Die politische Bedeutung des zweitägigen Generalstreiks in Indien
Keith Jones. Zehn Millionen Arbeiter in ganz Indien haben sich am Dienstag und Mittwoch vergangener Woche einem 48-Stunden-Streik angeschlossen, um ihre Ablehnung der „investorenfreundlichen“ Politik der fanatisch rechten Regierung zum Ausdruck zu bringen.
An dem Streik nahmen weite Teile der Arbeiterklasse teil, von den Gruben- und Produktionsarbeitern bis hin zu Bankangestellten und Beschäftigten der Verkehrsbetriebe und im ganzen öffentlichen Dienst. Der Streik ging quer über alle Kasten- und kommunalen Zugehörigkeiten. Seit Jahrzehnten nutzt die indische herrschende Klasse diese Kasten, um nach dem Prinzip des „Teile und Herrsche“ die Arbeiterklasse zu spalten.
Der Generalstreik in Indien ist einer der größten Streiks der Landesgeschichte. Er ist auch Teil eines wachsenden Aufschwungs der Arbeiterkämpfe auf der ganzen Welt.
Im benachbarten Bangladesch führten diese Woche Zehntausende von armen Textilarbeitern Streiks und Demonstrationen durch, um der eskalierenden staatlichen Unterdrückung und Gewalt entgegenzutreten. Am Dienstag war ein 22-jähriger Arbeiter getötet worden, als die Polizei streikende Arbeiter angriff.
In Sri Lanka, das direkt vor der indischen Südostküste liegt, haben Plantagenarbeiter letztes Jahr einen Monat lang gegen ihre Armutslöhne gekämpft. Im Dezember haben 100.000 Beschäftigte neun Tage lang gegen den Willen der staatlich unterstützten Gewerkschaften gestreikt.
In Frankreich haben sich in den letzten Wochen schon Hunderttausende von Arbeitern der Bewegung der „Gelbwesten“ gegen die Sparpolitik von Präsident Emanuel Macron angeschlossen.
In den USA versucht die Gewerkschaft United Teachers Los Angeles (UTLA) verzweifelt, einen Streik von mehr als 30.000 Lehrern abzuwenden. Die Erzieher kämpfen gegen die Regierung des Bundesstaats Kalifornien und gegen den Abbau des öffentlichen Bildungssystems in dieser Region, die von den Demokraten kontrolliert wird. Die Gewerkschaft unterstützen aber die Demokraten.
Unter den Autoarbeitern in Nordamerika und Europa wächst der militante Widerstand gegen die Pläne der transnationalen Autokonzerne. Mehrere Konzerne sind dabei, Arbeitsplätze abzubauen und ganze Werke zu schließen. Die Beschäftigten des GM-Werks in Oshawa, Kanada, haben letzte Woche unabhängig vom korporativen Unifor-Gewerkschaftsapparat mehrere Streiktage organisiert, nachdem der Autohersteller seine Entscheidung bekräftigt hatte, das Werk und vier weitere in den USA zu schließen.
Nach Jahrzehnten, in denen die Pseudolinken den Klassenkampf künstlich unterdrückt haben, beginnt die Arbeiterklasse, ihre eigenen unabhängigen Interessen zu formulieren.
Indien ist ein Beispiel für die Brutalität des Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Siebzig Prozent der indischen Bevölkerung oder mehr als 900 Millionen Menschen leben von weniger als 2 Dollar pro Tag. Unterdessen feiern die Elite und ihre Medien das exponentielle Wachstum der indischen Milliardäre. Mitte der 1990er Jahre gab es nur zwei Milliardäre, die über ein Vermögen von etwa 13 Milliarden Dollar verfügten. Heute sind es 131, und sie besitzen fünfzehn Prozent des indischen Bruttosozialprodukts.
Narendra Modi und seine hindu-suprematistische Bharatiya Janata Party (BJP) kamen 2014 an die Macht, um Indiens Arbeiter und Werktätige noch härter auszubeuten. Seither hat die Modi-Regierung eine scharfe Sparpolitik durchgesetzt, Vertragsarbeit gefördert und Privatisierungen beschleunigt. Sie hat gleichzeitig die kommunalistischen Spannungen angeheizt, und sie hat Indien in einen Frontstaat in der militärisch-strategischen Offensive des US-Imperialismus gegen China verwandelt.
Aber wie der Streik in dieser Woche deutlich gezeigt hat, ist die indische Arbeiterklasse nicht nur ein Objekt der Ausbeutung. Sie verfügt über eine immense soziale Macht.
