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25. Mai 2020: Neuer landesweiter Protest-Tag in Ecuador

Eingereicht on 27. Mai 2020 – 14:54

Nachdem die Regierung Moreno in Vollzug der Bedingungen (englisch: Blackmail, spanisch: Chantaje), die der Internationale Währungsfonds für einen Kredit über etwas über 4 Milliarden Dollar gestellt hatte, neue Kürzungen angekündigt hatte – wie etwa insgesamt Einsparungen beim öffentlichen Dienst (sprich: „Personal“ausgaben) und öffentlichen Unternehmen – ist die Situation in Ecuador ausgesprochen zugespitzt. So zugespitzt, dass dies selbst im nicht eben informativen Aufmerksamkeits-Medium Twitter auf einen Blick deutlich wird, sammeln sich doch die Anhängerinnen und Anhänger der zwei Grundrichtungen – für oder gegen die Maßnahmen der Regierung (und des IWF) – unter zwei Hashtags. #nuevooctubre oder #nomasoctubre – so einfach kann das sein. Während die einen einen “neuen Oktober” wollen, also eine (zumindest teilweise erfolgreiche) Massenmobilisierung gegen die reaktionäre Regierungspolitik, wollen die anderen dies keinesfalls, sondern – unter rituellem Verweis auf die Opfer der Gewalt (die nun eher selten Opfer der DemonstrantInnen waren, sondern umgekehrt) ihre Bereitschaft andienen, zu „arbeiten, um das Land wieder hoch zu bringen“. In einer Situation, die durch die Corona-Epidemie (und die faktische Gleichgültigkeit der Regierung) alle Probleme verschärft werden (inklusive der Widersprüche im Lager der Opposition), fand der Protesttag mit – Abstand haltenden – großen Mobilisierungen erfolgreich statt. Siehe dazu sechs aktuelle Beiträge, darunter auch zwei Videoberichte aus verschiedenen Orten, sowie Berichte von zahlreichen Protesten in den letzten Tagen und zwei Beiträgen zur Regierungspolitik, die diese Proteste auslöste:

Quito, 25. Mai 2020

„Ecuador. Movilizaciones contra el recorte económico“ am 26. Mai 2020 bei Resumen Latinoamericano ist ein erster Überblick über die Aktionen am Vortag inklusive der Information darüber, wer dazu wo und wann mobilisieret hat. Und dass der Präsidentenpalast in der Hauptstadt von einem massiven Polizeiaufgebot „geschützt“ war…

„Ahora Guayaquil” am 25. Mai 2020 im Twitter-Kanal Ecuador Today ist ein Video von der Demonstration eben in Guyaquil – im Rahmen einer ganzen Reihe von Tweets auf diesem Kanal aus den einzelnen Städten Ecuadors.

„Corona-Krise in Ecuador: Zunehmende Proteste gegen Regierungsmaßnahmen“ von Lara Röscheisen am 22. Mai 2020 bei amerika21.de über die täglichen Proteste vor dem Protesttag:„… Die Maßnahmen der Regierung, vor allem die Kürzungen im Gesundheits- und Bildungswesen, werden indes von der Bevölkerung zunehmend kritisiert. In zahlreichen Städten breiten sich Proteste aus. Soziale Organisationen, Studierende, Gewerkschaften und indigene Gruppen fordern die Aufhebung der von der Regierung beschlossenen Sozialkürzungen. Am 14. Mai wurde in Guayaquil eine friedlich verlaufende Demonstration mit dem Motto “Wir sind in Trauer und Widerstand”, bei dem es um verschiedene Fragen im Zusammenhang mit dem Gesundheitsnotstand ging, gewaltsam von der Polizei aufgelöst. Der Menschenrechtsausschuss in Guayaquil berichtet, dass mehrere Teilnehmende festgenommen wurden und kritisiert die willkürliche Inhaftierung von Menschenrechtsverteidigern. Zur Demonstration aufgerufen hatten mehrere sozialen Organisationen. Sie richtete sich gegen die Kürzungen des Bildungsbudgets, den fehlenden Zugang zu medizinischer Versorgung und Lebensmitteln, die hohe Arbeitslosigkeit, das Versagen des Gesundheitssystems, fehlende Regelungen für den Umgang mit Verstorbenen, die steigende häusliche Gewalt gegen Frauen und die mangelhaften Bedingungen für medizinisches Personal. In Quito fand parallel eine Demonstration von Straßen- und Kleinhändlern vor dem Regierungspalast statt. In einem Brief an Moreno forderten sie die Einbeziehung von Straßenhändlern in Schutzmaßnahmen, wie die Bereitstellung von finanziellen Ressourcen, Hygieneartikeln (wie Mundschutz und Desinfektionsmittel) und Lebensmittelpaketen…“

