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Frankreich: Polizeigewalt, Protest und «Gelbwesten» bleiben aktuell

Eingereicht on 26. Juli 2019 – 16:48

Bernard Schmid. Neue Polizei- und Justizskandale rund um (nicht nur) die Repression bei „Gelbwesten“-Protesten – Neue Erkenntnis: Staatsanwalt wollte im Falle Geneviève Legay (verletzte ältere Aktivistin in Nizza) ausdrücklich „Präsident Emmanual Macron decken“, indem er sich schützend vor die Polizei stellte, statt zu ermitteln – Auszeichnung für Polizisten, die wegen des Verdachts ungesetzlicher Gewaltanwendung ermittelt wird – „Gelbwesten“ und andere Aktivist/inn/en nehmen bei Kundgebung zum Gedenken an den Tod des Polizeiopfers Adama Traoré teil – Einem Mann wird bei einer Straßenfeier in Lyon infolge des Fußballsiegs Algeriens beim Africa-Cup ein Auge ausgeschossen.

Laut Medienberichten aus den letzten 48 Stunden forderte Staatspräsident Emmanuel Macron seine Minister/innen dazu auf, „mit Angst im Bauch“ in ihren Urlaub zu fahren. Auf diese leicht drastische Weise wollte er seine Regierungsmitglieder darauf hinweisen, dass „die soziale Krise“, welche mit der Protestbewegung der „Gelben Westen“ eine Kristallisationsform gefunden hatte, nicht überwunden, dass die Sache noch nicht ausgestanden sei. (Vgl. lemonde.fr…und sputniknews.com…; erstere Quelle ist eine liberale Pariser Abendzeitung, die zweite eine russische Quelle, die mitunter kritische Informationen zu Auseinandersetzungen in westeuropäischen Staaten enthält, allerdings weitaus weniger kritische Informationen zur russischen Staatsmacht)

Ausgestanden sind insbesondere nicht die unterschiedlichen Skandale, die sich um den polizeilichen und justiziellen Umgang mit den Protesten – wie immer man deren mannigfaltige Aspekte auch inhaltlich bewerten mag – ranken.

Verletzungen von Geneviève Legay

Neu kommt an diesem Mittwoch, den 24. Juli 19 heraus, dass der Leiter der Staatsanwaltschaft im südostfranzösischen Nizza, Jean-Michel Prêtre, explizit zugegeben hat, in einem offiziellen Rapport über polizeiliche Übergriffe am 23. März dieses Jahres in der Stadt Unterschiede zwischen divergierenden Versionen (vgl. lemonde.fr…) weggebügelt und die Ordnungskräfte weißgewaschen zu haben, „um Präsident Emmanuel Macron nicht in Schwierigkeiten zu bringen“. (Vgl. lemonde.fr… und lepoint.fr/… und AFP-Meldung vom Abend: lefigaro.fr…)

Konkret ging es u.a. darum, dass Staatspräsident Macron persönlich zwei Tage nach der polizeilichen Attacke vom 23. März 19 in der örtlichen Tageszeitung Nice Matin das Wort ergriffen hatte, und dort behauptete, es habe „keinen Kontakt“ zwischen Geneviève Legay und Polizeibeamten gegeben. Eine Darstellung, die objektiv wahrheitswidrig hat. Doch um nicht herauskommen zu lassen, dass der Staatspräsident die Unwahrheit hinausposaunte, sagte nun einfach auch der ermittelnde Staatsanwalt die Unwahrheit dazu. Allerdings ließ sich seine Version im Lauf der Ermittlungen nicht aufrecht erhalten und wurde dann auch offiziell zurückgezogen.

Am 13. Juli d.J. war der Staatsanwaltschaft Nizza die Akte bereits durch höchstrichterliche Entscheidung entzogen worden. (Vgl. lemonde.fr…) Seitdem ist die Staatsanwaltschaft Lyon für den Fortgang der Entwicklungen zuständig.

