppen. Die Ukraine selbst greift mit Drohnen russische Frühwarnsysteme an, die unerlässlich sind, damit das atomare Patt und damit die globale Sicherheit gewahrt bleiben.

Das sind nur einige der Maßnahmen, die geplant sind oder gerade durchgeführt werden. Alle wird Russland als Provokation empfinden. Und wieder taucht die immer gleiche Frage auf: Ist nicht alles und jedes erlaubt, wenn ein völkerrechtswidriger Angriff zurückgeschlagen werden soll?

Wer diese Frage lediglich mit starrem Blick auf das Völkerrecht beantwortet – und das wird vorwiegend getan – oder wer anklagend gegenüber Russland die Moral bemüht, der hat zwar auf der moralisch-rechtlichen Ebene recht, aber er verfehlt grundlegend die Realität, wie sie nun einmal ist. Und das macht die gegenwärtige Lage so gefährlich.

Europa in Flammen?

Auch wer die Atomdrohungen Russlands schlicht als Theaterdonner abtut oder wer vernünftige Vorsicht als Putin-Propaganda diffamiert – immer blendet er genau dasjenige aus, was die Menschen vor allem interessiert: nämlich die Frage, ob sie sich übermorgen in einem großen Krieg wiederfinden werden. „Europa in Flammen!“ Sofern überhaupt dann noch Schlagzeilen erscheinen würden – so etwa könnten die Zeitungen demnächst titeln.

Vergleichen wir mit der Coronazeit: Da schien es nur noch um die Gesundheit der Menschen zu gehen. Das gesamte Leben wurde umgekrempelt. Eine riesige Gefahr, so schien es, musste bekämpft werden. Die Regierung fuhr eine Angstkampagne ohnegleichen. Gegenwärtig scheint trotz kriegerischer Eskalation überhaupt keine Gefahr mehr zu existieren. Wer sich beunruhigt, ängstigt sich ganz überflüssigerweise. Dabei ist eine neue Gruppe von Querdenkern entstanden. Es sind diejenigen, die vor Eskalation warnen, also den Burgfrieden stören.

Merkwürdig nur, wer sich der neuen Querdenkerei schuldig macht: Namen wie der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzende des Nato-Militärausschusses Harald Kujat tauchen da auf oder der Ex-Brigadegeneral und militärpolitische Berater von Angela Merkel Erich   Vat, gefolgt von dem ehemalige UNO-Diplomat Michael von Schulenburg oder Günter Verheugen, der einmal Generalsekretär der FDP war und EU-Kommissar.

Natürlich sind das Leute, die schlicht eine andere Sicht auf das Problem haben und nicht zu den absolut Schlimmen gehören, wie etwa die ehemalige ARD-Moskau-Korrespondentin und Professorin Krone-Schmalz, die, wie man hört, nur Quatsch erzählen. Manchmal aber könnte, wer zuhört, auch dem Quatsch etwas abgewinnen, denn blinde Hühner finden auch mal ein Korn.

Alles dem „Schicksal“ überlassen?

Stattdessen dominieren die Hasardeure. Ein Typus also, der nur seine eigene Sicht der Dinge für real hält und, da er über die Macht verfügt, diese Brille auch nicht absetzen wird. Wikipedia definiert diesen Typus so: Ein Hasardeur ist „ein Mensch, der unkalkulierbare hohe Risiken eingeht und dabei seine Sicherheit weniger eigener Einsicht und eigenem Können als einem wohlgesinnten Schicksal überantwortet.“

Doch die Definition hat einen Mangel. Die Hasardeure des Ukrainekriegs liefern nicht nur ihre eigene Sicherheit dem Schicksal und damit dem Zufall aus, sondern auch diejenige zahlloser anderer Menschen, nicht zuletzt diejenige der Ukrainer. Durch Eskalation zündeln, ohne angeben zu können, wohin das führen könnte, – das ist tatsächlich eine Herausforderung des Schicksals und – mindestens, wenn es dann schiefgeht – nichts anders als ein Verbrechen. Man denke nur an das anschließende Elend.