Das Wiederaufleben der internationalen Arbeiterklasse bildet die objektive Grundlage für eine Gegenoffensive gegen den Weltimperialismus – seine global organisierten transnationalen Unternehmen, seine Kriege und Intrigen, seine Hinwendung zu autoritären Herrschaftsmethoden und die Kultivierung ultra-rechter und faschistischer Kräfte.
Die Aufgabe besteht nun darin, diese aufständische Bewegung der Arbeiterklasse mit einer internationalen Strategie und mit neuen Kampforganisationen auszurüsten, damit sie eine neue soziale Ordnung schaffen kann, die frei ist von Mangel und Krieg: das heißt den internationalen Sozialismus.
Damit die Arbeiterklasse einen neuen politischen Weg beschreiten kann, ist es sehr wichtig, die prokapitalistischen Organisationen, die behaupten, im Namen der Arbeiterklasse zu sprechen, zu entlarven. In den USA betrifft das die United Auto Workers (UAW), in Frankreich die CGT und in Deutschland die Linkspartei.
In Indien hat die stalinistische Kommunistische Partei Indiens (Marxist) oder CPM und ihre Gewerkschaftsorganisation, das Centre of Indian Trade Unions (CITU), den gesamtindischen Proteststreik von letzter Woche geleitet. Ebenfalls eine bedeutende Rolle spielten der Gewerkschaftsbund der stalinistischen Schwesterpartei der CPM, der CPI, und die Gewerkschaftsorganisationen der wirtschaftsfreundlichen Congress Party und der DMK, einer rechtsgerichteten tamilischen Partei in Tamil Nadu.
Alle diese Parteien haben eine entscheidende Rolle für die indische Bourgeoisie gespielt, um Indien in ein Zentrum für billige Arbeitskräfte für das globale Kapital zu verwandeln. Von 1991 bis 2008 hielten die CPM und die CPI eine Reihe von Regierungen an der Macht, die meist von der Kongresspartei angeführt wurden, eine neoliberale Agenda verfolgten und enge Beziehungen zu Washington unterhielten.
Die Arbeiter haben sich letzte Woche an dem Streik beteiligt, weil sie sich nach über 25 Jahren „marktfreundlicher“ Reformen den sozialen Angriffen entgegenstellen wollen. Die Stalinisten vollführen jedoch ein schmutziges politisches Manöver, das darauf abzielt, die Arbeiterklasse nach den Parlamentswahlen im April/Mai einer alternativen kapitalistischen Regierung unterzuordnen. Dabei ist es egal, ob die Kongresspartei oder eine Reihe regionaler Rechtsparteien diese alternative Regierung führen wird.
Die Stalinisten prangern die Verbrechen der BJP und ihrer hinduistischen Verbündeten an, aber nur, um damit eine Unterordnung der Arbeiterklasse unter die Parteien der Bourgeoisie zu rechtfertigen.
Ohne Zweifel sind Modi und seine BJP bittere Feinde der Arbeiterklasse. Aber wenn die hinduistische Rechte in der Lage war, zu einer solchen Bedrohung heranzuwachsen, dann deshalb, weil die Stalinisten den Boden für reaktionäre Parteien bereitet haben. Weil die Stalinisten die Arbeiterklasse daran hindern, die Krise auf sozialistische Weise zu lösen, ist es der BJP gelungen, die Wut der Bevölkerung demagogisch auszunutzen. Die BJP profitiert davon, dass die Politik der verschiedenen, von den Stalinisten unterstützten „säkularen“ Regierungen für die Arbeiter ruinöse Auswirkungen hat.
Die einzig praktikable Strategie zur Verteidigung der demokratischen Rechte und für den Sieg über die Reaktion basiert auf dem internationalen Klassenkampf und der unabhängigen politischen Mobilisierung der Arbeiterklasse. Sowohl in Indien als auch in den Vereinigten Staaten, in Frankreich und auf der ganzen Welt muss die marode kapitalistische Ordnung gestürzt werden.
Die indischen Arbeiter müssen sowohl gegen das Modi-Regime kämpfen, als auch den Kampf gegen die nächste Regierung vorbereiten. Jede kommende Regierung wird, unabhängig von ihrer Zusammensetzung, die Ausbeutung der indischen Arbeiter im Auftrag der Bourgeoisie verschärfen. Deshalb müssen die Arbeiter und die ganze arbeitende Bevölkerung neue Kampforganisationen aufbauen.
