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Afrika – Kontinent der Kämpfe

Eingereicht on 20. Juni 2019 – 9:43

uMlungu (07.04.17). Afrika[1], mit Ausnahme des Nordens, kommt in der Debatte über globale Protestbewegungen häufig nur am Rande vor. Dabei haben sich seit 2011 auf dem Kontinent

zahlreiche Kämpfe ausgebreitet[2]. Nicht nur Revolten, auch zahlreiche soziale Bewegungen und stille Kämpfe. Trotz vieler Unterschiedlichkeiten im Konkreten sind diese Kämpfe eine vielstimmige „Antwort“[3] auf die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte: brutale und stetige sozialpolitische, ökonomische, technologische und repressiv/ militärische Angriffe des Kapitals. „Africa is rising“, träumt das Kapital – „Africa is uprising“ ist die vielstimmige Antwort, die ihm entgegenschallt[4].

Angriffe des Kapitals

Der amerikanische Historiker Frederick Cooper spricht in seinem Essay
über „Afrika in einer kapitalistischen Welt“ von einer Geschichte der verhinderten
Ausbeutung: „Mein Argument ist, dass die afrikanische Sozialstruktur und die
afrikanische Geografie allerdings kapitalistische Herrschaftsbemühungen
blockiert haben, genauso wie sie Versuche der afrikanischen Eliten durchkreuzt
haben, Macht über Bevölkerungen aufzubauen. Trotz der Machtungleichgewichte
haben AfrikanerInnen versucht, Elemente der sich ändernden globalen Strukturen
so gut wie möglich zu nutzen. Vieles von dem, mit dem Afrika heute konfrontiert
ist – die Beschränktheit seiner wirtschaftlichen Zukunftsaussichten und die
herabwürdigenden Begrifflichkeiten in der Debatte um seine Zukunft – ist nicht
so sehr eine Folge von ‚Versagen’, sondern des teilweisen Erfolgs einer großen
Zahl der Menschen, wirtschaftliche Dominanzbemühungen abzuwehren, sich
anzueignen oder umzulenken“[5].

Gegen diese Erfolge richtet sich der Terror der
kapitalistischen Angriffe. Er greift vor allem deren sozialen Rückhalt an:
Verwandtschaftsbeziehungen, Freundschaften, Vieh, die Verfügung über das
Land, die „moralische Ökonomie“ der Armen. Dieser Terror soll
die Blockierung der kapitalistische
Herrschaftsbemühungen aufbrechen und zeigt sich im heutigen
Afrika in ganz unterschiedlicher Art und Weise[6]:

  • Die Landbevölkerung
    wird durch Kriege, Landgrabbing, Zerstörung der ökologischen
    Lebensbedingungen usw. enteignet und vertrieben. Die Menschen werden von
    ihrem Land – ihrem wichtigsten Produktionsmittel – getrennt.
  • Weite Teile des
    Kontinents sind geprägt von Repression, Folter, Terror und allen Formen der
    Gewalt.
  • Auf dem Land entstehen
    neue Formen kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse. Was vorher außerhalb
    des Marktes stattfand wird kommerzialisiert (z.B. Ernährung,
    Kleidung, Bildung und Gesundheit).
  • Als Folge der
    Enteignungen, Vertreibungen und der neuen
    Ausbeutungsverhältnissen breiten sich
    kapitalistische Marktverhältnisse stetig aus und wachsen
    die Städte. Dort steigern Vertreibungen der Menschen – von
    ihrem Land, aus ihren Häusern, von ihren prekären Einkommensmöglichkeiten
    – und die
    stetige Erhöhung der Lebenshaltungskosten den Arbeitsdruck.
  • Neue kapitalistische
    Eliten entstehen.
  • Sexistische und
    antihomosexuelle Gewalt[7] als
    Kern einer neuen Körperpolitik und Genderordnung nehmen teilweise epidemische
    Ausmaße an.
  • Gegen Hexen, Albinos
    und andre „Irrationalitäten“ werden mörderische Kampagnen geführt.
  • Sklaverei und Sklaverei-ähnliche
    Ausbeutungsverhältnisse wuchern im Schatten der Kriege.
  • Neue Technologien
    werden eingeführt und verbreitet, vermeintlich um die Folgen der Katastrophen,
    die der Imperialismus ausgelöst hat, abzumildern oder in den Griff zu kriegen.
    Real geht es darum, die Menschen der Gewalt des Marktes und des
    Algorithmus – und somit des Kapitals – zu unterwerfen.

Das Aufbrechen der Blockierungen ist Voraussetzung dafür, dass so etwas
wie eine kapitalistische Entwicklung überhaupt möglich ist.