Die 73jährige Aktivistin bei ATTAC Geneviève Legay war bei einer „Gelbwesten“-Demonstration in Nizza durch Polizisten gestoßen worden, ging zu Boden, wurde überrannt, schwer verletzt und im Krankenhaus behandelt. (Wir berichteten) Zunächst wurde behauptet, die Polizei habe die Frau überhaupt „nicht berührt“, später geriet diese offizielle (Schutz-)Version jedoch ins Wanken. Ein Polizeibeamter wurde identifiziert als derjenige, welcher Madame Legay stieß; er selbst brachte sein „ehrliches Bedauern“ zum Ausdruck (vgl. lci.fr…) und erklärte, er sei davon ausgegangen, „einen Mann“ gestoßen und zu Boden befördert zu haben (vgl. lexpress.fr…).

Gendarmeriebeamte hatten anlässlich dieser Auseinandersetzung den Befehl verweigert, die Polizei bei ihrem Einsatz zu unterstützen (Vgl. nouvelobs.com…); das ist mehr oder minder „unerhört“. In Frankreich untersteht die Gendarmerie dem Verteidigungs-, und die Polizei untersteht dem Innenministerium, wobei vor nunmehr zehn Jahren viele Statusbestimmungen (etwa Laufbahngarantien, Rentenregelungen) aneinander angeglichen wurden; das Staatsgebiet ist in jeweilige Zuständigkeitszonen beider Staatsorgane aufgeteilt. Bei Demonstrationen und vergleichbaren Anlässen, aber auch etwa beim Objektschutz (wie im Pariser Justizpalast) kommen oft beide nebeneinander zum Einsatz, mit leicht unterschiedlichen Aufgabenbereichen. In der Regel ist die Gendarmerie disziplinierter und begeht weniger gesetzeswidrige Übergriffe als zumindest bestimmte Polizeieinheiten, wie die hinlänglich berüchtigten Einsatzkräfte der BAC (Brigades anti-criminalité).

Dekorationen; nicht für Weihnachtsbäume, sondern für mögliche Urheber gesetzlich nicht gedeckter Polizeigewalt

Es mangelte nicht an Pikanterie, als jüngst Innenminister Christophe Castaner die Namen von Angehörigen der polizeilichen Sicherheitskräfte bekannt gab, die „dekoriert“ (décoré) werden sollen, denen also in naher Zukunft eine Auszeichnung verliehen wird. Unter ihnen befinden sich fünf Polizeibeamte, die persönlich im Verdacht stehen, an ungesetzlichen Formen von staatlicher oder im Namen des Staates ausgeübter Gewaltanwendung beteiligt gewesen zu sein. Darunter:

  • zwei Kommissare (das bedeutet in diesem Falle: Einsatzleiter), die an der Szene beteiligt waren, bei der die oben erwähnte Aktivistin Geneviève Legay verletzt worden ist und deren Namen in den Ermittlungsdokumenten dazu auftauchen;
  • und zwei Polizeioffiziere, die respektive an einem gewaltfömigen Überfall auf Demonstrationsteilnehmer in einem Pariser Fastfood-Restaurant im Dezember 2018 (vgl.: com…) sowie am Tod der 80jährigen Zineb Redouane in Marseille am 1. Dezember 2018 – wir berichteten jüngst ausführlich (labournet.de…) – beteiligt waren.

Entscheidend für die Bewertung des Ministerhandels ist dabei nicht nicht so sehr, dass die fünf Namen auf einer Liste von auszuzeichnenden Polizisten auftauchen; auf ihr stehen immerhin 9.126 Namen von Polizeibediensteten, denen eine Medaille für ihr/ein „außerordentliches Engagement in den Kräften für Innere Sicherheit in den Jahren 2018/19“ verliehen werden soll. (Vgl. france24.com… – Die Polizei zählt in Frankreich insgesamt rund 150.000 Mitglieder; vgl. zur Zahl: wikipedia.org… und lepoint.fr… oder huffingtonpost.fr…) Entscheidend für die Bewertung des Ministerhandelns ist vielmehr, dass Christophe Castaner auch dann, nachdem er über die Präsenz der beschuldigten Beamten und den Inhalt der Vorwürfe informiert worden war, von seiner Entscheidung nicht abrücken und die Liste nicht modifizieren mochte. (Vgl. bspw. orange.fr…) Er stehe zu seinem Entschluss; allerdings würden, falls es denn zu dienstrechtlichen Sanktionen (Disziplinarstrafen) komme, den entsprechend Bestraften ihre Auszeichnungen in diesem Falle wieder entzogen, verlautbarte der Minister.

