Nur „Jugendsünden“? Straches Ausbildung zum Neonazi
Linkswende. Österreichs ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz verteidigte am 17. Jänner in der ARD-Sendung „Maischberger“seine Koalition mit der FPÖ. In Bezug auf Straches Vergangenheit in der Neonazi-Szene meinte Kurz, es wäre richtig, „Menschen eine Chance zu geben und Politikern die Möglichkeit zu geben, sich zu entwickeln“. Wie schon der ehemalige SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer entschuldigt er Straches Vergangenheit als „Jugendsünden“. Eine Richtigstellung.
FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache kommt aus der gewaltbereiten Neonazi-Szene, absolvierte eine Ausbildung zum Neonazi-Aktivisten und blieb seiner Gesinnung treu.
Bereits 1984 wurde Strache Mitglied der antisemitischen, deutschnationalen Burschenschaft „Vandalia Wien“, der er bis heute angehört. „Wir waren damals eindeutig Neonazis“, erinnerte sich ein Freund bei der „Vandalia“ in der Tageszeitung Österreich. Strache habe sich „Gauleiter“ nennen lassen und soll „einer der aktivsten“ Neonazis gewesen sein. Gegrüßt habe man sich auf der „Bude“ der Burschenschaft mit Hitlergruß.
Im November 1988 verübte der 19-jährige Strache mit Kameraden eine rechtsextreme Störaktion bei Thomas Bernhards Theaterstück „Heldenplatz“; einem kritischen Werk über Österreichs Umgang mit dem Nationalsozialismus anlässlich des 50. Gedenkjahres an den „Anschluss“ an Hitlerdeutschland.
Strache bewegte sich nachweislich im Umfeld der neonazistischen „Volkstreuen Jugend-Offensive“ und soll sich nach SS-Führer Himmler „Heinrich“ genannt haben. 1991 wurde im Zuge einer Razzia bei dem bekennenden Neonazi Franz Radl ein handschriftliches Telefonverzeichnis gefunden, das auf Platz 226 einen „Heinrich Strache“ führte. Eine Tochter des Neonazis Norbert Burger, in dessen engem Umfeld sich Strache Ende der 1980er-Jahren befand, bestätigte dies gegenüber dem Magazin Profil.
Im März 1989 wurde Strache Mitglied der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Im April war er zum Geburtstag bei Österreichs damals bekanntestem Altnazi Norbert Burger eingeladen. Er verliebte sich in dessen Tochter Gudrun und war von da an ständiger Gast bei Burger. Höchstwahrscheinlich dort lernte er die Neonazis der „Volkstreuen außerparlamentarischen Opposition“ (VAPO) kennen, dessen Anführer Gottfried Küssel heute eine Haftstrafe wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung absitzt.
Mord an Demokraten geübt
Strache nahm in der Folge an paramilitärischen Neonazi-Schulungen teil, sogenannten „Wehrsportübungen“. Bei diesen Drills lernten die Teilnehmer Straßenkampftechniken, um Linke und Ausländer anzugreifen, und sie trainierten den Mord an politischen Gegnern und Demokraten. Im Gerichtsprozess gegen die VAPO kamen in den 1990er-Jahren Videos von den Übungen an die Öffentlichkeit. Ausbildner hantierten mit Messern und erklärten:
„Kameraden, eines dürft ihr nie vergessen. Das Messer muss vor dem Halswirbel in den Hals gerammt werden, weil sonst bleibt das Messer an der Wirbelsäule hängen, wenn ihr es nach vorne reißen wollt. Zweitens muss dem Feind der Mund so lange zugehalten werden, bis er am Boden liegt. Weil es gibt Leute, die sind unglaublich zäh. Die schreien auch noch mit durchgeschnittener Kehle.“ Im Folgenden wird der Ablauf des Mordes im Detail erklärt: Mund zuhalten, Messer in den Hals rammen, nach vorne durch die Kehle ziehen und schließlich das Opfer am Boden mit einem „finalen Leberstich“ töten.
An mindestens einer seiner Wehrsportübungen war Küssel selbst anwesend, musste Strache zugeben. Fotos zeigen ihn mit den damaligen Führern der Neonazi-Szene: Marcus Ullmann war stellvertretender VAPO-Chef; Andreas Thierry war Führer der „Volkstreuen Jugend-Offensive“, der seine Ausbildung vom ehemaligen SS-Untersturmführer der Leibstandarte SS Adolf Hitler (LSSAH) erhielt; Jürgen Hatzenbichler baute in den 1980er-Jahren mit Gerd Honsik die Neonazi-Gruppe „Nationale Front“ auf.
