Bundestagswahl: Wie weiter?
Kristof Sebastian Roloff. Deutschland erlebt ein politisches Erdbeben. Die nächsten Jahre werden durch eine verstärkte Offensive gegen die Lohnabhängigen gekennzeichnet sein.
Gleichzeitig wurde aber auch der herrschenden Klasse im sonst stabil erscheinenden Zentrum Europas ein empfindlicher Schlag versetzt.
Das zentrale Ergebnis der Bundestagswahl ist eine massive Niederlage der Regierungsparteien und eine starke Erschütterung der deutschen Regierungsstabilität. Die SPD flüchtet in die Opposition, um nicht ihre weitgehende Vernichtung zu riskieren, und CDU/CSU werden sich auf eine wacklige Koalition stützen müssen. Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde zwar nicht besiegt, aber empfindlich getroffen. Damit ist auch die Grundlage für die Dominanz des deutschen Kapitalismus in Europa schwer erschüttert. Der Eindruck eines wirtschaftlich und politisch stabilen Deutschlands hat damit tiefe Risse bekommen.
Laut vorläufigem Endergebnis erhalten CDU und CSU mit 33% ihr schlechtestes Ergebnis nach Ausrufung der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1949. Auch die SPD erhält mit 20,5% ihr schlechtestes Ergebnis seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die 2013 an der 5%-Hürde gescheitere FDP zieht erneut mit einem zweistelligen Ergebnis von 10,7% in den Bundestag ein und die rechte AfD stellt mit 12,6% künftig die drittstärkste Fraktion. DIE LINKE kann sich leicht auf 9,2% steigern. Die Beteiligung der über 61,6 Millionen wahlberechtigten Menschen in Deutschland lag bei 76,2% gegenüber von 71,5% im Jahr 2013.
Über 25 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur BRD offenbart sich die ganze Unvollkommenheit der sogenannten deutschen Wiedervereinigung. Die Stimmenergebnisse in Ost- und Westdeutschland unterscheiden sich massiv, ebenso wie die Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den 1990ern konnte die damalige PDS in Ostdeutschland, die 2007 mit der westdeutschen WASG zur neuen Partei DIE LINKE fusionierte, und zeitweilig auch die SPD wegen des sozialen Ausverkaufs in den neuen Bundesländern große Teile der ArbeiterInnenklasse mobilisieren. Jetzt sind im Bundesland Sachsen die rechten Parteien CDU, FDP, AfD und NPD mit insgesamt 63,2% der Wählerstimmen etwa zweieinhalb mal so stark wie die beiden traditionellen Arbeiterparteien, DIE LINKE und SPD. Hier wurde die AfD sogar mit knappen Vorsprung vor der CDU zur stärksten Kraft. In Ostdeutschland erlangt die AfD einen durchschnittlichen Stimmenanteil von 21,5% und wächst zu einer Massenpartei.
Die rechtsliberale FDP wurde von der herrschenden Klasse als Puffer gegen die AfD wiederbelebt. 1,6 Millionen ehemalige CDU-Wähler bilden die größte Fraktion innerhalb ihrer Wählerschaft. Ihr Parteichef und zukünftiger Fraktionsvorsitzende Christian Lindner kündigte in der Bundespressekonferenz einen harten Bruch mit dem „sozialdemokratischen Generalkonsens“ an, der seiner Ansicht nach zwischen Unionsparteien, SPD und GRÜNEN existiert. Die beiden grünen Parteivorsitzenden Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckhardt haben ihre Partei in den letzten Wochen auf eine Regierungskoalition mit der CDU eingeschworen, getrieben von der Logik, die Regierungsfähigkeit in der Bundesrepublik zu garantieren. Das letzte Wort über eine Regierungskoalition mit CDU/CSU und FDP solle allerdings die Parteibasis haben.
Status Quo in Deutschland
Deutschland gehört zu den reichsten Industrienationen der Welt und ist in Europa der wirtschaftlich und politisch dominierende Akteur. Aber diese Vormachtstellung wurde auf Kosten der Arbeiterklasse in Deutschland und Europa aufgebaut. Im Gegensatz zu anderen Ländern wurden in Deutschland vergleichsweise früh harte neoliberale Konterreformen zur Erhöhung der Sparquoten eingeführt: „Wir haben den besten Niedriglohnsektor aufgebaut, den es in Europa gibt“, prahlte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) 2005 über die eingeführte Agenda2010, die von Angela Merkel bis heute fortgesetzt wird. Dadurch konnten deutsche Banken und Konzerne ihre Profite auch nach Ausbruch der kapitalistischen Krise bisher verhältnismäßig stabilisieren.
