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Gründung Israels mit Unterstützung Moskaus

Eingereicht on 14. Mai 2018 – 12:04

Knut Mellenthin. Vor 70 Jahren wurde Israel gegründet. Die Sowjetunion erkannte den Staat als erste de jure an und half anfangs mit Waffen.

Vor 70 Jahren, am Nachmittag des 14. Mai 1948, verlas David Ben-Gurion, der wenige Stunden später erster Regierungschef des jungen Staates wurde, die israelische Unabhängigkeitserklärung. Schauplatz war das Kunstmuseum von Tel Aviv, wo sich die Mitglieder des Jüdischen Nationalrats – einer Art ungewählten Parlaments des Jischuw, der in Palästina lebenden Juden – versammelt hatten. Ben-Gurion, Führer der sozialdemokratischen Partei MAPAI, handelte in diesem Moment als Vorsitzender der Jewish Agency, die vor der Staatsgründung auf internationaler Ebene Regierungsfunktionen wahrnahm. Der Nationalrat bildete anschließend eine provisorische Regierung.

Die Unabhängigkeitserklärung trat um Mitternacht in Kraft. Elf Minuten später teilten die USA als erster Staat der Welt mit, dass sie die provisorische Regierung als »De-facto-Autorität des Staates Israel« anerkannt hätten. Als zweiter Staat folgte die Sowjetunion, die Israel am 17. Mai 1948 nicht nur als Tatsache, sondern auch »de jure«, von Rechts wegen, anerkannte. Diesen Schritt vollzogen die USA erst am 31. Januar 1949, nachdem sechs Tage zuvor ein israelisches Parlament gewählt worden war.

Diplomatische Wende

Genau ein Jahr vor der Unabhängigkeitserklärung hatte sich im Verhältnis zwischen der Sowjetunion und dem Jischuw eine Wende abgezeichnet, die weltweit als überraschend, geradezu sensationell wahrgenommen wurde, obwohl sie im Rückblick eine nachvollziehbare Vorgeschichte hatte: Am 14. Mai 1947 hielt der sowjetische Vertreter bei den Vereinten Nationen, Andrej Gromyko, eine Rede vor der UN-Versammlung, in der er praktisch die Unterstützung seiner Regierung für die Forderung der zionistischen Weltbewegung nach einem eigenen Staat in Aussicht stellte.

Der damals 37jährige Berufsdiplomat sprach am vorletzten Tag einer Sondersitzung, die am 28. April 1947 begonnen hatte. Nötig geworden war diese Debatte, nachdem die britische Regierung am 7. Februar angekündigt hatte, dass sie sich von dem Mandat für Palästina zurückziehen werde, das ihr der Vorläufer der UNO, der Völkerbund, 1922 übertragen hatte. Damit lagen Diskussion und Entscheidung über die Zukunft des Gebiets bei den Vereinten Nationen, ohne dass die Regierung in London dazu einen eigenen Vorschlag machen wollte.

Dieser Schritt der Briten reflektierte die zunehmenden Schwierigkeiten, denen die Kolonialmacht in Palästina gegenüberstand. Anfang 1947 waren dort mehr als 100.000 britische Soldaten stationiert. Der Sicherheitsapparat zur Eindämmung der Konflikte zwischen arabischen und jüdischen Bewohnern verursachte hohe Kosten, die das durch den Weltkrieg finanziell geschwächte Großbritannien nicht mehr tragen wollte. Anschläge rechtszionistischer Terroristen hatten schmerzhafte Verluste der britische Truppen zur Folge. Das Bemühen des Vereinigten Königreichs, jede weitere jüdische Einwanderung nach Palästina zu blockieren, war in vielen westlichen Ländern unpopulär und kollidierte auch mit der Regierungspolitik der USA. Überdies war Großbritannien damals dabei, sich von einem Teil seines Kolonialreichs zu trennen und Größe und Aktionsradius seiner Armee zu verkleinern. Seit Kriegsende liefen die Vorbereitungen für den Rückzug aus der Kronkolonie Indien und deren Teilung in mehrheitlich hinduistische und mehrheitlich muslimische Gebiete. Mehr als 14 Millionen Menschen verloren ihre Heimat. Um Mitternacht zwischen dem 14. und dem 15. August 1947 wurden Indien und Pakistan als getrennte und verfeindete Staaten offiziell unabhängig.

