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Antarsya: Eine andere – antikapitalistische – griechische Linke

Eingereicht on 6. Juli 2015 – 10:52

Griechenland hat – vielleicht abgesehen von Argentinien –  die weltweit grösste und vielfältigste antikapitalistische Linke. Diese ist ein Produkt von jahrzehntelangen Kämpfen und Spaltungen und einer reichen anarchistischen und kommunistischen Tradition. Gegenüber der Fragmentierung und den inneren Kämpfen, wie sie sonst beinahe überall vorherrschen, gelang es diesen Kräften in Griechenland, als einem der wenigen Länder, eine dauerhafte gemeinsame Struktur aufzubauen, in der sie zusammenarbeiten und ihre Aktivitäten entwickeln: Die Front der Antikapitalistischen Linken (Antarsya).

Obwohl sie elektoral sehr schwach ist und in diesem Bereich durch Syriza und die Kommunistische Partei KKE vollständig überschattet wird, hat Antarsy eine reale soziale Basis und spielt in den sozialen Mobilisierungen eine wichtige Rolle. Im folgenden Interview mit Sebastien Budgen erläutert Panagiotis Sotiris, Führungsfigur und Aktivist von Antarsya wichtige Elemente der komplexen politischen Landschaft der griechischen radikalen Linken. Dabei werden entscheidende Fragen über die seit Jahrzehnten andauernde Krise der revolutionären Linken beleuchtet und anhand der Strategiedebatte in Antarsya auf Lösungsansätze eingegangen. Das Interview erschien Ende April 2015 im online Magazin The Jacobin. [Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch]

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Wir können gleich beginnen mit einigen Fragen zu Deiner Person, Deinem Hintergrund und zu Deiner Politisierung.

Ich wurde 1970 geboren und zuerst in der Studentenbewegung in der zweiten Häfte der 1980er Jahren politisiert. Ich trat 1987 in die Philosophische Fakultät der Universität in Athen ein und studierte Philosophie, Psychologie und Pädagogik. An den damaligen Mobilisierungen an den Hochschulen wurde ich durch die Aktivitäten der «Linken Studentengruppen» (Aristeres Syspeiroseis Foititon) politisiert . Dies war ein Netzwerk radikaler, antikapitalistischer, unabhängiger linker Gruppen an den Universitäten, einem Resultat von Entwicklungen der verschiedenen revolutionären Traditionen an den Universitäten Griechenlands.

In dieser Periode der zweiten Hälfte der 1980er Jahre war dies einer der Hauptstränge für politische Interventionen für alle linken revolutionären Kräfte Griechenlands. Aus diesen Erfahrungen entwickelte sich in den frühen neunziger Jahren eine politische Gruppierung, die ebenfalls «Linke Gruppierungen» (Aristes Syspeiroseis) hiess, aus der dann später der «Linke Neubeginn» (Aristeri Anasynthesi – ARAN) hervorging. Als Student beteiligte ich mich an allen grossen Auseinandersetzungen der Studentenbewegung der zweiten Hälfte der achtziger und dem Beginn der neunziger Jahre. Ich war damals Mitglied des Zentralrates der Nationalen Studentenvereinigung (EFEE).

Im Herbst 1989 kam es als Opposition zu der Rechtswende der Kommunistischen Partei zu einer grossen Spaltung in der Kommunistischen Jugend und der Kommunistischen Partei Griechenlands. Dies führte zur Gründung der Neuen Linken Strömung (NAR). Dies gab der antikapitlaistischen Linken in Griechenland neuen Auftrieb, da dadurch Traditionen der revolutionären Linken und der kommunistischen Strömung  zusammengeführt wurden.

Damit wurden auch neue politische Erfahrungen möglich, von denen auch heute noch einige sehr wichtig sind. Von spezieller Bedeutung war die Gründung der EAAK (Vereinigte Unabhängige Linke Bewegung) an den Universitäten. EAAK enstand aus der starken Bewegung an den Hochschulen und Universitäten vom Winter 1990 – 91 und war über die letzten 25 Jahre das Rückgrat – oder doch Teil des Rückgrades – der griechischen Studentenbewegung.

In den frühen neunziger Jahren verhalf der Zustrom von Genossinnen und Genossen aus der kommunistischen Tradition zu wichtigen Initiativen in der Gewerkschaftsbewegung, die ihrerseits dann zu linken Gruppierung und Strömungen in den Gewerkschaften und zu Gründungen neuer Gewerkschaften führte. Dies war recht bedeutsam vor allem im öffentlichen Sektor und dann, nach dem Ende der neunziger Jahre, in den Initiativen für neue Formen des Basisaktivismus im privaten Sektor, insbesondere in den Bereichen mit flexibler und prekärer Beschäftigung.

