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Die Geschichte der nationalen Frage in Palästina

Eingereicht on 19. August 2017 – 8:16

Die Unterdrückung des palästinensischen Volkes hat mit der neuesten Provokation um die Al-Aqsa-Moschee ein neues, trauriges Kapitel erhalten. Dieser Artikel erläutert die Geschichte eines heroischen Widerstandes und die Kampfperspektiven für die Zukunft.

Simon Zamora Martin. Die Schlüssel haben sie bis heute behalten. Bis heute, auch über 69 Jahre nach der Vertreibung, der Nakhba. Nicht wenige tragen sie symbolisch um den Hals, als Zeichen des Widerstandes und als Botschaft, dass sie eines Tages in ihre Häuser zurückkehren werden. Die Rede ist von jenen fast 800.000 vertriebenen palästinensischen Geflüchteten, die infolge der Gründung des zionistischen Staates Israel am 14. Mai 1948 ihre Häuser verlassen mussten. Nakhba, das bedeutet Katastrophe auf Arabisch und vergegenwärtigt die tiefe, offene Wunde im nationalen Gedächtnis des palästinensischen Volkes. Sicherlich trug der am nächsten Tag ausgebrochene israelisch-arabische Krieg dazu bei, als der zionistische Staat, unterstützt durch die imperialistischen Mächte, es schaffen konnte, sein Gebiet um etwa 25 Prozent gegenüber dem UN-Teilungsplan zu vergrößern und sich zu konsolidieren.

Die nationale Frage in Palästina, die nicht erst seit dem 14. Mai 1948 auf der Agenda stand, bekam eine neue Dynamik, die bis heute anhält und weitere internationale Akteur*innen miteinschließt. Für die halbkolonialen Länder Ägypten, Libanon, Syrien, Irak sowie Jordanien war die Staatsgründung ebenfalls inakzeptabel und so beteiligten sie sich aus verschiedenen Gründen an diesem ersten Krieg. Ein Unternehmen, das scheitern musste, hatte der Imperialismus –besonders Großbritannien während seiner Mandatszeit – mit seiner Kolonialpolitik die Grundlagen für die Besiedlung der Zionist*innen gelegt und sich zusätzlich die strategischen Punkte in der Region vorbehalten. Im Zuge des Aufstiegs des zukünftigen Hegemons im Nahen Osten, den USA, wurde damit die künstliche Staatsgründung Israels gleichzeitig zu einem eminent wichtigen Stützpunkt des Imperialismus in einer Region, die sowohl von geopolitisch-strategischer Bedeutung als auch reich an Ressourcen ist.

Es ist kein Geheimnis, dass die Väter des Zionismus und allen voran ihr „Theoretiker“, Theodor Herzl, schon lange auf die Kolonisierung Palästinas hinarbeiteten. Kein Geheimnis, dass schon 1885 dieser Plan die Errichtung einer „jüdischen Nationalheimat“ beinhaltete. Herzl erklärte auch, dass der künftige zionistische Staat „dem imperialistischen Staat nützlich sein muss, der seine Existenz schützen wird.“ Geradezu eine Prophezeiung ob der massiven militärischen und finanziellen Unterstützung der imperialistischen Mächte. Der offen rassistische Charakter der zionistischen Ideologie zeigte sich auch darin, dass Herzl „das israelische Volk, als überlegenes und [als] moderne Fortsetzung des auserwählten Volkes“ ansah. Nicht zufällig wandte er sich wiederholt an die imperialistischen Staaten, auch um ihnen einen Kompromiss vorzuschlagen und das genaue Siedlungsgebiet abzustecken. Die Kolonisierung sollte dabei unbeachtet und wenn nötig auch gegen den Willen der einheimischen palästinensischen Bevölkerung stattfinden, da diese als minderwertig angesehen wurde. Als also am 14. Mai 1948 durch David Ben-Gurion die „Unabhängigkeit“ Israels verkündet wurde, war es nicht verwunderlich, dass über allem das Porträt Theodor Herzls thronte.

Auftakt für schmerzvolle Jahrzehnte

Schon nach dem Ersten Weltkrieg verstanden es die verschiedenen imperialistischen Mächte, zumeist kleine „unabhängige“ Staaten entstehen zu lassen, die den Verlierer*innen des Krieges zum Nachteil gereichten. Eine Reihe solcher Staaten entstand und verschwand wieder, je nach den Kräfteverhältnissen auf nationaler wie internationaler Ebene. Im ehemaligen russischen Zarenreich entstanden diese Staaten im Verbund mit den Bourgeoisien der ehemals unterdrückten Nationen. Für die Bolschewiki um Wladimir Lenin und Leo Trotzki entlarvte sich der Charakter dieser Staatenbildung ziemlich schnell, sodass Trotzki analysierte:

Um temporäre Stützpunkte zu erhalten, kreiert der Imperialismus eine Reihe von kleinen Staaten, einige von ihnen offen unterdrückt, einige andere offiziell protegiert, während sie in Wirklichkeit Vasallenstaaten bleiben – […] Estland, Lettland, Litauen, Armenien, Georgien und so weiter.

Was hier angestrebt wurde, war das Unmögliche möglich zu machen: die nationale Frage im Rahmen des Kapitalismus zu lösen. Für Lenin stellte sich dieses Axiom revolutionärer Politik schon mitten im Ersten Weltkrieg dar, als eine Reihe der halbkolonialen Staaten noch gar nicht entworfen war:

Unter dem Kapitalismus kann die nationale (und überhaupt die politische) Unterdrückung nicht beseitigt werden. Dazu ist die Aufhebung der Klassen, d.h. die Einführung des Sozialismus unerlässlich. […] Zur Beseitigung der nationalen Unterdrückung ist ein Fundament notwendig – die sozialistische Produktion – aber auf diesem Fundament bedarf es noch einer demokratischen Organisation des Staates, einer demokratischen Armee usw. Hat das Proletariat den Kapitalismus in den Sozialismus umgestaltet, so schafft es die Möglichkeit für die völlige Beseitigung der nationalen Unterdrückung; diese Möglichkeit wird „nur“ – „nur“! dann zur Wirklichkeit werden, wenn die Demokratie auf allen Gebieten vollständig durchgeführt sein wird – bis zur Festlegung der Staatsgrenzen entsprechend den „Sympathien“ der Bevölkerung, bis zur völligen Freiheit der Lostrennung einschließlich. Auf dieser Basis wird ihrerseits in der Praxis die absolute Beseitigung auch der kleinsten nationalen Reibungen, des geringsten nationalen Misstrauen erfolgen und damit die beschleunigte Annäherung und Verschmelzung der Nationen, die durch das Absterben des Staates vollendet werden wird.

