Akt 19 der Gelben Westen hält gegen verschärfte Repression stand
Bernard Schmid. Es gibt offensichtlich wirklich keine Regeln mehr, nach denen man den Zulauf den Mobilisierungen der “Gelbwesten”-Demonstrationen halbwegs zuverlässig voraussagen könnte. Allenfalls kann man hinterher nach triftigen Erklärungen suchen. Im Vorfeld des “Akts 18” am vorvergangenen Samstag, den 16. März 19 hatte die heterogene Protestbewegung einen leichten Sympathiezuwachs gegenüber den Wochen zuvor zu verzeichnen (wir berichteten in unserem Beitrag vom Freitag, den 22.03.19); und führende Exponenten der “Gelbwesten” selbst hatten – in Form eines “Ultimatums” an Staatspräsident Emmanuel Macron, das auf das Ende der regierungsoffiziellen “Nationalen Debatte” (15. Januar bis 15. März 19) antwortete – eine Zentralmobilisierung erheblichen Ausmaßes für diesen Tag angekündigt.
Umgekehrt blies den “Gelbwesten” infolge der doch erheblichen Gewalt-gegen-Sachen bei jenem “Akt 18” (lt. Regierungsoffiziellen Zahlen dreißig Millionen Sachschäden allein an diesem 16.03.19) doch in der öffentlichen Meinung der Wind ziemlich ins Gesicht. Überdies war bei diesem Male, also für den “Akt 19” am 23. März 19, keine wirkliche Zentralmobilisierung angekündigt, allerdings gab es – v.a. für die Südhälfte Frankreichs geltend – einen Aufruf zum Zusammenströmen in Nizza. Dort wurden zunächst Demonstrationen untersagt, da am gestrigen Sonntag dort der chinesische Staatspräsident Li Xiping am Flughafen eintraf (am Abend speiste er im nahe gelegenen Beaulieu-sur-Mer mit Emmanuel Macron, am heutigen Montag wird er in Paris erwartet), und dann außerhalb der Innenstadtzone mit Restriktionen gestattet.
Insgesamt aber nahm laut Regierungszahlen die Mobilisierung an diesem Samstag, den 23. März 19 gegenüber jener eine Woche zuvor zu, von “32.300” laut ihren Angaben am 16.03.19 auf nun “40.500” (vgl. bpsw. 20minutes.fr…). Die Regierung hatte jedenfalls keinerlei Interesse daran, eine Tendenz zum Anstieg herbei zu lügen, läge ihr taktisches Interesse doch im Gegenteil – wenn, dann – eher darin, abzuwiegeln und einen Trend zum Verschwinden zu suggerieren. Sicherlich wird man die Regierungszahlen veranderthalbfachen, vielleicht um 75 Prozent erhöhen dürfen, um sich der Realität anzunähern (nein, verzehnfachen oder verhundertfachen kann man sie nicht).
Die Erklärung liegt wahrscheinlich darin begründet, dass ein Teil des “Gelbwesten”-Protestspektrums anlässlich des “Akts 18” am 16. März 19 auch durch die zeitlich parallel stattfindenden Pro-Klima-Demonstrationen, die ihrerseits ganz Frankreich mindestens 350.000 Menschen mobilisierten, angezogen wurden. Ein Teil des “Gelbwesten”-Spektrums hatte zur Teilnahme an ihnen und zur “Konvergenz der Kämpfe” aufgerufen.
In Paris fand eine, angemeldete, Demonstration von der place Denfert-Rochereau im Süden der französischen Hauptstadt bis nach Montmartre in ihrem Norden statt. Zu größeren Auseinandersetzungen kam es dieses Mal, auch nicht zu Konfrontationen mit der zum Objektschutz mobilisierten Armeeeinheit Opération Sentinelle, um die sich in den drei Tage zuvor (sich zunehmend zuspitzende) Polemiken rankten. Allerdings wurden auf den Anreisewegen eine Reihe von Personen festgenommen, die – jedenfalls laut Innenminister Christophe Castaner – Gegenstände in der Spannweite von Taucherbrillen bis zu Baseballschlägern mit sich geführt haben sollen. Frankreichweit wurden insgesamt 237 Personen vorläufig festgenommen, von ihnen wanderten 172 in Polizeigewahrsam. (Vgl. orange.fr…) In Paris soll ein Mann festgenommen worden sein, der sich zuvor, mindestens unvorsichtig und reichlich prahlerisch – angeberisch, gegenüber einem Kneipenwirt damit gebrüstet haben soll, einen größerenSchwarzpulverknaller für diesen Tag vorzubereiten. (Vgl francesoir.fr… oder orange.fr…) Vorläufig festgenommen wurden jedoch auch Personen, welche die Forderung nach einem “RIC” – einer durch Bürgerbegehren angestrengten Volksabstimmung, wie sie inzwischen in Teilen der “Gelbwesten”-Bewegung als eine Art Patentrezept gegen alle möglichen gesellschaftlichen Übel gehandelt & gefordert wird – auf einem T-Shirt spazieren führten. (Vgl. francesoir.fr… und europe1.fr…) Es setzte eine Geldbuße in Höhe von 135 Euro ab, das ist die neue Pauschalstrafe für illegales Demonstrieren infolge der jüngsten Gesetzesänderungen (vormals 38 Euro).
Weniger amüsant-pikant ist, dass in Nizza eine 73jährige Dame schwer verletzt wurde, die mutmaßlich einen Schädelbasisbruch davontrug. Geneviève Legay war Sprecherin von ATTAC in Nizza und stürzte anlässlich eines Vorstürmens der Polizei im Gerangel zu Boden. Ihre Familie erstattete Strafanzeige gegen die “Sicherheits-”kräfte. Staatspräsident Emmanuel Macron musste jedoch an diesem Montagvormittag persönlich seinen Senf dazugeben und Kritik an der Verletzten selbst absondern (vgl.: orange.fr…):“Wenn man körperlich gebrechlich ist, wenn man leicht zu Boden stürzen kann, dann begibt man sich nicht in Situationen wie diese, an Orte, wo es verboten ist.” Er wünsche ihr “Genesung, aber auch größere Weisheit” (vgl. lefigaro.fr…). Ihr Anwalt konterte: “Man schüttet nicht Kritik über jemanden auf seinem/ihrem Krankenhausbett aus.” (Vgl. lefigaro.fr…)
Quelle: labournet.de… vom 25. März 2019
Tags: Arbeiterbewegung, Frankreich, Frauenbewegung, Neoliberalismus, Repression, Service Public
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