Überdies sollte die antikapitalistische Linke in jener Periode in wichtigen Kämpfen eine grössere Rolle spielen, so etwa in der Massenebwegung von 1998 gegen die Einführung einer neuen Aufnahmeprüfung für Lehrkräfte der Primär- und Sekundarstufe.

Nach meinem BA-Abschluss von 1993 und dem Doktorat von 1999 war ich Teil dieser Initiativen. Ich war über mehrere Jahre in der Gewerkschaft der Lehrkräfte von Vorbereitungsschulen in Athen aktiv und amtierte 2005 – 2007 als deren Präsident.

Vorbereitungsschulen (frontistiria) sind private Einrichtungen, die die Studentinnen und Studenten für die Aufnahmeprüfung in die Universität vorbereiten; sie sind ein Resultat der Mängel des öffentlichen Schulsystems und stellen eine Form der Kommerzialisierung des Bildungswesens dar. Die Lehrkräfte sind schlecht bezahlt und arbeiten unter prekären Bedingungen. Demzufolge hatten wir viele Konflikte, um einen Arbeitsvertrag durchzusetzen; gleichzeitig mussten wir unsere Würde als Lehrkräfte verteidigen.

Nach 2005 begann ich als Hilfsdozent zu arbeiten und wurde sogleich in die Gewerkschaftspolitik einbezogen. Ich war Vizepräsident der Gewerkschaft des Lehrpersonals der Ägäischen Universität, 2013 – 14 Mitglied des leitenden Ausschusses und einige Zeit Leiter des Bundes der Lehrkräfte der Griechischen Universitäten. Soweit zu meinem persönlichen Hintergrund.

Und was machst Du aus Deinem Doktortitel?

Ich verfasste meine Doktorarbeit in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre über das Werk von Louis Althusser. Sie behandelte hauptsächlich Althussers Auffassung von Philosophie und die Entwicklung der Definitionen von Philosophie im Werk Althussers. Dies rührte von meinem speziellen Interese an der Philosophie Althussers, aber auch zugegebenermassen vom bedeutenden Einfluss von Althusser innerhalb der griechischen Linken.

Wir werden gleich darauf zurückkommen. Da Deine politischen Ursprünge offenbar weder in der Kommunistischen Partei noch in der eurokommunistischen Linken wurzeln, zeichne uns bitte eine kurze Skizze der nicht-kommunistischen und der nicht-eurokommunistischen Linken Griechenlands seit dem Zeiten Weltkrieg.

Nun, ich betrachte mich als ebenfalls von einer kommunistischen Tradition herkommend, obwohl ich nie Mitglied der Kommunistischen Partei oder der Inneren Kommunistischen Partei gewesen bin.

Die revolutionäre Linke Griechenlands hat eine ziemlich lange Geschichte. Nicht nur hat die trotzkistische Bewegung in Griechenland eine lange Geschichte, die bis in 1920er Jahre zurück reicht, auch die maoistischen oder marxistisch-leninistischen Traditionen haben weit zurück reichende Wurzeln.

In Griechenland setzten die marxistisch-leninistischen oder maoistischen Strömungen nicht wie in anderen europäischen Ländern in den 1960er Jahren sondern 1956 ein. In Griechenland nahm die Wende in der internationalen kommunistischen Bewegung nach dem Tode Stalins die Form einer heftigen rechten Intervention der Sowjetunion und anderer «Bruderparteien» in die griechische Partei KKE an, die zum Ausschluss von derem Führer durch die Zeit des Bürgerkrieges, Nicos Zachariades, und der Einsetzung einer neuen Führung führte. Obwohl diese sich dem Prozess der Entstalinisierung verpflichtet fühlte, wurde diese Veränderung von vielen Aktivistinnen und Aktivisten, insbesondere von den Flüchtlingen im Ostblock, ehemaligen Kämpfern der Demokratischen Armee, als Rechtswende wahrgenommen. Wenngleich ihre Positionen zu Beginn und in ihrem speziellen Zusammenhang als stalinistische Orientierung hinsichtlich ihrer Referenzen erscheinen mochte, so bedeuteten sie doch eine Suche nach einer linkeren Politik der kommunistischen Bewegung.

Dies entsprach auch der Position einiger politischen Gefangenen Griechenlands, einschliesslich derjenigen eines grossen Teils der politischen Gefangenen in Aï Stratis, einer der Inseln, die als Haftanstalten für politische Gefangene benutzt wird.

