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Revolution Ade?

Eingereicht on 6. Dezember 2018 – 12:04

Guenther Sandleben. Einen Marx zu haben, ohne seine Revolutionstheorie – wäre das nicht eine wirklich komfortable Sache für Gewerkschaftler, Sozialdemokraten, linke Akademiker? Ein Kampf gegen das Lohnsystem könnte als theoretisch aussichtslos gebrandmarkt werden. Die Etablierung und Verbesserung des Sozialstaats, verbunden mit höheren Löhnen würden als Endziel völlig genügen. Und endlich wäre die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie eine systemkonforme Grundlage, um Diskussionen über Alternativen zu führen, ohne dass Angst und Schrecken in der akademischen und parlamentarischen Welt verbreitet würden.

Der als Reformist und Revisionist bekannt gewordene Eduard Bernstein hatte solche Vorteile frühzeitig erkannt. Kaum war Friedrich Engels, der enge Kampfgefährte von Karl Marx, verstorben, eröffnete er in der Zeitschrift Die Neue Zeit die Artikelserie „Probleme des Sozialismus”, mit der er die Marxsche Revolutionstheorie als philosophisch-spekulativ, als unwissenschaftlich abtat und sie als „das Produkt eines Restes Hegelscher Widerspruchsdialektik” aus der Marxschen Kritik  der politischen Ökonomie zu entfernen meinte. Seit jenen Tagen reproduzieren akademische Geister variantenreich diese alte These.

Marx’ Revolutionstheorie, schrieb kürzlich Ingo Elbe, resultiere „keineswegs aus den Kernannahmen seiner Kritik der politischen Ökonomie, sondern aus geschichtsphilosophischen Prämissen, die deren Einsichten fundamental widersprechen”. [1] In den 1970er Jahren meinte Prof. Dr. Rolf Peter Sieferle nachgewiesen zu haben, dass die Marxsche Revolutionstheorie nicht notwendiges inneres Resultat seiner Theorie sei. „Seine Theorie der bürgerlichen Gesellschaft kann daher Geltung beanspruchen, auch wenn seine Revolutionsvorstellung historisch obsolet geworden ist.” [2]

Dabei spricht einiges dafür, dass es sich genau umgekehrt verhält. Die Marxsche Revolutionstheorie geht nicht aus bloßen geschichtsphilosophischen Vorstellungen hervor. Sie ist auch nicht Resultat von Gerechtigkeitsvorstellungen. Marx entwickelt Möglichkeit und Notwendigkeit der Revolution aus den wirklichen Lebensverhältnissen, die er in seiner Kritik der politischen Ökonomie systematisch analysierte. Das Marxsche Kapital enthält eine Revolutionstheorie, ohne dass hier der konkret-historische Verlauf von Revolutionen, Organisationsfragen, Staatsbetrachtungen etc. analysiert werden. Dies blieb den politischen Schriften vorbehalten, darunter seinen Frankreichschriften.

Zur Begründung meiner These gehe ich von einer Schrift aus, die Marx 1875 – acht Jahre nach Veröffentlichung des Kapitals – schrieb: Kritik des Gothaer Programms (in MEW 19). Schon dieser zeitliche Bezug entkräftet die Vorstellung, die Marxsche Revolutionstheorie sei eine Jugendsünde, die der späte Marx korrigiert habe.

Soziale und politische Revolution

„Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft”, schreibt Marx, „liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre.” (MEW 19, S. 28) Diese soziale Revolution, also die grundlegende Umwälzung der Gesellschaft, ist der erste Aspekt seiner Revolutionstheorie. Der zweite folgt gleich im nächsten Satz: Der Periode der revolutionären Umwälzung „entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts Anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.” Diese revolutionäre Arbeiterregierung ist nur der politische Ausdruck der Übergangsperiode. Sobald diese abgeschlossen ist, verliert der Staat seine Existenzberechtigung. Der Staat stirbt ab.

Mit dieser sozialen und politischen Revolution ist für Marx der Umwälzungsprozess keineswegs abgeschlossen. Die Revolution reicht weiter.

Sozialistische Marktwirtschaft?

Nach erfolgreicher revolutionärer Umwandlung, fährt Marx fort, beginnt die „erste Phase der kommunistischen Gesellschaft” (MEW 19, S. 21). Es handelt sich um eine „genossenschaftliche, auf Gemeineigentum an den Produktionsmitteln gegründete Gesellschaft.” Die Wirtschaft wird also nicht mehr durch das kapitalistische Privateigentum zerstückelt. Sie kann gemeinschaftlich, überbetrieblich, gesamtgesellschaftlich organisiert werden.

