An die «linken» Verteidiger des Regimes von Assad
Farouk Mardam-Bey. Als Syrer, der sich stets als politischer Linker verstanden hat, bin ich besonders entsetzt über jene Frauen und Männer, die sich ebenfalls als Linke bezeichnen – und von daher eigentlich auf Seiten der weltweiten Kämpfe für Gerechtigkeit stehen sollten – und die jedoch offen das Assad-Regime von Vater und Sohn unterstützen und unterstützt haben, das für die syrische Katastrophe verantwortlich sind.
Nach vier Monaten intensiver Bombardierung durch die russiche Luftwaffe hat die Armee von Bashar Al-Assad zusammen mit schiitischen Milizen, die von den iranischen Mullahs von überall her mobilisiert wurden, Ost-Aleppo «befreit». Befreit wovon? Von seinen Bewohnerinnen und Bewohnern. Über 250´000 wurden zur Flucht aus ihrer eigenen Stadt gewungen, um den Massakern zu entkommen; genau wie die Bewohnerinnen und Bewohner von Zabadani und Daraya vor ihnen, und wie viele Syrerinnen und Syrer nach ihnen, sollten die gesellschafltichen und sektiererischen Säuberungen in ihrem Land weitergehen und von einer massiven medialen Kampagne der Fehlinformation gedeckt werden.
Dass in Aleppo die wohlhabenden Einwohnerinnen und Einwohner, aus allen religösen Sekten, sich darüber freuen, dass sie endlich diesen «Abschaum» – das heisst die ärmeren Schichten in Ost-Aleppo – losgeworden sind, überrascht keineswegs. Wir haben uns daran gewöhnt: die Arroganz der herrschenden Klasse ist universell.
Dass die in einer anderen Periode steckengebliebenen iranischen Mullahs das Ereignis als grossen Sieg der Gläubigen über die Umayyad- Ungläubigen feiern, dass sie verkünden, dass Aleppo einst schiitisch war und nun erneut schiitisch wird, kann man verstehen, wenn man mit ihrer Doktrin vertraut ist, die ebenso irrwitzig ist wie die ihrer sunnitischen Gegner.
Schlussendlich versichern die westlichen Politiker und Meinungsbildner der Rechten oder der radikalen Rechten Assad lautstark ihre Unterstützung zu, was durchaus seine Logik hat. Diese Leute haben für die Araber und die Muslime nichts als Verachtung übrig; sie sind nach wie vor der Auffassung, dass diese «Stämme» nur den groben Stock verstehen.
Aber wie sollte man nicht vor Wut explodieren, wenn man von Solidaritätsbotschaften von linken Frauen und Männern an Assad erfährt, die sich als links verstehen und die deshalb mit allen Kämpfen für Gerechtigkeit weltweit solidarisch sein müssten? Wie sollte man nicht ausser sich sein angesichts ihres Lobes der Unabhängigkeit, des Sekularismus, des progressiven Charakters, ja sogar des «Sozialismus» von einem gesetzlosen Clan, der vor über 45 Jahren mit einem Militärcoup die Macht ergriffen hat, und der nichts anderes will, als für immer an der Macht zu bleiben? «Assad für immer», «niemand anders als Assad», «entweder Assad oder wir brennen das Land nieder», so singen die Unterstützer von Assad. Und seine «linken» Unterstützer nicken zustimmend unter dem Vorwand, dass es keine andere Wahl gibt: entweder Assad oder der IS.
Und dies, obwohl die syrische Bevölkerung, die sich 2011 erhob, die erste war, die die dschihadistischen Gruppen aller Art vehement verurteilte, gerade den IS, die ihren Volksaufstand verpestet haben, nachdem sie aufgrund ihrer gewaltsamen Repression durch das Regime zur Militarisierung gezwungen wurden. Diese dschihadistischen Gruppen, denen die Forderungen der Freiheit und Würde des Volksaufstandes vollkommen fremd sind, haben ihre Angriffe insbesondere gegen die Lebensadern der Opposition gerichtet, sei diese nun ziviler oder militärischer Art und schlugen in den von ihnen eroberten Geeieten jede selbständige Regung in der Bevölkerung nieder. Damit haben sie der Propaganda von Assad national wie international nur Auftrieb gegeben, als sei er der wahre Verteidiger von religiösen Minderheiten.