Für Palästina bestanden die zwei Alternativen, über die hauptsächlich gestritten wurde, in der Bildung eines binationalen Staates oder der Teilung des Mandatsgebiets. Die Zionisten lehnten jedoch einen gemeinsamen Staat grundsätzlich ab. Die arabische Seite hätte eine solche Lösung nur ohne Gruppenrechte für den jüdischen Bevölkerungsteil akzeptiert. Da es in Palästina rund doppelt so viele Araber wie Juden gab, wäre das auf einen arabischen Staat ohne kollektive Minderheitsrechte für die Juden hinausgelaufen.

Bis zur Rede ihres UN-Vertreters am 14. Mai 1947 hatte die Sowjetunion sich für die Bildung eines binationalen Staates eingesetzt. Mit dieser Tradition brach auch Gromyko nicht abrupt. Aber die Akzente, die er setzte, waren neu: Palästina sei, so führte er aus, zur »Heimat zweier Völker« geworden, die dort beide »historische Wurzeln« hätten. Die legitimen Interessen beider Völker müssten ausreichend berücksichtigt werden. Das könne nach sowjetischer Ansicht nur durch die »Errichtung eines unabhängigen, binationalen, demokratischen und homogenen arabisch-jüdischen Staates« geschehen, in dem beide Bevölkerungsteile gleichberechtigt seien.

Sollte sich die Bildung eines solchen Staates aber »angesichts der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Juden und Arabern« als unmöglich erweisen, so Gromyko, sei es nötig, die Alternative in Erwägung zu ziehen, nämlich die Teilung Palästinas in zwei unabhängige, autonome Staaten. Eine solche Lösung sei allerdings nur zu rechtfertigen, falls sich die Beziehungen zwischen den Bevölkerungsgruppen wirklich als so schlecht herausstellen sollten, dass Versöhnung und friedliche Koexistenz zwischen ihnen unmöglich seien.

Gromykos Rede enthielt auch Passagen, die über die rein politische Dimension des Konflikts hinauswiesen: Die Juden in den von der Wehrmacht besetzten Territorien hätten durch die »faschistischen Aggressoren« – der Diplomat sprach auch von »Hitleristen«, aber nicht von Deutschen – Unbeschreibliches erlitten. Sie seien Opfer einer nahezu vollständigen physischen Ausrottung geworden. Etwa sechs Millionen Juden seien ermordet worden, nur anderthalb Millionen hätten den Krieg überlebt. Diese Zahlen gäben aber noch keine Vorstellung von den Schwierigkeiten, in denen sich eine große Anzahl von Juden nach Beendigung des Krieges befinde. Hunderttausende seien in Lager für »Displaced Persons« (heimatlose Ausländer) gesperrt. Die Tatsache, dass kein westeuropäischer Staat in der Lage gewesen sei, die Juden vor ihren faschistischen Verfolgern zu schützen, erkläre deren Streben, ihren eigenen Staat zu errichten. »Es wäre ungerecht, das nicht zu berücksichtigen und dem jüdischen Volk das Recht zu verweigern, seine angestrebten Ziele zu verwirklichen.«

Den Auftrag zu dieser Rede hatte Gromyko, das kann als sicher gelten, von Außenminister Wja­tscheslaw Michailowitsch Molotow erhalten. Insgesamt ist die Aktenlage über diese Vorgänge aber leider immer noch sehr dünn. Dass Molotow die Linie der Rede vorgegeben oder genehmigt hatte, ist sehr wahrscheinlich. Dass darüber hinaus auch der gesamte Text, Satz für Satz, abgesprochen worden war, ist zu vermuten. Partei- und Staatsführer Josef Stalin selbst pflegte sich in solche Details der Außenpolitik nicht unbedingt direkt einzuschalten, sondern gab Molotow weitgehend freie Hand. Aber ohne Stalins Zustimmung wäre diese Wende zugunsten des Jischuw und der Zionisten nicht möglich gewesen. Das wiederum setzte voraus, dass er aufgrund der ihm vorliegenden oder vorgetragenen Berichte und Analysen von der Richtigkeit dieser Umorientierung überzeugt war.