Nun ist für Ermittlungen gegen Polizeibeamte/beamtinnen – etwa wegen des Vorwurfs von Gewalttaten im Dienst – eine „Generalinspektion der Nationalpolizei“ (IGPN) zuständig, die zwar nicht der Autorität der Polizeiführung direkt, wohl aber jener des Innenministeriums unterstellt ist. Und wenn der amtierende Minister ihr nun durch das Verleihen einer Auszeichnung signalisiert, dass es sich bei den Betreffenden um irgendwie exemplarische Beamte handele – wird die Dienstinspektion dann dazu neigen, darüber hinwegzusehen und trotzdem Sanktionen vorzuschlagen? Die nähere Zukunft wird es erweisen müssen.

Demonstration und Kundgebung für das Opfer von staatlicher bzw. in staatlichem Namen ausgeübter Gewalt: Adama Traoré

Am vorigen Samstag, den 20. Juli 19 demonstrierten rund 3.000 Menschen (realistische Schätzung) in der ziemlich genau vierzig Kilometer nördlich von Paris liegenden Vorstadt Persan-Beaumont, im Andenken an einen früheren Einwohner der Stadt: Adama Traoré. Der junge Franzose westafrikanischer Herkunft starb am 19. Juli 2016 – an seinem vierundzwanzigsten Geburtstag – im Polizeigewahrsam, oder richtiger: im Gewahrsam der Gendarmerie (unsere Leser/innen kennen ja nun den Unterschied). Er war zuvor wegen einer Lappalie festgenommen worden; da er seine Ausweispapiere nicht bei sich trug, war er anlässlich der Festnahme seines Bruder Bagui, dem ein Gelddelikt vorgeworfen wurde (an dem Adama Traoré unbeteiligt war), weggelaufen. Mutmaßlich waren die Art und Weise der Festnahme, der wohl durch mehrere Beamte auf Rücken und Brustkorb des am Liegenden ausgeübte Druck ursächlich für seinen Tod.

In den letzten drei Jahren hat die aus Mali stammende Familie von Adama Traoré, an führender Stelle ist dabei seine Schwester Assa Traoré zu erwähnen, eine höchst aktive Öffentlichkeitsarbeit entwickelt; mit dem rund um Familienangehörige und Stadtteilbewohner/innen entstandenen Kollektiv „Gerechtigkeit für Adama“ – Justice pour Adama traf man zahlreiche andere, meist örtliche Initiativen von Opferfamilien (d.h. Hinterbliebenen der Opfer von Polizeigewalt) in ganz Frankreich. Aber im Rahmen der, politisch heterogen zusammengesetzten, „Gelbwesten“-Proteste ab dem Spätherbst 2018 reihte das Kollektiv sich auch in diesem Zusammenhang in Protestdemonstrationen ein. Monate hindurch führte es, zusammen mit Gruppen vor allem aus dem Front Social (einem 2017 entstandenen, mehrheitlich linksradikale Gewerkschaftsflügel zusammenführenden Zusammenschluss), jeden Samstag um 11 Uhr eine vom Saint Lazare-Bahnhof in Paris ausgehende Demonstration mit an. Hier sammelte sich der linke, gegen Staatsgewalt protestierende Flügel der Protestbewegung, der andere Inhalte unter den gelben Westen verteidigte als die Interessen reaktionärer „Wir-Steuerzahler“-Kreise – und der mit dazu beitrug, den Protest sozial aufzuladen und in beträchtlichen Teilen umzuorientieren. (Vgl. dazu auch labournet.de…)

An diesem Samstag, den 20. Juli 19 kamen nun ihrerseits viele „Gelbwesten“ aus der Region, d.h. aus dem Großraum Paris, aber auch aus der (von Persan-Beaumont aus sehr nahe gelegenen) Nachbarregion Picardie – also Städten wie etwa Beauvais – zu der Demonstration und Kundgebung nach Persan-Beaumont. Diese Solidarisierung ist ein wichtiges Zeichen. Inhaltlich blieben die Dinge dabei allerdings wiederum durchmischt. – Zur Staatsmacht: Unterwegs war ein vom Pariser Nordbahnhof kommender Bus durch die Polizei, mit staatsanwaltschaftlicher Anordnung, aufgehalten worden. Nachdem Aktivist/inn/en mit einer Kamera zu filmen begann, konnte der Bus dann mit rund einstündiger Verspätung doch noch eintreffen. (Vgl. dazu revolutionpermanente.fr…)