Die Gründung des Staates Israel hatte einen mindestens ebenso künstlichen Charakter, wobei hier zwei Interessen symmetrisch zusammenfielen: einerseits die Notwendigkeit des Imperialismus, einen dauerhaften Stützpunkt in der Region zu haben, und andererseits der Wunsch der zionistischen Bewegung, ihren eigenen Staat in Palästina durchzusetzen. Die zionistische Bewegung, welche bereits Ende des 19. Jahrhunderts von bürgerlichen Juden*Jüdinnen in Westeuropa gegründet worden war, sah von Anfang an die Notwendigkeit, sich auf die imperialistischen Kräfte Europas zu stützen. Herzl, theoretischer Begründer des Zionismus, schrieb bereits 1896 in „Der Judenstaat“ über die Beziehungen seines „kolonialen Projektes“ in Palästina mit den imperialistischen Kräften Europas: „Für Europa dürften wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.“ Die britische Besatzungsmacht erkannte schnell die Möglichkeit, ihre Herrschaft in einer Allianz mit dem Zionismus zu stabilisieren: Bestand die Strategie des Kolonialismus doch darin, einzelne Minderheiten zu privilegieren, sie so zu starken und ergebenen Verbündeten zu machen, um die Mehrheit besser unterdrücken und ausbeuten zu können. Chaim Weizmann, langjähriger Vorsitzender der Zionistischen Weltorganisation (WZO), meinte bei einer internen Befragung über die Araber*innen in Palästina: „Die Briten haben uns gesagt, dass es dort einige Hundert Neger gibt, die keinen Wert haben.“ Während des Ersten Weltkrieges begann dann eine massive Migration westeuropäischer Juden*Jüdinnen nach Palästina. Die britische Kolonialmacht unterstützte sie beim Aufbau eines eigenen Verwaltungsapparates und der Schaffung von eigenen Milizen. Französische Kolonialarchitekten aus Algerien unterstützten sie ebenfalls. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg war diese Bewegung von der britischen Besatzungsmacht protegiert und gefördert worden.

Die grausame Ermordung von Millionen von Juden*Jüdinnen durch den Faschismus zeigte besonders in den Augen der Überlebenden, dass sie keine Zukunft mehr in Europa haben würden (zumal es auch in der siegreichen Sowjetunion erhebliche antisemitische Tendenzen gab) und sie daher nach Palästina in einen eigenen Staat auswandern müssten.

Im Unterschied zu Estland, Litauen, Armenien oder Georgien nach dem Ersten Weltkrieg war Israel von Anfang an keineswegs ein „Vasallenstaat“, sondern von so großer Bedeutung, dass die imperialistischen Mächte es bis heute mit Milliarden über Milliarden an US-Dollar finanzieren. Ein weiterer wichtiger Unterschied ist, dass die Gründung des Staates ein siedlerkolonialistisches Projekt war (vergleichbar mit den USA, Neuseeland, Australien etc.), während bei besagten Ländern die nationalen Forderungen von der Bourgeoisie für die Zeit der Staatsgründung pervertiert aufgegriffen wurden. Die imperialistischen Staaten hatten ihre Lektion jedoch gelernt: Israel musste so gut wie möglich gestützt werden, waren doch die vier erwähnten Staaten infolge revolutionärer Bewegungen von Anfang an instabil gewesen (Armenien und Georgien schlossen sich nach revolutionären Umwälzungen gar der Sowjetunion an). Ihre Mittel: das Schüren von Rassismus, um die Arbeiter*innenklasse zu spalten, gekoppelt mit großer finanzieller und militärischer Unterstützung für die zionistische Bourgeoisie.

Ein halbes Jahr nach der Staatsgründung wurden fast alle Araber*innen teilweise mit blutigen Massakern aus den Gebieten vertrieben, die die UNO Israel zugesprochen hatte und wo Juden*Jüdinnen teilweise nur eine Minderheit bildeten. Doch die Zionist*innen gaben sich nicht mit dem westlichen Teil Palästinas zufrieden und schlugen den Weg der Expansion ein. Im zweiten Nahost-Krieg 1956 führte der zionistische Staat im Verbund mit Großbritannieneinen Angriffskrieg gegen Ägypten, der auch als „Sinai-Feldzug“ bekannt ist. Das perfekte Beispiel für die Ausführungen oben, da sich die Interessen Großbritanniens und Frankreichs ergänzten: Während die imperialistischen Einsatzkräfte am 31. Oktober bei Port Said landeten, nutzte Israel die Gunst der Stunde, um in den Sinai einzumarschieren. Während es damit seine eigenen expansionistischen Interessen verfolgte, ging es den westlichen Imperialismen in ihrem Krieg gegen Ägypten darum, die Nationalisierung des Suez-Kanals (vorher kontrolliert durch ein Konsortium britisch-französischer Konzerne) unter Staatspräsident Gemal Abder Nasser wieder rückgängig zu machen. Dieser hatte vorher die palästinensischen Guerilla-Kämpfer unterstützt.

Der militärische Erfolg konnte jedoch nicht garantieren, dass die Sinai-Halbinsel israelisch wurde. Ende des Jahres mussten sich die israelischen Streitkräfte gegen die Garantie freier Schifffahrt im Golf von Aqaba aus dem Sinai zurückziehen, im März 1957 auch aus dem Gaza-Streifen, wo fortan UN-Truppen stationiert wurden.

Der Krieg hatte jedoch gezeigt, dass die imperialistischen Mächte absolut hinter dem zionistischen Staat stehen würden und dass die nationale Frage Palästinas längst einen internationalen Charakter erreicht hatte, der weit über den Nahen Osten hinausging. Das Schicksal der Palästinenser*innen war nicht nur aufgrund der vielen Geflüchteten in den arabischen Nachbarländern von identitätsstiftender Bedeutung, sondern stellte auch die Frage nach der Zukunft des damals vorherrschenden Panarabismus, der langsam, aber sicher in seinen letzten Atemzügen war.