Als Gromyko seine Ansprache hielt, hatte die Vollversammlung bereits die Bildung eines Ausschusses beschlossen, der die Lage im Mandatsgebiet untersuchen und Empfehlungen für die Zeit nach dem britischen Rückzug entwickeln sollte. Am folgenden Tag, dem 15. Mai 1947, wurde das United Nations Special Committee on Palestine (UNSCOP) offiziell eingesetzt. Grundsätzlich war vereinbart worden, dass der Ausschuss nur aus Delegierten »neutraler« Staaten gebildet werden sollte. Über Einzelheiten der Besetzung hatte es Kontroversen gegeben. Schließlich gehörten dem Ausschuss Vertreter folgender Länder an: Australien, Kanada, Tschechoslowakei, Guatemala, Indien, Iran, Niederlande, Peru, Schweden, Uruguay und Jugoslawien.

Der Teilungsplan

Das UNSCOP legte seinen Bericht am 3. September 1947 vor. Neben einer Fülle von Fakten und Einschätzungen enthielt er zwei getrennte Abstimmungsergebnisse: Einstimmig wurde unter anderem empfohlen, das britische Mandat zum frühestmöglichen Datum zu beenden, Palästina so bald wie möglich in die Unabhängigkeit zu entlassen, eine Übergangsperiode unter Verantwortung der UNO vorzuschalten, die heiligen Stätten unter internationalen Schutz zu stellen und die Probleme der jüdischen Displaced Persons in Europa mit besonderer Dringlichkeit anzugehen.

Zur Zukunft Palästinas gab es ein Mehrheits- und ein Minderheitsvotum. Von den elf Staaten, die am UNSCOP beteiligt waren, stimmten sieben der Empfehlung zu, das Mandatsgebiet zu teilen. Eine Minderheit von drei Staaten – Indien, Iran und Jugoslawien – befürwortete einen alternativen Vorschlag. Palästina sei das »gemeinsame Land der einheimischen Araber und Juden«, hieß es dort; beide Völker seien mit diesem Land »historisch verbunden« und sollten nach einer Übergangszeit von höchstens drei Jahren in einem gemeinsamen, föderativ aufgebauten Staat gleiche Rechte haben. Unter dem Dach dieser Föderation sollten ein jüdischer und ein arabischer Staatsteil mit einem hohen Grad an Autonomie, unter anderem auch eigenen Polizeikräften, bestehen. Die jüdische Einwanderung – ausschließlich in den jüdischen Staatsteil – sollte unter internationaler Aufsicht so reguliert werden, dass sich die demographischen Verhältnisse in Palästina nicht wesentlich verschieben würden. Die Verbesserung der Lage der auf rund 250.000 geschätzten jüdischen Displaced Persons in Europa sollte als dringliche internationale Aufgabe, aber außerhalb Palästinas angegangen werden.

Die Mehrheitsempfehlung zur Teilung Palästinas in einen arabischen und einen jüdischen Staat enthielt völlig wirklichkeitsfremde, aber auffallend ausführliche Ideen zu deren Strukturen, zu den politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen ihnen und sogar zu ihren Staatsausgaben und -einnahmen. Teil der Empfehlung war auch eine genaue Beschreibung der Grenzen der beiden Staaten und des Gebiets von Jerusalem, das unter internationale Verwaltung gestellt werden sollte. Aus diesem Plan ergab sich erstens, dass der jüdische Staat rund 54 Prozent des Mandatsgebiets erhalten sollte. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch nur etwa ein Drittel der Einwohner Juden. Flächenmäßig wurden kaum 15 Prozent des Landes von Juden bewohnt. Der Mehrheitsempfehlung zufolge sollten im jüdischen Staat 498.000 Juden, 407.000 Araber und 90.000 gesondert gezählte, aber ebenfalls arabische »Beduinen« leben. Die offensichtlich ungerechte Aufteilung des Mandatsgebiets wurde damit begründet, dass der jüdische Staat eine »Reserve« brauche, um mehr Überlebende des Holocaust aufnehmen zu können.