Die gleichen Syrerinnen und Syrer, die 2011 aufstanden, haben seit jeher ihr Misstrauen gegenüber jenen ausgedrückt, die schon immer behauptet haben, in ihrem Interesse zu handeln und die ihre Unfähigkeit andauernd unter Beweis gestellt haben. Diese selbsternannten Interessenvertreter hofften auf eine westliche Militärintervention, die für die Obama-Administration offensichtlich nie in Betracht kam, da sie immer als Anhängsel der Nachbarländer (Saudi-arabien, Qatar oder der Türkei) operierte; diese selbsternannten Interessenvertreter waren nie wirklich präsent, untereinander zerstritten und unfähig zu einer kohärenten politischen Konzeption.
Weder die Einmischung der Dschihadisten noch die Unfähigkeit der selbsternannten Interessenvertreter der syrischen Revolution und kein Argument zur Rechtfertigung des Ungerechtfertigten können die zwei grundlegenden Tatsachen aus der Welt schaffen: die Syrerinnen und Syrer hatten tausend Gründe für ihren Aufstand und, zweitens, sie kämpften mit aussergewöhnlichem Mut und unter Bedingungen einer beinahe weltweiten Gleichgültigkeit gegen den grenzenlosen Terror des regierenden Clans, die imperialistischen Bestrebungen des Iran und seit September 2015 gegen die von den USA gebilligte militärische Intervention Russlands, die tausende von Zivilisten das Leben kostete.
Ist dieses «Syrien Assads» – wo Iran und Russland gemeinsam oder getrennt freie Hand haben, und dessen Zukunft nun vollständig von deren Willen abhängt – unabhängig und antiimperialistisch? Haben die linken Bewunderer von Assads Regime den unverschämten Vertrag vom 26. August 2015 gelesen, wo das Regime Russland masslose Vorrechte gewährt und vollständige und immerwährende Immunität für Schäden garantiert, die durch seine Luftwaffe verursacht werden?
Wie kommt jemand überhaupt dazu, das Regime ernsthaft als «säkular» zu beschreiben, das es von Anfang darauf angelegt hat, die Beziehungen zwischen den religiösen Gemeinschaften zu vergiften, die Alawiten und die Christen für seine Politik als Geiseln zu benutzen, das die Vergiftung der syrischen Gesellschaft durch die obskurantistischste Art des Salafismus eingeleitet und alle Arten von Dschihadisten zu seinem Nutzen manipuliert hat, nicht nur in Syrien?
Wie «progressiv» ist es, die wildeste Variante des Kapitalismus vorwärtsgetrieben zu haben, der Millionen von Menschen verarmt und an den Rand gedrängt hat, die in den Vorstädten der grossen Städte einen Kampf ums Überleben führen müssen? Diese Syrerinnen und Syrer waren die wichtigste soziale Kraft in der Revolution und sie wurden zum wichtigsten Ziel der schweren Artillerie des Regimes, den Fassbomben und der Chemiewaffen. «Legt sie bis zum letzten um», forderten die Shabbiha, die Schläger Assads, seit dem Beginn des Aufstandes, damit die neue “progressive” Bourgeoisie in aller Sicherheit den Reichtum des Landes plündern und Milliarden in den Steuerparadiesen der Welt in Sicherheit bringen kann!
Sollte obiges noch nicht ausreichen, so erinnere man sich an die «linken» Unterstützer von Bashars Vater, Hafez, anlässlich dessen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die er in aller Straflosigkeit während seiner 30-jährigen autokratischen Herrschaft beging. Zwei Orte symbolisieren diese Verbrechen: Die Stadt Hama, wo 1982 20´000, möglicherweise 30´000 Menschen massakriert wurden und das Gefängnis von Palmyra, ein Äquivalent der Vernichtungslager, wo sich die Gefängniswärter damit brüsteten, die gemarteten Gefangenen in Insekten zu verwandeln. Die selbe Unschuld wollen einige der Linken nun elenderweise auf Bashar Al-Assad ausdehnen, den Hauptschuldigen der andauernden Katastrophe, die über zehn Millionen in die Flucht getrieben hat, Hundertausende Tote, Zehntausende Gefangene, denen die Folter und summarische Hinrichtung bevorsteht, erzeugt hat.
Bis die Verantwortlichen besiegt und bestraft sind, wird das endlose Martyrium Syriens eine Ahnung über die Plagen an anderen Orten der Welt vermitteln – einer Welt, in der Syrien nicht mehr existieren wird.
Aus dem Französischen von Joey Ayoub.
Quelle: pulse… vom 3. Januar 2017. Dort finden sich auch Angaben zum Autor. Übersetzung aus dem Englischen durch Redaktion maulwuerfe.ch
Tags: Arabische Revolutionen, Imperialismus, Syrien, Widerstand
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