In den frühen sechziger Jahren, im Rahmen einer grossen Welle politischer Mobilisierung und Radikalisierung, die dem Militärputsch von 1967 voranging, inspirierte diese Art von Kritik an der Politik der Kommunistischen Partei Studentinnen, Studenten, politische Aktivistinnen und Aktivisten. In dieser Zeit kam die Bewegung etwa 1960 unter den Einfluss der Kritik der chinesischen Kommunisten am sowjetischen «Revisionismus» und führte zur Entwicklung der besonderen Färbung des griechischen Maoismus. Dabei muss betont werden, dass diese geschichtliche Verwurzelung in der Tradition der griechischen kommunistischen Bewegung der marxistisch-leninistischen oder maoistischen Bewegung Griechenlands eine besondere Identität und einen besondere Auffassung von Massenpolitik verliehen hat.

Die Militärdiktatur 1967 – 74 war für die revolutionäre Linke in Griechenland ein wichtiger Katalysator. Dies war eine Zeit der Radikalisierung, während der viele Aktivistinnen und Aktivisten in Griechenland oder im politischen Exil in Westeuropa mit anderen Strömungen in Kontakt traten – Trotzkismus, Maoismus, Guevarismus (diese letztere Position vor allem bei denjenigen, die gegen das Regime in bewaffneten Widerstand traten).

Auch das Zusammentreffen mit der westeuropäischen revolutionären Linken nach 1968 war entscheidend. Dies war ebenfalls eine Periode, in der die Linie der Kommunistischen Partei hinterfragt wurde und ihre Unfähigkeit, weniger als zwanzig Jahre nach der Niederlage im Bürgerkrieg, eine neue Welle der Repression zu verhindern.

Ein symbolisches Ereignis für den Aufstieg der revolutionären LInken als eines wichtigen Teils der Linken war die Besetzung des Nationalen Polytechnikums in Athen im November 1973 und der Aufstand der Studentinnen und Studenten gegen die Junta und seine blutige Niederschlagung durch die Diktatur. Die revolutionäre Linke spielte eine wichtige Rolle in diesen Ereignissen; sie trieb die Idee einer Besetzung voran, stand hinter deren Politisierung und Radikalisierung, so dass die Mobilisierungen nicht einfach pro-demokratisch wurden, sondern einen Bruch mit dem ganzen System der Macht seit dem Bürgerkrieg und mit dem US-Imperialismus forderten.

In dem Aufstand zeigte sich zum ersten Mal in diesem Ausmass eine offensichtliche Differenz in der Taktik gegenüber eher reformistischen Positionen: Die Führungen der Kommunistischen Partei und der Inneren Kommunistischen Partei betrachteten den Aufstand als verfrüht. Damit soll jedoch der Beitrag und der Heldenmut vieler Aktivistinnen und Aktivisten aus der Kommunistischen Partei und der Inneren Kommunistischen Partei keineswegs herabgesetzt werden.

Nach dem Sturz der Diktatur um 1974 kam es zu einem Aufblühen der revolutionären Linken, das als solches beeindruckend war. Aber gleichzeitig erstarkte die reformistische Linke in noch grösserem Ausmass, insbesondere die Jugend der Kommunistischen Partei. In dieser Zeit entstand auch die Pasok, welche in mancher Hinsicht eine radikalere Rhetorik verwendete als die kommunistische Linke.

In diesen Jahren kam es in der revolutionären Linken zu einer wahren Besessenheit mit der Bildung von neuen Parteien: Es gab zwei maoistische Parteien, andere maoistische Organisationen, mehrere trotzkistische Organisationen. Diese Art traditioneller Parteipolitik und diese Logik des Parteiaufbaus trat gegen Ende der 1970er Jahre aufgrund des Fehlens einer kohärenten Strategie in eine Krise.

In gewisser Weise war diese Art radikaler Politik seitens der revolutionären Linken kämpferisch, aber gleichzeitig ideologisch den Verhältnissen nicht sehr angemessen, hauptsächlich zentriert um einen traditionellen Antiimperialismus. In gewisser Hinsicht ähnelte sie einer radikalisierten Version der Positionen der Kommunistischen Partei. An sich handelte es sich um einen Teil der breiten Strategiekrise der griechischen kommunistischen Bewegung, die sich ab dem Ende der 1970er Jahre immer klarer darin äusserte, dass die kommunistische Linke in all ihren Varianten den Kampf um Hegemonie an die Pasok verloren hatte.

Pasok verstand es, diese Logik einer demokratischen, sozialistisch-reformistischen Veränderung genau auszudrücken und zu vermitteln. «Veränderung» war in der Tat der wichtigste politische Slogan von Pasok bei den Wahlen von 1981. Die kommunistische Linke hatte diese Hegemonie der reformistischen Politik akzeptiert; dies galt sowohl für die KKE wie auch für die Innere Kommunistische Partei, trotz deren Anstrengungen, sich von der Pasok zu distanzieren.

