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25 Jahre: BRD-Bourgeoisie überrumpelte die Arbeiterklasse in der DDR

Eingereicht on 4. Juli 2018 – 15:23

Jörg Roesler. In der DDR zählte der Bischofferöder Kalibergbau zu den profitablen Sektoren, aber nach der »Wende« wurde die Grube geschlossen – im Interesse von BASF. Ein Bericht über den Kampf der Thüringer Kumpel vor 25 Jahren. Der Widerstand der Bischofferöder war ein wichtiger Bezugspunkt für die von Entlassungen betroffenen Arbeiter in Ostdeutschland.

Den kleinen Bergbauort Bischofferode im thüringischen Eichsfeld kannte vor einem Vierteljahrhundert kaum jemand. In der zweiten Maihälfte 1993 änderte sich das schlagartig. Damals demonstrierten die Kumpel des dortigen Kaliwerks »Thomas Müntzer« im Zentrum Berlins vor dem Treuhandgebäude in der Leipziger Straße ausdauernd und eindrucksvoll gegen die beabsichtigte Schließung ihres Schachtes. Die Treuhandpräsidentin Birgit Breuel sah sich genötigt, vor die Tür zu treten und mit den Demonstranten zu sprechen. »Da haben wir ihr unseren Empfang bereitet – eine Menge Eier ans Gebäude gefeuert«, hat ein Mitglied des Betriebsrates später die Szene beschrieben. Die Medien wurden aufmerksam. Der Name Bischofferode ging durch Presse und Rundfunk.

Mit dem Eierwurf auf Breuels Residenz demonstrierten die Kalikumpel ihre Wut auf die Privatisierungsanstalt, die ihren Betrieb, mit dem sie eng verbunden und auf den sie stolz waren, zu liquidieren beabsichtigte. Es war fast drei Jahre her, seit mit der Wirtschafts- und Währungsunion die Grenze zum nahen Hessen beseitigt worden war, die Westwaren ins Land strömten und die Überführung der ostdeutschen Betriebe in die Marktwirtschaft begonnen hatte. Bei vielen Ostdeutschen herrschte damals Euphorie. So auch im Eichsfeld, der einzigen flächendeckend katholischen Region in der DDR. Viele Menschen dort glaubten sich in der Bundesrepublik, zumal bei dem katholischen Kanzler Helmut Kohl, gut aufgehoben. Als in Thüringen die ersten Betriebe pleite gingen, waren die Kumpel des Kaliwerks in Bischofferode noch nicht sonderlich beunruhigt. Sie glaubte, dass ihr Unternehmen im Gegensatz zu vielen anderen ostdeutsche Betrieben gute Aussichten hätte, trotz harten Konkurrenzdrucks auf dem Markt zu bestehen.

Devisenbringer

Im Oktober 1990 schätzten westdeutsche Wirtschaftsexperten ein, dass 40 Prozent der ehemaligen DDR-Betriebe »auf den westlichen Märkten nicht konkurrenzfähig« seien, »wenn ihr unzureichendes Warenangebot für beinahe gesättigte, hart umkämpfte Märkte bestimmt ist«. Weitere 30 Prozent sahen die Wirtschaftsexperten »in ihrer Existenz gefährdet.« Nur »rund 30 Prozent der Unternehmen«, hieß es, »können ihre Anpassungsprobleme aus eigener Kraft lösen«.

Zu dieser Gruppe, meinten die Bischofferöder, gehöre auch ihr Betrieb. Von den Fachleuten wurde das vor allem mit der Exportfähigkeit der Kalibetriebe begründet. Etwa 80 Prozent des in der DDR erzeugten Salzes, das sich dem Umfang nach auf 87 Prozent der westdeutschen Förderung belief und von der geologischen Qualität her mindestens so gut wie das westdeutsche war, wurden exportiert, in großem Umfang auch nach Westeuropa. In der in den 1980er Jahren im Westen stark verschuldeten DDR schätzte man die Kalibetriebe als Devisenbringer und förderte sie.

