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Neue Rechte und Gelbwesten: Beispiel eines Durchgeknallten

Eingereicht on 19. Juni 2019 – 10:59

Bernard Schmid. Oder: Zusatz zum Thema „faschistischer und faschismusoffener Flügel innerhalb der Gelbwestenbewegung“. Wie einer ihrer vermeintlichen Vordenker

sich zu einer Light-Version der Holocaustleugnung bekennt…

Wie
man sich absolut, total, vollständig um Kopf und Kragen faselt und sich als
zumindest faschismusoffen vorführt, jedenfalls als jemand, dem jegliche
politischen und selbst moralischen Maßstäbe abgehen, führte vor wenigen Tagen
in Frankreich eine in Kreisen sozialer Bewegungen mindestens halbprominente
Persönlichkeit vor. Es handelt sich um den in Marseille lebenden
Oberstufenlehrer Etienne Chouard.

Der
62jährige war laut eigenen Angaben vor dem französischen Referendum über den
EU-Verfassungsvertrag von Ende Mai 2005 politisch eher unbedarft, inaktiv und
Wähler der Sozialdemokratie. Nachdem er den Vertragstext gelesen und
auseinandergenommen hatte, veröffentlichte er damals eine in der Sache nicht
unberechtigte Kritik im Internet, welche ihn schlagartig berühmt machte (vgl.
dazu etwa in der bürgerlichen Presse: https://www.lemonde.fr/les-decodeurs/article/2018/12/21/les-deux-visages-d-etienne-chouard-chantre-du-referendum-d-initiative-citoyenne_5400957_4355770.html). Seitdem spezialisierte er sich vor allem
auf „institutionelle Fragen“, wie er sich ausdrückt, also auf die
Kritik an der repräsentativen und Forderungen nach einer direkteren und
repräsentativeren Demokratie. Er macht sich dabei etwa für die Ersetzung von Wahlmechanismen
durch Losverfahren stark, beispielsweise bei der Bildung einer
Verfassungsgebenden Versammlung, die ihm zufolge einen neuen Verfassungstext
ausarbeiten soll, und will die Gesellschaft in „Volk“gegen „Oligarchie“, keinesfalls
jedoch in links und rechts oder auch in fortschrittlich und reaktionär
eingeteilt sehen. In Teilen der politisch heterogenen Protestbewegung der „Gelbwesten“ –
die derzeit wohl ihre letzten Ausläufer erlebt, zwar finden nach wie vor
samstägliche Demonstranten statt, doch ihre Teilnehmerzahl fiel zuletzt auf
unter 10.000 frankreichweit ( konkret 7.000 laut innenministeriellen Zahlen am
15. Juni 19, also vielleicht ein BISSCHEN mehr ) – wurde er in den vergangenen
Monaten als eine Art Chefdenker und Berater behandelt. (Vgl. zu seinen
Auftritten, sofern sie in Medien Spuren hinterließen, u.a. und nur beispielhaft
youtube.com… und lesinrocks.com… und youtube.com…)

Im
Laufe dieses Jahrzehnts äußerte Chouard sich jedoch mehrfach auch in positiven
Begriffen über den Berufs-Antisemiten Alain Soral – zitiert etwa 2014 in L’Express
(vgl. lexpress.fr…) und im Dezember 2018 in Le Monde (vgl. lemonde.fr…) -, den er unter anderem als „Widerstandskämpfer“ und „Warner,
der gegen die etablierte Ordnung protestiert“
 bezeichnete. Auch
behauptete er, für ihn sei Soral nicht rechtsextrem, sondern „links,
weil er gegen Privilegien kämpft“,
 auch wenn er ebenfalls hinzufügte,
dessen Äußerungen gegen Homosexuelle, gegen Feministinnen und sein Chefdenken
stießen ihn ab, wie auch auf Chouards Wikipedia-Seite vermerkt ist (vgl. wikipedia.org…).