Sie willigten in eine untergeordnete Rolle ein, die durch die Parole der Komunistischen Partei in Wahlen von 1981 symbolisiert wurde: Während die Pasok auf den Slogan «Veränderung» setzte, lanzierte die KKE die Parole «wirkliche Veränderung» oder dann «es gibt keine Veränderung ohne die KKE», was auf das Eingeständnis hinauslief, dass sie keine strategische Alternative anbieten konnte.

Somit durchliefen die meisten Gruppen der revolutionären Linken um das Ende der 1970er Jahre eine Periode der Krise, in der die Genossinnen und Genossen die Ideologie, diese Art des besessenen Aktivismus, die Unfähigkeit, die neue Realität zu verstehen, hinterfragten.

In diese Periode fällt auch ein anderer wichtiger Faktor für die weitere ideologische Entwicklung: Die Spaltung der Jugend der Inneren Kommunistischen Partei.

Bevor wir darauf eintreten, lasst uns noch etwas zurückgehen. Du hast bislang über die Entwicklung der maoistischen Strömung gesprochen. Erzähle uns ebenfalls noch kurz etwas über die Entwicklung des griechischen Trotzkismus.

Die griechischen Trotzkisten führten über viele Jahre nach dem Bürgerkrieg eine politische Existenz im Untergrund, da sie ebenfalls als subversive Kommunisten betrachtet wurden. Sie standen hauptsächlich mit dem Sekretariat der Vierten Internationale in Verbindung. Dies war die Hauptströmung nach dem Ende des Bürgerkrieges, als der sogenannte Archeiomarxismus als Strömung zerschlagen worden war.

Der Archeiomarxismus war in seinen Anfängen in den 1920er Jahren ein sehr originelles Phänomen auf der griechischen Linken – ein seltsames Gemisch aus Leninismus mit einer vorleninistischen Betonung der Bildung. Er forderte die Kommunistische Partei in einigen Gewerkschaften heraus und wurde später mit der Linken Opposition in Zusammenhang gebracht. Die Linke Opposition wurde in Griechenland einerseits von Leuten, die aus der Kommunistischen Partei kamen gegründet, darunter Kaderleute mit beträchtlichen theoretischen und  politischen Leistungen, etwa Pantelis Pouliopoulos und Serapheim Maximos. Andererseits waren eben die Archeiomarxisten beteiligt.

Der Zweite Weltkrieg war für den griechischen Trotzkismus gleichfalls eine Bewährungsprobe. Einige Strömungen beteiligten sich am Widerstand gegen die Besatzung, andere nahmen eher eine defätistische Position ein, wie etwa die Gruppe um Stinas, der um jene Zeit auch politischer Mentor von Castoriadis war.

In den 1960er Jahren und während der Militärdiktatur kam es ebenfalls zu einem Aufblühen des griechischen Trotzkismus, obschon nicht in dem Ausmasse, wie dies bei den Maoisten zutraf. In dieser Zeitspanne, gerade in den 1970er Jahren, waren die maoistischen Gruppen viel, viel grösser – wir reden da über Gruppen mit Tausenden von Mitgliedern.

Da war einmal die mit dem Sekretariat der Vierten Internationale verbundene OKDE. Es gab, nach der Militärdiktatur, eine Gruppe, die mit der Tendnez von Healy in Verbindung stand und von Savvas Michail Matsas geführt wurde; er distanzierte sich in den 1980er Jahren von Gerry Healy und hat sich durch seine politische wie auch seine theoretische Arbeit grossen Respekt verschafft.

Genossinnen und Genossen aus der Bewegung gegen die Militärdiktatur bauten während der Diktatur die Sozialistische Revolution auf, die später in Organisation Sozialistische Revolution (OSE) umbenannt wurde; sie gliederte sich der International Socialist tendency (IST) ein und änderte ihren Namen nach 1991 in Sozialistische Arbeiterpartei (SEK).

Dies war zu Beginn eine gemässigte maoistische Bewegung, nicht wahr?

Am Anfang hatte die OSE eine eher hybride From mit starken antiimperialistischen Elementen. Dies war jedoch ein Zug, der der revolutionären griechischen Linken zu dieser Zeit gemeinsam war, mit einem vorherrschenden starken Anti-Amerikanismus.

Sie war auch Teil der radikalen Studentenbewegung gegen die Diktatur und, nach der Diktatur, der späteren Bewegungen der Studentinnen und Studenten. In jener Periode war die Studentenbewegung auch das grosse Laboratorium für die griechische Linke. Die führenden Figuren der linken Studentinnen und Studenten prägten die Geschichte der Linken für viele Jahre, sowohl im günstigen wie im ungünstigen Sinne.