„Ecuador: Kampf gegen das “Humanitäre Gesetz”“ am 22. Mai 2020 bei Dem Volke Dienen ist ein Video ebenfalls über einen Protest vor dem Protesttag hier in Ibarra, wozu unter anderem begleitend ausgeführt wird: „… Arbeiter, arme Bauern, bewusste Studenten und die Massen im Allgemeinen versammelten sich auf der Ajaví-Ringstraße, um gegen das falsch benannte „Humanitäre Gesetz“ und die neuesten Maßnahmen des Regimes zu protestieren, die zusätzlich zu einer Senkung der Löhne um bis zu 25% bei Arbeitern im öffentlichen Sektor, mit der schrittweise Abschaffung der Kraftstoffsubvention begannen und öffentliche Unternehmen in die Unersättlichkeit des Privatsektors zu verwandeln. Zweifellos gibt es an diesem Tag zwei äußerst wichtige Ereignisse. Auf den Hauptstraßen der Stadt wurde ein Marsch durchgeführt, der zur Residenz des CREO-Abgeordneten Marcelo Simbaña führte, als Ausdruck der Ablehnung und des tiefen Klassenhasses, Teil jener elenden Menschen zu sein, die für das „Humanitäre Gesetz“ gestimmt hatten, einer Kriegserklärung an die Arbeiter. Offensichtlich kamen die bewaffneten Henker der Stadt, die Polizei, diese Elenden, um ihn zu schützen. Der andere wichtige Aspekt ist, dass die Polizei entsprechend eines Kampftags konfrontiert wurde. Diese Cicateros [die Kleinlichen, Knauserigen] versuchten, die Führer der Arbeiter im Strom- und Agrarsektor gewaltsam zu verhaften…“

„DAS VIRUS HAT ALLE PROBLEME VERSCHÄRFT“ in den Lateinamerika Nachrichten 551 (Ausgabe Mai 2020) ist ein Interview von Caroline Kim mit Yuliana Ortiz Ruano, mit einem Schwerpunkt auf der Situation in Guyaquil: „… Guayaquil ist eine sehr verarmte Stadt, es gibt sehr viele Menschen, die im Servicebereich und bei externen Dienstleister*innen arbeiten. Es gibt sehr viel, was auch normalerweise nicht innerhalb der Regeln abläuft. Der Philosoph Paul B. Preciado hat in einem Artikel geschrieben, dass das Virus all die Problematiken, die es schon vorher in einer Stadt gab, nochmal exponentiell ansteigen lässt. Guayaquil hatte schon viele Probleme. Es ist eine segregierte Stadt, die Armut ist überall sichtbar, es ist die Stadt, wo der Gegensatz von Zentrum und Peripherie am offensichtlichsten wird. Es gibt sehr viele wohnungslose Menschen in Guayaquil, sie schlafen im Zentrum auf der Straße, Menschen, die aus Venezuela gekommen sind, aber auch aus Guayaquil selbst, Sexarbeiter*innen oder Jugendliche, die Drogen konsumieren. Das Gesundheitssystem war schon vorher kollabiert. Das Virus hat all die Probleme verschärft, die schon vorher da waren. (…) In Guayaquil kommen die meisten Migrant*innen vom Land in die Stadt. Aus der umliegenden Provinz Guayas, aber auch aus anderen Teilen Ecuadors. Aus den ärmeren Stadtteilen kommen viele, um in den Häusern der Wohnbezirke zu arbeiten, als Hausangestellte, Putzkräfte, Gärtner*innen, Chauffeure. Vor allem Frauen, Schwarze Frauen, Indigene, Cholas, angestellt von der weißen Bevölkerung. Bestimmte koloniale Relikte erhalten sich immer noch. Es gibt massenweise Menschen, die im Service arbeiten oder als Straßenhändler*innen, die zu Fuß verkaufen. Sie haben keine Lebensversicherung und auch keine sonstigen Versicherungen. Sie leben von Tag zu Tag. Sie sind diejenigen, die am stärksten durch das Coronavirus betroffen sind. Es gibt Viertel, in denen es kein Wasser gibt, keine Kanalisation, keine asphaltierten Straßen und andere, die sogar Golfplätze haben. All dies kommt in der gleichen Stadt zusammen. Abgrundtiefe wirtschaftliche Unterschiede…“

