Brasilien: 45 Millionen im Generalstreik gegen den Rentenraub
In 380 Städten des Landes gab es an diesem 14. Juni 2019 Demonstrationen, Straßenblockaden und alle denkbaren Formen von Besetzungen: 45 Millionen Beschäftigte beteiligten sich am Streik, zu dem
– erstmals – wirklich alle Gewerkschaftsverbände aufgerufen hatten. Ob die Belegschaften von Mercedes, ZF oder VW im Großraum Sao Paulo, die Petrobras-Beschäftigten in Rio oder die Träger der öffentlichen Dienste in Porto Alegre und die Metallarbeiter von Belo Horizonte: Sie alle waren massiv dabei. Aber riesige Demonstrationen gab es auch in Städten, die keineswegs zu den „üblichen Verdächtigen“ gehören, von Aracaju bis Joao Pessoa – und, im letzten Winkel des Landes, in dem keineswegs weltbekannten Epitaciolândia in Acre. Den wesentlichen Inhalt des Streiks haben vielleicht – nicht zum ersten Mal – die Metrofahrer von Sao Paulo auf den Punkt gebracht, mit einem selbstgeschriebenen Plakat: „Du ärgerst Dich, dass Du heute nicht zur Arbeit kommst? Wenn Du heute hingehst, gehst Du bis zu Deinem letzten Tag…“ Schon am Vortag hatte die Parlamentskommission, die eine Variante der Gegenreform der Rentenversicherung ausarbeiten sollte, die mehrheitsfähig sein kann, einige Zugeständnisse in Bezug auf die asozialsten der rechtsradikalen Pläne gemacht – vor allem, was das Alter des Renteneintritts von Frauen betrifft, konnte aber ganz offensichtlich nicht entscheidend zur Demobilisierung beitragen. Dagegen hat die Auseinandersetzung um die Kürzungspläne im Bildungsbereich deutlich zur starken Mobilisierung beigetragen, noch nie waren bei Generalstreikprotesten so viele Schülerinnen und Schüler zu sehen. Siehe zum Generalstreik gegen die Rentenreform sieben aktuelle Beiträge:
„45
milhões de trabalhadores aderiram à greve geral. Confira o que parou“ am 14.
Juni 2019 beim Gewerkschaftsbund CUT ist eine abendliche Zusammenfassung
der Streikbewegung am Tag – und auch wer die Sprache nicht spricht, kann darin
Demonstrationsfotos aus namentlich bekannten Städten ebenso finden, wie die
Namen beispielsweise zahlreicher bundesdeutscher Unternehmen erkennen, die
bestreikt wurden.
„MINUTO
A MINUTO | GREVE GERAL NO BRASIL“ ebenfalls am 14. Juni 2019 bei der CUT war
die Tageschronologie des Generalstreiks, im Wesentlichen eine ausgesprochen umfangreiche
Sammlung von Tweets mit zahllosen Fotos quer durchs Land, die am frühen Morgen
begannen…
„#GreveGeral14J“ –
der Hashtag zum Generalstreik 14J sammelt nicht nur die zahlreichen Tweets zu
Aktionen in verschiedenen Städten, sondern auch die ganze Serie von
Polizeiangriffen, die ebenfalls in verschiedenen Städten stattfanden, inklusive
zahlreicher Festnahmen in Sao Paulo…
„Mass
protests close out General Strike against Bolsonaro’s pension reforms“ am 14.
Juni 2019 bei Brasil de Fato ist die englische Übersetzung des
abendlichen Abschluss-Überblickes mit einem Schwerpunkt auf der Durchführung
von Demonstrationen (und anderen öffentlichen Aktionen) in 380 Städten,
verteilt über alle Bundesstaaten.
„14J:
Volkswagen, Mercedes e outras fábricas paralisadas no ABC“ am 14. Juni 2019 bei
Esquerda Diario ist einer der zahllosen Berichte von vor Ort,
hier als Beispiel ausgesucht aus zwei Gründen: Weil es sich um einen Bericht
aus dem industriellen Zentrum des Landes handelt, dem Gürtel um Sao Paulo –
und, weil es Belegschaften hierzulande bekannter Unternehmen sind, deren Streik
darin berichtet wird.
„Protest
gegen Bolsonaros Rentenreform“ am 14. Juni 2019 bei tagesschau.de meldete
die Entwicklungen so: „… Einem Aufruf der Gewerkschaften zu einem
Generalstreik folgten Zehntausende Menschen, überall im Land kam es zu
Demonstrationen. Verkehr und öffentliches Leben kamen teils zum Erliegen. Unter
anderem wurden in Sao Paulo Straßen komplett blockiert – und dies wenige
Stunden, bevor Brasiliens Fußball-Nationalmannschaft dort das Eröffnungsspiel
der Copa Americana gegen Bolivien bestreitet. In Rio de Janeiro und in Sao
Paulo kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und
Demonstranten. Die Protestierenden setzen Medienberichten zufolge Barrikaden in
Brand, die Polizei setzte Tränengas und Blendgranaten ein. Für den Abend sind
weitere Massenkundgebungen geplant. Trotz einiger Anpassungen, die Bolsonaro an
den Rentenplänen durchführen ließ, bleibt die Reform den Gewerkschaften ein
Dorn im Auge. Die Regierung will das Renteneintrittsalter für Männer auf 65
Jahre und für Frauen auf 62 erhöhen und die Beiträge der Beschäftigten anheben.
Bisher können die Brasilianer nach 30 bis 35 Beitragsjahren in Rente gehen, was
bedeutet, dass viele von ihnen bei Rentenantritt erst 50 oder 55 Jahre alt
sind. Bolsonaro argumentiert, das derzeitige Rentensystem treibe Brasilien
zurück in die Rezession…“
„Confira principais mudanças no
relatório da reforma da Previdência“ am 13. Juni 2019 bei Agencia Brasil war
die offizielle Meldung über die Veränderungen, die die Parlamentskommission am
Entwurf des Änderungskatalogs der Rechten vorgenommen hat – und niemand wird
wohl daran zweifeln, welche Absichten dahinter steckten, dies am Tag vor dem
Generalstreik zu verbreiten. Bolsonaros Leute hatten geplant, dass alle
ländlichen Beschäftigten ab 60 in Rente gehen können, vorausgesetzt sie haben
20 Beitragsjahre. Das war auf die allerstärkste Kritik gestoßen, weil gerade
Landarbeiterinnen die Betroffenen gewesen wären – weswegen die Kommission dies
gestrichen hat, sie können auch weiterhin nach 15 Beitragsjahren mit 55 in
Rente gehen.
Quelle: labournet.de…
vom 19. Juni 2019
Tags: Altersvorsorge, Arbeiterbewegung, Arbeitskämpfe, Brasilien, Gewerkschaften, Lateinamerika, Widerstand
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