Französische Parlamentswahlen enthüllen den politischen Bankrott Mélenchons
Alex Lantier. Die hohe Wahlenthaltung von 51 Prozent in der ersten Runde der Parlamentswahlen und der Sieg der Partei des Präsidenten Emmanuel Macron, La République en Marche (REM), haben die Behauptung von Jean-Luc Mélenchon widerlegt, er habe eine Strategie für den Kampf gegen Macrons Agenda.
Seine gesamte Strategie beschränkte sich darauf, der Sparpolitik und militärischen Aufrüstung auf rein parlamentarischem Weg entgegenzutreten, ohne die Arbeiterklasse unabhängig von den langjährigen Verbündeten der Sozialistischen Partei (PS) für einen politischen Kampf zu mobilisieren. Sein Aufruf für eine Sechste Republik war nicht die Forderung nach einem revolutionären Kampf gegen die bestehende Fünfte Republik. Vielmehr empfahl er den Wählern, ihn zum neuen Präsidenten zu machen. Dann, nachdem er in dieser Wahl unterlegen war, sollten sie ihn zum Premierminister wählen.
Die Wähler fällten ein vernichtendes Urteil über Mélenchon. Seine Partei FI, (La France insoumise, Unbeugsames Frankreich) wird nicht die erhoffte Mehrheit erreichen, sondern nur noch eine ohnmächtige Minderheit in der 577-köpfigen Nationalversammlung bilden. Während die PS vor dem Zusammenbruch steht, wird REM wohl die stärkste Kraft sein. In einer Erklärung nach dem ersten Wahlgang zeigte sich Mélenchon auf seinem Blog zufrieden darüber, dass „die FI in Dutzenden von Wahlkreisen immer noch Kandidaten stellt.“
Die Situation bestätigt die Position der Parti de l’égalité socialiste (PES, Sozialistische Gleichheitspartei). Sie erklärte, dass Arbeiter nur auf der Grundlage einer revolutionären, internationalistischen sozialistischen Perspektive erfolgreich kämpfen können. Um diese unabhängige Perspektive zu geben, rief die PES zum aktiven Boykott der Präsidentschaftswahl zwischen Macron und der neofaschistischen Kandidatin Marine Le Pen auf.
In seiner Erklärung gesteht Mélenchon nicht ein, dass die Hoffnungen auf eine parlamentarische Opposition zu Macron, die er geweckt hat, sich als Illusion erwiesen haben. Die Schuld dafür will er auf die Massen schieben, während er gleichzeitig positiv über das politische Umfeld der PS spricht, seine eigene Person eingeschlossen, das die Arbeiter auffordert, ihren Kampf auf Parteien und Gewerkschaften zu stützen, die an die herrschende Elite gebunden sind und zahlreiche Niederlagen der Arbeiter zu verantworten haben.
Als erstes versucht er seine Rolle zu verbergen, indem er die geringe Stimmenzahl für FI damit „erklärt“, dass nicht viele sie gewählt haben. „Die hohe Wahlenthaltung zeigt, darauf bestehe ich, dass es in diesem Land keine Mehrheit dafür gibt, die bestehende Arbeitsgesetzgebung abzuschaffen und Bürgerrechte zu untergraben, auch nicht für ökologisch verantwortungslose Politik, für eine Politik zugunsten der Reichen, für alles, was das Programm des Präsidenten ausmacht. Trotzdem haben die Menschen nicht daran geglaubt, dass man etwas Anderes machen könnte, und auf eine andere Weise.“
Mélenchon sagt, er wolle die französische Bevölkerung „überzeugen“. Zu diesem Zweck behauptet er, die FI sei „eine völlig neue politische Bewegung, deren Kandidaten sich von allen anderen unterscheiden. Sie sind frei von den üblichen politischen Mauscheleien, Kombinationen und Absprachen. Die FI hat in der ersten Runde viele ganz neue Kandidaten präsentiert. Zum Lohn dafür wurde sie in ihrer wichtigen Rolle bestätigt.“
Die naheliegende Frage, weshalb die Massen nicht an die FI glaubten und welche Rolle seine eigene Politik dabei spielte, stellt Mélenchon nicht. Die starke Wahlenthaltung von Jugendlichen und Arbeitern ist ein strenges, aber unangreifbares Urteil nicht nur über Mélenchon, sondern über das ganze kleinbürgerliche politische Milieu, das sich, bevor François Hollande die Präsidentschaft innehatte und die PS massiv an Unterstützung verlor, jahrzehntelang als „äußerste Linke“ Frankreichs ausgab.