Dieser Terror hat vor allem immer eine lokale Dimension. Er wird aber
gezielt gefördert durch Investitionsentscheidungen und
die Strukturanpassungsprogramme von IWF und
Weltbank. Und er ist eingebettet in aktuelle Afrikastrategien
des Kapitals[8],
die im Wesentlichen um diese neun Punkte kreisen. Niemals würde dort zu
kriegerischer, sexistischer, antihomosexueller oder gegen „Irrationalitäten“
gerichteter Gewalt usw. aufgerufen. Die Gewalt ist scheinbar „natürlich“ schon
vorhanden – und doch erst das Produkt kolonialer und neokolonialer Aggression.

Diese Strategien zielen darauf, die kapitalistische Entwicklung weiter
zu treiben. McKinsey träumt gar von einer „Entfesselung einer afrikanischen
industriellen Revolution“[9].

Bislang ist der Kern der ökonomischen Praxis in Afrika die Ausbeutung
von Rohstoffen. Bevölkerungspolitik, Dienstleistungen, Infrastruktur und Krieg
gruppieren sich um diesen Kern. Eine weitergehende industrielle Entwicklung ist
bislang bestenfalls in Ansätzen erkennbar[10].

Wenn wir das aktuelle Geschehen in Afrika auf diesem Hintergrund
verstehen, und nur dann, ergibt das Ganze einen – zugegebenermaßen grausigen –
Sinn. Und zwar nicht in dem Sinne, wie Marx in seinem berühmten Kapitel
über die sogenannte ursprüngliche Akkumulation, der

  • die Enteignung und
    Vertreibung des Landvolks von Grund und Boden,
  • die Scheidung von Produzenten und Produktionsmittel,
  • den Terror und
    die Blutgesetzgebung gegen die Enteigneten;
  • neue Formen
    kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse auf dem Land,
  • Ausbreitung von
    Marktverhältnissen als Folge der Enteignungen,
  • Vertreibungen und
    neuen Ausbeutungsverhältnissen
  • sowie den Aufstieg
    neuer kapitalistischen Eliten als Übel aber notwendig für den „geregelten“
    Fortgang der Geschichte ansah. Marx ging davon aus, die überholte
    Produktionsweise „muss vernichtet werden, sie wird vernichtet“[11].

Africa is uprising!

Ganz im Gegenteil! Wir sind fest davon überzeugt: nur unter
Berücksichtigung der Vorstellungen und Erfahrungen dieser „überholten
Produktionsweise“ kann der Kapitalismus vernichtet werden. Ihr vielstimmiger
Widerstand trägt in sich die Wahrheit, dass eine andere Welt, eine Welt ohne
Ausbeutung und Unterdrückung, zum Greifen nahe ist.

Soziale Bewegungen und zivilpolitischen Akteure

Wird über Widerstand in Afrika berichtet, geht
es meist um soziale Bewegungen und zivilpolitische
Akteure. Auf vier großen gesellschaftlichen Feldern leisten
sie wirkungsvolle politische Arbeit:

  • Einforderung ökonomischer
    Verbesserungen;
  • Kampf gegen Krieg,
    Gewalt, Repression;
  • Beeinflussung von
    gesellschaftlichen Leitbildern wie Frieden, Menschenrechte, Demokratie, soziale
    Gerechtigkeit;
  • Mitgestaltung der
    Transformationsprozesse in Richtung Demokratie[12].

Besondere Bedeutung haben hier die vielfältigen Studierendenbewegungen
sowie die Bewegungen der Arbeiterinnen und Arbeiter[13]. Branch
und Mampilly (2015) beharren darauf, dass diese sozialen Bewegungen sich sehr
stark von denen im Norden unterscheiden. Diese Eigentümlichkeiten sollten nicht
unter universellen Narrativen der „weltweiten militanten Opposition“ (Harvey)
oder „Multitude“ (Negri/ Hardt) unsichtbar gemacht werden. Einerseits, so
argumentieren sie, haben die Probleme, Nöte und Ziele wenig gemeinsam mit dem
Prekariat im Norden oder in den aufstrebenden Ökonomien Asiens und Südamerikas.
Andererseits ist Prekariat in Afrika kein neues Problem. Die Kämpfe in Afrika
sind Teil einer langen Geschichte sozialer Auseinandersetzungen seit der
Kolonialzeit.

Soziale Nicht-Bewegungen

Weniger beachtet und untersucht sind die sogenannten
„stillen Kämpfe“[14] das
„stille Vordringen“ oder auch „Soziale Nicht-Bewegungen“
(Bayat 2012) der Armen: „Kollektive Aktionen nicht-kollektiver
Akteure“ transformieren die Gesellschaften. In seinem Buch Leben als
Politik beschreibt Bayat, wie bereits lange vor dem arabischen
Frühling[15] die
städtische Armen in Ägypten durch ihre
alltägliche individuelle Praxis in ihrem „fortwährenden Streben
nach besseren Lebenschancen“ die gesellschaftliche Realität „von unten“ veränderten: Bayat
erzählt, wie sich die Armen das „Notwendige zum Leben“ aneignen und damit
die Reproduktion des Kapitals beeinträchtigen. Protagonist_innen sind vor
allem Frauen und junge Menschen[16].

