Die Regierung der oberen fünf Prozent
Lukas Oberndorfer. Am 18. Dezember 2017 hat Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen die neue Regierung aus Österreichischer Volkspartei (ÖVP) und Freiheitlicher Partei Österreichs (FPÖ) angelobt (vereidigt). Verglichen mit dem Jahr 2000, als es lautstarke internationale Proteste und EU-Sanktionen gegen eine Koalition mit der FPÖ gab, blieb es diesmal vergleichsweise ruhig.
Das verweist darauf, wie sehr sich die Kräfteverhältnisse mittlerweile auch auf der EU-Ebene verschoben haben. Denn die FPÖ-Minister_innen stehen noch weiter rechts als damals. Vizekanzler Hans-Christian Strache und Infrastrukturminister Nobert Hofer kommen aus deutschnationalen Burschenschaften, der neue Verteidigungsminister Mario Kunasek hat Verbindungen zu den völkischen Identitären, und der von der FPÖ bestellte Innenminister Herbert Kickl ist bekannt für antisemitische Anspielungen.
Die aufgrund ihrer ökonomischen Macht dominanten gesellschaftlichen Kräfte – exportorientierte Kapitalfraktionen, die großen, stark transnational engagierten Banken und die Immobilienindustrie – hatten dennoch keine Einwände. Dass sie das sich abzeichnende rechts-autoritäre Staatsprojekt überwiegend sogar begrüßten und mit Spenden unterstützten, lässt sich mit dem Zeitpunkt und der programmatischen Ausrichtung des Projekts erklären.
Nach dem Ausbruch der Finanzkrise 2009, als Nobelpreisträger Paul Krugman Österreich aufgrund des aufgeblasenen Ostgeschäfts seiner Banken noch als Pleitekandidaten ausmachte, wäre eine solche Unterstützung undenkbar gewesen. Für Banken- und Eurorettung, die Abfederung der steigenden Arbeitslosigkeit und die räumliche Verlagerung der Krise in die Peripherie war die Sozialdemokratie unverzichtbar. Doch nach Bearbeitung der Krise hat sie ihre Schuldigkeit getan und kann gehen.
Neoliberaler Einschnitt
Das gilt vor allem, da das, was vor und in der Krise in Europa mit hohem Tempo durchgesetzt werden konnte, mit der Sozialdemokratie in Österreich nicht in gleichem Ausmaß zu haben ist. Aufgrund der in Europa mittlerweile wohl einzigartigen Verwebung mit den Gewerkschaften steht die SPÖ für einen sozialpartnerschaftlich eingebetteten Neoliberalismus. Der große neoliberale Einschnitt, der sich nun im Regierungsprogramm abzeichnet, hat eine Koalition aus ÖVP und FPÖ zur Voraussetzung.
Dass das Regierungsprogramm beinhart die Interessen der oberen fünf Prozent verfolgt, lässt sich anhand seiner zentralen wirtschaftspolitischen Maßnahmen verdeutlichen: Wiedereinführung des Zwölf-Stunden-Tages und der 60-Stunden-Woche, eine Art Hartz IV (durch Abschaffung der Notstandshilfe), Ermöglichung von »marktkonformen« Mieten durch ein neues Mietrecht, verfassungsrechtliche Verewigung der Kürzungspolitik, Einführung von Studiengebühren in der Höhe von 500 Euro pro Semester, Absenkung der Steuern für größere Unternehmen und die Deregulierung des Arbeitsrechts.
Gleichzeitig plant die Regierung, strategisch jene Orte anzugreifen, von denen aus institutionelle Gegenmacht organisiert werden könnte: Der Österreichischen Hochschülerschaft soll das allgemeinpolitische Mandat entzogen, der Arbeiterkammer (1) sollen die Mitgliedsbeiträge gekürzt und den Gewerkschaften die Jugendvertrauensräte (die Mitbestimmungsorgane der Lehrlinge im Betrieb) gestrichen werden.