Das zweite nationale Trauma

Die Existenz Israels alleine war damit eine Provokation für die arabischen Länder in der Region. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die Spannungen in einem Krieg entladen sollten. Vorbereitungen wurden auf beiden Seiten getroffen; am 5. Juni 1967 schließlich gelang es dem israelischen Staat, die miteinander verbündeten Staaten Ägypten, Jordanien und Syrien mehr oder weniger zu überraschen. Dabei hatten sich diese schon davor auf einen etwaigen Krieg vorbereitet, Nasser verkündete etwa kurz davor: „Unser grundlegendes Ziel ist die Vernichtung Israels. Das arabische Volk will kämpfen.“ Auch der syrische Präsident Nureddin Mustafa al-Atassi hatte schon am 22. Mai 1966 verkündet: „Wir wollen einen totalen Krieg ohne Einschränkungen, einen Krieg, der die zionistische Basis zerstören wird.“

Der „Sechs-Tage-Krieg“ oder „Juni-Krieg“ sollte letzten Endes dazu führen, dass weitere 900.000 Palästinenser*innen unter die israelische Besatzung kommen. Das Westjordanland, der Gaza-Streifen, die Golan-Höhen, wiederum die Sinai-Halbinsel sowie Ost-Jerusalem wurden aufgrund der Niederlage der arabischen Staaten besetzt. Das Ergebnis war also eine beträchtliche Expansion des zionistischen Staates, das besonders die Herzen der zionistischen Siedler*innen schneller schlagen ließ – die Idee eines „Großisrael“ (Eretz Israel) nahm weitere Gestalt an. Erst recht, da sich Israel bezüglich aller Gebiete bis auf die Sinai-Halbinsel bis heute weigert, die Gebiete wieder zurückzugeben. Die bekannte Resolution 242 des UN-Sicherheitsrates ist bis heute nichts weiter als ein Papier geblieben, was übrigens auch die nichtsnutzige Rolle der UN für die Interessen der Palästinenser*innen nochmals betont.

Diese Besatzung sollte den Grundstein für die Erweiterung der rassistischen Siedlungen werden, die einhergehen mit Vertreibung, Enteignung, Entrechtung etc. – kurz: ein Apartheidssystem etablieren, unter dem das palästinensische Volk bis heute zu leiden hat.

Während keine der umliegenden arabischen Staaten Israel bis dato anerkannt hatte und sie alle im Verbund darauf aus waren, diesen Staat zu zerstören (nicht selten mit antisemitischen Untertönen), konnten sie nach dem Juni-Krieg nicht umhin, sich einzugestehen, dass Israel unter massiver Mithilfe des Imperialismus an beträchtlicher Stärke hinzugewonnen hatte, die sie offensichtlich nicht besaßen. Die Politik der langsamen „Entspannung“ der Beziehungen begann und sollte letztlich dazu führen, dass keiner dieser Staaten heute das „Existenzrecht“ Israels in Frage stellt. Der Krieg schuf alle Voraussetzungen dafür und die nun über 50 Jahre andauernde Besatzung über die angesprochenen Gebiete ebenso, dass Israel inzwischen nur noch hinsichtlich dieser Gebiete als Besatzungsmacht angesehen wird.

Sowohl Fatah als auch Hamas haben sich heute dieser verräterisch-versöhnlerischen Position angeschlossen und fordern heute einen Staat im Rahmen der Grenzen von 1967. Mit den Jahrzehnten hat der Zionismus also Fakten geschaffen, was jedoch nichts an der Tatsache ändert, dass die Position der Anerkennung des zionistischen Staates von vorne bis hinten falsch ist.

Zum einen lässt diese Position im Dunkeln, was mit den rund sechs Millionen palästinensischen Geflüchteten passieren soll, ob für sie noch das Rückkehrrecht gilt und sie einen Anspruch auf Entschädigung haben. Zum anderen passt sich diese Position dem zionistischen Narrativ an, wonach die Juden*Jüdinnen aller Welt nur in Israel ihren „Schutz“ finden könnten … Schutz inmitten eines nach wie vor rassistischen Kolonialstaates, der es sich zugleich auch nicht nehmen lässt, die verschiedenen (auch jüdischen) Bevölkerungsgruppen (besonders hinsichtlich der Mizrachim, also der Juden*Jüdinnen, die aus dem Orient und Asien stammen) gegeneinander auszuspielen. Wozu auch? Schließlich ist es das israelische Kapital, das dort regiert und Rassismus als willkommenes Herrschaftsinstrument benutzt, um die Arbeiter*innenklasse zu spalten. So kommt es, dass Aschkenasim mehr als Drittel mehr verdienen als die Mizrachim. Oder dass 50 Prozent der äthiopischstämmigen jüdischen Frauen (Beta-Israel) keinen Schulabschluss haben (in Vergleich zu 2 Prozent aller israelischen Frauen).

Nein, ein solcher Staat hat keine Existenzberechtigung und verdient nichts weniger als zerschlagen zu werden, sodass die israelische Bourgeoisie ihres mächtigsten Unterdrückungsinstrumentariums beraubt wird.

Bis 1967 zeichnete sich der junge Staat Israel durch seinen scheinbar unaufhörlichen Vormarsch in der Region aus, der dazu führte, dass der Mythos der Unbesiegbarkeit der israelischen Armee weiter und weiter genährt wurde. Das änderte sich jedoch 1973 mit dem sog. Yom-Kippur-Krieg, der im arabischen Raum als Oktober-Krieg in die Geschichte einging. Yom Kippur ist das jüdische Versöhnungsfest, und diesen Zeitpunkt im Oktober nutzten Ägypten und Syrien, um ihr verlorenes Territorium (die Sinai-Halbinsel respektive die Golan-Höhen) wiederzuerlangen. Der Überraschungseffekt hatte zur Folge, dass die beiden arabischen Staaten zunächst Landgewinne verzeichnen konnten, bevor die israelische Armee relativ schnell an beiden Fronten – inklusive der Bombardierung Damaskus’ – zurückschlagen und sogar Geländegewinne verzeichnen konnte. Es war ein kurzer, aber erbarmungsloser Krieg, der nach nur 20 Tagen am 26. Oktober endete, als Ägypten und Israel einen Waffenstillstand schlossen, dem sich Syrien anschloss.

