Weltweit steigt die Ungleichheit
Judith Litschauer. Auch wenn es der Wirtschaft angeblich wieder besser geht – die normalen Menschen spüren das nicht. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft in zunehmendem Tempo auseinander, das belegen einige neue Studien.
Zwar ist global betrachtet das Vermögen in den letzten 10 Jahren um 27 Prozent gestiegen und soll in den kommenden 10 Jahren um weitere 50 Prozent steigen – vor allem wegen des steigenden Vermögenswachstums in Asien, wie das Global Wealth Migration Review (Studie über die Bewegung von Reichtum) belegt. Doch die Verteilung dieses auf 215 Billionen US-Dollar angewachsenen Kuchens (Ende 2017) geht zulasten der Ärmeren.
Im vergangenen Jahr stieg die Anzahl der Milliardäre wie noch nie zuvor, während die Hälfte der Menschheit von weniger als 10 Dollar pro Tag lebt. Nimmt man eine Armutsgrenze von 5 US-Dollar täglich an, was sogar die UN Agency for Trade and Development vorschlägt, ist globale Armut in den letzten 25 Jahren auch absolut gestiegen: Vier Milliarden Menschen, das sind zwei Drittel der Weltbevölkerung, können demnach nicht adäquat essen und haben keine Chance auf eine normale Lebenserwartung.
Dieser Häfte der Weltbevölkerung (rund 3750 Millionen Menschen) stehen rund 15 Millionen US-Dollar-Millionäre entgegen, so genannte HNWIs (Hohe-Nettowert-Individuen). Im Bericht wird jener Anteil des Vermögens ausgewiesen, der von diesen Millionären kontrolliert wird – je höher der Anteil, desto ungleicher ist das Land.
Demnach ist der weltweite Durchschnitt 35%. Also befinden sich 35% der weltweiten Immobilien, des Finanzvermögens, des Bargelds und dergleichen in den Händen von Millionären. Das ungleicheste Land ist demnach Saudi Arabien (60%) das „gleicheste“ Japan mit noch immer stolzen 26% des Gesamtvermögens in Händen einiger Millionäre.
Für diese wachsende Vermögensungleichheit zwischen Individuen seien vor allem Privatisierungen und steigende Einkommensungleichheit innerhalb der Länder verantwortlich, so der World Inequality Report (Bericht über weltweite Ungleichheit).
Einkommen
Seit 1980 gewann das reichste 1 Prozent der Welt doppelt so viel dazu wie die ärmsten 50 Prozent. Zur Einordnung: Dieses reichste 1 Prozent umfasst alle Milliardäre und Millionäre sowie einige die knapp an der Million dran sind. Die Einkommen der Personen, die sich in der globalen Verteilung zwischen der Mitte und der Gruppe des obersten 1 Prozent befinden, wuchsen kaum oder gar nicht. In dieser Gruppe sind alle niedrigen und mittleren Einkommensgruppen Europas anzusiedeln.
Die niedrigsten Einkommen haben zwischen 1997 und 2015 real 20 Prozent eingebüßt, während hohe Einkommen stiegen.
Die USA stechen – wenig überraschend – mit ihrer Ungleichverteilung heraus: Während im Jahr 1980 die USA und Europa ähnlich ungleich waren – das reichste Prozent hatte 10 Prozent des Einkommens – ging die Schere in den USA drastisch auseinander. Im Jahr 2016 hat das oberste Prozent in den USA den doppelten Anteil, nämlich 20 Prozent. Auch in Europa stieg der Einkommensanteil des reichsten Prozent auf 12 Prozent, während er für die untere Hälfte in ziemlich genau diesem Ausmaß sank. Ganze 37 Prozent betrug der Anteil der Top-10%-Verdiener in Europa am gesamten nationalen Einkommen im Jahr 2016.
In Österreich ist diese Entwicklung gut an der Lohn- und Gewinnquote abzulesen: Während die Gewinne 1976 rund 25,5 Prozent ausmachten und die Löhne den anderen Teil, nämlich 74,5 Prozent, hat sich das Verhältnis zu Lasten der Arbeiter_innen verschoben: Im Jahr 2016 streiften Unternehmen bereits 30,2 Prozent und Arbeiter_innen nur mehr 69,8 Prozent ein.
Konzerne profitieren
Ein kürzlich erschienener UNCTAD Policy Brief zeigt, was die globale Ungleichverteilung von Einkommen antreibt: zunehmende Marktkonzentration und „corporate rentierism“ in zentralen Sektoren der Weltwirtschaft. „Corporate rentierism“ bedeutet, dass die Gewinne nicht produktiv investiert werden, sondern hauptsächlich durch spekulative Anlagen gemacht werden. So haben die ATX-Unternehmen 2017 sage und schreibe 2,8 Milliarden Euro an ihre Aktionäre ausgeschüttet – ein Plus von 28 Prozent. Und die Regierung plant weitere Steuergeschenke für Konzerne.