Die Teilnehmer an den Wehrsportübungen achteten bei Ausrüstung und Bewaffnung besonders darauf, Utensilien der deutschen Wehrmacht zu kopieren. Auf einem der Wehrsport-Fotos soll Strache einen Wehrmachtsgürtel getragen haben, mit dem Spruch „Gott mit uns“, dem Reichsadler und einem Hakenkreuz. Die schlechte Qualität der Bilder lässt keine Bestätigung zu und die Originalbilder, die den Beweis erbringen könnten, sind bis heute unter Verschluss.
In vorderster Reihe mit Nazi-Terroristen
Im November 1989 besuchte Strache eine Veranstaltung des bekannten Holocaustleugners David Irving, die kurz nach Beginn von der Polizei aufgelöst wurde. Zu Jahresende demonstrierte Strache im deutschen Fulda mit der terroristischen Neonazi-Organisation „Wiking-Jugend“, die für den blutigsten Anschlag der deutschen Nachkriegsgeschichte, das Attentat auf das Münchner Oktoberfest 1980 mit 13 Toten, verantwortlich war. Von dieser Demonstration existieren Fotos, die Strache in vorderster Reihe mit Nazi-Aktivisten zeigen. Strache wurde dabei in Polizeigewahrsam genommen.
Laut einem lokalen Journalisten hätte es sich „ganz eindeutig um eine Nazi-Veranstaltung“ gehandelt, auf der rechtsradikale Parolen und Nazi-Lieder gesungen worden wären. Nachdem die Demo bereits mittags die örtliche Synagoge stürmen wollte, wurden die ersten acht Teilnehmer verhaftet. Als die Situation, so der Polizeibericht, zu eskalieren drohte, wurden weitere 21 Demonstranten festgenommen – darunter Strache, seine Verlobte Gudrun Burger und seine Wehrsportkameraden Hatzenbichler und Thierry. Ein inhaftierter Neonazi erinnerte sich später, mit einem gewissen „Heinrich“ (Strache) aus Österreich in einer Zelle die Nacht verbracht zu haben.
Im März 1990 wurde Strache in Passau auf einer Demonstration der Neonazi-Organisation „Deutsche Volksunion“ (DVU) erneut festgenommen, die Polizei nahm ihm eine Schreckschusspistole ab. Um dem Großdeutschen Reich nachzutrauern, wurde vor dem Rednerpult eine Reichskriegsflagge aufgehängt. Die Zuschauer sangen alle drei Strophen des Deutschlandlieds (die deutsche Hymne umfasst nur die dritte Strophe): „Deutschland, Deutschland über alles, Über alles in der Welt!“
Aufstieg in der FPÖ
Strache wurde zunächst wegen dieser politischen Grundausbildung die Aufnahme in den „Ring Freiheitlicher Jugend“ (RFJ) verwehrt. Bis 1994 verbot der damalige Wiener RFJ-Chef Peter Westenthaler Strache den Zutritt zum Keller der Parteijugend, weil dieser „in Wort, Tat und Optik zur extrem rechten Szene gehört hat“. Laut dem früheren freiheitlichen Gemeinderat Günther Barnet waren Straches Aktivitäten in der Neonazi-Szene im FPÖ-Klub im Wiener Rathaus ein offenes Geheimnis.
Freundlich aufgenommen wurde Strache allerdings in der FPÖ-Bezirksgruppe Landstraße, wo er beauftragt wurde, eine neue Jugendgruppe aufzubauen. Er besuchte Wahlkampfveranstaltungen der Gruppe „Nein zur Ausländerflut“, die kurz darauf wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung nicht zur Wahl zugelassen wird. 1991 wurde Strache Bezirksrat und 1993 Bezirksobmann der Freiheitlichen.