Aus dem Krieg mochten die arabischen Halbkolonien als moralische Sieger hervorgehen, allerdings begann nun die Zerbröckelung der anti-israelischen Front, da Ägypten nun die Seiten wechselte. Gemeinsam mit US-Präsident Jimmy Carter wurde vereinbart, dass Israel die Halbinsel etappenweise räumen musste (schon 1974 hatten sie sich auf die Vorkriegsstellungen zurückgezogen). Im Gegenzug wurde eine ägyptisch-israelischer Friedensvertrag ausgehandelt, der den ägyptischen Präsidenten Anwar Sadat am 6. Oktober 1981— also genau acht Jahre nach Beginn des Krieges — das Leben kosten sollte.

Es war das Ende der ägyptischen Opposition zu Israel. Bis heute gilt ein Vertrag, der ausschließlich von und für die beiden Kapitalseiten ausgehandelt wurde. Bis heute existiert nämlich kein kultureller Austausch zwischen den beiden Bevölkerungen; besonders unter den ägyptischen Massen ist die Ablehnung des Staates Israel nach wie vor sehr hoch. Ägypten nahm dazu ebenfalls eine noch stärkere Unterordnung zugunsten der imperialistischen Mächte in Kauf. Im Gegenzug machten diese keine Anstalten, die brutalen Militärdiktaturen erst Husni Mubaraks und heute Abdel Fatah al-Sisis mit allen erdenklichen Mitteln zu unterstützen. Die Diktatoren haben freie Hand in der bedrückenden Unterdrückung der Massen — im Gegenzug bekommen sie Waffen und Finanzmittel, damit sie die imperialistische Ordnung im Nahen Osten weiter aufrechterhalten.

Verlagerung der Front

Der Staat Israel ist nicht einmal 40 Jahre alt, und doch kommt es am 6. Juni 1982 mit der Operation „Freiheit für Galiläa” zur nächsten Aggression des Zionismus. Ziel ist dieses Mal der Libanon, wo sich der Hauptstützpunkt der „Palästinensischen Befreiungsorganisation” (PLO) befindet — wo aber auch seit sieben Jahren ein rücksichtsloser Bürger*innenkrieg herrscht. Faktoren, die die israelische Führung eiskalt miteinberechnet hatte, als sie mit 80.000 Einsatzkräften einmarschierte und schon bald Beirut belagerte. Es war während dieser zweimonatigen Belagerung und Blockade, als die christlichen Milizen der Phalange in Sabra und Schatila ein Massaker sondergleichen an den palästinensischen Männern, Frauen und Kindern verübten. Der französische Schriftsteller Jean Genet, der zu dieser Zeit in Beirut war und mit seinem Leben für die Sache des palästinensischen Volkes einstand, schilderte die Auswirkungen des grausamen Massakers in seinem Bericht „Vier Stunden in Schatila“:

Die Schlächter taten ihre Arbeit, sicherlich zahlreich und es waren Folterknechtsrotten, die Schädel öffneten, Schenkel aufschlitzten, Arme, Hände und Finger abschnitten, am Ende eines Stricks gefesselte Sterbende zu Tode schleiften, Männer und Frauen, die noch lebten, denn das Blut rann lange genug so stark aus den Körpern, daß jemand im Flur eines Hause — wer, das konnte ich nicht wissen — ein Rinnsal getrockneten Bluts hinterlassen hatte, das vom Ende des Flurs, wo die Lache war, bis zur Schwelle reichte, wo es sich im Staub verlor.

Die Massaker fanden nicht in Stille und Dunkelheit statt. Sie wurden von israelischen Leuchtraketen angestrahlt, und die israelischen Ohren hörten seit Donnerstagabend, was in Chatila geschah. Welche Fest, welche Völlereien wurden da veranstaltet, wo der Tod an den lustigen Streichen der Soldaten teilzunehmen schien, die weinselig, haßtrunken und zweifellos auch freudetrunken alles taten, um der israelischen Armee zu gefallen, die zuhörte, zuschaute, anfeuerte und rügte. Ich habe diese israelische Armee nicht beim Zuhören oder Zuschauen gesehen. Ich habe gesehen, was sie getan hat.

Die Phalange war mit der PLO verfeindet und der neugewählte Präsident des Libanon, Baschir Gemayel von den christlichen Forces Libanaises, wurde zuvor durch ein Bombenattentat ermordet. Dieses Massaker, an dem Israel mindestens mitverantwortlich ist, da es die Phalange-Milizen protegierte, rief auch Entsetzen und Proteste in Israel selbst hervor, sodass der damalige Verteidigungsminister Ariel Sharon zurücktreten musste.

Rund 3500 Menschen verloren in diesem grausamen Massaker ihr Leben, zusätzlich kamen die über 10.000 Toten in den scheinbar endlosen Bombardements. Erst 1985 zog sich Israel formell aus dem Libanon zurück, richtete allerdings im Süden mit ihrer Proxy-Armee SLN eine Pufferzone ein, aus der sie sich sogar erst ab dem 24. Mai 2000 zurückzogen — natürlich nicht ohne weitere militärische Aggressionen im Laufe dieser Zeit, so z.B. 1993 und 1996 mit den Operationen „Abrechnung” bzw. „Früchte des Zorns”. Das erklärte Anfangsziel, die PLO zu zerschlagen, kam dennoch bei weitem nicht zustande, auch wenn die PLO infolge dessen ihre Basis nach Tunis verlegte.

Mit dem ersten Libanon-Krieg erwuchs dem zionistischen Staat ein neuer Feind hervor: die Hisbollah, jene schiitische Miliz, die bis heute von Syrien und dem Iran unterstützt wird. Da das syrische Regime schon unter Hafez al-Assad, dem Vater des heutigen Präsidenten Baschar al-Assad, den Norden Libanons bis 2005 besetzt hielt, hatte die Hisbollah günstige Bedingungen, unter denen sie aufsteigen konnte. Ein sehr wertvolles Verhältnis, das vice versa gilt, beteiligt sich die Hisbollah doch seit Jahren mit mehreren tausend Kämpfern im Syrien-Krieg. Diese Erfahrungen plus die militärischen Erfolge der Pro-Assad-Front sind es, welche aus der Hisbollah schon längst keine bloße Miliz machen, sondern eine hochprofessionalisierte Armee, die Kampferfahrungen in ländlichen und urbanen Gegenden besitzt.