Foto von Bernard Schmid: Szene mit einer Gruppe der (sehr progressiven) «Gelbwesten-Frauen Großraum Paris» (femmes gilets jaunes Ile-de-France) am 20. Juli 19 in Persan-Beaumont, anlässlich des Protests zum Todestag von Adama Traoré

Bereits zum Auftakt der Demonstration, in der Nähe des Bahnhofs von Persan (von dort aus liegt die Gendarmeriestation, in der der Tod von Adama Traoré festgestellt wurde, in unmittelbarer Umgebung) – bevor der Zug in die andere Hälfte der Doppelstadt, Beaumont, weiterzog – waren viele gelbe Westen zu sehen. Im Vergleich zu Juli 2017 und Juli 2018, damals zählte der Autor dieser Zeilen bei den Jahrestagsdemonstrationen je zwischen 2.000 und 2.500 Personen, waren es allem Anschein nach insgesamt mehr Menschen. Kurz nach Beginn der Auftaktkundgebung fing es in diesem Jahr jedoch aus Kübeln an zu schütten. Die „Gelbwesten“ aus dem Département 95 (Val-d’Oise), in welchem Persan-Beaumont liegt, bezog daraufhin unter einer Plane kollektiv Aufstellung und erinnerten an die Verteidigungsstellung der „Schildkröte“, wie man sie von den römischen Soldaten aus den Asterix-Comicbänden her kennt. Vor ihnen nahm ein sehr aktiver Mann im Rollstuhl mit gelber Weste und einem Schild „Die Gelbwesten 95 in Solidarität mit Adama Traoré“ Stellung. Trotz kurzzeitig strömenden Regens ließen die Anwesenden sich die Stimmung nicht verderben. Auch ein paar CGT- und SUD-Gewerkschaftsfahnen waren zu sehen, allerdings sicherlich nicht dominant. Irgendwo im Zug war ferner auch Priscillia Ludowsky, eine der Gallionsfiguren und Exponentinnen der 2018/19er Gelbwestenprotestbewegung, zu sehen.

Auf der Kundgebung, die (nach dem mehrere Kilometer durchlaufenden Protestzug) gegen 18 Uhr in Beaumont auf einem Sportplatz beim Wohnhaus des Getöteten stattfand, sprachen ebenfalls Redner in gelben Westen. Nach mehreren Angehörigen von Opfern polizeilicher bzw. staatlicher oder staatlich legitimierter Gewalt kamen die Gelbbewesteten an die Reihe. Als Erster von ihnen ergriff Maxime Nicolle das Wort. Auch unter seinem Spitznamen „Fly Rider“ bekannt, zählt der 31jährige Krankenpfleger seit Ende November 2018 zu den Medienprominenten der heterogenen Protestbewegung der „Gelbwesten“. Er kann persönlich als umgänglich gelten und erscheint als netter Kerl. Bei Facebook und unter seinem Account bei sozialen Medien verbriet / verbreitete er allerdings in der Vergangenheit auch so manch kritikwürdige Inhalte. Er „likte“ etwa manchmal Pressemitteilungen von Marine Le Pen oder stellte öffentlich fragwürdige „Fragen“ zum so genannten Migrationspakt – unter Ägide der UN am 10. Dezember 2018 bei einer internationalen Konferenz in Marrakesch feierlich angenommen -; stimme es denn, dass Emmanuel Macron da gerade einer Auflösung Frankreichs zustimme? Nun ist Frankreich zwischenzeitlich allem Anschein nach nicht untergegangen. Und Maxime Nicolle hielt eine inhaltlich durchaus korrekte, stellenweise mutige kurze Ansprache in Persan-Beaumont. Er wies darauf hin, in der Vergangenheit habe er keine Aufmerksamkeit dafür besessen, wie Polizeigewalt oder staatliche Gewaltausübung sich etwa auf Angehörige von Minderheiten, auf die Einwohner von (durch die Staatsmacht als abgehängt behandelten) Vorstädten auswirkten. Erst nachdem er und ihm Nahestehende im Zuge der „Gelbwesten“proteste mit Repression konfrontiert worden seien, habe er dieses Thema ernst genommen. Er entschuldige sich, fügte er hinzu, bei den Anwesenden dafür.