Jüngst
hat Etienne Chouard jedoch definitiv und auf irreparable Weise sämtliche
Grenzen überschritten. In einem vergangene Woche publizierten Interview mit dem
linken Internet-TV-Sender Le média redete er sich
gewissermaßen um seine Existenz als irgendwie ernstzunehmende und dialogfähige
Person. Während die beiden Interviewer ihn während des 65 Minuten dauernden
Gesprächs (vgl. im Original: youtube.com…) immer und immer wieder dazu bewegen wollen, etwa die Holocaustleugnung
eindeutig zu verurteilen, reagiert er zunehmend unwirsch auf das gütliche
Einreden. In der 42. bis 44. Minute antwortet er auf die Vorhaltung des
Journalisten Denis Robert: „Hast Du persönlich einen Zweifel an der
Existenz der Gaskammern?“
 mit folgenden Sätzen: „Aber was soll
diese Frage? Das ist nicht mein Thema, ich habe keine Ahnung davon, ich habe
nicht die Zeit genommen, darüber nachzulesen. Ich werde Dir sagen <Ich habe
keinen Zweifel>, denn sonst bin ich ein Gedankenkrimineller. Wenn diese
Gaskammergeschichte so schwerwiegend ist, wenn man daran zweifelt – warum nicht
einfach den Beweis gegen die antreten, die bestreiten, und dann zu etwas
Anderem übergehen?“ 
(Leicht kondensierte Abschrift) Zwischendurch
attackiert er auch noch die beiden, ihm gegenüber überaus gutmeinenden – und
zweifellos viel zu gut meinenden – Interviewenden als üble Absichten hegende
Staatsanwälte in der Tradition der Gesinnungsjustiz von 1793 u.a.

ATTAC
Frankreich – die Organisation verfügt nach wie vor über beträchtlichen Einfluss
im linksgewerkschaftlichen Spektrum – distanzierte sich umgehend und erklärte,
nun sei erwiesen, dass man Recht gehabt habe, Chouard als „schlechten
Umgang“
 zu betrachten. Auch der linke Abgeordnete François Ruffin, der
vor einigen Wochen noch mit Chouard diskutieren wollte, ging auf deutlichen
Abstand und sagte, er habe darin einen Fehler begangen. Am Samstag, den
15.06.19 erklärte Chouard selbst beim Sender Sud Radio, er „bedauere“ seine
Äußerungen, die eine „Riesendummheit“ gewesen sein. Zur Korrektur
dürfte es jedoch zu spät sein. (Vgl. AFP-Meldung dazu: lefigaro.fr…)

A
propos: Etienne Chouard, den man künftig zweifelsohne von jeglichem Dialog
unter solidarischen, progressiven und humanistischen Perspektiven
verpflichteten Menschen wird AUSSCHLIESSEN müssen, ist dabei nur eine Figur
neben anderen, die die Tatsache verkörpern, dass es innerhalb der jüngeren
Protestbewegung – neben tatsächlich dort vorhandenen fortschrittlichen und
demokratischen Kräften – eben auch einen faschistischen sowie einen dem
Faschismus gegenüber offenen, aufgeschlossenen, sich nicht von ihm abgrenzenden
Flügel gibt. Nein, in diesen Zeiten gibt es eben gesellschaftliche Aufbrüche
und Kräfte, die man nicht den unverfänglichen, über jeglichen Anfangsverdacht
erhabenen, mit eindeutiger Klarheit dem progressiven Lager zuzuordnenden
zurechnen kann.

Auch
deswegen verbietet es sich von selbst, über solche schreienden Widersprüche und
Orientierungsfragen locker hinwegzugehen, indem man mit einer alle Widersprüche
und Streitfragen zukleisternden Wohlfühl-Rhetorik (vgl. dazu etwa dieses
Video: youtube.com…), in
welcher zwar der soziale und politische Gegenspieler – also die Regierung unter
Präsident Emmanuel Macron – mehr oder minder korrekt beschrieben wird; dann
aber schlicht & einfach implizit so getan wird, als seien, wenn die
Macron-Regierung auf der falschen Seite steht, notwendig alle gegen dieselben
eintretenden Akteure schon irgendwie „auf der richtigen Seite“. Eine
Wohlfühl-Rhetorik, in welcher, wenn die bestehende soziale Ungerechtigkeit (als
Ausgangslage für den stattfindenden Protest) nur einmal festgestellt worden
ist, von vornherein alle stattfindenden Aktionen unter das Label berechtigten
sozialen Protests subsumiert werden. Eine Wohlfühl-Rhetorik, welche nicht ein
einziges Mal, aber auch nicht eine Minute lang, strategische Fragen aufwirft oder
nach politisch-ideologischer Ausrichtung von Protestierenden fragt. Ja, so
einfach kann mensch es sich natürlich auch machen. Doch in solch
widerspruchsreichen Zeiten, in denen eine Reihe von Akteuren eifrig daran
arbeiten, politische Verwirrung zu stiften, verbietet sich ein solches
simplizifierendes Herangehen dennoch von selbst.

Quelle: labournet.de…
vom 19. Juni 2019

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