Auch in der EU- und Freihandelspolitik konnten die gesellschaftlichen Kräfte hinter der neuen Regierung sicherstellen, dass die für das auf Waren- und Kapitalexport ausgerichtete Entwicklungsmodell Österreichs zentralen Projekte nicht gefährdet werden. So stimmt die Regierung schon jetzt der geplanten neoliberalen Vertiefung der Union zu (Überführung des Fiskalpaktes in EU-Recht, Europäischer Währungsfond mit Durchgriffsrechten auf die nationalen Haushalte, Militärpakt) und verpflichtet sich auf die Ratifizierung von CETA und weiterer »Handelsabkommen in der Zukunft«.
Das stellt einen markanten Bruch mit der bisherigen Politik der FPÖ dar. Diese hatte neben einem zunehmend antimuslimisch orientierten Rassismus und der Hetze gegen Migrant_innen vor allem durch ihre Position gegen die Vertiefung der EU und den Abschluss von Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada (TTIP und CETA) erfolgreich eine national-populistische Stimmung geschaffen und für sich genutzt.
Doch wie soll sichergestellt werden, dass die FPÖ trotz der Abkehr von zwei ihrer zentralen Wahlmotive (»Partei des kleinen Mannes« und »Anti-EU-Partei«) nicht zusammenbricht?
Opposition in der Regierung: die FPÖ
Der FPÖ wird das Innen-, Verteidigungs- und Außenressort überlassen. Damit bekommt eine Partei, deren Vorgängerorganisation die Nachfolgepartei der NSDAP in Österreich war, nicht nur den gesamten Apparat für Repression, Aufklärung und Überwachung in die Hände, sondern auch jene Ressorts, die notwendig sind, um die Strategie der FPÖ fortsetzen zu können. Auch in der Regierung kann sie so versuchen, nahezu alle Politikfelder (soziale Frage, Gleichberechtigung, Sicherheit u. v. a. m.) mit der »Lösung der Migrationsfrage« zu verknüpfen und zu beantworten.
In diesen Feldern soll der FPÖ ihre Oppositionsrolle trotz Regierungsbeteiligung erhalten bleiben, um ihre Implosion zu vermeiden. Mittel dazu sind Provokationen durch
– klar grundrechtswidrige Vorschläge im Bereich Asyl- und Sicherheitspolitik, ein offen rassistisch agierender Staatsapparat und Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung;
– außenpolitische Abweichungen von der EU-Linie. So sprach sich die FPÖ zuletzt für das Ende der EU-Russland-Sanktionen aus und forderte, dass auch die österreichische Botschaft in Israel nach Jerusalem verlegt werden solle;
– massive Kürzungen bei Sozialleistungen für Asylwerber_innen und Asylberechtigte sowie bei Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft, die migrantische Armut schaffen und verschärfen werden. Deren verstärkte Sichtbarkeit im öffentlichen Raum kann dann repressiv bearbeitet werden;
– Vorschläge für reaktionäre Geschlechterpolitik. Dazu heißt es im Regierungsprogramm: »Die Familie als Gemeinschaft von Frau und Mann mit gemeinsamen Kindern ist die natürliche Keimzelle und Klammer für eine funktionierende Gesellschaft und garantiert (…) unsere Zukunftsfähigkeit«.
Als die neue Regierung wegen der Ankündigung, die Notstandshilfe zu streichen, unter Druck kam, verkündete der neue FPÖ-Innenminister Herbert Kickl, die Regierung plane, Asylwerber_innen, »konzentriert« an einem Ort zu halten. Wer die Geschichte des ehemaligen Redenschreibers von Jörg Haider kennt, weiß, dass die hervorgerufene Assoziation durchaus beabsichtigt war.
Je mehr deutlich werden wird, dass die Regierung brutal die Interessen der oberen fünf Prozent verfolgt, desto mehr wird die FPÖ und mit ihr die ÖVP diese Eskalationsspirale bedienen, um das gemeinsame rechtsautoritäre Staatsprojekt nicht zu gefährden. Während die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion vorangetrieben wird, wird die Regierung in diesen Feldern – nicht nur hier scheint die Regierung Bezug auf die Strategien von Viktor Orbán zu nehmen – auch punktuell Konflikte mit der EU suchen, die abseits ihrer neoliberalen Kernprojekte liegen.