Mélenchon erhielt in den Präsidentschaftswahlen beachtliche 20 Prozent der Stimmen, weil er Trumps Bombardements in Syrien und die hohe Zahl von ertrunkenen Flüchtlingen im Mittelmeer anprangerte. Doch diesen Erklärungen, die ihm vor allem bei der Jugend und in Arbeiterbezirken schnell große Zustimmung einbrachte, folgten Mélenchons Versuche, einer direkten Konfrontation mit Macron aus dem Weg zu gehen.
Die Ereignisse haben gezeigt, dass für den Aufruf nach einem aktiven Boykott und der Mobilisierung der Arbeiter gegen Macron eine starke, objektive politische Grundlage existierte. Zwei Drittel der FI-Mitglieder, in der Mehrzahl gerade erst durch das Internet gewonnen, sprachen sich in einer Online-Abstimmung gegen Unterstützung für Macron aus. In der Stichwahl für das Amt des Präsidenten gaben 4 Millionen Wähler leere oder ungültig gemachte Stimmzettel ab, um ihre Ablehnung beider Kandidaten auszudrücken. Diese Stimmung beeinflusste sicherlich auch große Teile der Mehrheit der Bevölkerung, die in der ersten Runde der Parlamentswahlen der Wahlurne fernblieb.
Mélenchons Rolle bestand darin, einen Kampf zu verhindern, indem er immer neue Illusionen in Macron schürte, ohne ihn explizit zu unterstützten; dabei rückte er ständig weiter nach rechts. Er stellte sich zunächst gegen einen Boykott der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl, trotz des Votums der FI-Mitglieder. Er begründete dies mit dem Vorwand, die FI sei eine Bewegung, keine linke politische Partei, und sie könne daher ihrer Pro-Macron-Minderheit keine politische Linie aufzwingen.
Am 13. Mai, zum Auftakt der FI-Kampagne zu den Parlamentswahlen, bot sich Mélenchon Macron als Premierminister an, damit“ die Mäßigung eines weisen Mannes, der weiß, wo man das Glück für das Volk findet“, wie Mélenchon sich in aller Bescheidenheit selbst darstellte, Macron zur Zurückhaltung bewegt. Als Vorbild nannte er die Koalitionsregierung (1997-2002) des rechten Präsidenten Jacques Chirac und des PS-Premierministers Lionel Jospin, die ausgesprochen unbeliebt bei der Bevölkerung war.
Kein Wunder, dass durch diese Politik die Unterstützung für die FI in der Bevölkerung einbrach. Anfang Juni sagte Mélenchon der Zeitung Le Parisien, er werde Gespräche mit Macrons Justizminister François Bayrou über das von Macron vorgeschlagene Gesetz für mehr Moral in der Politik führen. Er sprach auch über seine Ängste vor sozialen Unruhen und warnte, Frankreich sei ein „Pulverfass“. Seine Lösung: Eine „neue Volksfront“ gegen Macron aus Parteien, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGOs).
Das heißt, folgt man Mélenchon, die FI soll in einer politischen Koalition von mit der PS verbundenen Parteien wie der stalinistischen Kommunistischen Partei, den Führungen verschiedener Gewerkschaften und ihren NGO-Bündnispartnern die Hauptrolle spielen. Das hat allerdings nichts mit einer „völlig neuen“ Bewegung zu tun. Vielmehr sollen Arbeiter dazu bewegt werden, die alten Kombinationen und Manöver von Kräften im Umfeld der PS zu akzeptieren, nur in neuem Gewand.
Wahlenthaltung und der Aufstieg von Macrons Partei REM sind klare Signale, dass die Massen, und insbesondere die Jugend und die Arbeiter, kein Vertrauen mehr in diese Kräfte setzen. Das ist das Ergebnis von über einem Vierteljahrhundert seit der Auflösung der Sowjetunion durch die stalinistische Bürokratie, und von 35 Jahren, seit die PS 1982 ihre „Wende zur Austerität“ vollzog. Diese gesamte Periode hindurch haben diese Organisationen den Angriffen auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse keinen Widerstand entgegengesetzt.
Nachdem viele Kämpfe gegen Fabrikschließungen, Rentenkürzungen und Angriffe auf Arbeiterrechte mit einer Niederlage endeten, obwohl breite Kreise der Bevölkerung hinter dem Kampf von Arbeitern gegen die Austeritätspolitik standen, ist es um die Glaubwürdigkeit der Gewerkschaftsbürokratien und ihren politischen Verbündeten geschehen. Der Vertrauensverlust, der mit der Präsidentschaft Hollandes einherging, und der aktuelle Einbruch der PS bei den Parlamentswahlen haben das Misstrauen der Massen noch gesteigert. Die kochende soziale Wut unter Massen von Arbeitern in Frankreich und ganz Europa kündigt revolutionäre Kämpfe an.