1994 ließ sich Strache in Burschenschafter-Anzug mit dem „Kühnen-Gruß“ fotografieren, einem in der Neonazi-Szene beliebten Ersatz für den verbotenen Hitlergruß. Er soll dabei den Neonazi Franz Radl gegrüßt haben und (laut seinem ehemaligem Parteifreund Ewald Stadler) sogar eine Reichskriegsflagge als Krawatte getragen haben. 2007 rechtfertigte sich Strache tollpatschig, er habe nur „drei Bier“ bestellt, um kurz darauf vor FPÖ-Fans im Salzburger Augustinerbräu zu erklären, wie man „korrekt“ mit drei Fingern grüßt: „Wir müssen nur aufpassen, dass ja diese drei Fingerzeichen oftmals anders und falsch interpretiert wird bei diesen Medien.“ Strache selbst konnte nie ausschließen, dass nicht noch weitere Fotos von ihm mit ungeschöntem Hitlergruß auftauchen könnten.
Braune Kontinuität
Auch wenn Strache immer wieder beteuert, „Ich war nie ein Neonazi und ich bin kein Neonazi“, er hat sich nie von seinen angeblichen „Jugendsünden“ verabschiedet.
Am 8. Mai 2004 hielt er am Wiener Heldenplatz die „Totenrede“ für Nazi-Kriegsverbrecher, die noch immer in den Mitgliederlisten der Burschenschaften geführt werden – ausgerechnet am Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Strache war erst kurz zuvor zum Chef der Wiener FPÖ aufgestiegen. 2007 marschierte er, inzwischen Bundesparteiobmann, zusammen mit Neonazis gegen ein islamisches Kulturzentrum in Wien-Brigittenau, und trug dabei eine Pappmoschee, während die Menge johlte: „Anzünden! Anzünden!“ Straches ehemaliger Parteikollege Peter Westenthaler warf ihm vor, „gemeinsame Sache mit glatzköpfigen Neonazis“ zu machen.
Unter Straches Obmannschaft wurde das Ziel der „deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft“ wieder ins Parteiprogramm aufgenommen und das Tragen des Nazi-Symbols der blauen Kornblume zu feierlichen Anlässen im Parlament wieder eingeführt. 2011 wurde er wieder als Trauerredner für die gefallenen Nazi-Soldaten eingeladen; nur aufgrund von öffentlichen Protesten sagte er kurzfristig seine Teilnahme ab (angeblich musste er spontan ins Ausland reisen) .
2014 bekannte sich Strache als FPÖ-Chef in seiner Eröffnungsrede des rechtsextremen FPÖ-Burschenschafterballs in der Wiener Hofburg: „Die Stützen dieses Balles, das sind nun einmal die Korporierten, die Waffenstudenten, die Burschenschaften, die Corps, die Landsmannschaften, alle waffenstudentischen Waffenbrüder.“ Der nunmehrige Vizekanzler hat auch für 2018 seine Teilnahme am „Ball der Holocaustleugner“, wie er von Hans-Henning Scharsach treffend bezeichnet wurde, angekündigt.
Wirklich bedenklich ist allerdings, dass dieser Mann nun nicht nur Vizekanzler geworden ist, sondern auch noch ernst macht mit der Politik, für die er steht. Er hat Herbert Kickl zum Innenminister und Mario Kunasek zum Verteidigungsminister gemacht. Er besetzt oberste Stabsstellen in Ministerien mit deutschnationalen Burschenschaften und ehemaligen Wehrsportkameraden. Zuletzt wurde bekannt, dass Strache versucht den Festredner des FPÖ-Akademikerballs 2017 in der Wiener Hofburg, Andreas Hauer (Burschenschaft „Alemannia Wien zu Linz“), als einen der obersten Verfassungsrichter zu installieren. Hauer bezeichnete antifaschistische Proteste als „Bürgerkrieg“, „Terror der Straße“ und „Hassversammlungen“.
Wenn Vizekanzler Sebastian Kurz von all dem nichts wissen will oder gar schlimmer noch, wenn er Straches Werdegang als eine gewöhnliche „politische Entwicklung“ beschönigt, ist das eine Verharmlosung von Faschismus, wie wir es bislang noch nicht kannten.
Details und Belege siehe:
Nina Horaczek und Claudia Reiterer, HC Strache – Sein Aufstieg, seine Hintermänner, seine Feinde (Wien, 2009)
Hans-Henning Scharsach, Strache im braunen Sumpf (Wien, 2012)
Hans-Henning Scharsach, Stille Machtergreifung – Hofer, Strache und die Burschenschaften (Wien, 2017)
Leila Al-Serori und Oliver Das Gupta, Die Akte Strache Teil 1 und Teil 2 (2017)
Quelle: linkswende.org… vom 20. Januar 2018
Tags: Neue Rechte, Österreich
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