Es erwies sich jedoch, dass auch die gegenüber manch anderem Zweig der DDR-Industrie besser ausgerüsteten Betriebe des Kalibergbaus – insgesamt zehn, davon neun in Thüringen – von der Entlassungswelle, die seit der Währungs- und Wirtschaftsunion durch die »neuen Bundesländer« rollte und bis Dezember 1990 zu einer Zahl von 642.000 Arbeitslosen geführt hatte, nicht verschont blieben.

In den ersten drei Jahren nach der »Wende« kam es auch in Bischofferode zu Entlassungen. Von ursprünglich 1.600 Beschäftigten waren 1993 noch 726 übrig. Fünf der thüringischen Kalischächte hatten bereits dichtgemacht. Teilweise handelte es sich um im Vergleich zu Bischofferode weniger ertragreiche Förderstätten. Als aber Anfang 1992 der Kalischacht im benachbarten Roßleben schloss, schrillten bei den Bischofferödern die Alarmglocken. Sie wussten, Roßleben war eine Lagerstätte, deren Kalivorkommen für fast 100 Jahre reichten. Niemand konnte ihnen erklären, warum ein solcher Betrieb geschlossen wurde.

Der Betriebsrat wandte sich hilfesuchend an die zuständige Westgewerkschaft, die IG Bergbau und Energie. Deren Funktionäre wiesen auf die Verhandlungen der Treuhandanstalt (THA) mit der hessischen Kali und Salz AG hin, deren Ergebnis man abwarten müsse. Die Verhandlungen der THA mit dem hessischen Unternehmen, das mehrheitlich zum BASF-Konzern gehörte, führten Ende April 1993 zu einem Fusionsvertrag. Von der damit geschaffenen Mitteldeutschen Kali- und Salz AG (MDK) gehörten der BASF 51 Prozent der Aktien, der Treuhandanstalt 49 Prozent, d. h. die BASF konnte von nun an bestimmen, was mit den thüringischen Bergwerken geschah.

Die Förderung sollte, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu sein, streng durchrationalisiert werden, hieß es seitens des rheinland-pfälzischen Konzerns, einschließlich der Aufgabe weniger rentabler Schächte, die nach Meinung der MDK vor allem im Thüringischen lagen. Die Westgewerkschafter erklärten sich mit diesem Vorgehen, »das der Markt diktiert«, einverstanden.

Seitens der Geschäftsleitung der MDK wurde rasch verkündet: Von den verbliebenen vier ostdeutschen Kalischächten sind 1993 zwei weitere zu schließen. Zum Betrieb in Bischofferode wurde vermerkt: »Wird je nach Marktlage geschlossen.« In Hessen sollte nur ein Schacht aufgegeben werden. Für den Bischofferöder Betriebsrat war damit klar: »Es sollte eine Fusion stattfinden, bei der vom Osten fast nichts bleibt. Die lästige Konkurrenz sollte eliminiert und außerdem sollten neue Märkte für den Westen gewonnen werden.«

Hungerstreik

Als Antwort auf die veränderte Situation entschieden die Kumpel: »Wir werden uns nicht wie die Kälber zur Schlachtbank führen lassen und dann noch für ein paar Mark danke sagen.« Bereits für den Heiligabend 1992 organisierte der Betriebsrat im Eichsfeld die erste Großdemonstration gegen die Schließung. »Wir waren zunächst nur unter uns; nur die regionale Presse war auch da.« Dabei sollte es nach Meinung der Protestierenden nicht bleiben. Um die Aufmerksamkeit für ihren Fall in ganz Thüringen und darüber hinaus zu gewinnen, wurden Demonstrationen vor dem Landtag in Erfurt, vor dem Bundestag in Bonn und vor der Treuhandanstalt in Berlin organisiert. Ein Betriebsratsmitglied erzwang für sich sogar den Zugang zur Aktionärsversammlung der BASF an ihrem Sitz in Ludwigshafen. Über diese spektakuläre Aktion berichteten die Medien, auch über eine Delegation von Katholiken aus dem Eichsfeld, die ihre Beschwerden bezüglich des Umgangs mit dem Schacht dem Papst in Rom vortrug.