Er erzählt von der Umverteilung von gesellschaftlichen Gütern,
öffentlichem Raum und Gelegenheiten, von der illegale Besitznahme von
Land oder Wohnraum, der Aneignung von städtischen Errungenschaften wie
Strom, fließendem Wasser, Telefonleitungen, gepflasterten Straßen, oder
dem Kleingewerbe auf öffentlichen Flächen. Zu den stillen Kämpfen
zählt Federici (2012a, S. 65ff.) auch die „Migration als eigensinnige
Praxis“[17] oder
die Verschuldung als Antwort auf sinkende Löhne und die Verweigerung der
dadurch verordneten Armut.

Die Armen kämpfen für Umverteilung, Autonomie und Sicherheit – doch
ihr Sicherheitsbedürfnis richtet sich direkt gegen den repressiven Staat.
Diese Kämpfe sind weit mehr als Abwehr, sondern ein „kumulatives
Vordringen“ neuer Normen und Praktiken. Sie wollen nicht zurück zu einem
romantisierten Gestern sondern brechen auf, zu einem neuen Morgen!

Dabei ist das „Individuelle“ kein Wert an sich, sondern eine Taktik zur
Umgehung des feindlich gesinnten oder nicht reagierenden Staats. Wenn ihre
Fortschritte gefährdet sind oder Gefahr droht, beispielsweise durch die
Polizei, greifen die Armen „zu kollektiven Formen des Widerstands, ein Zeichen
ihrer Wertschätzung von Solidarität“[18].

Mit ihren widerständigen und oft illegalen Praktiken untergraben
sie die herrschenden Normen und Gesetze und dringen in die Bereiche der
Macht, des Eigentums und der Öffentlichkeit vor. Sie brechen den Kapitalismus
auf, indem sie „Räume des Anders-Sein, Räume oder Augenblicke, die gegen die
Straßenverkehrsrichtung verlaufen“[19] schaffen.

Mit der Aneignung von Gütern und Dienstleistungen verringern sie ihre
Reproduktionskosten und mit der Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen
verbessert sich ihr Einkommen. Mit beidem greifen sie die Reproduktion des
Kapitals und damit den Staat, die Reichen die Mächtigen direkt an
– im Gegensatz zu „Strategien des Zurechtkommens“, wo das Überleben der
Handelnden auf eigene Kosten oder auf Kosten der Mitmenschen gesichert wird.
Bayat erwähnt hier NGOs und islamistische
Bewegungen, deren Ausbreitung mit der Zeit zusammenfällt, in der die
neoliberale Wirtschaftspolitik umgesetzt wurde.

Nicht-Bewegungen sind eher Praxis- als Ideologie-orientiert. Sie handeln
direkt und im Lokalen, um ihre Forderungen durchzusetzen. Ihre Praxis
steht immer im Zusammenhang mit ihrem Alltag. Ihr Ort ist
der öffentliche Raum. Solidaritäten entstehen in
Nachbarschaften, an Straßenecken, in Moscheen, am Arbeitsplatz,
an Bushaltestellen, bei der Lebensmittelverteilung, in
Haftanstalten, Migrant_innenlagern, öffentlichen Parks oder Plätzen,
Hochschulen, Sportstadien usw… Durch alltägliche und direkte Begegnung und
Kommunikation entstehen „passive Netzwerke“, die sich ständig im Fluss
befinden, so für die Repressionskräfte kaum zu durchschauen sind und deswegen
eine hohe Widerstandsfähigkeit besitzen.

Jugendliche Nicht-Bewegungen sind nach Bayat dagegen weniger
durch das bestimmt, was die Jugendlichen tun (Netzwerke herstellen,
organisieren usw.) als durch die Art wie sie SIND: Verhalten, Kleidung,
Sprechweisen, Gangarten, Musik – sowohl in öffentlichen als auch privaten
Räumen. Die Identität einer Jugendlichen Nichtbewegung fußt also nicht so sehr
auf kollektivem Handeln sondern auf kollektivem Sein. Dabei können sie
Vorboten eines gesellschaftlichen Wandels werden.

Ihre Stärke ist die Macht der großen Zahl, die zur Normalisierung und
Legitimierung von eigentlich unzulässigen Aktivitäten führt. „Nicht-Bewegungen
zu unterdrücken würde bedeuten, bestimmte Abläufe im Alltagsleben einzuschränken
– eine Maßnahme, die ausgedehnte Kameraüberwachung, Kontrollpunkte und häufige
Festnahmen nötig machen würde“[20]. So
wird das Vordringen in der Regel solange akzeptiert, wie es überschaubar
bleibt. „Sobald es ausufert, handeln die Regierungen“[21].