Bei diesem dritten Aspekt des Marxschen Revolutionsbegriffs ist strittig, inwieweit Warenform und Geld fortbestehen. Marx positioniert sich dazu eindeutig. „… die Produzenten (tauschen) ihre Produkte nicht aus; ebenso wenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte…, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteile der Gesamtarbeit existieren.” (MEW 19, S. 19f)

Seine These vom Verschwinden der Warenform und des Geldes hatte Marx zuvor im ersten Abschnitt des ersten Bandes des Kapitals sehr genau hergeleitet: Er unterschied dort zwischen der Ware, die Gebrauchswert und Tauschwert hat, und dem bloß nützlichen Produkt, das keinen Tauschwert, keinen Preis besitzt. Fehlt der Preis, dann existiert auch kein Geld.

Der „Verein freier Menschen”, wie Marx die emanzipierte Gesellschaft im Kapital bezeichnet, produziert nur Produkte, keine Waren. Die Arbeit ist unmittelbar gesellschaftlich. Ihre sachliche Darstellung als Geld ist deshalb ausgeschlossen.  „Das Gesamtprodukt des Vereins”, schreibt Marx (MEW 23, S. 93), „ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Teil dient wieder als Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich”. Die Arbeit würde gesellschaftlich planmäßig verteilt. „Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution”.

Das blind wirkende Wertgesetz mit seinen Preisschwankungen und Wirtschaftskrisen hat aufgehört zu existieren. Mit der Beseitigung der Warenform verschwindet nicht nur das Geld. Es kann sich nicht mehr in Kapital verwandeln. Die profitorientierte Produktion ist ausgeschlossen.

Mit dieser Möglichkeit einer grundlegenden gesellschaftlichen Veränderung eröffnet Marx den ersten Band des Kapitals. Die Möglichkeit der Revolution durchzieht sämtliche seiner ökonomischen Schriften. Immer wieder verweist er darauf, dass die kapitalistische Produktionsweise eine historisch-spezifische Form des Produzierens ist. Historisch entstanden, ist deren Überwindung möglich.

Sozialismus durch Umverteilung?

Der vierte Aspekt in der Marxschen Revolutionstheorie betrifft die Verteilungsverhältnisse. Verärgert über entsprechende Passagen des Gothaer Programms schreibt Marx: „…es (war) überhaupt fehlerhaft, von der sogenannten Verteilung Wesens zu machen und den Hauptakzent auf sie zu legen. Die jedesmalige Verteilung der Konsumtionsmittel ist nur Folge der Verteilung der Produktionsbedingungen selbst; letztere Verteilung aber ist ein Charakter der Produktionsweise selbst.” (MEW 19, S. 22)

Erst wenn diese grundlegend verändert wird, ist also eine grundlegend andere Verteilung möglich. Alles andere ist Flickschusterei.

„Der Vulgärsozialismus”, fährt Marx fort, „hat es von den bürgerlichen Ökonomen überkommen, die Distribution als von der Produktionsweise unabhängig zu betrachten … daher den Sozialismus hauptsächlich als um die Distribution sich drehend darzustellen.”

Die Revolution, so die These, muss die Ursache der ungleichen Verteilungsverhältnisse beseitigen, indem sie die Produktionsverhältnisse grundlegend umwandelt.

Marx hatte diese Botschaft zuvor im Kapital systematisch ausgeführt. „Das bestimmte Verteilungsverhältnis”, schrieb er resümierend im dritten Band (MEW 25, S. 889), „ist also nur Ausdruck des geschichtlich bestimmten Produktionsverhältnisses”.

In welcher Weise sich die Verteilung ändern kann, wird in der Kritik des Gothaer Programms nur angerissen. In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, die nicht mehr die Muttermale der alten Gesellschaft enthalte, könne die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.” (19, S. 21)

Arbeitsteilung und Teilarbeiter

Die Arbeit, schreibt Marx weiter, ist in der „höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft” nicht mehr nur „Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden”. Die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit sei verschwunden, ebenso der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit.