Den Höhepunkt der Aufmerksamkeit gewannen die Bischofferöder Kumpel aber, als zwölf von ihnen am 1. Juli 1993 unter Tage in den Hungerstreik traten. Bald schlossen sich ihnen weitere 29 Kumpel an. Die Nachricht schlug ein. Fast täglich waren von nun ab in dem kleinen verschlafenen Ort Übertragungswagen von Rundfunk und Fernsehen präsent.

Je öfter die Medien etwas über Bischofferode zu berichten hatten – der Betriebsrat informierte fast täglich über die Geschehnisse in und um den Schacht –, desto mehr wuchs die Solidarität mit den Kumpeln. Nunmehr gab es auch Unterstützung von gewerkschaftlicher Seite – von der IG Metall und der IG Medien zum Beispiel. Vor allem aber waren es die Belegschaften von seit 1990 vom Aus bedrohten ostdeutschen Betrieben, die mit Bischofferode sympathisierten und sich mit den Kalikumpel solidarisierten. Meist befand sich ihr Betrieb in ähnlicher Lage, waren sie von Entlassungen und von Schließung bedroht. Hatte in Ostdeutschland die Zahl der Kurzarbeiter im zweiten Halbjahr 1990 »nur« eine Dreiviertelmillion und die der Arbeitslosen eine Viertelmillion betragen, so arbeiteten ein Jahr später bereits anderthalb Millionen Menschen kurz, und fast eine Million Ostdeutsche war arbeitslos geworden. Im Bergbau und im verarbeitenden Gewerbe hatte es in den neuen Bundesländern 1991 noch 1,8 Millionen Beschäftigte gegeben, 1993 war ihre Zahl auf 1,2 Millionen gesunken. Hatten die meisten Menschen ihre Entlassung bzw. die Betriebsschließung als unvermeidlich hingenommen, so zeigte ihnen Bischofferode nunmehr, dass Widerstand gegen die von der Treuhand verordnete Liquidierungsstrategie möglich war.

Der Ruf »Bischofferode ist überall!«, der durch die neuen Länder ging, bedeutete zweierlei. Erstens: Was in Bischofferode geschieht, die Kündigung und die finale Betriebsschließung, droht auch uns. Auch wir hätten uns wehren können oder sollten uns wehren. Zweitens: Niemand kann sich sicher fühlen. Selbst wenn ein Betrieb gut aufgestellt ist und über einen Absatzmarkt für seine Produkte verfügt, schützt das nicht vor Entlassung und Schließung, wenn die Treuhand und die westdeutschen Konzerne es so wollen.

Solidarität mit den Bischofferöder Kumpeln gab es nicht nur im Osten, sondern auch in den westlichen Bundesländern. Als der Aufsichtsrat der Mitteldeutschen Kali und Salz AG in Frankfurt am Main tagen sollte, fuhren die Bischofferöder mit dem Bus hin (bis auf eine kleine Gruppe, die zu Hause Wache hielt, damit niemand die Förderausrüstungen, die an diesem Tag verwaist waren, beschädigen konnte). Zusammen mit den Sympathisanten waren es an die 3.000 Menschen, die nach Frankfurt kamen. Der Aufsichtsrat wurde nervös. Man charterte ein Flugzeug. Die Sitzung wurde im letzten Moment nach München verlegt.

Auch andere wurden angesichts der Proteste nervös. Zwar blieb die BASF hart. Aber die thüringische Landesregierung versuchte, die Kumpel mit Versprechungen zu beruhigen. Für 700 Arbeitsplätze werde sie sorgen, wenn der Hungerstreik beendet und der Kaliabbau eingestellt würde, hieß es aus Erfurt. Die Kumpel lehnten ab. Die Grube sei intakt, Kalisalz werde gebraucht, in Deutschland wie weltweit. Warum sollte der Rohstoff nicht mehr gefördert werden? Warum sollten sie, die Einwohner des Ortes, die seit Jahrzehnten mehrheitlich in der Grube ihre Arbeit gefunden hatten, genötigt sein, irgendwo in Deutschland, weit weg von Familie und Heimat zu arbeiten?