Die erste Intifada

Die erste Intifada war ein beispielhafter Aufstand, der Ende 1987 begann und auf viele klassische Methoden der revolutionären Arbeiter*innenbewegung zurückgriff, kombiniert mit den speziellen Faktoren des antikolonialen Kampfes. Im Laufe dieser Zeit fanden nicht nur Streiks und Massendemonstrationen statt, sondern auch eine breite Mobilisierung der Basis, die sich in diversen Komitees der Studierenden, Frauen oder den Angestellten des öffentlichen Sektors manifestierte. Die harsche israelische Reaktion brachte es etwa mit sich, dass sie auch Schulen und Universitäten schließen ließ, was wiederum nur dazu führte, dass der Unterricht nun selbstverwaltet stattfand und der Austausch unter den Schüler*innen und Studierenden größer wurde. Keinerlei Mittel waren dem Besatzungsstaat fremd, um den heroischen Aufstand niederzuschlagen, auch nicht, auf Demonstrierende mit scharfem Schusswaffengebrauch zu antworten.

Obwohl es neben den militanten Massenaktionen auch gewaltfreie Akte des zivilen Ungehorsams gab, scheute sich die Besatzung nicht, mit allen erdenklichen Mitteln der Repression auch diese niederzuschlagen. Als Folge der unkontrollierten Mobilisierung der Massen wurden die Komitees verboten und die Teilnahme an ihnen unter Strafe gestellt, was nochmals zeigte, dass der zionistische Staat eine kompromisslose Linie während der Intifada fahren würde und zu keinerlei Zugeständnissen bereit war.

Die erste Intifada, die bis 1993 andauern sollte, bleibt für das palästinensische Volk von großer Bedeutung und gibt eine Antizipation, wie künftige Proteste aussehen könnten. Gleichwohl erwuchsen in dieser Zeit zwei negative Ausflüsse: zum einen die „Islamische Widerstandsbewegung” (arabisch abgekürzt) Hamas, eine neue reaktionäre Kraft, die es jedoch schaffte, besonders hinsichtlich des Aufgreifens der sozialen Frage eine Verankerung unter den Massen zu finden und somit zur zweiten Kraft unter den politischen Organisationen werden. Das war der eine negative Ausfluss, der zweite jedoch sollte viel schwerwiegender werden …

Der große Verrat: der Oslo-Prozess

Die Vorverhandlungen des Oslo-Prozesses oder des „Friedensprozesses” begannen schon 1991, jedoch gelang der erste „Durchbruch” erst 1993, indem sich Israel und die PLO als Repräsentantin des palästinensischen Volkes gegenseitig anerkannten. Der PLO-Anführer Yassir Arafat erklärte dem israelischen Ministerpräsidenten Yitzak Rabin:

Die PLO erkennt das Recht des Staates Israel auf Existenz in Frieden und Sicherheit an.

Im Gegenzug wurde anerkannt, dass die PLO die „Vertretung des palästinensischen Volkes” sei und mit ihr „Verhandlungen im Rahmen Nahost-Friedensprozesses” aufgenommen werden. Auf der einen Seite ein schwerer historischer Fehler, ein Dammbruch, eine unvergleichliche Zuwendung – auf der anderen Seite: eine Banalität.

Damit begann also die Beschleunigung des Ausverkaufs Palästinas, da in den nächsten Jahren Arafat und die PLO in allen erdenklichen Punkten der israelischen Seite entgegenkommen würde. Die Siedlungen wurden weiter ausgebaut, und der Traum der neu eingerichteten Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), einen unabhängigen Staat Palästina in den Grenzen von 1967 zu gründen, wurde faktisch zunichtegemacht, indem das palästinensische Land durch den Ausbau des Apartheidsystems zersplittert wurde. Die PA kontrolliert heute daher lediglich 18% der Westbank, zersplittert in 200 Inseln inmitten der Besatzung. Zusätzlich dazu wurde 2002 mit dem Bau einer Mauer begonnen, welche die Palästinenser*innen von den Ressourcen und der Infrastruktur abschneidet.

Doch nicht nur das: Infolge der Aufrechterhaltung des lächerlich-karikierten „Friedensprozesses” nahm die PLO endgültig die Rolle des Kompradoren ein: Im Gegenzug für finanzielle Leistungen aus Israel, den USA und der EU nahm sie die Rolle eines konterrevolutionären Agenten ein, der die Massen in Schach halten und jegliche unabhängige Mobilisierung der Massen verhindern soll. Müßig zu erwähnen, dass die ständigen Aufrufe zur Gewaltlosigkeit ein wichtiger Teil dieser konterrevolutionären Strategie sind. Der Prozess, der 1991 begann und nun ein Jahrzehnt angedauert hatte, führte nicht etwa zu einem unabhängigen palästinensischen Nationalstaat, sondern im Gegenteil dazu, dass im gleichen Zeitraum die Zahl der zionistischen Siedlungen sich verdoppelte (!). Palästina wurde heute nicht mehr existieren, wäre der schamlose Ausverkauf so weitergegangen — bis zum dem Punkt, als die Situation in Palästina zum zweiten Mal explodierte.

Die zweite Intifada

Wer weiß, ob Ariel Sharon einen solchen Besuch inmitten dieser hitzigen Lage um die Al-Aqsa-Moschee heute nochmals machen würde? Die sozialen Ursachen liegen natürlich tiefer als der Besuch dieses reaktionären Massenmörders, aber es kann durchaus gesagt werden, dass der provokative Besuch Sharons der Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen brachte. Es begann die zweite Intifada, oder infolge des Besuches auch Al-Aqsa-Intifada. Ein gewaltiges Fanal, das am 29. September 2000, einen Tag nach dem Besuch Sharons, in der Jerusalemer Altstadt begann und sich rasend schnell auf das Westjordanland und den Gaza-Streifen ausweitete. Die Reaktion der israelischen Besatzungsmacht waren scharfe Schüsse, noch mehr Repression sowie die Militäroperation „Schutzschild”. Die Operation „Schutzschild” zeigt speziell, wie selbst der Oslo-Prozess ständig von Israel missachtet wird und nur solange als Referenz dient, sofern die eigenen Interessen davon gedeckt sind. Im Zuge dieser Operation wurden (wieder einmal) völkerrechtswidrig die autonomen Städte im Westjordanland durch das Militär besetzt, ohne dass die „internationale Werte- und Staatengemeinschaft” irgendwelche Konsequenzen gezogen hätte. Ganz im Gegenteil: Israel genießt in diesem verabscheuungswürdigen Konzert der Mächtigen nicht nur absolute Straflosigkeit, sondern eine Art Blankoscheck, den es regelmäßig nutzt, um die palästinensischen Gebiete (insbesondere den Gaza-Streifen) anzugreifen.