„Gesundheitsnotstand und Kürzungspolitik in Ecuador“ von Timm B. Schützhofer am 25. Mai 2020 bei amerika21.de  fasst die Regierungsmaßnahmen, die Auslöser des landesweiten Protesttages waren so zusammen: „… Als “Corona-Schutzmaßnahme” wurde die Arbeitszeit im öffentlichen Dienst reduziert. Bei nun sechs statt acht Stunden Arbeitszeit wurden die Gehälter zwischen 16,6 und 8,3 Prozent gekürzt. Ausgenommen sind Ärzte, Polizisten und Soldaten. Die “Schrumpfung” des Staatssektor wird angesichts der Krise weiter beschleunigt. Zudem sollen sieben Staatsunternehmen geschlossen, weitere privatisiert oder zusammengelegt werden, darunter die Fluglinie TAME und die Post. Zur Stabilisierung der Wirtschaft soll ab dem 25. Mai eine Milliarde Dollar für die Reaktivierung des Produktionssektors bereitgestellt werden, um kleinen und mittleren Unternehmen die Zahlung von Löhnen und Gehältern zu ermöglichen. Die Banco del Pacífico bietet als erste das Darlehen mit Zinssätzen von bis zu fünf Prozent, einer Laufzeit von 36 Monaten und einer Nachfrist von sechs Monaten an. Jede Woche kommen weitere Banken und Kreditgenossenschaften hinzu. Ecuador wird besonders stark durch den Ausbruch von Covid-19 getroffen. Im April erreichten die erschreckenden Bilder von Verstorbenen in den Straßen von Guayaquil auch die Zuschauer internationaler Medien. Das Gesundheitssystem in der Hafenmetropole war zusammengebrochen, Schutzmaßnahmen wurden zu spät umgesetzt, Gelder für das Gesundheitssystem nicht bereitgestellt. Eindeutige Zahlen und klare Ursachenanalysen liegen indes nicht vor. Kürzungen und Entlassungen im Gesundheitssektor hatten die Versorgung bereits in den Jahren vor der Corona-Pandemie geschwächt. Das Land befindet sich weiterhin im Ausnahmezustand. Auch die wirtschaftlichen Aussichten sind düster, der IWF rechnete bereits im April mit einer Rezession von 6,3 Prozent. Offensichtlich sieht die Regierung Moreno den Weg aus der Krise weiterhin in der Reduzierung des Staatssektors und in der Kürzung öffentlicher Leistungen, während Maßnahmen zur Verhinderung von Kapitalflucht und zur Stabilisierung der Außenhandelsbilanz unterbleiben. Mit den neuen Maßnahmen verschärft die Regierung ihren neoliberalen Wirtschaftskurs weiter…“

Quelle: labournet.de… vom 27. Mai 2020

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