Diese Worte kann man durchaus positiv vermerken und honorieren. Nach ihm allerdings sprach – noch wesentlich kürzer – ein anderer junger Mann in ebenfalls gelber Weste, mit militärischer (oder Armeemützen nachempfundener) Kopfbedeckung. Er sprach nur wenige Sätze aus, erklärte ebenfalls seine Solidarität; und endete dann auf die Feststellung, Frankreich lebe derzeit in einer dictature mondialiste („globalistischen Diktatur“). Dieser Ausdruck ist nun wirklich astreiner Nazisprech und wird in Frankreich in einschlägigen rechtsextremen Foren und Medien benutzt. Ein lupenreiner Nazirassist würde nun wahrscheinlich nicht auf einer Kundgebung für Solidarität sprechen, bei welcher rund ein Drittel bis die Hälfte der Anwesenden schwarzer Hautfarbe sind. Dennoch zeigt es, wie wichtig aber auch mühsam es sein wird, nun wirklich einige Kacke in einigen Köpfen zurückzudrängen.

Beim Vorbeilaufen des jungen Redners am Verfasser dieser Zeilen bemerkte ich auch die Aufschriften auf dem Rücken seiner Gelbweste. Von oben nach unten: „Macron = Diktatur / CRS (Bereitschaftspolizei) = Gestapo“ und ein paar mehr geschichtslose und dumme Vergleiche Vergleiche; es folgte einiges Geschwurbel, das der Autor in der Eile nicht erkennen konnte oder woran ich mich nicht erinnern kann; ganz unten stand, wohl in ironischer Absicht, jedoch auch bekennerisch, dick aufgeschrieben: „Verschwörungstheorie“. In Deutschland würde gelten: An ihrem Aluhütchen sollt Ihr sie erkennen…? (Oder vielleicht an ihrem Reichsbürgerausweis, in krasseren Fällen?)

Insofern hinterließ zumindest einige Nebenaspekte durchaus ein zwiespältiges Gefühl, jedenfalls was einzelne Fraktionen der „Gelbwesten“ (zwischen „rechtsoffen“ und Totalverstrahlten) betrifft. Die absolut positive Gesamtbilanz der Veranstaltungen, und des Wirkens dieses „Kollektivs Gerechtigkeit für Adama“, vermag diese Feststellung am Rande jedoch keinesfalls zu mindern.

Polizeigewalt auch bei Fanmobilisierung am Abend des Africa-Cup

Überbordende polizeiliche Gewaltanwendung gab es auch am vorigen Freitag Abend, an dem Algerien – verdient, verdient – den Africa-Cup im Endspiel gegen den Senegal gewann. (1:0, Tor von Baghdad Bounedjah bereits in der zweiten Minute.) Da allgemein erwartet wurde, dass eine quirlige Fangemeinde auf die französischen Straßen ströme, waren eine Kohorte von Polizisten wie auch von Berichterstatter/inne/n aufgeboten worden. Dabei blieb jedenfalls in Paris alles weitgehend in bester, freundlicher Stimmung.

Während gegen Mitternacht oder ein Uhr früh – das Spiel in Kairo ging um 23 Uhr westeuropäischer Zeit zu Ende – Studioreporter/innen beim Privatfestsender BFM etwa sehr betont feststellten, es gebe „noch keine Ausschreitungen“ (die Unterstreichung unter dem „noch“ musste man nicht erst schriftlich bekommen) oder dass angeblich „überwiegend Männer“ unterwegs seien, was umgehend durch andere TV-Journalist/inn/en dementiert wurde („äheeeem, nein, es siiiiiind auch Frauen da“), herrschte auf den Straßen ein buntes Gemisch. Im Pariser Viertel Barbès/Château Rouge, dem Stadtteil mit dem höchsten Einwanderungsanteil, standen Algerien- und Senegal-Fans in exakt denselben Kneipen oder an denselben Straßenecken, tranken oder flanierten, grüßten sich gegenseitig. Auf der Straßenkreuzung bei Barbès-Rochechouart (würde vom gesellschaftlichen Ort her ungefähr dem Zentrum von Kreuzberg in Berlin entsprechen) trafen zahlreiche junge und alte Frauen, allein oder mit Männern oder ohne Mann aber mit Töchtern, mit oder ohne Bierdose in der Hand, mit oder ohne Kopftuch ein. Auch die algerischstämmige (und, vor Ort in Nordafrika, die algerische!) Gesellschaft haben sich in den letzten zwanzig Jahren wirklich mächtig gewandelt, und zwar zum Positiven. (Der Verfasser dieser Zeilen arbeitete u.a. 1999 und 2001 als Journalist in Algerien.)