Eine territoriale Aufteilung Palästinas unter den beiden Bevölkerungsgruppen war unter den damaligen Realitäten eine komplizierte Aufgabe, die voraussichtlich nicht mit friedlichen Mitteln zu lösen war. Zwar gab es großflächige arabische Gebiete, aber die Juden lebten mehr oder weniger über das ganze Land verteilt. Eine konsequente Grenzziehung entlang der Wohngebiete hätte ein beispielloses Chaos von Miniterritorien und Enklaven zur Folge gehabt. Dem UNSCOP-Mehrheitsvorschlag zufolge hätten die beiden Nationalstaaten jeweils aus drei separaten Gebieten bestehen sollen, die so ineinander verschachtelt waren, dass die Verbindungswege zwischen ihnen über das Gebiet des anderen Staates führen mussten. Das hätte ein Maximum an gutem Willen vorausgesetzt, um zu funktionieren. In der ex­trem angespannten realen Situation stellte diese Idee eine indirekte Aufforderung zur schnellen Klärung der Verhältnisse durch Krieg dar. Dazu kam ein weiterer Umstand: Nach der Mehrheitsempfehlung hätten 497.000 Araber unter die Herrschaft des jüdischen Staates kommen sollen. Diese lebten mehrheitlich in ausschließlich arabischen Städten, Orten und Gebieten. Gegen ihren Willen war der Teilungsplan nur gewaltsam durchzusetzen.

Verbreitete Legende

Nachdem neu gebildete Unterausschüsse der UNO einige Details der UNSCOP-Empfehlung in wochenlangen Debatten verändert hatten, stand der Plan in modifizierter Form am 29. November 1947 in der Vollversammlung zur Abstimmung. Von den damals nur 57 Mitgliedern der Weltorganisation stimmten 33 für und 13 gegen den konkreten Teilungsvorschlag. Es gab zehn Enthaltungen, und ein Staat – Thailand – nahm an der Abstimmung nicht teil. Die Gegenstimmungen kamen mit Ausnahme Griechenlands, Kubas und des religiös gemischten Indien von muslimischen Staaten. Großbritannien als Mandatsmacht im Abschied enthielt sich. Für den Teilungsvorschlag stimmten neben der Sowjetunion unter anderem auch die Ukraine, Weißrussland – beide hatten, obwohl Teil der Sowjetunion, in der UNO ein eigenes Stimmrecht –, die Tschechoslowakei und Polen.

Die überall im Westen nacherzählte zionistische Legende besagt, »die Araber« hätten die Teilungsresolution 181 abgelehnt, während »die Juden« sie begeistert begrüßt und vor Freude sogar auf den Straßen getanzt hätten. Der erste Teil dieser Geschichte stimmt, wenn man sich nicht daran stört, dass es keinen einzigen arabischen Staat mit einer frei gewählten Regierung gab. Auch »die Juden« hatten keine demokratisch legitimierte oder allgemein anerkannte Führung, die autorisierte Erklärungen hätte abgeben können. Die Reaktion des ­Jischuw war uneinheitlich: Während die Mehrheit die Teilung aus realpolitischer Sicht akzeptierte, ohne den Anspruch auf das gesamte Palästina aufzugeben, protestierte die Rechte – also die Vorläufer der heutigen Regierungspartei Likud – vehement, sprach von einer »nationalen Katastrophe« und verweigerte mit radikalen Parolen die Anerkennung der Resolution 181.

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Entscheidung der UN-Vollversammlung begann der bewaffnete Kampf um Durchsetzung oder Verhinderung der Teilung des Landes. Am 25. Januar 1948 meldeten die Mandatsbehörden, dass in den vorausgegangenen acht Wochen 721 Araber, 408 Juden und zwölf britische Polizisten getötet worden seien. Im selben Zeitraum seien 1.171 Araber, 749 Juden und 37 britische Soldaten oder Polizisten verletzt worden.

Die Beschaffung von modernem Kriegsgerät wurde entscheidend für die militärischen Erfolge des Jischuw. Während die US-Regierung am 5. Dezember 1947 ein Waffenembargo über den Nahen Osten verhängte, erwies sich die Hilfe der Sowjetunion als äußerst entgegenkommend und – nach Aussagen und Einschätzungen vieler israelischer Politiker – sogar kriegsentscheidend. Moskau trat dabei allerdings nicht direkt in Erscheinung, sondern delegierte die Waffenlieferungen an die Regierung in Prag. Zwischen Dezember 1947 und dem 15. Mai 1948 erwarb die Jewish Agency für 13 Millionen Dollar – hauptsächlich aus Spenden, die in den USA gesammelt worden waren – Waffen in der Tschechoslowakei. In der zweiten Jahreshälfte 1948 stellte Prag einen Kredit von zwölf Millionen Dollar für weitere Waffenkäufe zur Verfügung. Um zu einer realistischen Vorstellung des gegenwärtigen Werts zu kommen, müssten diese Summen mindestens verzehnfacht werden. Die Tschechoslowakei übernahm daneben auch die Ausbildung israelischer Piloten und Fallschirmjäger. Ein Teil der an Israel gelieferten Waffen stammte aus erbeuteten Beständen der deutschen Wehrmacht. Von herausragender militärischer Bedeutung war, dass Prag im Frühjahr 1948 auch 25 Jagdflugzeuge des Typs Avia »S-199« lieferte. Im Grunde handelte es sich dabei um einen Nachbau der »Me 109« – offiziell Mes­serschmitt »Bf 109« –, eines der besten Flugzeuge der deutschen Luftwaffe. Man kann sagen, dass damit die niemals gebrochene israelische Luftüberlegenheit ihren Anfang nahm.