Während die Profiteure eifrig den „Wirtschaftsstandort Deutschland“ und Angela Merkels Krisenpolitik lobpreisen, sieht die Lebensrealität für Millionen Menschen in Deutschland völlig anders aus. Immer mehr Arbeitnehmer können ihr Leben inzwischen nur mit mehreren Jobs gleichzeitig finanzieren. Über 4,6 Millionen Menschen leben ausschließlich von Minijobs und weitere 1,6 Millionen sind dauerhaft in Teilzeitarbeit gefangen. Die Obdachlosigkeit in Deutschland wird bis 2018 voraussichtlich auf etwa 530.000 Menschen ohne Wohnung ansteigen, was einem Anstieg von 60% gegenüber 2015 entspricht. Das geht aus einer aktuellen Untersuchung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe hervor. Gleichzeitig existiert in der Bundesrepublik ein Leerstand von über 200.000 Wohnungen und Häusern. Das ist die Bilanz der Unionsparteien und ihren sozialdemokratischen Erfüllungsgehilfen.
Diese Milliardenprofite des deutschen Kapitalismus sind das Ergebnis schlechter Löhne und unbezahlter Mehrarbeit. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest dimap sind 79% der Bevölkerung der Meinung, dass der Wohlstand in Deutschland nicht gerecht verteilt sei und 88% folgten der Auffassung, dass die Bundesregierung keine wirklichen Anstrengungen für eine faire Verteilung des Wohlstands unternommen habe.
DIE LINKE
DIE LINKE konnte sich auf fast 4,3 Millionen Wählerstimmen (9,2%) gegenüber 3,7 Millionen im Bundestagswahljahr 2013 (8,6%) verbessern. Darunter sind 700.000 ehemalige SPD- und 200.000 Erstwähler, sowie 560.000 frühere Nichtwähler. Ihre Hochburgen liegen zwar weiterhin in Ostdeutschland, wo sie in Regierungsbeteiligungen bestenfalls die Rolle einer linkeren Sozialdemokratie übernimmt. Durch Unterstützung von Privatisierungs- und Kürzungspolitik muss DIE LINKE in Ostdeutschland allerdings massive Verluste hinnehmen. Das von Ministerpräsident Bodo Ramelow (DIE LINKE) geführte Thüringen ist hier ein dramatisches Beispiel. Dort kam DIE LINKE nur noch auf 16,9% der Stimmenanteile, während es bei den vorigen Bundestagswahlen noch 23,4% und bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2014 noch 28,2% waren.
In Brandenburg, wo DIE LINKE der Juniorpartner in einer SPD-geführten Landesregierung ist, erzielte die Partei noch 17,8% gegenüber 22,4% bei den letzten Bundestagswahlen. Auch in Sachsen-Anhalt kommt DIE LINKE nur noch auf 17,8% (-6,1% gegenüber 2013), in Sachsen auf 16,1% (-3,9% gegenüber 2013). Dementgegen konnte DIE LINKE in Westdeutschland und insbesondere in den Großstädten etwa 1 Millionen Wählerstimmen zusätzlich mobilisieren. In Westdeutschland gewinnt DIE LINKE nicht nur im Vergleich zu den Bundestagswahlen 2013, sondern signifikanterweise fast immer auch im Vergleich zur Bundestagswahl 2009, als sie mit 5,15 Millionen Stimmen (11,9%) bundesweit das beste Ergebnis ihrer Geschichte erzielte.
Im erzkonservativen Bayern konnte DIE LINKE – trotz Brandmarkung ihrer Mitglieder durch Berufsverbote im öffentlichen Dienst – mit einem Plus von 2,3 Punkten nun 6,1% der Stimmen erzielen. In der Landeshauptstadt München verdoppelten sie ihre Stimmen fast auf 8,3% (+ 3,7%). Das beste Ergebnis in Westdeutschland erzielte sie mit 13,5% in Bremen, dem Armenhaus der Bundesrepublik, dicht gefolgt vom Saarland mit 12,9% und Hamburg mit 12,2%. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen, welches früher ein großer Wirtschaftsmotor durch Kohlebergbau und Stahlindustrie und damit eine Hochburg der SPD war, konnte DIE LINKE 7,5% der Stimmen erzielen. Das sind Ausdrücke einer konsequenteren Abgrenzung von neoliberaler Politik und eines eifrigen Wahlkampfs in ehemaligen SPD-Hochburgen.