Kämpfe um die Stadt

Diese stillen Kämpfe lassen sich aber nicht nur in Ägypten,
sondern in vielen Städten Afrikas beobachten[22]. Im
Vordergrund stehen die Verteidigung
der prekären Einkommensquellen und Lebensbedingungen, Kämpfe um
Teilhabe, Haus- und Landbesetzungen in der
Stadt und der
Kampf gegen Vertreibungen und Repression.

Bergmann[23] versucht
sich dieser „Subjektivität ohne Subjekte“ durch einen Rückgriff auf AbdouMaliq
Simone (2010) zu nähern: „Subjektivität, und besonders in
Afrika, [ist] eine immer sehr vorläufige, volatile, dem Neuen
durchaus aufgeschlossene Suche nach einer Veränderung der schlechten
Verhältnisse“. Für Bergmann beruht diese antagonistische
Subjektbildung auf kollektiven Praktiken vor Ort und gleichzeitig
sieht er sie primär im globalen Kontext. Sie ist geprägt durch

  • einen hohen Grad
    der Mobilität, als Praxis und als Aspiration, eben nicht nur unter dem Zwang
    der Verhältnisse, sondern auch auf der Suche nach Erfahrungen und
    Möglichkeiten;
  • durch das
    Verhältnis von den Städten des Globalen Südens zu denen des Nordens;
  • durch die
    relative Unsichtbarkeit der Quartiere der working poor in den Städten des
    Südens;
  • durch die Wege,
    auf denen besondere kollektive Erfahrungen in diesen Städten geschmiedet
    werden, indem disparate Erfahrungen zusammengebracht werden, um zu sehen, was
    dann damit passieren könnte
  • und durch die
    Verbindungen und Rückbindungen von den Städten zum Land.

Simone beschwört die Vielfalt und Offenheit, die Unkontrollierbarkeit
und die fehlende Planbarkeit des peripheren städtischen Lebens[24].

Kämpfe um die Subsistenz

Auf dem Land kämpfen Menschen überall in Afrika um den Erhalt ihrer
Subsistenz. Diese Kämpfe um Land richten sich gegen ausländische Investoren,
die Regierungen, die sie gerufen, die Repressionskräfte, die sie schützen und
lokale Eliten, die mit ihnen kooperieren.

Häufig werden die sozialen Konflikte ethnisiert, d.h. die vom
Kolonialismus und Nationalstaat durchgesetzten ethnischen oder religiösen
Kategorien bilden die Interpretationsfolie der Auseinandersetzungen. Daraus
ergibt sich, wer von wem massakriert oder beschützt wird, weil traditionelle
Konfliktbewältigungsstrategien gezielt ausgehebelt werden.

Im letzten Jahr waren die Auseinandersetzungen in Äthiopien besonders
heftig. Die Situation eskalierte dort Ende 2015, als die Regierung bekannt gab,
die Stadtgrenzen der Hauptstadt Addis Abeba auszuweiten. Die ansässige
Bevölkerung, die der diskriminierten Ethnie der Oromo angehört setzte sich zur
Wehr. Innerhalb eines halben Jahrs ermordeten die Repressionskräfte mehr als
600 Oromo. Die Pläne wurden aber erstmal auf Eis gelegt[25].

Der Widerstand im ländlichen Raum äußert sich wie in der
Stadt nicht ausschließlich in Form organisierter Bauernbewegungen oder
Riots, sondern in vielfältigen Formen wie illegales Abernten öffentlicher oder
privater Plantagen, illegale Pflanzungen, Drogenökonomie von unten, Fällen von
Bäumen in sogenannten Naturschutzgebieten, Wilderei oder das Sabotieren von
Bauarbeiten. Auch hier sind die Protagonist_innen vor allem Frauen
und junge Menschen.

Kämpfe gegen den Krieg: Das Beispiel Dadaab

Angesichts der Kriege und Vernichtungszüge gegen afrikanische Bevölkerungen
von Überflussbevölkerung zu sprechen, trifft den Kern nicht: die Elenden sind
nicht überflüssig sondern notwendig für die „kapitalistische
Entwicklung“: Der Tod der Einen garantiert das Trauma der Anderen. Und
die Gewalt des Krieges ist die Grundlage besonders krasser Ausbeutungsformen, Kapitalakkumulationen
in den Händen weniger usw.

Der Realität des Krieges können wir nur gerecht werden, wenn wir
versuchen, sie aus dem Blickwinkel dieser vermeintlich „Überflüssigen“ zu
betrachten, die für den Kapitalismus reif traumatisiert werden sollen. Ben
Rawlence (2016) hat mit seinem fulminanten Bericht über das größte
Flüchtlingslager der Welt unglaublich viele Facetten des Krieges aus
verschiedenen Blickwinkeln „von unten“ festgehalten:

Er beschreibt aus der Sicht der Vertriebenen, deren Enteignung und
Vertreibung durch die Hungerpolitiken (incl. internationaler Hilfe) und als
direkte Folge der Waffenlieferungen aus Europa und USA. Al-Shabaab, weitere
somalische, kenianische, äthiopische Warlords und Politiker sowie
imperialistische Kräfte arbeiten hier Hand in Hand.