Dabei sollten sie dem Beispiel der Teeplantagenarbeiter von Abbotsleigh in Sri Lanka folgen. Diese Arbeiter haben unter Führung der Socialist Equality Party ein Aktionskomitee eingerichtet, das völlig unabhängig vom Gewerkschaftsapparat agiert, denn dieser ist seit Jahrzehnten für ihre brutale Ausbeutung mitverantwortlich.
Solche Arbeiterkomitees müssen eine Gegenoffensive der Arbeiterklasse entwickeln, indem sie ihre Kämpfe in ganz Indien vereinheitlichen, und an die Arbeiter auf der ganzen Welt appellieren, mit denen sie über den globalen Produktionsprozess eng verbunden sind.
Die Komitees müssen den Kampf für die Freilassung der 13 Arbeiter von Maruti Suzuki aufnehmen, die wegen falscher Mordvorwürfe zu lebenslanger Haft verurteilt sind. Diese Arbeiter, deren einziges „Verbrechen“ darin bestand, gegen Armutslöhne und Leiharbeit gekämpft zu haben, wurden von den Stalinisten und den Gewerkschaften skandalös im Stich gelassen, denn diese fürchten ihr militantes Beispiel. Wenn der Kampf für die Freiheit der 13 Maruti Suzuki Arbeiter mit einem breiteren Kampf gegen Ausbeutung und unsichere Arbeitsplätze verbunden würde, dann würde die ganze Arbeiterklasse ihn begeistert unterstützen. Diese Klassenkriegsgefangenen könnten so zum Sammelpunkt für den Klassenkampf werden.
Indische Arbeiter und Jugendliche müssen sich mit Arbeitern in Südasien und auf der ganzen Welt zusammenschließen, um eine internationale Bewegung gegen imperialistischen Krieg auf der Grundlage eines sozialistischen Programms aufzubauen. Die indische Bourgeoisie orientiert sich an der amerikanischen Regierung und unterstützt den US-Imperialismus in seinen Kriegsvorbereitungen gegen China. Darüber hinaus nutzt die indische Elite ihre reaktionären militärisch-strategischen Konflikte mit Pakistan und China, um Kommunalismus und Hurrapatriotismus zu schüren und die Arbeiterklasse einzuschüchtern und zu spalten.
Vor allem brauchen indische Arbeiter eine revolutionäre Partei. Diese muss sich auf ein internationalistisches sozialistisches Programm und eine internationalistische Strategie stützen und die strategischen Lehren aus den Kämpfen der Weltarbeiterklasse verkörpern. Sie muss den Kampf um die Arbeitermacht aufnehmen. [… Eine solche Partei kann nur eine sein, die in der Tradition der Linken Opposition und der daraus hervorgegangenen 1938 von Trotzki gegründeten Vierten Internationale sein. Sie muss sich historisch bewährt haben, d.h. sie muss gegenüber opportunistischen Regierungs-Abenteuern wie der griechischen Syriza, der venezolanischen PSUV, der brasilianischen PT, der spanischen Podemos, der deutschen Linken usw, eine selbständige – revolutionäre – Position entwickelt haben].
[…] Eine solche Partei verteidigt Trotzkis Programm der Permanenten Revolution und hat dieses weiterentwickelt. Die Permanente Revolution ist das Programm, das die Russische Revolution von 1917 und den Kampf gegen die stalinistische Bürokratie anleitete. Wie ihre wichtigste Lehre besagt, muss in Ländern mit historisch verspäteter kapitalistischer Entwicklung die demokratische in die sozialistische Revolution übergehen. Die unterdrückten Massen können kein wichtiges Ziel erreichen – weder die Auflösung des Großgrundbesitzes und des Kastenwesens, noch die Abschaffung der Ausbeutung oder echte soziale Gleichheit – wenn die Arbeiterklasse nicht ihre politische Unabhängigkeit erkämpft und die ländlichen Massen in den Kampf gegen Kapitalismus und um die Arbeitermacht führt.
[…]
Quelle: wsws.org… vom 14. Januar 2019 mit einigen Änderungen durch Redaktion maulwuerfe.ch
Tags: Arbeiterbewegung, Brasilien, Breite Parteien, Deutschland, Frankreich, Indien, Politische Ökonomie, Sozialdemokratie, Spanien, Strategie, Venzuela
Neueste Kommentare