Gut, kehren wir zurück in die späten 1970er und die frühen 1980er Jahre mit all diesen maoistischen und trotzkistischen Gruppen….

Hier gilt es auf die Bedeutung der Spaltung in der Jugend der Eurokommunisten oder der Inneren Kommunistischen Partei hinzuweisen. Die Innere Kommunistische Partei, einem Produkt der Spaltung von 1968 in der KKE, begann als Ausdruck eines Bedürfnisses nach einer wirklichen Erneuerung der kommunistischen Strategie. Sie wurde von vielen Aktivistinnen und Aktivisten unterstützt, insbesondere derjenigen innerhalb Griechenlands, gegen die weitgehend sklerotische Linie des Parteiapparates, der damals in Rumänien und in der Sowjetunion im politischen Exil lebte.

Wenn die Eurokommunisten auch die besten Elemente an sich zogen, so war deren Linie doch von Anbeginn an eher rechts. Gerade während der Diktatur wurden zu bestimmten Zeiten deutliche Bewegungen nach rechts vollzogen.

Nach dem Sturz der Militärdiktatur jedoch stellten sie die Aufforderung nach einer Erneuerung der kommunistischen Strategie dar. Dies zeigte sich besonders deutlich an der Anziehungskraft der Inneren Kommunistischen Partie auf intellektuelle Milieus. Die meisten der in den 1970er Jahren  bekannten und anerkannten marxistischen Gelehrten in Griechenland waren auf die eine oder andere Art Mitglieder der Inneren Kommunistischen Partei.

Zu jener Zeit vertrat sie eine noch reformistischere Linie als die KKE. Die Jugend der Inneren Kommunistischen Partei hingegen, die in der Studentenbewegung gegen die Diktatur stark verankert war, war denn auch viel radikaler. Nach dem katastrophalen Wahlergebnis von 1977, als klar wurde, dass die Kommunistische Partei elektoral viel stärker war als die Innere Kommunistische Partei, kam es 1978 zu einer Abspaltung der Jugend von der Inneren Kommunistischen Partei. Die Gruppe, die aus dieser Spaltung hervorging, nannte sich EKON «Rigas Feraios» – B’ Panelladiki, (Zweite pan-griechische Konferenz – Die Konferenz der Spaltung) oder einfach B’ Panelladiki. Dies war eine bedeutende Gruppierung. Sie war radikal, antikapitalistisch, sie war durch Althusser und Poulantzas beeinflusst; und dies war die erste Gruppe der revolutionären Linken, die aus dem traditionnellen ökonomistischen Antiimperialismus der kommunistischen Tradition in Griechenland heraustrat.

Dies fiel mit einer erneuten Radikalisierung der Studentenbewegung in den späten 1970er Jahren zusammen und dies war wichtig. Viele Leute, die dabei waren, haben später eine sehr entscheidende Rolle in verschiedenen linken Strömungen gespielt. Beispielsweise war John Milios, ein wohlbekannter marxistischer Gelehrter und ehemaliger Chefökonom von Syriza (und ein Kritiker der Verhandlungstaktik der gegenwärtigen Regierung), Führungsmitglied von B’ Panelladiki.

Das war also eine wichtige Spaltung? Wieviele Leute waren da ungefähr beteiligt?

Ich kenne die Zahlen nicht. B’ Panelladiki nahm in Wirklichkeit nicht die Form einer klassischen, streng organisierten Partei an. Sie lebte auch nur kurzzeitig und wurde nach den Wahlen von 1981 aufgelöst. Sie hinterliess aber eine deutliche Prägung der griechischen Linken, gerade der studentischen und der intellektuellen Linken.

1981 wurde Pasok mit einem ziemlich radikalen sozialdemokratischen Programm gewählt. Zu Beginn setzte sie eine Reihe von wichtigen progressiven Reformen durch, aber gleichzeitig war klar, dass diese keine sozialistische Strategie darstellten, sondern eine Strategie für eine kapitalistische Modernisierung. Diese Entwicklung stürzte gerade die revolutionäre Linke in eine grosse Krise. Die grossen maoistischen Gruppen lösten sich auf; sie alle waren in einer Folge von Spaltungen, Problemen oder offenen Debatten nach den späten 1970er Jahren aufgerieben worden.

War dies den Entwicklungen in China oder internen Problemen geschuldet?

Nicht so sehr chinazentriert, obwohl die Rechtswende nach dem Tode von Mao sicherlich die Anziehungskarft von China als Alternative zur Sowjetunion verminderte. Die Krise des griechischen Maoismus jedoch war vor allem der Unfähigkeit geschuldet, eine Strategie zu entwickeln, die für eine ganze Generation von Aktivistinnen und Aktivisten einleuchtend erschienen wäre.