West gegen Ost

Der MDK ging es mit ihren Schließungsplänen um Verlustminimierung. Der westdeutsche Kalibergbau, dem seit den 1980er Jahren die internationale Konkurrenz aus Kanada und der Sowjetunion zu schaffen machte, sollte endlich wieder Gewinne abwerfen. Zuvor war im hessischen Kalibergbau stetig rationalisiert worden, immer wieder kam es zu Entlassungen. Die Wirtschafts- und Währungsunion vom Juli 1990 erlaubte es der hessischen Kali und Salz AG, die bereits in die Verlustzone abgerutscht war und seit einigen Jahren keine Dividende mehr auszahlte, die ostdeutsche Konkurrenz auszuschalten – und zwar mit Mitteln, die keineswegs marktkonform waren.

Die Fusion mit den aus dem ostdeutschen Kombinat Kali Sondershausen hervorgegangenen Treuhandbetrieben bot der MDK die Möglichkeit, ein weiteres Sanierungskonzept zu beschließen, die »Kalischwemme« mittels Stillegungen in Thüringen zu beseitigen und dadurch die Weiterexistenz hessischer Kalibergwerke (mit einer zugestandenen Ausnahme) zu sichern. Gegenüber den ostdeutschen Geschäftsleitungen und Belegschaften argumentierte man, dass es dem Gemeinschaftsunternehmen durch innerbetriebliche Rationalisierung gelingen werde, in den nächsten fünf Jahren wieder in die Gewinnzone zu gelangen. Das sei aber nur möglich, wenn die nicht wirtschaftlichen Förderkapazitäten schrittweise um ein, zwei Millionen Tonnen Kali reduziert würden.

Die Kumpel in Bischofferode hatten, ohne die Details der geheimen Übereinkunft der Kali und Salz AG mit der Treuhand zu kennen, den Sinn dieses angesichts der schwierigen weltweiten Situation des Kalibergbaus als »Vernunftehe« bezeichneten Vorhabens bald durchschaut. Sie ließen sich von weiteren Protestaktionen gegen die Schließung ihres Werks aus »Rationalisierungsgründen« nicht abhalten. Im Thomas-Müntzer-Schacht wurde weiter Kali gefördert. Der Anfang Juli 1993 begonnene Hungerstreik wurde fortgesetzt. Nach acht Wochen, am 1. September, sah sich der Betriebsrat allerdings veranlasst, den strapaziösen Streik im Interesse der Gesundheit der beteiligten Kumpel einzustellen. Der Kampf um den Erhalt des Bergwerks wurde aber fortgesetzt. Die Grube förderte weiter – noch vier Monate lang.

Ungeachtet der Proteste und ihres Widerhalls in ganz Deutschland hielten Treuhand und BASF an dem Schließungsbeschluss fest. Im Betriebsrat wurde im Dezember erneut beraten. Die Mitglieder wussten, dass die Belegschaft keine Kraft für die Fortsetzung des Kampfes mehr hatte. Das musste akzeptiert werden. Was konnte man noch tun? Sollte man jetzt einfach aufgeben, so argumentierte die Mehrheit, »wird das ganz schlimm für alle jene, die vielleicht auch einmal den Mut haben, sich gegen ähnliche Konzern- und Treuhandpraktiken zu wenden«. Man kam deshalb überein, nur aufzugeben, wenn alle am Widerstand Beteiligten nach der Schließung der Grube Arbeit erhielten sowie eine angemessene finanzielle Entschädigung.

Die Politik schaut weg

Die Geschäftsführung der MDK bot eine zweijährige Beschäftigungsgarantie für alle Bischofferöder Kaliwerker an. Sie sollten in dieser Zeit ihren Bergmannslohn behalten, unabhängig davon, ob sie in einer Beschäftigungsgesellschaft tätig wurden oder an Umschulungsmaßnahmen teilnahmen. Hinzu kam für jeden ein »Schmerzensgeld« von 7.000 D-Mark. Am 31. Dezember 1993 einigte man sich. Der Betriebsrat billigte die Stillegung. Ganz wohl fühlten sich dessen Mitglieder dabei nicht. Einige sprachen von einem »Judaslohn«, für den man den Betrieb aufgegeben habe.