Vom politischen Niedergang der SPD konnte DIE LINKE ein wenig profitieren. Viele bewusstere SPD-Mitglieder haben ihrer Mutterpartei wegen Unterstützung von neoliberaler Kürzungspolitik die Zweitstimme verwehrt und stattdessen DIE LINKE unterstützt, aber das ist dennoch eine Minderheit. Ein massenhafter Linksschwenk der SPD-Basis nach dem Vorbild der britischen Labour Party unter Jeremy Corbyn ist derzeit nicht auf der Tagesordnung. Die Sympathien für rot-rote Regierungsbündnisse überwiegen weiterhin gegenüber der Idee, die SPD zu verlassen und stattdessen DIE LINKE aufzubauen.
Die SPD konnte sich in Ostdeutschland nie so stark verankern wie DIE LINKE, ebenso wie DIE LINKE nie an die Erfolge der SPD in Westdeutschland anknüpfen konnte. Die SPD saß in den letzten vier Jahren in der Bundesregierung. Sie ist in der Mehrheit der Landesregierungen vertreten und verwaltet somit den bürgerlichen Staat mit Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse. DIE LINKE ist daran in drei ostdeutschen Ländern beteiligt. Die wechselseitige Beziehung der Landesverbände in ihrer Tagespolitik und das Erscheinungsbild von SPD und LINKEN auf Bundesebene haben der SPD bundesweit und der LINKEN in Ostdeutschland schwere Schläge versetzt. Davon profitieren konnte die rechte AfD, die sich selbst als Anti-Establishment-Partei verkauft.
Die Verantwortung für den Aufstieg der AfD in erster Linie der Großen Koalition anzulasten, läuft darauf hinaus, die Verantwortung der Partei DIE LINKE kleinzureden. Die Bastionen der Rechten liegen ausgerechnet in Ostdeutschland, wo DIE LINKE durch Regierungsbeteiligungen und Kürzungspolitik massive Stimmenverluste hinnehmen musste. Wer die Hauptschuld für den rechten Aufstieg bei SPD und CDU/CSU sieht, der unterstützt damit die politischen und taktischen Fehler, die DIE LINKE in der Vergangenheit begangen hat. Gerade auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, mit seinen abgehängten Regionen und hoher Arbeitslosigkeit, konnte sich die AfD als Massenpartei etablieren.
Das zeigt an, dass es unter der Oberfläche nicht nur eine Radikalisierung nach rechts, sondern auch nach links gibt – die nur durch die Politik der Führung dabei blockiert wird, an die Oberfläche zu treten, indem sie sich seit Monaten lieber nach rechts orientiert. Hätte sich die Parteiführung der LINKEN in den Letzten Jahren als klare Opposition gegen das gesamte wirtschaftliche und politische System positioniert, anstatt in Landesregierungen gemeinsam mit SPD und GRÜNEN die Interessen des Kapitalismus umzusetzen, dann wäre bei dieser Bundestagswahl ein viel klareres Signal und besseres Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeiterklasse heraus gekommen.
Wegen der Rückschläge der Partei in Ostdeutschland bleibt DIE LINKE jedoch hinter ihrem bisher besten Ergebnis im Jahr 2009 zurück und kann bislang keine führende Rolle im Klassenkampf einnehmen. Gegenüber der letzten Bundestagswahl konnte sie sich nur unwesentlich verbessern. Sie konnte der seit 2007 andauernden kapitalistischen Krisenverwaltung keine wirklich radikalen Lösungen entgegensetzen.
SPD am Scheideweg
In ganz Europa kämpfen traditionsreiche sozialdemokratischen Parteien um ihr eigenes Überleben. Mit 9,5 Millionen Wählerstimmen erhält auch die SPD ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1945. Das hat eine beinahe vorprogrammierte Ursache. Die Sozialdemokratie wird zerrissen zwischen dem widersprüchlichen Anspruch, einerseits die wichtigste politische Interessenvertretung der Arbeiterklasse zu sein, andererseits aber auch eine der wichtigsten parlamentarischen Stützen des Kapitalismus zu sein. Dieser unlösbare Widerspruch, das Kalb mit dem Wolf zu verheiraten, bricht jeder einzelnen sozialdemokratischen Partei in Europa langsam das Genick. Dieser Trend begann in Griechenland und Frankreich und wird sich in weiteren Ländern fortsetzen. Nur in Großbritannien verzeichnet die Labour Party unter dem deutlich linken Parteichef Jeremy Corbyn einen starken Zulauf.