Da ihre Hauptlosungen und –forderungen auf mehr Demokratie, demokratische Reformen und auf einen Bruch mit den USA hinausliefen, mussten sie angesichts einer sozialdemokratischen Regierung, die grundlegende demokratische Reformen durchführte und zudem eine kapitalistische Modernisierung betrieb, unweigerlich in eine strategische Sackgasse geraten.

Die Leute waren auch müde vom vorhergehenden Aktivismus und sagten nun: «Nun gut, warum nicht, sehen wir mal zu». Es setzte auch eine Wende vom Politischen ins Private ein, im Sinne dass lange hingezogene Universitätsstudien abgeschlossen wurden, Jobs und Aufstiegsmöglichkeiten gesucht wurden. Pasok baute den Staatsapparat aus und auch im Privatsektor eröffneten sich Karrieremöglichkeiten. Dies hatte eine sehr tiefe Krise zur Folge.

Gab es eine Erholung der revolutionären Linken wie bespielsweise in Frankreich unter Mitterand?

Ich denke, da gibt es einige Parallelen. Wenn wir solche Fragen diskutieren, neigen wir normalerweise dazu, in führenden Figuren zu denken, die tatsächtlich sehr verschiedene Positionen wählten: Leute aus der revolutionären Linken wurden später sehr zynische Machtpolitiker innerhalb von Pasok, oder Journalisten in den systemtragenden Massenmedien, oder stiegen im Privatsektor auf.

Die meisten Aktivistinnen und Aktivisten der revolutionären LInken der 1970er Jahre beendeten ihre Studien, begannen zu arbeiten und trugen über viele Jahre die hervorstehenden Merkmale ihres einstigen  Engagements. Beispielsweise im Bildungsbereich, wo sie zu wirklich fortschrittlichen Lehrkräften wurden, den Gewerkschaften beitraten, bereit waren, sich an Kämpfen zu beteiligen, oder dann Ärzte in Spitälern, die sich eindeutig auf die Seite ihrer Patientinnen und Patienten stellten. Die meisten von ihnen folgten jedoch keiner Form von organisierter Politik mehr.

Aber dann kann es Leute wie etwa Chrysanthos Lazaridis geben, einer der engsten Mitarbeiter von Samaris, der zuerst eine führende Figur in B’ Panelladiki war, bevor er in den 1980er Jahren eine Wende vollzog und sich den nationalistischen Kreisen anschloss.

Also ein Fall wie Lucio Colletti?

Hier handelt es sich um eine noch eindrücklichere politische Kehrtwende. Er versuchte sogar zu sagen: «Weil ich damals so war, bin ich heute nun halt ein Rechter».

Die revolutionäre Linke war in den 1980er Jahren insgesamt in einer Krise. Die grossen Organisationen waren nicht mehr vorhanden und was immer davon auch übrig blieb, waren kleine maoistische oder trotzkistische Gruppen.

Einige andere wandten sich der Ökologie zu. Einige dieser Gruppen waren Teil von linken studentischen Gruppierungen (Aristeres Syspeiroseis Foititon), die sich nach der Studentenbewegung von 1979 zu formieren begannen. Über einige Jahre war dies der einzige Bezugspunkt für den Austausch von Ideen und der Politisierung auf der revolutionären Linken.

Erst nach den frühen neunziger Jahren führte die neue Welle studentischer Kämpfe und der Beginn der Arbeit in den Gewerkschaften von Genossinnen und Genossen, die aus der kommunistischen Tradition herkamen zur Entstehung einer neuen Generation von politischen Aktivistinnen und Aktivisten für die revolutionäre Linke. In den 2000er Jahren kam es gleichfalls zu einem starken Zustrom von Studentinnen und Studenten, vor allem durch die grosse Studentenbewegung der Jahre 2006 und 2007, in der die EAAK eine führend Rolle einnahm. Dies war auch eine erneute katalytische Periode der Massenpolitiserung. Die Massenexplosion der griechischen Jugend vom Dezember 2008 war ebenso ein wichtiges katalytisches Moment – nicht nur für die antikapitalistische Linke, sondern auch für Syriza und natürlich die anarchistischen/autonomen Gruppen.

Kannst Du noch etwas mehr sagen zu EAAK?

EAAK ist die Bezeichnung für alle radikalen Gruppen an den Universitäten. Sie vereinen einen ziemlich grossen Teil studentischer Stimmen, sagen wir, über 10 Prozent bei studentischen Abstimmungen – so beispielsweise 13 Prozent bei den Studentenwahlen von 2014. Sie erreichen durchwegs höhere Ergebnisse als die Syriza Jugendorganisation.