Der Mitteldeutsche Kali AG konnte sich durchsetzen, weil hinter ihr zwei einflussreiche Mächte standen. Die BASF war und ist der größte international agierende deutsche Chemiekonzern. Ihm gehörten 80 Prozent des Aktienpakets der MDK, soweit es sich in Privathand befand. Die BASF war dabei, ihre Kalisparte wieder aus der Verlustzone bringen. Die soziale Folgen eines weitgehenden Kahlschlags unter den ostdeutschen Kalikumpeln interessierten dabei nicht.

In dieser Situation hätte die Politik Thüringen vor den Folgen der rigorosen Konzernpolitik schützen können. Nachdem sich Sympathisanten in allen neuen Bundesländern und darüber hinaus den Kampf der Bischofferöder und ihre Losung »Bischofferode ist überall!« zur Herzenssache gemacht hatten, wäre es Sache der Bundesregierung gewesen, im Interesse der Allgemeinheit der BASF, dem letztlich verantwortlichen Konzern, in seiner Kahlschlagpolitik Einhalt zu gebieten.

Warum kam es dazu nicht? Die Antwort lautet: weil Helmut Kohl, 1969 bis 1976 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, mit dem im Bundesland ansässigen Konzern verbandelt war. Kohl war im westlich von Ludwigshafen gelegenen Oggersheim aufgewachsen, gewissermaßen im Schatten der BASF-Zentrale. In Zusammenhang mit der CDU-Parteispendenaffäre von 1999 wurde bekannt, dass der Konzern wie einige andere Großunternehmen der deutschen Chemieindustrie Einfluss auf die Politik des Bundeskanzlers genommen hatte.

Aber hätte nicht die Landesregierung von Thüringen, dessen Bürger vom Niedergang der ostdeutschen Kaliindustrie in erster Linie betroffen waren, eingreifen müssen? Zum Ministerpräsidenten des nach 1990 gebildeten Bundesstaates Thüringen wurde von der CDU, die als Sieger aus den ersten Wahlen zum Landtag hervorgegangen war, 1992 ein gewisser Bernhard Vogel gewählt – ein Politiker aus Rheinland-Pfalz. Der war Helmut Kohl 1976, als dieser Kanzler wurde, als Ministerpräsident gefolgt. Beide verband seit ihrer Studienzeit eine Freundschaft. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, warum weder die Bundes- noch die Landespolitik versuchten, zugunsten der Kaligruben im Eichsfeld und anderswo in Thüringen einzugreifen und die desaströse Konzernpolitik der BASF zu stoppen. Die Mitglieder des Betriebsrats kannten diese Zusammenhänge seinerzeit nicht. Sie konnten schließlich nur resignierend erkennen: »Wir hatten die Macht nicht. Die Macht hatten die anderen.«

Ein Symbol

Doch mit der Schließung des Kalibergwerks im Dezember 1993 ist der Name Bischofferode nicht verschwunden. Volker Braun hat diesem und anderen Kämpfen 2011 in seiner Erzählung »Die hellen Haufen« ein literarisches Denkmal gesetzt. Ungeachtet des unbefriedigenden Ausgangs des Streiks für den Erhalt des Bergwerks ist Bischofferode zum Symbol geworden. Der Name fällt immer dann, wenn behauptet wird, die Ostdeutschen hätten um der D-Mark willen klaglos alles aufgegeben, was nicht in die Bundesrepublik gepasst hätte.

Und natürlich ist Bischofferode auch ein Argument gegen die westdeutsche Mär, dass nur diejenigen Ostbetriebe nach 1990 keine Chance in der vergrößerten Bundesrepublik gehabt hätten, deren Entwicklung vor 1990 von der politischen Führung der SED vernachlässigt worden war. Tatsache aber ist: Wenn der »Markt« den potentiellen Ostkonkurrenten nicht aus dem Weg räumte, dann wurden eben andere Mittel angewandt. Auch dafür ist Bischofferode ein Beispiel, das nicht vergessen werden darf.

Quelle: jungewelt.de… vom 4. Juli 2018

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