Die Unterdrückung des Aufstandes verschärfte sich ferner auch auf die israelisch-arabischen Staatsbürger*innen, von denen zwölf Menschen im Rahmen einer Solidaritätskundgebung getötet wurden. In ihrer Mehrheit verweigerten sie sich auch der Wahl, da sie in der Folgezeit noch mehr schikaniert und rassistisch angegangen wurden. Das Ergebnis war das vorläufige Aufgehen des mörderischen Kalküls (der Besuch war Teil des Wahlkampfes) von Ariel Sharon, der die Wahlen am 7. Februar 2001 gewann und dabei vollmundig ankündigte, innerhalb von 100 Tagen die Intifada zu besiegen. Eine Strategie, die gnadenlos scheiterte.

Die Al-Aqsa-Intifada hielt bis Anfang 2005 an, hatte aber Auswirkungen auf die folgenden Jahre. Besonders 2006 im Gaza-Streifen, als Israel auf die Gefangennahme eines Soldaten mit weiteren Militäroperationen reagierte und so ingesamt die Zahl der Toten in den Militäroperationen auf über 900 (die allermeisten davon Palästinenser*innen) steigerte. Die Zweite Intifada war die Fortsetzung des Widerstandes mit anderen Mitteln, die im Vergleich zur Ersten Intifada auch isolierter waren, gleichwohl es eine Massenbasis für die Aktionen gab. Zur Zersplitterung der Massenproteste trug auch die mörderische Politik der israelischen Einsatzkräfte bei, die selbst mit Scharfschützen gegen die Demonstrierenden vorgingen und die Bewegungsfreiheit immer mehr einschränkten. Die folgenden Selbstmordattentate waren das verzweifelte Ergebnis einer Politik, die jede palästinensische Gemeinde in eine gesperrte Zone verwandelte. Aufgrund dieser Politik Ariel Sharons, die nur darauf abzielte, die Palästinenser*innen zu vernichten, fand eine entgegengesetzte Entwicklung statt: Während immer weniger Palästinenser*innen im April 2001 den Oslo-Prozess unterstützten (40 Prozent), stieg parallel dazu die Unterstützung der Selbstmordattentate auf 74 Prozent.

Nachdem der „Friedensprozess” endgültig torpediert worden war, kristallisierte sich am Ende der Zweiten Intifada die neue Ordnung im Nahen Osten heraus, die in weiteren Eskalationen Israel bestehen sollte und vor allem den nördlichen Nachbarn Libanon zum Ziel haben sollte.

Ein Jahr nach der unterzeichneten Waffenruhe durch Ariel Sharon und Mahmud Abbas, die die Al-Aqsa-Intifada beendete, begann der Krieg Israels gegen den Libanon. Dieser „33-Tage-Krieg”, wie er auch genannt wird, sollte als der Durchbruch der Hisbollah in die Geschichte eingehen und den Weg für ihren Aufstieg von der Miliz zu einer autonomen Armee bereiten, der sich bis heute fortsetzt bzw. gar seinen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. Während sich die libanesische Armee auf eine unzureichende Luftabwehr gegen die gnadenlosen israelischen Attacken beschränkte, war es die Hisbollah, welche die Avantgarde des Widerstandes bildete und dabei auch andere Sektoren aus dem nationalistischen oder kommunistischen Sektor mobilisieren konnte. Ihr Kämpfer waren es, welche zum ersten Mal eine Bodenoffensive der israelischen Armee zurückschlagen konnten und mit ihren Raketenangriffen dafür sorgten, dass eine halbe Million Menschen aus dem Norden in den Süden Israels flüchteten.

Israel nahm die Entführung zwei seiner Soldaten als Anlass, um einen umfassenden Angriff zu starten und einen weiteren Krieg im Nahen Osten zu eskalieren. Nichts weiter als ein Vorwand, sagte doch selbst der israelische stellvertretende Botschafter in Deutschland, Ilan Mor, dass Israel den Angriff auch ohne die Entführung der beiden Soldaten gestartet hätte. Das Ziel, die Hisbollah derart zu schwächen, dass sie keine „Bedrohung” mehr wäre, wurde jedoch spektakulär verfehlt. Trotz der Passivität der libanesischen Armee, trotz der abermaligen Unterstützung der imperialistischen Mächte gelang es nicht, den Widerstand zu brechen. Trotz der 1400 Toten und der massiven Zerstörungen in Beirut ging die Hisbollah als moralischer Sieger dieses Krieges hervor — während israelische Soldat*innen nach ihrer Rückkehr erschöpft und traumatisiert ihre Rüstung von sich warfen.

Der enorme Prestigeverlust für Israel führte jedoch dazu, dass sie sich seitdem gen Süden hinwendeten und immer wieder den Gaza-Streifen unter Beschuss nahmen. Nicht nur führten sie eine allumfassende Blockade durch, die Gaza in ein Freiluftgefängnis verwandeln sollte, sondern beschossen ab Ende 2008 den Gaza-Streifen ohne Rücksicht auf Verluste. In einer Erklärung Anfang 2009 versuchten wir die dramatische Lage zu beschreiben:

Der Gazastreifen wird durch eine unbarmherzige wirtschaftliche, politische und kulturelle Blockade von der Welt getrennt. Anderthalb Millionen Einwohner sind Gefangene der israelischen Armee. Dabei wird ihnen alles vorenthalten: Lebensmittel, Treibstoff, Strom, Arzneimittel, Schulmaterialien…. Die Bevölkerung, die seit 60 Jahren unter dem Druck des barbarischen kolonialen Jochs lebt, erleidet heute eine grausame kollektive „Strafe“, weil sie bei den demokratischen Wahlen für Hamas „falsch“ gestimmt haben soll. Heute verfolgt die „Operation gegossenes Blei“ die komplette Zerstörung Palästinas und insbesondere von Gaza. Die Palästinenser im Gazastreifen erleiden einen langsamen Tod. Ca. 80% der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, und die Arbeitslosigkeit beträgt 65%. Das pro Kopf Einkommen beträgt 443 Euro jährlich, d.h., 1,36 Euro am Tag. 60% der Kinder leiden an Unterernährung. Die Bewegungsfreiheit zwischen dem Gazastreifen, Westjordanland, Jerusalem und der restlichen Welt ist blockiert.