Er beschreibt den Terror gegen die Enteigneten, der sowohl in den Lagern,
in Nairobi als auch in den Herkunftsgebieten groteske Formen annimmt. So müssen
sich die Flüchtlinge permanent die Frage stellen, wo es sich denn weniger
schlecht leben lasse, im somalischen Krieg oder im kenianischen „Frieden“. Auf
der Flucht und in den Lagern nahmen die Vergewaltigungen „epidemische Ausmaße“[26] an.
Jede dritte Frau im Lager wurde Opfer[27].
Er beschreibt, wie die unerträgliche Situation im Lager viele Beziehungen
scheitern ließ und zu einem Anstieg häuslicher Gewalt führte.

Er beschreibt aus der Sicht der Ausgebeuteten, wie in dem
spitzelverseuchten, knastähnlichen Lager völlig neue Formen kapitalistischer
Ausbeutungsverhältnisse entstehen, er berichtet über die Ausbreitung von
Marktverhältnissen als Folge der Enteignungen und Vertreibungen, über die
Entstehung von neuen Eliten, die Bereicherung von somalischen und kenianischen
Geschäftsleuten an der Arbeitskraft der Flüchtlinge und der internationalen
Hilfe. Er beschreibt die Verwobenheit von Politik und Geschäft, von Polizei[28] und
Al-Shabaab.

Er beschreibt, wie in den durch und durch rassistischen Strukturen der
Lager ein völlig neuer Menschentypus aufwächst, „mit kenianischer Schulbildung,
und den liberalen Idealen der globalen NGO-Kultur“[29].
Er beschreibt, wie sich imperialistische Staaten handverlesene Flüchtlinge für
ihre Resettlement-Programme aussuchen, die mehr die Hoffnung als die reale
Chance beinhalten, in eins dieser gelobten Länder umsiedeln zu können[30].
Er beschreibt, wie das Leben eines Europäers oder Amerikaners so viel mehr wert
ist, als das Leben eines Afrikaners, und das Leben eines Kenianers so viel mehr
wert, als das eines Flüchtlings.

Er beschreibt das Erstarken des wahabbistischen Islams am Horn von
Afrika, seine zunehmenden Brutalitäten im Kampf gegen „Unmoral“, Hexenglauben
und andere „Irrationalitätenʺ.

Und er beschreibt die Zerstörung der
ökologischen Lebensbedingungen im Norden Kenias wie in den
Herkunftsgebieten in Somalia. Er erzählt von einer Welt mit eigenen Regeln,
eigenen Grenzen, eigenen Geschichten. Er erzählt von einer vom UNHCR und den Hilfsorganisationen
geschaffenen Gesellschaft, „deren Grundpfeiler die Lebensmittelhilfe und ein
internationales Rechtevokabular waren. Und zugleich war es ein glühend heißer
Slum“[31].

Und weil er das alles aus der Sicht „von unten“ beschreibt, ist es nicht
einfach nur eine Litanei des Elends. Im Mittelpunkt stehen die Bewohner_innen
des Lagers, ihre täglichen Kämpfe, ihre Arbeit, ihre Beziehungen, ihre
Herkunft, ihre Träume, ihre Strategien, ihre Erfolge und nicht selten ihr
Scheitern. Vor allem beschreibt er, wie die Menschen nur überleben können,
indem sie zusammenhalten, sich organisieren „wie sie es von zu Hause gewohnt
waren“[32],
egal gegen wen: die Vergewaltiger, die kenianischen Behörden, die UNO
und die NGOs, Al-Shabaab oder die Banditen im Lager.

Mit anderen Worten: Rawlence beschreibt – ohne es selber zu bemerken[33] –
den erbitterten Widerstand somalischer Menschen gegen die
Zumutungen kapitalistischer Entwicklung. Viele hängen noch an ihren alten
Verhältnisse, denen Marx schon im 19. Jahrhundert den Untergang an den
Hals gewünscht hat. Andere träumen von einer Fata Morgana, die sich Frieden
nennt und Ausbeutung meint.

Migration als eigensinnige Praxis

Afrika war schon immer ein Kontinent des Bewegens, des Weggehens, des
Ankommens, des Weiterwanderns, des Wiederkommens[34].
Die Eingebundenheit in soziale Strukturen bewirkt, dass diese Mobilität als
kollektiver Prozess gelebt wird[35].

Rawlence beschreibt Migration als eigensinnige Praxis: „Die Subjekte
handeln und bewegen sich nicht unabhängig von der Geschichte, den Strukturen
und den damit verbundenen >eingeübten< Wegen, dennoch entsteht etwas
Neues, etwas Eigen-Sinniges. Dieses Eigensinnige ist weder von einer Autonomie
noch von Determinismen bestimmt, vielmehr nicht-linear, aber auch nicht
beliebig“[36].

