Der globale Kapitalismus im Ausnahmezustand
PROKLA-Redaktion. Die politischen Entwicklungen haben sich in den vergangenen Monaten und Jahren enorm beschleunigt. Die Ereignisse und Probleme, die tagesaktuelle Aufmerksamkeit verlangen und diskutiert werden, lösen sich in immer schnellerem Rhythmus ab: Wahlerfolg von Syriza und große Mehrheit des „OXI“, des „Nein!“ beim Referendum gegen die Austeritätspolitik in Griechenland – und dennoch Unterzeichnung eines dritten „Memorandums“ zur Fortsetzung der Umverteilung zulasten der Lohnabhängigen; die schwelende Staatskrise in Spanien; Krise des europäischen Grenzregimes durch die Ankunft von Hunderttausenden von Geflüchteten und deren Unterstützung durch die Vielen – gleichzeitig die Militarisierung der EU-Außengrenze, die Wiedereinführung von Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums und neue Einschränkungen des Asylrechts; Aufstieg des „Islamischen Staates“; Terroranschläge mit Hunderten von Toten; Bewegung gegen das neue Arbeitsgesetz und andauernder Notstandszustand in Frankreich; die breite Unterstützung für Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn; der Aufstieg der neuen Rechten und des autoritären Populismus in der EU, die Zustimmung zum „Brexit“ und die Wahl Trumps zum US-Präsidenten; Wiederaufnahme des Kriegs der türkischen Regierung gegen die Kurden; Putschversuch in der Türkei, „Gegenputsch“ der AKP-Regierung und Ausnahmezustand; blutige Kriege in der Ukraine, in Syrien, im Jemen; neue Konfrontation zwischen China bzw. Russland auf der einen Seite und dem „Westen“ auf der anderen Seite, aber auch zwischen Regionalmächten wie dem Iran und Saudi-Arabien – um nur einige Themen zu nennen, die die öffentliche Diskussion in den letzten zwei Jahren bestimmt haben.
Die kritisch-materialistische Analyse, um die wir uns in der PROKLA bemühen, kommt ins Hintertreffen, sie hinkt der schnellen Abfolge, der Verschiebung der Herausforderungen und Prioritäten hinterher. Eine solche Analyse und eine theoretisch begründete Einschätzung von Entwicklungen folgen ohnehin einem anderen Rhythmus als die durch Ereignisse, politische Handlungszwänge und den Takt der täglichen Nachrichten bestimmte, also herrschende öffentliche Meinung oder die politische Praxis der emanzipatorischen Kräfte. Für uns als Redaktion stellt sich die Frage, ob es nicht zwischen vielen dieser Vorgänge innere Zusammenhänge gibt. Damit soll nicht gesagt sein, dass es die eine, die einzige und umfassende Ursache gäbe. Ein innerer Zusammenhang kann sich aus der Gleichzeitigkeit einer Vielzahl ungleichzeitiger Praktiken, Vorgänge, Prozesse und Entscheidungen herstellen, die sich zu einer besonderen Konstellation fügen oder zu einer solchen gefügt werden. Diese ist kontingent, und doch wird sie ab einem bestimmten Zeitpunkt alternativlos und bestimmt das relevante Kräfteverhältnis, in dem die Gesellschaftsmitglieder sich positionieren und handeln müssen.
Die Zusammenhänge lassen sich auf verschiedene Weisen darstellen: Einerseits chronologisch – so folgten auf die Subprime-Hypothekenkrise in den USA die globale Finanzkrise und die große Rezession, auf diese die Krise der staatlichen Refinanzierung und die „Euro-Krise“, die Austeritätspolitik und die Kämpfe gegen die Krisenfolgen. Gleichzeitig ist klar, dass zwar die politische Bearbeitung von Krisenprozessen neue Widersprüche hervorruft, die Ursachen der multiplen Krisenprozesse jedoch nicht darauf reduziert werden können. Daher lassen sich die Zusammenhänge der vielfältigen Prozesse andererseits auch als ‘synchrone’ beschreiben: als vielfältige gesellschaftliche Widersprüche, die sich in den letzten Jahrzehnten auf der Grundlage der neoliberalen Umgestaltung aller gesellschaftlichen Bereiche entwickelt und dort zu je spezifischen Zuspitzungen geführt haben; und die daher zusammenhängen, aufeinander bezogen sind und sich wechselseitig beeinflussen. Wir versuchen hier, sowohl den synchronen als auch den diachronen Zusammenhängen nachzugehen, um uns dadurch einer Analyse der aktuellen Situation und ihrer Erklärung zu nähern. Ausgehend von einigen Krisenzusammenhängen, denen wir den ersten Teil des Textes widmen, versuchen wir im zweiten Teil eine Analyse der aktuellen Veränderungen der politischen Konstellationen. Es geht uns letztlich darum, die gegenwärtige politische Konjunktur zu analysieren, um die Grundlagen für die Entwicklung einer angemessenen Strategie der Linken zu schaffen. Dabei ist es unseres Erachtens notwendig, die Analyse der zunächst disparat erscheinenden Momente der aktuellen Situation in den größeren Zusammenhang der Analyse der Entwicklung und Krise des neoliberalen, finanzdominierten Kapitalismus einzubetten.
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Tags: Europa, Neoliberalismus, Politische Ökonomie
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