In kleinerem Ausmaß im Vergleich zu den Mitteln der Hisbollah nahm nun die Hamas die Führung des Widerstands an. In unregelmäßigem Abstand (wie etwa 2012 und 2014) bombardiert Israel den Gaza-Streifen und sorgt für unzählige Tote. Mit ihren Streubomben sorgen sie zusätzlich dafür, dass auch Zivilist*innen nicht von den Angriffen verschont werden. Das gleiche Schema, das angewendet wird, um die Hamas (die trotz ihres reaktionären Programms Teil des Widerstands ist) zu zerschlagen und das Leben der Bevölkerung unmöglich zu machen. Und obgleich die Verluste schrecklich waren, konnte beides bis heute nicht erreicht werden. Die Führung der Hamas im Gaza-Streifen besteht auch weiterhin und das, obwohl sich wichtige Verbündete von ihnen (Syrien, Iran, Hisbollah) aufgrund ihrer Stellung zum Syrien-Krieg abgewendet haben, wo sie Partei für die Rebellen der FSA ergriffen. Ihre Führung ist unbestritten, allerdings führte ihre Anpassungspolitik an die ausländischen Kapitalfraktionen im arabischen Raum letztlich dazu, dass sie derzeit abhängig ist von der Unterstützung der Türkei und Katars (wo sie auch einen Stützpunkt haben).

Die Rolle der Hamas verdient hier näher beschrieben zu werden, und zwar besonders im Kontext der Herrschaftszeit des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi von der Muslimbruderschaft. Der Beginn des Arabischen Frühling bereitete vor allem dem zionistischen Staat große Sorgen, da er am meisten an der Aufrechterhaltung des status quo interessiert war. Der gestürzte Diktator Husni Mubarak war ein treuer Lakai des Imperialismus und nutzte immer wieder seine Stellung als Präsident des bevölkerungsreichsten Landes in der Region, um bei Konflikten zwischen der israelischen und palästinensischen Führung zu „vermitteln”, d.h. die palästinensischen Interessen unter die israelischen unterzuordnen. Mit seinem Sturz begann eine neue Ära, da sich nun die Muslimbruderschaft durchsetzte, die mithin die gleichen ideologisch-programmatischen Wurzeln wie die Hamas hat. Was jedoch in der Amtszeit Mursis zu beobachten war, war der Beweis, dass sich bürgerliche Führungen in halbkolonialen Ländern immer unter die Interessen des Imperialismus stellen werden. Denn mit Beginn der Amtszeit begann nicht etwa eine goldene Ära im Verhältnis zwischen Ägypten und Palästina, sondern das Balancieren zwischen den Interessen des Imperialismus in der Region und den bürgerlich-reaktionären Führungen des unterdrückten palästinensischen Volkes. So wurde z.B. die Grenze zwischen dem Gaza-Streifen und Ägypten nicht vollends, sondern nur kontrolliert geöffnet. Zur Analyse seines Regimes schrieben wir während seiner Amtszeit und zu Zeit des israelischen Angriffs auf Gaza Ende November 2012:

Ägypten möchte die israelischen Angriffe in gewisse Schranken weisen, dabei jedoch die essentiellen Elemente der Pakte und Verträge mit Israel und den USA respektieren, die von seinen Vorgängern vereinbart wurden. Aber Mursi befindet sich in einer anderen Situation als letztere: Er muss nach dem revolutionären Sturz Mubaraks die Mobilisierung der Massen umlenken und die Basis für ein neues Regime schaffen. Dafür muss er seine soziale Basis im Blick behalten, die Israel feindlich gesinnt ist und mit den PalästinenserInnen sympathisiert. Mursi versucht, ein delikates Gleichgewicht zu erhalten, um nicht als pro-israelisch zu gelten, aber dennoch die Sicherheitsverpflichtungen gegenüber Israel und den USA (von denen er eine hohe Summe militärischer Hilfen und die Unterstützung in Bezug auf IWF-Kredite erhält) zu respektieren. So wurden bis jetzt, und trotz der Gesten (wie der Entsendung des Außenministers nach Gaza oder der Empfang des Hamas-Anführers Khaled Mashaal und des Anführers des Islamischen Djihads, Abdullah Shaleh, in Kairo), gerade einmal einige Grenzübergänge nach Gaza geöffnet: Seine Politik ist es, die PalästinenserInnen zwar in halber Erstickung zu belassen, sich aber trotzdem als Vermittler zu präsentieren, um sie so als Unterpfand in der Verhandlung mit Israel und dem Imperialismus benutzen zu können. Dies wurde durch die entscheidende Rolle in der Verhandlung des Waffenstillstandes zusammen mit der Regierung der Vereinigten Staaten bewiesen.

Nicht im Pakt mit den ausländischen Bourgeoisien, sondern im Verbund mit den ausgebeuteten und unterdrückten Massen in der Region, die eben von den nationalen Führungen mithilfe des Imperialismus unter ein unerträgliches Joch gezwungen werden, kann der Kampf gegen den Zionismus auf eine breitere Basis gestellt werden und so garantieren, dass der Imperialismus durch revolutionäre Aufstände aus der Region geworfen wird. Das ist auch der Grund, warum wir eigenständige Organisationen der Ausgebeuteten und Unterdrückten aufbauen müssen und warum wir auf gar keinen Fall eine Politik der Unterordnung unter die bürgerlichen Führungen oder ihre pro-imperialistischen Agenten machen dürfen.

Es erschließt sich fast von selbst, dass die tatkräftige Unterstützung für die Befreiung des palästinensischen Volkes auch in den imperialistischen Zentren geschehen muss. Eine solche Solidarität mit dem palästinensischen Kampf schließt ein, dass der Kampf gegen die jeweilige imperialistische Bourgeoisie aufgenommen und mit dem Ziel der Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates geführt werden muss. Denn: „Wir wären sehr schlechte Revolutionäre, wenn wir es nicht verstünden, im großen Befreiungskampf des Proletariats für den Sozialismus jede Volksbewegung gegen die einzelnen Bedrängnisse des Imperialismus zur Verschärfung und Ausweitung der Krise auszunutzen“ (Lenin). Der antiimperialistische Kampf gegen Washington, Berlin oder Paris kann nur erfolgreich werden, wenn er die Arbeiter*innenklasse zum Mittelpunkt der revolutionären Politik macht.