Der Krieg, die Not oder das Abenteuer, Gründe wegzugehen gibt es
zahlreiche. Doch die Katastrophen der letzten Jahrzehnte, vor allem auch die
restriktive Migrationspolitik der Metropolen, blockieren zunehmend die Option
des Wiederkommens für den ärmeren Teil der Migrierenden. Diese Katastrophen
fördern das Schleppertum, die Verschuldung und selektieren gnadenlos die
„Fittesten“ auf dem Weg in die Flüchtlingslager des Südens, durch die Sahara in
den Norden des Kontinents oder im Mittelmeer auf dem Weg nach Europa[37].

Jene, die Europa lebend erreichen, häufig traumatisiert, immer mit
furchtbaren Erfahrungen im Gepäck, sind der Repression und Entrechtung sowie
anderen Formen der Gewalt noch längst nicht entkommen. Ausgeschlossen vom
regulären Arbeitsmarkt, getrieben von der Notwendigkeit, jede Arbeit zu
übernehmen, um die Schulden abzuzahlen und das Schicksal der Lieben zu Hause zu
erleichtern, werden sie gezwungen, die Konkurrenz in den prekären Sektoren des
Arbeitsmarktes anzuheizen. Egal welche Ausbildung oder Vorerfahrung sie haben,
als Facharbeiter müssen sie erst sozialisiert werden[38].

Kontinent der Kämpfe

Afrika wurde viele Attribute zugeschrieben. Mal war es der
hoffnungsvolle, mal der hoffnungslose Kontinent, mal der Kontinent des Elends,
der Korruption, der Vetternwirtschaft. Perry (2016) beschreibt Afrika
als einen Kontinent der „totalen Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“. Afrika
sei heute zugleich „Kapstadt und Kogelo, Buschtrommel und Mobiltelefon“. Ist
zugleich acht Raumfahrtprogramme und riesige Gebiete, die völlig dunkel sind,
wenn man sie nachts im Flugzeug überfliegt, einfach weil immer noch knapp zwei
Drittel ihrer Bewohner nicht ans Stromnetz angeschlossen sind.

Doch all diese Zuschreibungen werden dem Kontinent nicht wirklich
gerecht. Ich glaube, wenn wir versuchen, den Kontinent mit den Augen der großen
Mehrzahl seiner Bewohner_innen zu sehen, kommen wir nicht umhin, ihn als
Kontinent der Kämpfe und als Kontinent der Solidarität wahrzunehmen.

Das Leben der meisten Armen Afrikaner_innen ist geprägt von diesen
täglichen kleinen, und selteneren großen Kämpfen. Um Wasser, um Nahrung, um
Einkommen, um Land, um Bewegungsfreiheit, um Gerechtigkeit und um ein Leben in
Würde. Sie kämpfen gegen „Entwicklung“ und „neue Technologien“, nicht weil sie
etwas gegen Glühbirnen oder Mobiltelefone haben, sondern weil sie täglich
erfahren, das kapitalistische Entwicklung und Technologien im wahrsten Sinne
des Wortes Vampire sind, die sich mit dem Blut ihrer Opfer vollsaugen müssen
und die Überlebenden versklaven. Die Opfer leben überproportional in Afrika.

Diese Kämpfe wären nichts, ohne die Solidarität und die sozialen
Beziehungen, die vor allem von den Frauen aufrechterhalten werden. Sie knüpfen
an Vorstellungen historischer egalitärer afrikanischer Gesellschaften an.

Doch diese Kämpfe haben ein Problem: es ist der Feind,
der übermächtig von fernen Kontinenten Waffen,
Müll, Ramsch, Technologien, Schulden, Soldaten, Drohnen, Raketen
schickt, der ihnen eine Wirtschaftspolitik aufzwingt, bei der sie nur
verlieren können, sie zur Verelendung und Ausbeutung zwingt. Dieser
Feind ist unglaublich reich. Und brutal. Er ist immer wieder in
der Lage, Kollaborateure aufzubauen. Er wird von Afrika aus kaum zu
stoppen sein. In seinen Herkunftsländern muss er zu Fall gebracht
werden! Nicht aus Mitleid, sondern aus Solidarität!

Literatur:

Bayat, Asef: Leben als Politik – Wie ganz normale Leute den Nahen Osten
verändern; Berlin/ Hamburg 2012

Behrendt, Moritz; Kenia fordert Lösegeld; Interview mit Ben Rawlence;
in: Candid Foudation (Hrsg.); Planet der Flüchtlinge; Warum es kein Zurück mehr
gibt; Berlin 2016; S. 96f.

