Ein Beispiel für den Kampf gegen Apartheid in Israel und Südafrika
KAZ. Zum Tode des Genossen Denis Goldberg am 29. April 2020 veröffentlichen wir einen ehrenden Beitrag des palästinensischen Journalisten Amjad Iraqi, zuerst veröffentlicht beim + 972 Magazin, Haifa am 6. Mai, 2020. Denis Goldberg war Kommunist und als solcher nicht nur aufrechter Kämpfer gegen Rassismus, Apartheid und nationale Unabhängigkeit. Er wusste, dass die Beseitigung des Apartheid-Regimes noch nicht den Kapitalismus und die Ausbeutung beseitigt. Deshalb stand er an der Seite der Arbeiterklasse, zuletzt an der Seite der Arbeiter in den Platin-Minen, und kämpfte stets unter dem Banner: Arbeiter aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt Euch!
Amjad Iraqi. Goldberg, von Beruf Ingenieur, war langjähriges Mitglied des Afrikanischen Nationalkongresses. Er war führender technischer Offizier zur Herstellung von Waffen bei Umkhonto we Sizwe, dem militärischen Flügel des ANC. Zusammen mit Nelson Mandela, Walter Sisulu, Ahmed Kathrada und anderen Führern wurde er verhaftet und im als Rivonia-Prozess[1] bekannten Gerichtsverfahren 1963-64, angeklagt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Er wurde natürlich in ein weißes Gefängnis in Pretoria gesteckt, seine schwarzen Genossen kamen nach Robben Island in der Nähe von Kapstadt.
Nach 22 Jahren hinter Gittern, wurde Goldberg 1985 freigelassen, was teilweise einer Kampagne israelischer Aktivisten zu verdanken war, zu der auch seine Tochter Hilary gehörte, die in einem Kibbuz lebte und sich für die Befreiung jüdischer Gefangener weltweit engagierte.
Ich hatte das Glück, Goldberg im Februar 2014, bei einer Rede an der Universität Oxford zu erleben. Was mich am meisten beeindruckte, war sein Bericht über den Zwiespalt, in dem er und die anderen Angeklagten im Rivonia-Verfahren sich befanden, als sie vor einem weißen Apartheid-Gericht argumentierten.
Da sie wegen Sabotage angeklagt waren, waren sich die Anführer fast sicher, dass ihnen die Todesstrafe droht. Dennoch wollten sie keine Berufung einlegen, falls die Todesstrafe verhängt werden würde. Ihr Hauptziel im Gerichtssaal war nicht, sich selbst zu retten, sondern das Regime frontal anzugreifen. „Der Staat wollte einen Schauprozess“, erklärte Goldberg. „… wir mussten zeigen, dass es der Apartheidstaat war, der die Quelle von Gewalt und Brutalität war.“ Sein Anwalt, der (weiße) Kommunist Bram Fischer, schloss sich dieser politischen Strategie voll und ganz an, appellierte aber an die Angeklagten, gegebenenfalls doch Berufung einzulegen. Er bestand darauf, dass dies zumindest dazu beitragen würde, Zeit zu gewinnen, … und den internationalen Druck gegen die Apartheidregierung zu erhöhen[2].
Zu jedermanns Überraschung verurteilte das Gericht die Gefangenen zu Gefängnis. Gegen das Urteil legten die Gefangenen keine Berufung ein, um nicht zu riskieren, zu Schlimmerem verurteilt zu werden. Außerdem hatten sie ihr Hauptziel erreicht: Ihre Verteidigung im Rivonia-Prozess war ein Meilenstein, die Ablehnung der Apartheid weltweit voranzubringen. Es war, bemerkte Goldberg, eine Erinnerung daran, dass „unsere eigene Zukunft mehr mit der realen Politik Südafrikas verwoben war als mit irgendeinem isolierten Begriff von Recht und Gerechtigkeit, bzw. Ungerechtigkeit“.
Ich saß im Publikum und klammerte mich an jedes Wort von Goldbergs Rede. Denn die von Goldberg bei seiner Rede in Oxford angesprochenen Zwiespalte, spiegelten die Art und Weise, wie PalästinenserInnen das Rechtssystem Israels erleben, sowohl das Zivilrecht als auch das Militärrecht.