Die „Befreiung der Arbeit” hat hier keineswegs utopischen Charakter. Diese Befreiung der Arbeit a) vom bloßen Erwerbscharakter, b) von der Unterordnung unter die Arbeitsteilung und c) vom Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit soll schon als Möglichkeit in der fortentwickelten kapitalistischen Produktionsweise, in der großen Fabrik mit seiner Maschinerie enthalten sein. Allerdings sei die kapitalistische Anwendung der Maschinerie mit scheußlichen Auswirkungen für die Arbeiter verbunden: Tendenzen zur Verlängerung der Arbeitszeit, Reduktion des Menschen auf öde Teilfunktionen, Arbeitslosigkeit, Unsicherheit. „Die Maschine wird mißbraucht”, so Marx im Kapital (MEW 23, S. 445) „um den Arbeiter selbst von Kindesbeinen in den Teil einer Teilmaschine zu verwandeln”.

Durch eine andere Anwendungsweise der Maschine sei dies Elend vermeidbar. „Da die Gesamtbewegung …. von der Maschine (ausgeht), kann fortwährender Personenwechsel stattfinden ohne Unterbrechung des Arbeitsprozesses.” (MEW 23, S. 443f). Eine effiziente Produktion wird möglich, ohne den Produzenten dauerhaft durch einseitige Produktionstätigkeit zu ruinieren. Das verkümmerte Teilindividuum kann, wie Marx weiter schreibt, „durch das total entwickelte Individuum (ersetzt werden), für welches verschiedene gesellschaftliche Funktionen einander ablösende Betätigungsweisen sind.” (MEW 23, S. 512)

Mit der Befreiung der Arbeit als Möglichkeit, hatte Marx sich schon in den Pariser Manuskripten von 1844 und ebenso in der „Deutschen Ideologie” (1845/46) beschäftigt. Alle bisherigen Revolutionen, heißt es hier, hätten die „Art der Tätigkeit stets unangetastet” gelassen, „während die kommunistische Revolution sich gegen die bisherige Art der Tätigkeit richtet”. (MEW 3, S. 69f).

Die Möglichkeit der Revolution

Die Möglichkeit der Revolution, d. h. die Möglichkeit einer Umwälzung in Richtung einer assoziierten, kommunistischen Produktionsweise hat Marx im Kapital systematisch entwickelt. Hier weist er nach, dass die heutige warenproduzierende Arbeit eine historisch besondere Art gesellschaftlicher Produktion ist. Dieser eigentümliche gesellschaftliche Charakter der Arbeit kann beseitigt werden. Ebenso kann die darauf beruhende Warenform beseitigt werden. Gleiches gilt für die Geldform und die Kapitalform. Die Arbeitsweise selbst ist veränderbar. Eine grundlegend andere Welt ohne Warenform, ohne Geld, ohne Kapital und auch ohne die „knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit” ist möglich.

Die Notwendigkeit der Revolution …

Marx hat nicht nur einen neuen Horizont für das Mögliche eröffnet. Er hat auch herausgefunden, warum die kapitalistische Entwicklung mehr und mehr in Richtung Revolution drängt. Die Triebkraft dazu sah er nicht im bloßen Willen, nicht im menschlichen Drang nach Gerechtigkeit. Die wirklichen Verhältnisse sind es, die den revolutionären Willen treiben.

Die Notwendigkeit der Revolution hat Marx ganz allgemein mit dem wachsenden Widerspruch zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen in Verbindung gebracht.

Manche haben ein solches Verhältnis rein technisch uminterpretiert. Dies technologisch ausgelegte Interpretationskonzept blendet die jeweils herrschenden historisch-spezifischen Verhältnisse aus. Es blendet die produzierenden Lohnarbeiter aus. Es blendet also das Kapitalverhältnis mit dem darin enthaltenen Zwangsverhältnis und den darin enthaltenen Kollisionen aus. Es begreift nicht, dass der Widerspruch zwischen Produktivkräften und kapitalistischen Produktionsverhältnissen den Klassenkonflikt zum Inhalt hat.

… Werwolfs-Heißhunger nach Mehrarbeit und Klassenkampf …

Im dritten Abschnitt des ersten Bandes des „Kapitals” hat Marx  „Die Produktion des absoluten Mehrwerts”, im vierten Abschnitt „Die Produktion des relativen Mehrwerts” thematisiert. Das Kapital, so die Marxsche Kernthese, versucht ständig die Arbeitszeit zu verlängern, die Intensität der Arbeit zu steigern und die Löhne zu drücken. Es verschlechtert die Arbeits- und damit die Lebensbedingungen, um Kosten zu sparen. Die Menschen erhalten ihr Leben, indem sie es verkümmern. Sie bilden für ihre eigenen Zwecke Koalitionen. Sie kämpfen um die Legalisierung ihrer Koalitionen. In ihren Kämpfen entwickeln sie ihr Bewusstsein. Sie konstituieren sich als Klasse, als ein gemeinschaftlich handelndes Subjekt. In ihren Kämpfen gewinnen sie die Fähigkeit, auch Kämpfe gegen das Lohnsystem zu führen. Auf diese Weise entwickeln sich Umwälzungsmomente der alten Gesellschaft.