Zusätzlich konzentrieren sich die Profite in wenigen Händen: Zwischen 2009 und 2015 heimste das oberste 1 Prozent der Konzerne aus 56 Ländern rund 55 Prozent der gesamten operativen Gewinne dieser Unternehmen ein.
Auch der World Inequality Report stellt fest, dass die Ungleichheit stark dadurch beeinflusst wird, wer Kapital besitzt – Private oder öffentliche Hand. Seit 1980 wurde in nahezu allen Ländern in großem Stil Kapital von öffentlichem in privaten Besitz gebracht (Stichwort Privatisierungen). Während also das nationale Vermögen substantiell gestiegen ist, hat sich der Anteil vom Staat daran drastisch reduziert und ist in den meisten reichen Ländern heute negativ oder nahezu Null.
Düstere Aussichten
Hinzu kommt die große Rezession von 2007/08 und die lange Depression seit 2009, wodurch sich das Gesamtbild der Wirtschaft nachhaltig verändert hat. In einer stagnierenden kapitalistischen Weltwirtschaft, wo Produktivitätszuwächse und Welthandel niedrig sind und die Profitabilität des Kapitals sich nicht erholt, wird Kooperation zusehens mit teuflischer Konkurrenz ersetzt.
Der von US-Präsident Donald Trump heraufbeschworene Handelskrieg und der „Brexit“ – ein hausgemachtes Desaster für das britische Kapital – sind nur zwei Beispiele dafür. Hinzu kommt ein „Wettlauf nach unten“ was Steuern und Abgaben betrifft und ein gesteigerter Druck auf Arbeiter_innen, wie die Einführung des 12-Stunden-Tages veranschaulicht.
Entgegen der von bürgerlichen Medien und Politik propagierten Meinung, hat sich die Welt seit der Wirtschaftskrise also nicht wieder erholt und der Mehrheit geht es nicht besser. Sogar die Weltbank muss zugeben: „Die globale Aktivität liegt nach wie vor hinter bisherigen Expansionen zurück und das Wachstum wird sich 2019-20 verlangsamen … Fortschritte beim Pro-Kopf-Einkommen werden zu ungleich und ungenügend sein, um die extreme Armut in Sub-Sahara-Afrika zu bekämpfen.“
Migration
Über die Ungleichverteilung innerhalb der Länder (zwischen Reich und Arm und zwischen Kapital und Arbeit) wird mit der Ungleichverteilung zwischen den Ländern hinweggetäuscht. Der ehemalige Chef-Ökonom der Weltbank, Branko Milanovic, rechnet in einem kürzlich erschienenen Artikel mit zwei „Flüchen“ für das europäische Kapital: wachsende Ungleichheit und Migration.
So sei die Wirtschaftsleistung pro Kopf in Westeuropa rund elf mal größer als in Sub-Sahara Afrika – und dieses Verhältnis hat sich seit 1970 wesentlich verschlimmert. Dies fördere die Migration und es sei „wenig verwunderlich, dass trotz aller Hürden, die Europa seit kurzem den Migranten in den Weg stellt, sie weiterhin kommen“. Er rechnet damit, dass dies anhalten werde, selbst wenn Afrika an Europa wirtschaftlich aufschließt – was höhere Wachstumsraten als die der EU bedeuten würde.
Die katastrophalen Folgen des Klimawandels, anhaltendende Kriege im nahen und mittleren Osten sowie die zunehmende ökonomische Konkurrenz (Freihandelsabkommen zwischen EU und afrikanischen Ländern, welche die dortige Wirtschaft weiter zerstören) werden den Migrationsdruck noch erhöhen.
Eliten haben keine Lösung
Milanovic fasst die Sichtweise der Eliten folgendermaßen zusammen: „Wenn man diese zwei langfristigen Trends zusammen nimmt: anhaltender Migrationsdruck und quasi-automatisch steigende Ungleichheit, also die zwei Probleme die heute das politische Klima in Europa vergiften, und man dies der Schwierigkeit gegenüberstellt, entschlossen eines der beiden zu lösen, ist es nicht verwunderlich, dass man erwartet, die politischen Erschütterungen würden andauern. … Diese Probleme sind real. Sie erfordern reale Lösungen.“
Ein Blick auf Italien genügt: Die italienischen „populistischen“ Parteien gewannen mit einem Programm die Wahlen, das restriktive Einwanderungspolitik und eine Reduzierung der Ungleichheit vorsieht – die Lega ersteres, die Fünf-Sterne-Bewegung auch zweiteres mit der Forderung nach einem Grundeinkommen.