Benz, Martina/ Schwenken, Helen; Jenseits von Autonomie und Kontrolle:
Migration als eigensinnige Praxis; in: Prokla 140; 3/2005; S. 363-377

Bergmann, W.; Cityness in Afrika – Über Mobilität, Offenheit,
Unkontrollierbarkeit, Subjektivität und Selbstorganisierung; izindaba.info 27.06.2014

Branch, Adam/ Mampilly, Zachariah; Africa
Uprising: Popular Protest and Political Change; London 2015

Bühler, Johannes, Am Fuß der Festung, Stuttgart 2015

Cooper, Frederick; Kolonialismus Denken, Frankfurt/ M.2012

Cooper, Frederick; Afrika in der kapitalistischen Welt; izindaba.info;
17.01.2011. (Original: Cooper, Frederick; Africa in a capitalist World; in:
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in Afrika; In: Forschungsjournal soziale Bewegungen; 3/2014; S. 32-38

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rising; After decades of slow growth, Africa has a real chance to follow in the
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Eggers, Dave; Weit Gegangen; Köln 2008

Federici, Silvia; Aufstand aus der Küche; Münster 2012a

Federici, Silvia; Caliban und die Hexe; Wien 2012b

Federici, Silvia; Women, Witch-Hunting and Enclosures in Africa Today;
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Gertel, Jörg/ Ouaissa, Rachid/Ganseforth, Sonja; Jugend in der arabische
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Fiorene/ Ekine, Sokari (Ed.); African Awakening; Cape
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Mbobela, Emmanuel, Mein Weg vom Kongo nach Europa; Wien 2014

MGI – McKinsey Global Institut; Lions on
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2016; http://www.mckinsey.com/global-themes/middle-east-and-africa/lions-on-the-move-realizing-the-potential-of-africas-economies

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gehen!“; In allen Regionen Afrikas eskaliert der Krieg um Lebensmittel;
izindaba.info 03.05.2011

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Rawlence, Ben; Stadt der Verlorenen; Leben im größten Flüchtlingslager
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Sylla, Ndongo Samba; Democracy, liberalism ans social movemets in West
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West Africa; Dakar 2014; S. 13-71

Zeller, Christian (Hrsg.); Die Enteignungsökonomie; Münster 2004

Quelle: izindaba.info… vom 20. Juni 2019


[1]
Schon das, was Afrika ist, ist umstritten. Insgesamt scheint es aber einen
Konsens zu geben, dass grob drei Sozialräume unterschieden werden können: der
Maghreb und Ägypten, das subsaharische Afrika (SSA) und die Republik Südafrika
(RSA), die alleine 30% der afrikanischen Wirtschaftskraft ausmachen soll. SSA
wird oft als das „eigentliche“ Afrika betrachtet wird (vgl. z.B. Goldberg 2015;
S. 156; 160). Im Folgenden sind alle drei Sozialräume gemeint, wenn von
Afrika gesprochen wird. Auf die Unterschiede zwischen Sozialräume, Regionen,
Nationalstaaten kann im Rahmen dieses Textes nur am Rande eingegangen werden.
Sonderfälle wie die spanischen Kolonien Islas Canarias, Melilla und Ceuta sowie
der afrikanische Staat in der Karibik, Haiti, werden nicht weiter
beachtet. 

Cooper (2012, S. 187)
weist darauf hin, dass „>Afrika< als Raum, den Menschen mit Sinn
ausstatten, … weniger durch Prozesse innerhalb der Grenzen des Kontinents
definiert (wurde) als vielmehr durch seine Diaspora“.

[2]
Seit 2011 ist in Afrika eine Zunahme vielfältiger Proteste, Streiks und
Massenaktionen und über die letzten 10 Jahre eine beträchtliche Zunahme bzw.
Rückkehr sozialer Bewegungen in zahlreichen Ländern zu beobachten. Siehe mLungu
2011; Manji 2013.

[3]
Manji 2013.

[4]
Der Begriff „Africa is rising“ geht auf einen Artikel im Economist vom
3.12.2011 mit dem Titel „The hopeful continent: Africa rising“ zurück. Adam
Branch und Zachariah Mampilly (2015) betonten dagegen: Africa is uprising.
Beide Aussagen sind von zahlreichen anderen Autor_innen aufgenommen worden.

[5]
Cooper 2011.

[6]
Siehe dazu auch: Federici 2010. 2012b.

[7]
Gemeint sind hier alle Gewaltformen gegen LGBTIQ+, also Lesben, Schwule (Gays),
Bi-, Trans- und Intersexuelle, Queere und andere sexuelle Minderheiten.

[8]
Zurzeit wird in Hinblick auf den G20 Gipfel in Hamburg der „Marschallplan
mit Afrika“ des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung verhandelt.

[9]
MGI 2016, S. 63ff.

[10]
Am ehesten in Südafrika, Marokko, Ägypten und Nigeria.

[11] Marx 1962, S. 789. Vgl.
Marx 1962, S. 741-791. Eine ausführliche Auseinandersetzung mit
der Bedeutung des marxistischen Ansatzes, seiner aktuellen Apologeten
und seiner völkermörderischen Implikationen für den afrikanischen
Kontinent steht noch aus. Interessant aber ist, das z.B. bei
Harvey und Konsorten heutzutage der Terror und die
Blutgesetzgebung schlicht nicht mehr vorkommen. Repression,
Terror, Krieg und Mord den Linken als „übel aber notwendig“
zu verkaufen, scheint nicht mehr so en vogue (vgl.
Harvey 2003, Zeller 2004).