… Proletarisierungstendenz …

Das Kapital muss akkumulieren. Das Kapitalverhältnis erweitert sich: Mehr Kapital auf dem einen Pol, mehr Lohnarbeiter auf dem anderen. Sie unterliegen denselben Bedingungen. Durch diese Bedingungen sind sie in den gleichen feindlichen Gegensatz zum Kapital gestellt.

Mit dem wachsenden Heer von Lohnabhängigen wächst die Masse des Elends, das aus der Lohnabhängigkeit hervorgeht. Ebenso wächst der Druck, die Knechtschaft, die Entartung, die Ausbeutung. Marx fügt hinzu: Es wächst ebenso „die Empörung der stets anschwellenden und durch den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse.” (MEW 23, S. 790f) Zusammen mit dieser Empörung wachsen die Kräfte, die in Richtung Revolution drängen.

… Zusammenballung von Menschen …

Das Kapital kann nicht anders, als die Produktivkräfte zusammen mit der Akkumulation zu steigern. Beides führt zu Ballungszentren: Städte, Industrie-, Dienstleistungs- und Verwaltungszentren mit großen Wirtschaftseinheiten entstehen. Nicht nur das Heer von Lohnabhängigen wächst, sie werden in größeren Massen zusammengedrängt. Dies befördert ihre Kommunikation, ihren Zusammenschluss, ihre Kampfkraft.

… Konzentration und Zentralisation …

Akkumulation und neue gesellschaftliche Produktivkräfte stärken die Großproduktion. Konzentration und Zentralisation, Großbetriebe, Großprojekte, Kooperation auf immer größerem Maßstab sind die Konsequenz. Das kapitalistische Privateigentum mit seinen beschränkten Planungs- und Organisationsmöglichkeiten wird zur Fessel. Marx schreibt resümierend im Kapital: „Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt. Die Expropriateurs werden expropriiert”. (MEW 23, S. 791)

… Übergangsformen …

Bevor allerdings die „Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt”, wird die Fessel durch die Entwicklung des Kreditsystems ein wenig gelockert. An die Stelle des kapitalistischen Einzeleigentums tritt mehr und mehr das Gesellschaftskapital: Die Aktiengesellschaft (Kapital der direkt assoziierter Individuen, der Aktionäre) ist die eine Form, der aus vielen Geldanlagen bestehende Kredit ist die andere Form.

Die Produktionsmittel sind nun kein individuelles Eigentum, sondern bereits gesellschaftliches Eigentum. Marx nannte dies im dritten Band des Kapitals „eine Aufhebung der kapitalistischen Privatindustrie auf Grundlage des kapitalistischen Systems” (MEW 25, S. 454)

Der Sprung hin zum gemeinschaftlichen Eigentum der Produzenten wird kleiner, da die gesellschaftliche Form des Eigentums bereits besteht.

Der gesellschaftlichen Form muss nur der Kapitalcharakter abgestreift werden. Marx betrachtete die kapitalistischen Aktienunternehmen deshalb als „Übergangsformen aus der kapitalistischen Produktionsweise in die assoziierte”. (MEW 25, S. 456)

… Genossenschaften …

Genossenschaften waren für Marx so etwas wie das Wetterleuchten einer neuen Produktionsweise. Sie lieferten den Beweis, dass der Kapitalist als Funktionär der Produktion gar nicht mehr nötig sei. (MEW 25, S. 402) „Sie zeigen, wie naturgemäß aus einer Produktionsweise sich eine neue Produktionsweise entwickelt und herausbildet.” (S. 456) Marx bezeichnete die Kooperativfabriken als „Übergangsformen”.

Allerdings verblieben sie innerhalb der alten Form und wären nur „das erste Durchbrechen der alten Form.” Alle Mängel des bestehenden Systems würden sich notwendig reproduzieren. Die Arbeiter hätten den Gegensatz zwischen Lohnarbeit und Kapital nur in der Form aufgehoben, „daß die Arbeiter als Assoziation ihr eigener Kapitalist sind, d. h. die Produktionsmittel zur Verwertung ihrer eigenen Arbeit verwenden.” (S. 456) Eine grundlegende Umwälzung würde von solchen Assoziationen nicht ausgehen.