Gehören alle revolutionären Gruppen dazu?

Nicht alle, aber die meisten unter ihnen. Zum heutigen Zeitpunkt lässt sich sagen, das beinahe alle Gruppen, die zu Antarsya gehören, bei EAAK mitmachen. Sie sind ein sehr wichtiger Teil der studentischen Bewegung.

Deine wichtige Botschaft ist also, dass die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen revolutionären Organisationen bereits bis in die 1990er Jahre zurückreicht?

Ja, und dies war hauptsächlich eine Erfahrung aus der studentischen Bewegung und aus Initiativen in der Gewerkschaftsbewegung. Es gab sowas wie eine griechische Mentalität der «Front» –  das heisst, es muss einen Platz geben für politische Koordination und gemeinsame Aktionen und Wege, die Differenzen zu überbrücken.

Dies ist natürlich gleichzeitig ein recht widersprüchlicher Prozess, der unter verschiedenen Formen stattfand. Aber es war dieses Element, das für eine politische Kultur wichtig war, die später ihren Ausdruck in Initiativen wie Antarsya ihren Ausdruck fand.

Selbstverständlich sind nicht alle revolutionären Gruppen Teil diese Tradition. So beschritt die Sozialistische Arbeiterpartei (SEK) mit ihren eigenen Initiativen, ihren eigenen Auftritte innerhalb der Studenten- und in der Gewerkschaftsbewegung einen ziemlich einsamen Entwicklungspfad. Unsere Zusammenarbeit mit der SEK begann erst in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre. Einige andere Gruppen, wie beispielsweise einige maoistischen Organisationen, standen abseits von diesem Prozess.

Wie erklärst Du das? In anderen Ländern gab es starke studentische Bewegungen, die nicht zu einer Zusammenarbeit zwischen verschiedenen linken Organisationen geführt haben. In der Tat gab es oft nur eine verstärkte Konkurrenz unter ihnen. Und gerade im Falle Griechenlands würde niemand, aus abstrakter Warte beurteilt, eine Zusammenarbeit anstatt eine Konkurrenz empfehlen, aufgrund der langen und blutigen Geschichte und der tiefen ideologischen Differenzen. Wie erklärst Du, dass gerade in Griechenland diese Ausnahme möglich ist? Auf internationaler Ebene ist es möglich, selbst in Perioden kleiner Fortschritte, die Zusammenarbeit zu erlernen.

Dies hat zu tun mit der speziellen Dynamik der Studentenbewegung. Die griechische Studentenbewegung war in beinahe allen Kämpfen bis zur Memorandum Periode und darüber hinaus tatsächlich siegreich. Sie war immer eine recht politisierte Bewegung. Es bestand immer ein Interesse an den Wahlen in die Studentengewerkschaften, die am selben Tag durchgeführt wurden und die immer auch ein Ausdruck für die Legitimität der nationalen Parteien waren. Jede Strömung, jede Partei hatte dabei ihren eigenen politischen Ausdruck. Und die Resultate der Studentenwahlen werden in den Massenmedien immer stark beachtet.

Infolgedessen hast du diese Kombination einer starken Studentenbewegung, von wichtigen Kämpfen, von starken Studentengewerkschaften mit einer Tradition einer radikalen politischen Präsenz in vielen von ihnen. Zudem handelte es sich um eine vereinigte Studentenbewegung. Bis zur Mitte der 1990er Jahre gabe es grosse Auseinandersetzungen darüber, was an den Kongressen der Nationalen Studentenvereinigung (EFEE) geschehen soll.

In der Geschichte der studentischen Bewegung ist die Bewegung von 1979 für Massenbesetzungen von entscheidender Bedeutung, eine siegreiche Bewegung, die die Regierung zwang, ein Gesetz zurückzunehmen, das vor einem Jahr erlassen worden war.

Von da stammt die Idee eines Koordinationskomitees für die studentische Besetzung, aus dem dann eine radikale Studentengruppe erwachsen konnte. In 1980er Jahren blieb diese starke Tradition bestehen, dass auf diese Art die Dinge anzupacken seien, um Gruppen zu schaffen, die eine Einheit verschiedener Tendenzen repräsentierten.

Anlässlich der Spaltung der Kommunistischen Jugend um 1989, die mit der sehr starken studentischen Bewegung von 1991-91 zusammenfiel, war diese Tradition entscheidend für die Gründung der EAAK. Es gab all diese jungen Leute, die bei der Besetzung von Schulen, bei der Schaffung einer gemeinsamen politischen Kultur über Monate zusammenarbeiteten. In der Folge wurde dieses Modell eines einheitlichen Netzwerkes von Gruppen an den Universitäten, die unterschiedliche Gruppen umfassten, ein definitierendes Element der Kultur der griechischen antikapitalistischen Linken.