Kurz: Wer eine solidarische Position zum palästinensischen Befreiungskampf einnehmen möchte, muss auch eine unversöhnliche Position gegenüber den imperialistischen Staaten haben.

Heute nicht, aber morgen

Die koloniale Welt ist eine manichäische Welt. Dem Kolonialherren genügt es nicht, den Lebensraum des Kolonisierten physisch, das heißt mit Hilfe seiner Polizei und seiner Gendarmerie, einzuschränken. Wie um den totalitären Charakter der kolonialen Ausbeutung zu illustrieren, macht der Kolonialherr aus dem Kolonisierten ein Art Quintessenz des Bösen. Die kolonisierte Gesellschaft wird nicht nur als eine Gesellschaft ohne Werte beschrieben. Es genügt dem Kolonialherrn nicht, zu behaupten, die Werte hätten die kolonisierte Welt verlassen oder, besser, es habe sie dort niemals gegeben. Der Eingeborene, heißt es, ist für die Ethik unerreichbar, ist Abwesenheit von Werten, aber auch Negation der Werte. Er ist, sagen wir es offen, der Feind der Werte. Insofern ist er das absolute Übel: ein zersetzendes Element, das alles, was mit ihm in Berührung kommt, zerstört, alles, was mit Ästhetik oder Moral zu tun hat, deformiert und verunstaltet, ein Hort unheilvoller Kräfte, ein unbewußtes und nicht faßbares Instrument blinder Gewalten. (Frantz Fanon)

Mit der Zeit scheint es, als wäre das palästinensische Volk immer mehr alleine gelassen worden. Nicht nur durch den pro-imperialistischen Schwenk verschiedener arabischer Staaten, sondern vor allem aufgrund der Passivität der israelischen und internationalen Linken. Währenddessen hält die imperialistische Unterstützung für den Staat Israel unvermindert an oder wurde gar verstärkt. Schon lange ist auch Deutschland ein sehr wichtiger „Partner” des zionistischen Staates. Während die Bundesregierung die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson erhob, ging die pro-palästinensische Solidarität der Linken in Deutschland zurück. Dabei wäre es gerade in den imperialistischen Zentren von immenser Bedeutung, gegen den jeweiligen Staat zu kämpfen und z.B. für die sofortigen Waffenexporte einzutreten.

Währenddessen verschärfen sich die Angriffe des Zionismus dahingehend, dass selbst die Religionsfreiheit angegriffen wird und Orte der nationalen Identität, wie eben die Al-Aqsa Moschee, angegriffen werden. Nicht nur aufgrund des Rechtsrucks in der israelischen Regierung hat sich die Zersplitterung der palästinensischen Bevölkerung durch den den forcierten Siedlungsbau weiter verstärkt. Immer mehr rassistische Stimmen kommen ungehindert an die Öffentlichkeit, um die vollkommene Vertreibung der Palästinenser*innen zu fordern. Dahingehend geht auch die Beschreibung Frantz Fanons, wonach der palästinensische Widerstand nicht nur dämonisiert, sondern der Wille endgültig gebrochen werden soll.

Vielleicht ist die Lage des palästinensischen Volkes so schlecht wie noch nie seit der zionistischen Besatzung. Der israelische Staat ist so übermächtig wie seit jeher und auch die Regierung um Benjamin Netanyahu vollzog simultan zur internationalen Situation einen Rechtsruck, der sogar dazu führte, dass Siedlungen in diesem Jahr auch von offiziell-staatlicher Seite gebaut wurden. Die palästinensische Arbeiter*innenklasse ist so zersplittert wie noch nie und ein Großteil von ihnen wird als billige Arbeitskraft in Israel als Wanderarbeiter*innen unvorstellbar ausgebeutet. Gleichzeit vermag die israelische Arbeiter*innenklasse bis heute nicht, mit dem Zionismus zu brechen und eine internationalistische Perspektive aufzuwerfen, die so dringend von den israelischen Linken propagiert werden müsste. Fast sieben Jahrzehnte der Besatzung und Unterdrückung scheinen nicht einen Riss, sondern einen unüberbrückbaren Graben geschaffen zu haben, der auch dazu führen wird, dass

[d]ie nationalen Antipathien werden nicht so rasch verschwinden [werden]; der Haß – der durchaus berechtigte Haß – der unterdrückten Nation gegen die unterdrückende Nation wird noch eine Zeitlang weiterbestehen; er wird erst nach dem Sieg des Sozialismus und nach der endgültigen Herstellung völlig demokratischer Beziehungen zwischen den Nationen verschwinden. Wenn wir dem Sozialismus treu bleiben wollen, so müssen wir schon jetzt für die internationalistische Erziehung der Massen Sorge tragen, die bei den unterdrückenden Nationen unmöglich ist ohne die Propagierung der Freiheit der Lostrennung für die unterdrückten Nationen. (Lenin)

Doch keine Herausforderung, die zu groß wäre. Der revolutionäre Aufbruch der Massen, die im Arabischen Frühling zum Leben erweckt wurden, ist kein Jahrzehnt alt, obwohl er sich durch die konterrevolutionären Prozesse in einen eiskalten Winter verwandelt hat. Doch es mögen noch so viele Diktatoren kommen, den nächsten Aufstand werden sie nicht verhindern können. Auf dem Weg dorthin gilt es die revolutionäre Strategie zu entwickeln, die den Weg zur sozialistischen Revolution zeichnet. Das Recht der Palästinenser*innen auf Selbstbestimmung ist die Voraussetzung, von der ausgegangen werden muss, das nur durchgesetzt werden kann, wenn der israelische Staat zerschlagen wird und durch eine geeinte proletarische Räterepublik ersetzt wird. Die historischen Lehren haben gezeigt, dass in diesem Prozess in internationaler Hinsicht der vollständige Bruch mit dem Imperialismus eine weitere unabdingbare Voraussetzung ist. Erst dann wird ein befreites Palästina im Rahmen einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens möglich sein, indem Jüd*innen und Palästinenser*innen gleichberechtigt leben können.

Erst dann wird es möglich, dass die Schlüssel, die heute noch um den Hals hängen und sorgfältig aufbewahrt werden, die Türen öffnen, die heute noch von der zionistischen Barbarei verschlossen sind. Wir haben aber keinen Zweifel, dass wir eines Tages die Türen erobern und gemeinsam durchschreiten werden.

Quelle:  klassegegenklasse.org.. vom 19. August 2017

 

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