[12]
vgl. Eberlei 2014, S.35.

[13]
Vgl. Sylla 2014.

[14]
Federici 2012a.

[15]
Die in dem Band versammelte Texte wurden zwischen 2000-2007 veröffentlicht, die
deutsche Übersetzung erst 2012. Lediglich das Vorwort und das 8. Kapitel wurde
von Bayat im Sommer 2012 für die deutsche Ausgabe geschrieben.

[16]
Bayat 2012; 81ff.; 126ff. Gertel u.a 2014.

[17]
Benz/ Schwenken 2005.

[18]
Bayat 2012, S. 45.

[19]
Holloway 2010, S. 260.

[20]
Bayat 2012, S. 39.

[21]
Bayat 2012, S. 121.

[22]
Bayat (2012) geht davon aus, dass die Stillen Kämpfe vor allem in „Nicht-demokratischen
Gesellschaften“ ausgefochten werden, weil es in den Demokratien des Nordens
demokratische Konfliktregelungspraktiken gebe. Das ist einerseits falsch, weil
er den demokratischen Gehalt der sogenannten Demokratien überschätzt und
andererseits, weil soziale Nichtbewegungen auch im Norden stattfinden – sie
werden, abgesehen von der Migration, nur viel zu wenig beachtet und gewürdigt.

[23]
Bergmann 2014.

[24]
Ob der Blick des Urbanisten, der die Menschen als „Infrastruktur“ wahrnimmt
(vgl. Simone 2010, 117ff.), dabei hilfreich ist, Widerstandsgeister
wahrzunehmen bzw. zu wecken, sei einmal dahingestellt – im Gegensatz dazu
Bergmanns erfrischende Interpretation.

[25]
Während die Oromo ermordet wurden, verhandelte die EU mit dem Regime über ein
sogenanntes „Rückübernahmeabkommen“ für Flüchtlinge. Auch mit Eritrea, Somalia
und dem Sudan wird verhandelt.

[26]
Rawlence 2016 S. 104.

[27]
Rawlence 2016 S. 241.

[28]
„Für die Polizei auf beiden Seiten der Grenze war der Flüchtlingsstrom eine
einmalige Chance, reich zu werden“ Rawlence 2016 S. 104f.

[29]
Rawlence 2016 S. 104.

[30]
Rawlence beschreibt die Geschichte von Muna und Monday, deren Leben im Lager
bedroht war. Ihnen gelang es in das Resettlement-Pogramm der australischen
Regierung aufgenommen zu werden. Die australischen Behörden verschlampten aber
den Fall. Pech gehabt! „Wegen einer ausgebliebenen E-mail waren Munas und
Mondays Leben durch das Resettlement-Raster gefallen“ (Rawlence 2016 S. 380).
Die Resettlement-Plätze sind aber auch auf dem Schwarzmarkt handelbar, bis zur
10.000 US-$ kostet eine „Beratung“, immerhin etwas weniger, als die gefährliche
Auswanderung auf dem Landweg, die kaum unter 11.000 US-$ zu haben war (vgl.
Rawlence 2016 S. 215; 302).

[31]
Rawlence 2016 S. 66. Rawlence Recherchezeitraum überschnitt sich mit der
Hungersnot 2010/2011. Mehr als eine Viertel Millionen Menschen starben, die
Hälfte davon jünger als fünf Jahre. Monatlich strömten zehntausende
Neuankömmlinge nach Dadaab.

[32]
Rawlence 2016 S. 159.

[33]
Vgl. Behrendt 2016.

[34]
Insofern greift auch das Konzept der „Arrival Citys“ (Saunders 2011) für
die großen und kleine Städte des Kontinents viel zu kurz.

[35]
nach Cooper 2012, S. 179.

[36]
Benz/ Schwenken 2005, S. 373.

[37]
Diese Selektionen sind oft beschrieben worden, neben Rawlence 2016 siehe z.B.
Eggers 2008, Gatti 2011, Mbolela 2014, Bühler 2015.

[38]
Im Jahre 2016 wurden z.B. in ganz Köln lediglich 84 (!!!) Flüchtlinge „neu in
den Arbeitsmarkt integriert“, d.h. im regulären Arbeitsmarkt oder in einer
Ausbildung ausgebeutet. Nach 5 Jahren, so sieht es die Bundesagentur für
Arbeit, wird die Hälfte von jenen, die dann noch in Europa leben, „in den
Arbeitsmarkt integriert sein“. Nach 10 Jahren, sollen es schon 90% sein
(mündliche Mitteilung aus der Geschäftsführung der Kölner Arbeitsagentur am
24.3.2017).

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