Ungewöhnliche Kooperation

Die ungewöhnliche Kooperation zwischen der Sowjetunion und Israel verlor nach dem Abflauen der Kriegshandlungen im Herbst 1948 allmählich, aber keineswegs abrupt an Intensität und Umfang. Definitiv endete sie erst am 13. Februar 1953, als Moskau nach einem rechtszionistischen Terroranschlag auf seine Botschaft in Tel Aviv die diplomatischen Beziehungen abbrach. Ein nachhaltiger Einschnitt waren allerdings schon vorher die prozionistischen Kundgebungen in Moskau in Zusammenhang mit der ersten Botschafterin Israels in der Sowjetunion, Golda Meir.

Die 1898 in der Ukraine geborene, aber schon als Fünfjährige mit ihrer Familie in die USA übergesiedelte MAPAI-Politikerin, die damals noch den Nachnamen ihres Ehemannes, Meyerson, führte, hatte ihr Diplomatenamt in der sowjetischen Hauptstadt am 2. September 1948 angetreten. Ihre Gottesdienstbesuche in Moskaus bedeutendster Synagoge verursachten mindestens dreimal Menschenaufläufe jubelnder und applaudierender Juden. Das bedeutendste Ereignis dieser Art fand am 4. Oktober 1948 anlässlich des Beginns des jüdischen Neujahrsfestes statt. Meir schrieb später in ihren Memoiren, dass annähernd 50.000 Menschen sich an diesem Tag rund um die Synagoge versammelt hätten. Die Szene diente als Vorlage für die Grafik auf dem Zehn-Schekel-Geldschein.

Aus Sicht der sowjetischen Führung, namentlich des konstant misstrauischen Stalins, bestätigten diese Aufläufe die Befürchtung, dass viele jüdische Bürgerinnen und Bürger mit dem neugegründeten zionistischen Staat sympathisierten. Das war, da die KPdSU den Zionismus schon zur Zeit Lenins abgelehnt hatte und nationalistische Bestrebungen im eigenen Vielvölkerstaat grundsätzlich für pro­blembeladen hielt, selbstverständlich unerwünscht. Schon im Frühjahr 1948 hatte die sowjetische Führung damit begonnen, international wirkende jüdische Strukturen wie das Antifaschistische Komitee, die während des Krieges gegen die deutsche Aggression sehr nützlich gewesen waren, zu liquidieren. Am 20. November 1948 wurden das Komitee selbst und seine Zeitschrift Ejnikait (Einigkeit) aufgelöst. Es folgten im Dezember 1948 und Januar 1949 die Verhaftungen aller Führer des Antifaschistischen Komitees.

Wenn über die Gründe und Hintergründe der kurzlebigen Zusammenarbeit der Sowjetunion mit der zionistischen Weltbewegung und dem Jischuw gesprochen wird, stehen realpolitische Kalküle in Vordergrund. Stalin habe vor allem die Position Großbritanniens schwächen wollen, heißt es. Hinzugekommen sei, dass aus sowjetischer Sicht der entstehende israelische Staat sehr viel progressiver erschien als die reaktionären arabischen Regimes der Region. Letzteres galt damals als sehr wichtig. Aber zum Bild gehört auch, dass die zionistische Weltbewegung schon seit spätestens 1941 enge und konstante Beziehungen zu sowjetischen Auslandsdiplomaten, insbesondere solchen mit jüdischen Wurzeln, unterhalten hatte. Deren Berichte und Memoranden beeinflussten wiederum die Sichtweise Molotows und über diesen letztlich auch Stalin.

Quelle: jungewelt.de.. vom 14. Mai 2018

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