Weit entfernt davon, die Staatsmacht zu kontrollieren, ermöglichen israelische Gerichte, so wie in Südafrika, den Landraub, die rassistische Gesetzgebung, das Auseinanderreißen von Familien, die Straflosigkeit und vieles mehr. Und obwohl die israelischen Gesetze wohl nuancierter sind als die südafrikanischen Apartheidgesetze, erreichen sie im Endeffekt dasselbe Ziel: die Vorherrschaft und Privilegien einer Gruppe gegenüber anderen Gruppen zu sichern.
Goldberg stimmte mit vielen Anführern des Kampfes gegen die südafrikanische Apartheid darin überein, dass „es keinen Zweifel daran gibt, dass Israel ein Apartheidstaat ist … Ich kann es nicht zulassen, dass in meinem Namen dieselbe Art von Unterdrückung weitergeführt wird.“
Israel müsse keine deckungsgleiche Kopie Südafrikas sein, um Apartheid auszuüben, argumentierte er, und der Umstand, dass manche Palästinenser die israelische Staatsbürgerschaft besitzen, auch das Wahlrecht, ändere nichts an dieser Tatsache: „Es ist ganz einfach: Die herrschende Gruppe schließt die eingeborene Bevölkerung innerhalb der Grenzen des Staates Israel und in den besetzten Gebieten aus und enthält ihnen gleiche Rechte vor, unter Bruch des Völkerrechts.“
Es ist daher kein Wunder, dass sich palästinensische Anwälte und Aktivisten seit langem an den südafrikanischen Erfahrungen orientieren, um Antworten für ihren eigenen Kampf zu erhalten. Was können wir erwarten von einem Rechtssystem, das eigens dazu entworfen wurde, uns zu unterdrücken? Würden Gerichtsverfahren lediglich die Behauptung des Staates stärken, eine „Demokratie“ zu sein, die ein korrektes Verfahren ermöglicht? (…) Fischers eigene Karriere war der Inbegriff dieser Rechtsauffassung. „Als Amtsträger war er dazu vereidigt worden, das Gesetz des Apartheidstaates aufrecht zu erhalten“, merkte Goldberg in seiner Würdigung an, „aber als Revolutionär, nutzte er die Gerichte dazu, den revolutionären Umsturz des Systems voranzutreiben“.
Ich hatte diese Schlußfolgerung zuvor schon viele Male in Palästina-Israel und auch weltweit gehört, aber sie direkt von diesem legendären politischen Gefangenen zu hören, verlieh ihr ein einzigartiges Gewicht. Wie andere Anti-Apartheid-Kämpfer, die inzwischen verstorben sind – inklusive Mandela, Sisulu, und Oliver Tambo – war Goldberg die lebende Verkörperung eines politischen Kampfes, der sich über Jahrzehnte hinzog, der Einsatzbereitschaft und Anpassungsfähigkeit erforderte, Fehlschläge ebenso wie Erfolge, und Bescheidenheit statt rascher Belohnung. Und er erinnert uns daran, dass die Welt, trotz all der erschütternden Erfahrungen, die die PalästinenserInnen machen, diese Art von Unterdrückung schon zuvor gesehen hat und dass sie besiegt werden kann.
Fussnoten
1 Auf der „Liliesleaf Farm“ in Rivonia, einem Vorort von Johannisburg, waren Mandela, Goldberg und ihre Mitstreiter zeitweise untergetaucht. (Die Farm gehörte dem ebenfalls weißen und jüdischen Aktivisten und seinerzeit berühmten abstrakten Maler Arthur Goldreich, der auch der Kommunistischen Partei nahe stand.) Mandela hatte sich auf der Farm als bediensteter Gärtner getarnt. Das Aufspüren und Ausheben des illegalen Hauptquartiers mitten in Südafrika galt dem rassistischen Apartheidregime als ungeheurer Coup. In der Folge wurden viele der Prozesse gegen den ANC und seinen bewaffneten Arm, Umkhonto we Sizwe, als Rivonia-Prozesse bezeichnet.
2 gegen Ende des Prozesses verabschiedete der UN-Sicherheitsrat Resolution 190, in der die Staaten aufgefordert wurden, „ihren ganzen Einfluss“ auf Pretoria „geltend zu machen“, um zur Befreiung der politischen Gefangenen beizutragen
Quelle: kaz-online.de… vom 6. September 2020
Tags: Afrika, Neoliberalismus, Palästina, Rassismus, Repression, Widerstand, Zionismus
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