In dieser Situation hat Mélenchon nichts anzubieten und kann für die zweite Runde der Parlamentswahlen wie schon bei der Präsidentschaftswahl keine klare Wahlempfehlung abgeben. „In der zweiten Runde sollt ihr der Partei des Präsidenten nicht zur absoluten Machtfülle verhelfen – weder denen von der REM, die direkt dazu aufriefen, noch denen, die andere Parteizugehörigkeiten haben (PS, Republikaner…) und sich anschicken, nach der Wahl plötzlich die Seiten zu wechseln“, sagte Mélenchon.
Gleich darauf aber wiederholt er das Argument der Medien in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl, um eine Stimmabgabe für Macron zu rechtfertigen: „Sorgt dafür, dass auf keinen Fall ein Kandidat des Front National gewählt wird, denn das wäre am schlimmsten für uns… Der Front National will nur eines: Die Bevölkerung spalten und temporäre Bündnisse eingehen, damit ihr Leute wählt, die euch anschließend mit voller Härte angreifen.“
Mélenchons Aufruf – die REM, die Republikaner und die PS zu besiegen, damit Macron keine absolute Mehrheit bekommt, während man gleichzeitig keinen FN-Kandidat wählen soll – ist so bankrott wie alle anderen Vorschläge von ihm. Ein sehr hoher Stimmenanteil für FI wäre dazu nötig, die nur noch in einigen Dutzend Wahlkreisen vertreten ist. Doch Mélenchon will nicht wirklich eine Strategie formulieren, um die Wahlen zu gewinnen, sondern Macron weiterhin wider besseres Wissen als demokratische Alternative zum FN präsentieren.
Macrons erste Schritte zur Umsetzung seiner Wahlzusagen haben die Warnungen bestätigt, dass er gegenüber dem FN nicht das kleinere Übel ist. Er will den Ausnahmezustand gesetzlich festschreiben lassen und damit einen Polizeistaat in Frankreich etablieren, und ein Ermächtigungsgesetz durch das Parlament peitschen, um das französische Arbeitsrecht per Dekret verändern zu können. Der Plan dahinter ist, Vorbereitungen zu treffen für die gewaltsame Unterdrückung sozialer Opposition, wie es die PS im Zuge der Verabschiedung ihrer reaktionären Arbeitsgesetze bereits getan hat, und eine enorme Steigerung des Verteidigungshaushalts zu finanzieren, um im Kontext der Militarisierung der EU unter Führung Berlins die allgemeine Wehrpflicht wiedereinführen zu können.
Diese reaktionäre Politik hat nicht einmal den Anschein demokratischer Legitimität, sie wird von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung entschieden abgelehnt. Im Laufe der gewaltigen Konfrontation, die sich zwischen den Arbeitern und Macron anbahnt, werden die Arbeiter über die Grenzen der alten Formen sozialer Mobilisierung, in die sie das Vertrauen bereits verloren haben, hinausgehen müssen. Die Arbeiterklasse braucht ihre eigene revolutionäre Partei in Frankreich und weltweit.
Mélenchons Bankrott bezeichnet auch das Versagen des antimarxistischen Populismus, den er in seinem Buch zum Wahlkampf, Ere du peuple, darlegt. Er erklärt, dass die Zeit des Sozialismus und der Arbeiterklasse vorüber ist, dass man keinen Unterschied machen sollte zwischen einer wirklichen und einer falschen Linken (die PS), und dass seine Bürgerrevolution nicht die „alte“ internationale sozialistische Revolution ist, wie sie Lenin, Trotzki und die Bolschewistische Partei verkörperten. Er stützt sich ganz auf die postmodernen Theorien, die die Ära dominierten, als die PS die alles beherrschende Kraft in der sogenannten französischen „Linken“ war.
Der historische Vertrauensverlust und Einbruch der PS in diesem Jahr, und die gescheiterten Manöver Mélenchons, eine „Bürgerrevolution“ zu initiieren, sind deutliche Anzeichen dafür, dass die Arbeiterklasse und der Marxismus mit Macht als revolutionäre Kraft zurückkehren.
Quelle: wsws.org…. vom 17. Juni 2017 mit kleinen Änderungen durch Redaktion maulwuerfe.ch
Tags: Frankreich, Imperialismus, Neoliberalismus, Neue Rechte, Postmodernismus, Sozialdemokratie, Strategie, Widerstand
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