Ein schreiender Kontrast

Der Kontrast ist also schreiend: Während der Coronaphase eine Besorgnis um jedes einzelne Menschenleben – gegenwärtig Gleichgültigkeit im Hinblick auf Millionen und Milliarden. Und doch gibt es eine auffallende Gemeinsamkeit: In beiden Fällen – während der Coronaphase und jetzt während des Ukrainekriegs – gab und gibt es keine rationale Risikoabwägung. Jedenfalls keine, die öffentlich bekannt ist.

Obwohl geradezu trivial, muss offenbar darauf hingewiesen werden, was gemeint ist: nämlich mit dem Begriff Risikoabwägung. Es handelt sich um den Versuch, die Kosten alternativer Handlungsweisen gegeneinander zu stellen und diejenige Vorgehensweise auszuwählen, die das geringere Risiko beinhaltet. Im Alltag tun wir das fast immer. Wirtschaftsunternehmen selbstverständlich auch. Wer es nicht tut, fährt Misserfolge ein oder geht pleite. Klug beraten ist jeder, der unter den Alternativen jenen Weg wählt, bei dem die geringsten Kosten zu erwarten sind.

Welche Folgen wird Ihrer Meinung nach eine Eskalation des Ukrainekrieges mit sich bringen?

  • Ein Dritter Weltkrieg rückt in greifbare Nähe.
    265 votes
  • Die Eskalation wird einige Anrainerstaaten mit ins Verderben führen.
    54 votes
  • Der Ukrainekrieg wird ein Stellungskrieg auf Jahre, aber regional beschränkt.
    23 votes
  • Es wird keine Eskalation geben.
    8 votes

Abstimmungen insgesamt: 350

  1. Juni 2024- 7. Juni 2024

Umfrage beendet

Wer hat je von einer solchen Abwägung gehört? Sind Abwägungen im Rahmen der Politik aus der Mode? Niemals wurden während der Coronaphase die Schäden der Maßnahmen mit den möglichen Schäden ohne Maßnahmen verglichen. Das soll erst jetzt im Nachhinein geschehen, wenn auch widerwillig und vielleicht doch nicht. Und das Zündeln an der Ukrainefront läuft zunehmend nach einem im Grunde hirnverbrannten Motto. Es lautet schlicht: Koste es, was es wolle, Augen zu und durch!

Das größte vorstellbare Risiko

Schwer zu sagen, weshalb bei einer so überaus existentiellen Frage, wie derjenigen nach Krieg und Frieden, Vernunft, Ratio, Kalkulation, Berechnung keine Rolle mehr spielen. Weshalb man sich etwas davon verspricht, Warner nach Möglichkeit mundtot zu machen. Dabei sollten sich die Verantwortlichen fragen: Ist es denn so restlos und absolut gesichert ausgeschlossen, dass es zu einem Inferno der einen oder anderen Art kommt? Wie kann es rational sein, selbst das größte überhaupt nur vorstellbare Risiko, jene Gefahr, über die hinaus keine größere Gefahr denkbar ist, nämlich den Atomkrieg, kommentarlos in Kauf zu nehmen?

Wenn aber letztlich das größte überhaupt nur vorstellbare Risiko nicht mit eherner Sicherheit ausgeschlossen werden kann, ist einer solchen Möglichkeit Gewicht zu geben. Auch ein gesamteuropäischer Krieg, und sei es auch „nur“ ein konventioneller, wäre schon schlimm genug. Wer Politik macht, muss –  ja wirklich muss! – diesen Worst Case berücksichtigen Das aber ist Hasardeuren nicht möglich. Sie setzen laut Wikipedia-Definition auf das „wohlgesinnte Schicksal“, sprich: auf den glücklichen Zufall. Ganze Bevölkerungen dem Zufall auszuliefern – was Anderes ist das als ein Verstoß gegen alle Gesetze der Menschlichkeit?

Quelle: overton-magazin.de… vom 7. Juni 2024

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