… Zyklische Krisen …

Im Kommunistischen Manifest wird die Krise als Sargnagel bürgerlicher Verhältnisse herausgestellt: Sie würde „immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen.” (MEW 4, S. 467f) Das später im Kapital entwickelte Gesetz vom Fall der Profitrate sollte beweisen, dass die krisenhaften Erschütterungen tendenziell zunehmen.

Aus der gescheiterten Revolution von 1848 hatte Marx folgende Lehre gezogen: „Eine neue Revolution ist nur möglich im Gefolge einer neuen Krisis. Sie ist aber auch ebenso sicher wie diese.” (MEW 7, S. 440). Denn bei dieser allgemeinen Prosperität, die 1850 stattfand, könne von einer wirklichen Revolution keine Rede sein. Eine solche Revolution sei nur in den Perioden möglich, wo die modernen Produktivkräfte und die bürgerlichen Produktionsformen miteinander in Widerspruch gerieten.

Für Marx ist die Krise die Phase, in der sich der Widerspruch zuspitzt und gewaltsam gelöst werden muss. Die normal-kapitalistische Lösung besteht in der massenhaften Zerstörung von Produktivkräften und Produkten. Weitere Produktivkräfte werden stillgelegt. Massenarbeitslosigkeit und wachsendes Elend sind die Folgen.

Die Überproduktion zeigt den Widersinn des Systems: Armut, gelegentlich Hungersnot inmitten des Reichtums. Manchmal verliert die kapitalistische Gesellschaft die Fähigkeit, ihren Lohnabhängigen die Existenz zu sichern. Schon um ihre Not zu lindern, müssen sie sich ihre Produktionsinstrumente aneignen, um die Produktion fortzusetzen. Die Eigentumsfrage wird für sie zur Lebensfrage.

Diese Zuspitzung aller Widersprüche und Gegensätze drängt zu einer sozialistischen Lösung der Krise.

Mystifikationen als Revolutionshindernis?

Marx unterschied zwischen dem „einstweiligen Ziel” des Proletariats und dem geschichtlich notwendigen Ziel. Wenn die Lohnabhängigen einstweilen andere Ziele verfolgten, dann läge das an den Verhältnissen, aus denen Mystifikationen d.h.  Verblendungszusammenhänge hervorgingen. Beispielsweise erscheine die Arbeit als bezahlt. Durch die Warenform wird der Ausbeutungszusammenhang vernebelt.

Diese Verzauberung der Welt hat jedoch Grenzen: In der Krise z.B. platzen viele Träume, die aus der verzauberten Welt des Konjunkturaufschwungs hervorgehen.

Ein anderer Aspekt der Marxschen Mystifikationstheorie: Im unmittelbaren Arbeitsprozess zeigen sich die Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse unmittelbar, gelegentlich in brutalsten Formen: Demütigungen, Zwang, Entbehrungen, Entfremdung und der Kampf um die Mehrwertrate haben besondere Bedeutung. Im unmittelbaren Arbeitsleben sind Mystifikationen dünn gesät und leichter überwindbar.

Schließlich ein dritter Aspekt: Im Kampf, den die Lohnabhängigen führen müssen, gewinnen sie wertvolle Erkenntnisse. Nebelbildungen werden zerstört, die unter normalen Bedingungen fortexistiert hätten. Das Bewusstsein ändert sich. Marx und Engels haben diesen Punkt hervorgehoben, als sie auf die bewusstseinsbildende Kraft revolutionärer Tätigkeit verwiesen: Die Revolution sei nicht nur nötig, schrieben sie in der Deutschen Ideologie (MEW3, S. 70), „weil die herrschende Klasse auf keine andere Weise gestürzt werden kann, sondern auch, weil die stürzende Klasse nur in einer Revolution dahin kommen kann, sich den ganzen alten Dreck vom Halse zu schaffen”.

Quelle: proletarische-briefe.de… vom 6. Dezember 2018


[1] „Umwälzungsmomente der alten Gesellschaft” Revolutionstheorie und ihre Kritik bei Marx, http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/IMG/pdf/Umwalzungsmomente.pdf.

[2] Sieferle, Die Revolution in der Theorie von Karl Marx, 1979, S. 11.

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