Noch vor zwei Wochen deutete alles auf eine Fortführung der Großen Koalition aus SPD und CDU/CSU. Am Wahlabend jedoch hat das Führungspersonal der SPD unter Anleitung des Parteivorsitzenden und Bundeskanzlerkandidaten Martin Schulz plötzlich eine 180° Wende vollzogen und einen Oppositionskurs gegen Angela Merkel angekündigt. Die vergangenen vier Jahre hätten gezeigt, dass eine Große Koalition dem inhaltlichen Profil der SPD geschadet hätten. Die soziale Gerechtigkeit für Millionen Menschen müsse endlich wieder in den Fokus rücken. Einige prominente Vertreter der SPD wie Johanna Uekermann (Bundesvorsitzende der Jusos) und Malu Dreyer (sozialdemokratische Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz) fordern eine programmatische und personelle Korrektur der SPD. Was ist davon zu halten?
Entscheidend ist die Frage, welche Personen aus welchen Gründen ausgerechnet jetzt auf einen Oppositionskurs drängen. Immerhin sind die prominenten Vertreter der SPD fast ausschließlich stramme Weggefährten der CDU und der kapitalistischen Krisenverwaltung, die alles für eine Fortsetzung der Großen Koalition getan hätten. Der wahre Grund für den plötzlichen Oppositionskurs des Führungspersonals ist ihre panische Angst vor ihrem eigenen Untergang. Das Schicksal der griechischen PASOK und der französischen Parti Socialiste soll der SPD unter allen Umständen erspart bleiben. Der Oppositionskurs ist kein Ausdruck einer plötzlichen linken Bewusstseinserweiterung, sondern Ausdruck einer Parteibürokratie im eigenen Überlebenskampf.
Die politischen Entscheidungsträger in der SPD wollen mit dieser Kehrtwende eine drohende innerparteiliche Konfrontation über Programmatik und Ziele der Sozialdemokratie abwenden, die ihre eigenen Privilegien gefährden könnte. Diejenigen Führungspersonen, die eine programmatische und personelle Veränderung der SPD anpreisen, sind dieselben Personen, die Martin Schulz im selben Atemzug als „leidenschaftlichen Kämpfer, der großen Respekt verdient“ bezeichnen. Martin Schulz selbst beteuerte in einer Pressekonferenz am Montag Vormittag, die Stärke der SPD liege ausgerechnet in ihrer Geschlossenheit, der Programmatik und ihren „kämpfenden Löwinnen und Löwen“, wie er die Parteifunktionäre wörtlich bezeichnete. Die verbal eingeforderten programmatischen und personellen Veränderungen werden sich also – wenn überhaupt – nur rein kosmetischer Natur sein.
Dementsprechend versucht die SPD auf mystische Weise einen Neuanfang mit ihrem alten Programm und Spitzenpersonal. Erst kürzlich hatte der Parteivorstand und das Präsidium für Andrea Nahles als neue SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag votiert. Das ist kein politischer, sondern ein rein taktischer Schachzug. Andrea Nahles war Bundesvorsitzende der Jusos, Bundesvize und Bundesgeneralsekretärin der SPD sowie von 2013 bis heute als Bundesarbeitsministerin in Angela Merkels Bundesregierung vertreten – die Verschärfung von Sanktionen gegen Hartz IV-Bezieher liegt beispielsweise in ihrer Verantwortung.
Die Tageszeitung junge Welt berichtete zudem am Donnerstag vor der Bundestagswahl, dass laut einer Umfrage inzwischen drei von vier Deutschen sowie 71% der SPD-Anhänger eine neue Große Koalition ablehnen. 2013 stimmten in einem SPD-Mitgliedervotum noch 75% der Parteimitglieder bei einer Wahlbeteiligung von 78% für einen Koalitionsvertrag mit den Unionsparteien. Die SPD-Führung spürt das Unbehagen in der Mitgliedschaft und möchte parteiinterne Konflikte vermeiden, um Geschlossenheit zu demonstrieren. Das liegt auch an den vorgezogenen Landtagswahlen in Niedersachsen am 15. Oktober 2017. Der dortige sozialdemokratische Ministerpräsident Stephan Weil wird nach Stand der Dinge seinen Regierungsposten nur schwer verteidigen können.
In die sozialistische Offensive!
