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Der Bankrott der britischen Neoliberalen, z.B. im Gesundheitswesen

Eingereicht on 20. März 2020 – 15:43

In den letzten 10 Jahren sind in Großbritannien jedes Jahr mehr als 1.500 Betten in NHS-Krankenhäusern abgebaut worden. Obwohl die Bertelsmann-Stiftung ihr wenig segensreiches Wirken in Großbritannien nicht betreibt, gibt es auch hier neoliberale Ideologen und Schreibtischtäter zuhauf, die ein Gesundheitswesen nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen haben wollen – und Regierungen, die diese Orientierung massiv umsetzen. Im Angesicht der Corona-Epidemie müssen diese Verteidiger von Profit und Privileg jetzt kapitulieren: Die fehlenden Betten müssen angemietet werden (die Alternative „Beschlagnahmung“ kann eine Rechtsregierung heute nicht wagen). Für sage und schreibe 300 Pfund – pro Nacht. Und die nicht besonders profitable Produktion von Beatmungsgeräten per Appell an Produktkonversion ankurbeln: Autokonzerne sollen das machen. Zur Entwicklung der Situation in Großbritannien drei aktuelle Beiträge und zwei Hintergrundbeiträge über die soziale Entwicklung in Großbritannien und dabei insbesondere zur jahrelangen Demontage des NHS:

