Die Frauen in Polen sagen: “Ich scheiß auf euren Kompromiss”
“Vor dem Hintergrund anhaltender Massenproteste gegen die Reform des strengen Abtreibungsgesetzes in Polen verzögert die Regierung die Umsetzung des umstrittenen Urteils des höchsten Gerichts. Das Urteil sollte eigentlich am Montag formal veröffentlicht werden. Ohne die Veröffentlichung kann es nicht angewendet werden. Die Diskussion laufe, es sei Zeit für einen Dialog und die Suche nach neuen Positionen in der schwierigen und hoch emotionalisierten Debatte, sagte der Bürochef von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, Michal Dworczyk…” dpa-Meldung vom 3. November 2020 “Massenproteste in Polen: Veröffentlichung von Abtreibungs-Urteil wird ausgesetzt” bei rp online.
Dennoch bzw. als Begründung: Die Rechtsregierung in Polen rückt zunehmend ins Zentrum der wachsenden Massenproteste gegen das Abtreibungsverbot – und ihre „Stammgewerkschaft“ Solidarnosc ist gespalten. Da sucht PiS auch Zuflucht bei Nazi-Banden… Siehe im neuen Überblick dazu auch eine Meldung über die faktische Spaltung (bezeichnend: In Männer und Frauen) der Gewerkschaft Solidarnosc, sowie eine weitere aktuelle Einschätzung – und den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zu den Massenprotesten in Polen:
- “Ich scheiß auf euren Kompromiss” haben wir dem Tweed von kapturak am 4.11.2020entnommen, beachte das schöne Foto dazu
- „… Der Streit um das faktische Abtreibungsverbot in Polen hat dem Ansehen der Regierungspartei PiS und dem ihres Chefs Jaroslaw Kaczynski deutlich geschadet: Laut Umfrage im Auftrag der Tageszeitung Rzeczpospolita, die die Ergebnisse am Montag veröffentlichte, sind 70 Prozent der Polen der Auffassung, dass er sich aus der Politik zurückziehen sollte. Bei Frauen und in der Alterskohorte unter 40 liegt die Ablehnung Kaczynskis bei jeweils 80 Prozent. Die Zahl seiner Anhänger ist demnach auf 21 Prozent gesunken. Offenbar lag es an seinem Aufruf zur »Verteidigung der Kirchen um jeden Preis« vom vergangenen Dienstag. Unterdessen halten die massenhaften Proteste gegen die jüngste Verschärfung des Abtreibungsrechts an. Am Freitag waren allein in Warschau zwischen 100.000 und 150.000 Menschen auf der Straße. Sie zogen in einem Sternmarsch ins Stadtzentrum und von dort in das Viertel, wo Kaczynski wohnt. Das Haus war durch ein großes Polizeiaufgebot abgeriegelt worden. Ähnliche Proteste gab es auch in Dutzenden anderen Städten aller Größen: von der Millionenstadt Lodz, wo die Fahrerinnen der städtischen Verkehrsbetriebe die Straßenbahnen aus Solidarität anhielten, bis zu kleinen Ortschaften. So versammelten sich nach Angaben der Veranstalter selbst in einer 14.000-Einwohner-Stadt wie Slupca in Westpolen 2.000 Protestierende…“ – aus dem Bericht „Rechte verlieren an Unterstützung“ von Reinhard Lauterbach am 03. November 2020 in der jungen weltüber die drohende Niederlage der Rechtsregierung samt ihrer Nazibande und des Klerus.