Der Schaden, der von den letzten 40 Jahren neoliberaler Politik angerichtet wurde, um die Profitabilität des Kapitals auf Kosten der Arbeiter_innen zu erhöhen, ist real. Aber der rechte Populismus wird die wachsende Ungleichheit, wirtschaftliche Stagnation und globale Flüchtlingsbewegung von Millionen Menschen nicht aufhalten können.
Ein Ausbau der Festung Europa bedeutet den Tod von abertausenden Menschen in Kauf zu nehmen – denn sie können keinen anderen Weg als die Flucht wählen. Gleichzeitig bedeutet der Rassismus der Rechtspopulisten und Rechtsextremen, dass Arbeiter_innen in In- und Ausländer_innen gespalten werden, wodurch effektiver Widerstand gegen die Unternehmen schwieriger wird.
Zusätzlich wird so internationale Solidarität der Arbeiter_innen zwischen den verschiedenen Ländern unterbunden. Abgesehen davon, dass rechte Parteien oft ihre sozialen Wahlversprechen brechen (siehe FPÖ hierzulande) sind auch ihre „Lösungen“ auf Sand gebaut und nur für einen kleinen Kreis von Inländer_innen zugänglich.
Kapitalismus
Die steigende Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen ist nicht nur Symptom des derzeitigen Kapitalismus – sie ist ein inhärentes Merkmal von Klassengesellschaften. Und Kapitalismus ist keine Ausnahme. Wie weit die Schere noch auseinender geht, hängt von objektiven Faktoren, wie der Dynamik der Kapitalakkumulation, und subjektiven Faktoren, wie den Politikmaßnahmen der Regierungen und dem Widerstand der Bevölkerung, ab.
Selbstredend plädieren die Autoren der erwähnten Studien nicht für einen radikalen Bruch mit dem kapitalistischen System, sondern für progressive Besteuerung, Trockenlegen von Steueroasen und öffentliche Investitionen. Auch wenn das durchwegs richtige Maßnahmen sind, stellt sich die Frage, wie diese umgesetzt werden sollen, wenn gleichzeitig die Wahrung der Kapitalinteressen im Fokus steht – insbesondere in einer Zeit wo sich der globale Kapitalismus in mehreren Krisen befindet (Profitabilität, Ökologie, soziale Sicherung, Migration) und Zugeständnisse schwieriger werden.
Karl Marx hat schon 1848 erkannt, dass das kapitalistische System die Produktivkräfte derart vorantreiben kann, wie keine Produktionsweise (Sklaverei, Feudalismus) zuvor. Aber damit geht auch eine dunkle Seite einher: wachsende Ausbeutung, Dominanz der Märkte und Maschinen über die Freiheit der Menschen und ihres Lebens, sowie Krieg und Zerstörung des Planeten.
Die optimistische Meinung vieler Liberaler wie Rechter, dass mit der richtigen Politik im Gesundheits-, Bildungs- und Umweltbereich ein besseres Leben für alle innerhalb diesem System möglich sei, steht im Widerspruch mit der pessimistischen Realität, der die Mehrheit der Menschen tagtäglich ins Auge sieht.
Alternativen
Gleichzeitig gibt die Frage, warum die Ungleichheit so stark gestiegen ist, auch die Antwort darauf, warum eine Lösung innerhalb des Systems unmöglich ist: Die wachsende Konzentration und Zentralisation von Kapital führt dazu, dass die Investitions-, Beschäftigungs- und Finanzentscheidungen der Welt vom „Big Capital“ getroffen werden.
Ein harter Kern von 147 Konzernen kontrolliert 40 Prozent des globalen Vermögens, so das Swiss Institute of Technology. 737 Unternehmen kontrollieren 80 Prozent des Vermögens. Der Kapitalismus hat diese Ungleichheit herbeigeführt. Und es ist diese Ungleichheit, die für das Fortbestehen des Kapitalismus essentiell ist.
Um diesen Widerspruch zu lösen, bedarf es einer radikalen Alternative zum Kapitalismus, die das Wohl der Mehrheit der Menschen in den Mittelpunkt stellt und tatsächlich fähig ist, die Probleme unserer Zeit zu lösen. Und diese Lösung wird nicht von oben durch die Politik gemacht werden – denn es wird maßgeblich von jenen bestimmt, die die wirtschaftliche Macht haben –, sondern braucht den Druck der Straße und den Kampf in den Betrieben.
Quelle: linkswende.org… vom 22. Juli 2018
Tags: Arbeitswelt, Italien, Marx, Neoliberalismus, Österreich, Politische Ökonomie, USA, Widerstand
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