Dass diese Vorgehensweise vom neuen ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz selbst aktiv mitgestaltet wird, zeigt die rechtspopulistische Wende, die sich in seiner Partei vollzogen hat. Weitaus besser als sozialdemokratische Akteure hat Sebastian Kurz begriffen, dass, wer in der Hegemoniekrise des kosmopolitischen Neoliberalismus trotz eines auf Wettbewerb ausgerichteten Programms Wahlen gewinnen will, einen Bruch vollziehen muss. (2) Nachdem dieser mit der Finanzkrise 2008 einsetzende Prozess spätestens mit der sich verbreitenden Abstiegsangst und dem Sommer der Migration 2015 auch im europäischen Zentrum greifbar wurde, vollzog Kurz einen Richtungsschwenk. Der bis dahin als eher liberaler Konservativer geltende Kurz inszenierte sich in seiner Rolle als Außenminister als jener, der die Schließung der Westbalkanroute gegen das »deutsch-EUropäische Establishment« durchgesetzt habe. »Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen«, meinte er dazu in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt.
Kurz weiß sehr genau, dass eine Politik für die oberen fünf Prozent in einer tiefen politischen Krise nur durchsetzbar ist, wenn diese mit rechtspopulistischen und einem rassistisch konnotierten Diskurs gekoppelt wird. Das lässt sich auch aus einem von der ÖVP schließlich als echt bestätigten Strategiepapier herauslesen, das die Wochenzeitung Falter leakte: Die »alten Parteien« hätten im Anschluss an die Krise die Führung verloren, das »System« sei verhasst, und die Menschen hätten »kein Vertrauen mehr in Eliten«. Die einzige Möglichkeit, in dieser Situation »politisch erfolgreich zu sein, ist eine Position einzunehmen, die diese Stimmung bedient – Anders sein, Anti-Establishment«.
Eskalationsspirale
Es ist dieses Aufgreifen einer Wendestimmung und einer rechtspopulistischen, vor allem durch antimuslimischen Rassismus geprägten Strategie, die der ÖVP den Wahlsieg gebracht hat. Die dominanten Kapitalfraktionen in Österreich haben ihre Interessen dadurch nahezu unvermittelt im Regierungsprogramm verankern können. Fraglich ist, ob ihnen bewusst ist, welches Ausmaß die rechtspopulistische Eskalationsspirale hat, die mit der Auslieferung des gesamten Repressionsapparates an die FPÖ verbunden ist.
Entscheidend dafür, ob diese Spirale durchbrochen werden kann, in der sich neoliberale Politik und rassistisches Begehren zu einem Staatsprojekt verknüpfen, wird sein, wie sich die gesellschaftlichen Gegenkräfte positionieren. Wenig ist dabei von der parlamentarischen Opposition zu erwarten. Während die Grünen aus dem Parlament fielen, beschäftigt sich eines ihrer Spaltprodukte, die Liste Peter Pilz, die den Einzug schaffte, wegen des Narzissmus ihres Namensgebers und aufgrund von Vorwürfen der sexuellen Belästigung gegen ihn vorrangig mit sich selbst.
Die Sozialdemokratie scheint in der Opposition die soziale Frage neu entdeckt zu haben, verschärft aber gleichzeitig ihre nationalistische Haltung, die sie schon in der Regierung zur Wegbereiterin der Rechten machte. So warf ihr Bundesgeschäftsführer der FPÖ vor, dass das Regierungsprogramm aufgrund eines Fachkräftemangels vorsehe, »150.000 Zuwanderer ins Land« zu holen, und damit »den Arbeiterverrat« fortsetze.
Anmerkungen:
1) Neben den ÖGB-Gewerkschaften existiert mit der Arbeiterkammer in Österreich eine gesetzliche Interessenvertretung der Beschäftigten.
2) siehe hierzu Lukas Oberndorfer: Hegemoniekrise in Europa – Auf dem Weg zu einem autoritären Wettbewerbsetatismus? In: Forschungsgruppe Staatsprojekt Europa (Hg.); Die EU in der Krise (2012).
Quelle: ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 634… vom 13. Februar 2018
Tags: Gewerkschaften, Neoliberalismus, Neue Rechte, Österreich, Sozialdemokratie
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