- „Le clou dans le cercueil du comité fut le conflit qui émergea autour du droit à l’avortement“ am 02. November 2020 im Twitter-Kanal von Autonomie Ouvrièremeldet, dass der reaktionäre Vorstand des Gewerkschaftsbundes „natürlich“ die Regierung unterstützt – während die Frauenkommission die Proteste gegen das Abtreibungsverbot unterstützt. Im weiteren Verlauf des Thread wird auch deutlich, dass die Entwicklung der Gewerkschaft zum klerikal-faschistischen Bollwerk mit der Abdrängung des Einflusses der Arbeiterinnen einher ging…
- „Polen: Massenproteste gegen Abtreibungsgesetz entwickeln sich zum Aufstand gegen Regierung“ von Martin Nowak am 2. November 2020 bei wswszur aktuellen Entwicklung und de Versuchen rechter Gegenmobilisierung unter anderem: „… Die herrschende Klasse Polens reagiert mit Gewalt und Repression auf die Proteste. Besonders hervor tut sich dabei der neue Bildungsminister Przemysław Czarnek (PiS). Er war bereits bei seiner Ernennung am 19. Oktober mit Protesten von Schülern konfrontiert, die besseren Schutz vor dem Corona-Virus forderten, Proteste, die nun nahtlos in die breitere Bewegung übergangen sind. Czarnek hat allen Schulen und Universitäten mit Mittelkürzungen gedroht, die es Schülern und Studenten ermöglichen, an den Protesten teilzunehmen. Unter anderen hatten die Rektoren der Universitäten Breslau und Danzig dafür Lehrveranstaltungen abgesagt. Die katholische Universität Lublin hat dagegen Studenten gedroht und auf ihrer Facebook-Seite Beiträge zensiert, die sich für die Proteste aussprachen. Der neue Bildungsminister führt einen regelrechten Kreuzzug gegen die Protestteilnehmer. Er drohte, Frauen dürften nicht von „Neomarxisten und Feministen“ von ihrer gottgewollten Rolle als Hausfrau und Mutter abgebracht werden. Die Demonstrationsteilnehmer bezeichnete der Minister als „linksradikale Revolutionärinnen“, die teils „satanistische“ Parolen riefen und für die es in Polen „keinen Platz geben“ könne. Czarnek hat angekündigt, „alle Lehrbücher, vor allem in Polnisch, Geschichte und Gesellschaftskunde“, auf ihren polnisch-patriotisch Inhalt überprüfen lassen. Sein Angriff auf den angeblichen „Schuldkult im Unterricht“ zeigt, in welche geschichtsrevisionistische und faschistische Richtung diese Neuausrichtung der Lehrbücher gehen soll. Als Woiwode (Chef der Bezirksverwaltung) von Lublin hatte Czarnek offen mit der faschistischen ONR (Nationalradikales Lager) paktiert. Die ONR hat am 27. Oktober eine neue Initiative zur Gründung von paramilitärischen Verbänden verkündet. Diese „Nationalen Brigaden“ sollen die „polnische Gesellschaft, religiöse Stätten und patriotische Veranstaltungen vor militanten Angriffen und Provokationen durch Neomarxisten, eine Verkörperung des Bolschewismus“, schützen. Ganz offen kündigen diese ein „systematisches Training in Kampfkunst, Kraftsport, Schießen und anderen Disziplinen“ an. Auch wenn die ONR selbst es bestreitet, geht diese Initiative auf die Erklärung des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński vom selben Tag zurück. Die graue Eminenz der PiS bezeichnet darin die Demonstranten als Verbrecher und erklärt es zur Bürgerpflicht, sich gegen sie zu wehren…“
- Zum weiter wachsenden Massenprotest gegen Rechtsregierung und Klerikalfaschismus in Polen zuletzt: „Erneute Massendemonstrationen gegen Abtreibungsverbot in Polen: Im (erfolgreichen) Widerstand gegen Nazi-Attacken, polizeilichen Verhinderungsversuchen und kirchlicher Einschüchterung“ am 02. November 2020 im LabourNet Germany (dort auch Verweise auf vorherige Beiträge)
Quelle: labournet.de… vom 4. November 2020
Tags: Arbeiterbewegung, Covid-19, Frauenbewegung, Gewerkschaften, Neue Rechte, Polen, Widerstand
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