Die französische Polizei betrachtete die Dinge unter einem anderen Blickwinkel, nämlich überwiegend als Kontroll- und Sicherheitsproblem. (Eine trotzkistische Webseite sprach in diesem Zusammenhang, leicht holzschnittartig doch treffend, von einer „Kriminalisierung der Freude der Unterdrückten“; vgl. revolutionpermanente.fr…) Ein bis zwei Stunden nach Mitternacht ging sie in Paris wie in anderen Städte dazu über, die Straßen und Plätze zu räumen. Dabei verlor in Lyon ein junger Mann ein Auge, aufgrund des Einsatzes eines Gummigeschossgewehrs (LBD), wie man sie nun mittlerweile von den „Gelbwesten“-Demonstrationen her hinreichend kennt. (Vgl. lyoncapitale.fr… oder orange.fr… (Anmerkung: Im ersten Artikel ist vom Verlust eines Auges, im zweiteren von einem verletzten Auge die Rede)

Übrigens: Ihrerseits suchten die französischen Rechten und Rassisten eifrigst nach einem Problem, und fanden zunächst auch eines, sogar ein mächtiges. Am Freitag Nachmittag (19. Juli) war, allerdings vor dem Anpfiff des Spiels, der aus Guinea stammende Hochschullehrer Mamadou Barry durch einen zunächst Unbekannten geschlagen worden, er ging zu Boden und starb am Samstag (20. Juli) infolge seines Sturzes in einem Krankenhaus in Rouen. Friede seiner Asche. Der Täter hatte allem Anschein nach, wie jedenfalls von Umstehenden bezeugt wurde, rassistische Äußerungen von sich gegeben („Wir werden es Euch dreckigen Schwarzen heute Abend zeigen“). Schnell ging im Laufe des Samstag auf rechtsextremen Webseiten die prominent aufgemachte Meldung um, „die“ Algerienfans hätten einen rassistischen Mord begangen – die Nachricht von der Attacke selbst hatten sie im Netz durch Surfen auf westafrikanischen Webseiten aufgegriffen, wo (in Guinea, im Senegal) am Samstag bereits sehr breit über das Thema berichtet wurde. Sofort entwickelte sich daraus eine Kampagne, wonach die bürgerlichen Medien samt und sonders lügen, weil sie von einem insgesamt ohne schlimme Zwischenfälle verlaufenen Abend sprächen. Wo die Meute doch plündere und nun sogar mordete..!

Erst ab Sonntag (21. Juli) äußerten sich auch bürgerliche Medien sowie das französische Innenministerium zu dem Vorfall, nachdem sie ihrerseits einige Überprüfungen vorgenommen hatten. Heraus kam: Den Totschlag, oder wohl (juristisch richtig qualifiziert:) die Körperverletzung mit Todesfolge, mutmaßlich begleitet von rassistischen Äußerungen, hat es tatsächlich gegeben. Der Täter (Damien A.; vgl. dazu AFP-Meldung: lefigaro.fr…) ist keineswegs Algerier oder Nordafrikaner und auch kein Algerienfan; er ist französischer Staatsbürger mit einem türkischen Vater und einer französischen Mutter, und trug zum Tatzeitpunkt ein T-Shirt des Istanbuler Fußballclubs Galatasaray. Vor allem aber gilt er als psychisch gestört (und war ferner wegen Drogendelikten „polizeibekannt“). Die rechte Kampagne, jedenfalls zu diesem Anlass, löste sich daraufhin in Luft auf. Doch gilt nicht: Werft mit Dreck, werft tüchtig mit Dreck – „irgend etwas bleibt immer hängen?“ Es steht zu befürchten… Jedenfalls in Teilen der Gesellschaft…

Quelle: labournet.de… vom 26. Juli 2019

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