Der Spielraum für progressiven Reformismus in Deutschland wird immer geringer, denn die Weltwirtschaftskrise erreicht inzwischen auch das Zentrum des europäischen Kapitalismus. In turbulenten Zeiten von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Erschütterungen ebnet daher der Reformismus auch den Weg für die rechte Reaktion. Nicht etwa deswegen, weil der Reformismus das beabsichtigen würden, sondern weil der Reformismus keine Alternative zur Krise anbietet und damit eine Sackgasse darstellt. Die Schwächung der LINKEN in Ostdeutschland und der Niedergang der SPD bundesweit sind ein Zeugnis dessen. Warum auch sollten Arbeitnehmer und Jugendliche ihre Stimme für Parteien hergeben, die ihnen Kürzungsprogramme statt sozialen Fortschritts bringen?
Zeitgleich singen die bürgerlichen Medien, die reformistischen Anführer der Arbeiterparteien sowie linksradikale Sekten gemeinsam das Lied von einer großen konstruierten „Wir sind die 87%“-Familie. Damit meinen sie alle Menschen, die ihre Stimme nicht der AfD gegeben haben. Das sendet aber ein völlig falsches Signal. Selbstverständlich haben bewusstere Teile der Jugend und Arbeiterklasse, welche die AfD korrekter Weise als neoliberale und völkische Ausgeburt identifizieren, nichts gemeinsam mit dem proimperialistischen Lager der Kürzungs- und Kriegsparteien. Für die Hysteriker aber ist der Aufstieg der rechten AfD der zentrale Punkt der Bundestagswahlen. Der eigentlich entscheidende Punkt ist aber eine massive Niederlage der Regierungsparteien und eine starke Erschütterung der deutschen Regierungsstabilität, bei dem die AfD nur ein Krankheitssymptom darstellt.
DIE LINKE muss jetzt endlich einen radikalen Kurswechsel einschlagen. Die 560.000 ehemaligen Nichtwähler und 200.000 Erstwähler, sowie zahlreiche Neueintritte von U35-Personen unmittelbar vor und nach der Bundestagswahl müssen mit einem sozialistischen Programm und aktiver Praxis ausgerüstet werden. Vor allem die radikalen Teile der Jugend, die von der Kriegs- und Kürzungspolitik der „Volksparteien“ angewidert sind, schauen auf DIE LINKE und suchen nach Antworten auf ihre Fragen. Wir müssen diese Menschen direkt ansprechen, sie für den Aufbau einer sozialistischen Massenpartei begeistern und für ein revolutionäres internationales Programm gewinnen.
Auch die 700.000 SPD-Anhänger und -Mitglieder, die jetzt erstmals ihre Stimme wegen arbeitnehmerfeindlicher SPD-Politik an die Partei DIE LINKE gegeben haben, müssen sich nun die Frage stellen, ob sie weiterhin für die SPD oder DIE LINKE kämpfen wollen. Gerade weil die SPD als Konsequenz aus der Wahl voraussichtlich keine personellen und programmatischen Veränderungen einleiten wird, und gerade weil die Entscheidungen der Parteiführung oftmals ohne Mitsprache der Basis gefällt werden, sollten sich alle kritischen SPD-Mitglieder ihr zukünftiges Engagement überlegen.
Die kommenden vier Jahre werden gekennzeichnet sein durch eine verstärkte neoliberale Offensive gegen die Arbeiterklasse in Deutschland und Europa. Diese Wahrheit müssen wir in aller Deutlichkeit aussprechen. Aber wir dürfen nicht in Pessimismus versinken. Deutschland steht über kurz oder lang vor dem Eintritt in eine vorrevolutionäre Krise, und die Geschichte zeigt, dass auch klassenkämpferische Zeiten von Phasen der Reaktion gezeichnet sein können. Das Wahlrecht ist wichtig, aber viel wichtiger ist die revolutionäre Organisierung der Jugend und Arbeiterklasse in den Betrieben, auf den Straßen, in den Schulen und Wohnvierteln – packen wir es gemeinsam an! Bauen wir eine sozialistische Massenpartei der Jugend und Arbeiterklasse auf zum Sturz der herrschenden Politiker und Kapitalisten. Kämpfen wir für den internationalen Sozialismus!
Quelle: derfunke.de… vom 29. September 2017
Tags: Breite Parteien, Deutschland, Neoliberalismus, Neue Rechte, Sozialdemokratie, Strategie, Widerstand
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