  • „Beds for profit in the UK“ am 17. März 2020 bei Public Services Internationalist ein Beitrag, der die Aktionen der Regierungen in Spanien und Großbritannien miteinander vergleicht. Dabei wird für Großbritannien der Protest der Gewerkschaften im öffentlichen Dienst dokumentiert, gegen die Anmietung von Betten privater Krankenhäuser durch die Rechtsregierung, wofür diese täglich 2,4 Millionen Pfund bezahlt – für 8.000 Betten in 570 Einrichtungen. Dies wird kontrastiert mit der Abschaffung von 17.000 öffentlichen Krankenhausbetten, die eine wesentlich geringere tägliche „Einsparung“ erbracht haben…
  • „Ford, Jaguar Land Rover asked to make ventilators to fight coronavirus“ von Nick Gibbs am 16. März 2020 bei den Automotive Newsberichtet von den Gesprächen der britischen Rechtsregierung mit Autoherstellern, ob sie Beatmungsgeräte produzieren könnten – unabhängig vom Ausgang dieser Verhandlungen ein Eingeständnis der neoliberalen Hardcore-Ideologen, dass sie verloren haben… Die Idee ist aber natürlich nicht schlecht
  • „6 Demands from NHS staff to help us tackle Coronavirus“ seit dem 17. März 2020 bei Change.orgist eine Petition von Beschäftigten des NHS (bereits von weit über 20.000 Menschen unterzeichnet), in der die britische Rechtsregierung aufgefordert wird, allen Zugang zu medizinischer Versorgung zu sichern und dafür auch private Gesundheitsunternehmen heranzuziehen – die, so wird unter anderem darin argumentiert, einen guten Teil ihrer Umsätze deswegen machen, weil Menschen viel zu lange auf den Wartelisten des NHS stehen müssten, nachdem dieser so lange Jahre immer weiter gekürzt worden sei.
  • „Austerität tötet“ von Christian Bunke am 29. Februar 2020 in der jungen weltzur Situation des britischen Gesundheitswesen vor den aktuellen Notmaßnahmen der Rechtsregierung: „… Es ist ein akademischer Bericht, in dem jeder Satz wie ein Faustschlag in die Magengrube wirkt: »Die Reichen werden reicher und damit gesünder, während die Armen ärmer und somit kränker werden«, ist so ein Satz. Die von der britischen »Health Foundation« am Dienstag unter dem Titel »Health Equity in England« veröffentlichte Studie zur Entwicklung des Gesundheitswesens ist eine der detailreichsten Publikationen über den Klassenkampf von oben im Großbritannien in den vergangenen zehn Jahren. Ein Kernergebnis der Untersuchung ist, dass die Lebenserwartung in England seit Beginn der konservativen Austeritätspolitik von 2010 stagniert, beziehungsweise rückläufig ist. Diese Absenkung sei nicht mit harten Winterperioden oder anderen Wettereinflüssen erklärbar. Vielmehr sei die Gesundheit der Bevölkerung eng mit den Bedingungen, »in denen Menschen geboren werden, aufwachsen, leben, arbeiten und altern«, verknüpft. Entsprechend halten die Wissenschaftler fest, dass die größte Senkung der Lebenserwartung für Frauen und Männer in den zehn Prozent der Wohngegenden mit der ärmsten Bevölkerung in Nordostengland zu beobachten sei, während die Lebenserwartung in den zehn Prozent der Nachbarschaften Londons mit den reichsten Bewohnern am stärksten gestiegen sei. (…) Eine Ursache für diese Entwicklung machen die Autoren der Studie in der britischen Kürzungspolitik aus. Einsparungen hätten vor allem soziale Dienstleistungen sowie Gesundheitseinrichtungen in Gegenden getroffen, »in denen sie am meisten gebraucht werden und in denen die Lebensbedingungen generell schlechter sind als anderswo«. Die von der Regierung zur Verfügung gestellten Mittel für Kommunen und Gemeinden seien zwischen 2009 und 2019 um 77 Prozent zurückgegangen. Am meisten sei bei der sozialen Sicherheit und der Bildung gespart worden, beides sei für die Gesundheit »essentiell«…“
  • „Grossbritannien & COVID-19: Die Politik der Pandemie“ von Neil Faulkner am 19. März 2020 bei den Maulwürfen(in deutscher Übersetzung, ursprünglich im australischen Links) zur Entwicklung des NHS und der „Gesundheitspolitik“ insgesamt unter anderem: „… Nehmen Sie, was die Tories in den letzten zehn Jahren mit dem NHS [Nationl Health Service; öffentliches Gesundheitssystem in Grossbritannien; Anm. d. Ü] gemacht haben. Gegenwärtig gibt es im NHS 4.000 Betten für die Intensivpflege, die zu 90% belegt sind. In Deutschland sind es viermal so viele. Eine aktuelle Schätzung geht davon aus, dass die Coronavirus-Pandemie sieben Mal so viele Betten benötigt. Alles andere ist ähnlich heruntergekommen und knapp. Insgesamt wurden seit 2010 17.000 NHS-Betten abgebaut. Der derzeitige Mangel an Ärzten und Krankenschwestern beläuft sich auf 100.000. Natürlich gibt es einen verzweifelten Mangel an Beatmungsgeräten – und so haben wir das erbärmliche Schauspiel, dass der Tory-Gesundheitsminister Hancock, der an private Unternehmen appelliert, die Produktion umzustellen, um den Mangel auszugleichen, nichts tut. Sie kannten die Risiken. Sie wussten, dass das System neue Viren züchtet. Sie wussten, dass eine Legion von Spezialisten seit Jahrzehnten eine Pandemie vorhersagte. Aber dennoch setzten sie ihr Programm der Unterfinanzierung und der Übernahme des NHS durch Unternehmen fort. Die Situation im globalen Süden ist natürlich noch viel schlimmer, denn dort wurde die öffentliche Gesundheitsversorgung durch 40 Jahre Neoliberalismus verwüstet, oft im Zusammenhang mit lächerlich falsch benannten „Strukturanpassungsprogrammen“ – was dazu führte, dass die Armen des globalen Südens in die Pfanne gehauen wurden, um die Bankiers des globalen Nordens zu bezahlen. Big Pharma – die pharmazeutischen Megakonzerne, die die Weltwirtschaft umspannen – sind von zentraler Bedeutung für diese globale Gesundheitskrise. Sie blockieren die Produktion von billigen Medikamenten. Sie weigern sich, in die präventive Impfstoffforschung zugunsten lukrativerer „Behandlungen“ zu investieren. Sie weigern sich, ihr Wissen mit internationalen und staatlichen Stellen zu teilen. Sie weigern sich, bei der Bündelung von Forschung und Entwicklung zusammenzuarbeiten. Patente und Profite stehen an erster Stelle, nicht die öffentliche Gesundheit…“

Quelle: labournet.de… vom 20. März 2020

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