Als die Leute dann in den 1990er Jahren begannen, in den Gewerkschaften zu arbeiten, beispielsweise in den Gewerkschaften der Primär- und der Sekundärstufe des Schulsystems, oder in den Spitalgewerkschaften, wurde diese gemeinsame Erfahrung sehr wichtig beim Aufbau gemeinsamer Handlungszusammenhänge und Initiativen, die verschiedene Strömungen umspannten.

Dies mag erklären, weshalb man in Griechenland, anders als in anderen Ländern, so oft den Begriff «unabhängige linke Gruppe» hört. Dieser Begriff bedeutet in Griechenland gerade die Zusammenarbeit innerhalb einer Gewerkschaft zwischen unterschiedlichen Strömungen. Dies war Teil einer ganzen politischen Kultur der antikapitalistischen Linken.

Überdies betrachteten einige der wichtigen Strömungen der griechischen revolutionären Linken nach den 1990er Jahren sich selbst eher als vorübergehende Strömungen – das heisst, dass sie nicht der Kern einer Partei seien, die einfach nur zu wachsen brauche auf Kosten aller anderen, und dass die  kommunistischen Bewegung auf diesem Weg neu aufgebaut würde. Dies gilt natürlich nicht für alle Strömungen, doch in einem grossen Teil der griechischen antikapitalistischen Linken herrscht diese Mentalität.

Dies ist sehr interessant. So äusserte sich also mit dieser Praxis eine verschiedene Art von kulturellem Ethos im Umgang der verschiedenen revolutionären Organisationen untereinander? Wie Du weisst, sind in anderen Ländern die Umgangsformen der revolutionären Organisationen untereinander nicht nur oft von Feindschaft, von steriler Polemik geprägt, ja gelegentlich gar von physischer Gewalt zwischen ihnen. Würdest Du sagen, dass die revolutionären Organisationen eine andere Kultur entwickeln müssen im Umgang untereinander?

Nun, ich möchte das griechische Beispiel nicht idealisieren. Man findet immer noch eine Menge steriler Polemik.

Aber keine physische Gewalt?

Nein, keine physische Gewalt. Seit den 1980er Jahren gab es diese Wahrnehmung eines gemeinsamen politischen Raumes, des gleichen politischen Milieus. Dieser metaphorische Gebrauch des Begriffes «Raum» ist übrigens interessant: Er wurde in jenen Jahren oft gebraucht im Hinblick auf ein gewisses politisches Milieu in der Folge eines Fragmentierungsprozesses. Die Leute sagten: «Gut, wir sind Teile des gleichen politischen Raumes».

Einer der Widersprüche der radikalen antikapitalistischen Linken war vermutlich, dass man wohl zur selben Zeit in den verschiedenen Formen der Koordination und Zusammenarbeit die Wahrnehmung – oder die Verwirklichung – eines gemeinsamen politischen Raumes erlebte, aber gleichzeitig sterile Polemiken führte und eine Unfähigkeit bewies, zu verstehen, was Wahlbündnisse bedeuten, sehr schematische Oppositionen, die zu tragikomischen oder gar tragischen Ergebnissen führen können. So erinnere ich mich immer noch an die Wahlen von 2007, als die antikapitalistische Linke versuchte, eine gemeinsame Liste aufzustellen. Es gab hierzu zwei Initiativen, eine vom Linken Neugruppierung (ARAN), SEK und OKDE und anderen Gruppen, und eine andere, genannt Front der Radikalen Linken (MERA), deren wichtigste Gruppe die Neue Linke Strömung (NAR) war.

Wir führten grosse Debatten und gut besuchte Versammlungen in den grösseren Städten durch. Am Ende jedoch traten wir mit zwei Listen an. Wenn man versucht, da die Differenzen zu identifizieren, wird man keine finden. Acht Jahre später scheint diese Art von Debatten fernab jeder Realität, insbesondere wenn man die katastrophalen Wahlresultate beider Initiativen in Betracht zieht. Was wir zu jener Zeit nicht schafften, war eine einheitliche Wahlpräsenz, was letztendlich nur Syriza half, 2007 ihren ersten elektoralen Durchbruch zu erringen.

Nicht alles ist also gut an der politischen Kulter der griechischen Linken. Wir haben unsere eigenen Pathologien und unser eigenes Sektierertum.

Sicher, aber Ihr scheint doch hinsichtlich Zusammenarbeit den anderen Ländern weit voraus zu sein. Ich habe zwei Hypothesen: Eine geht dahin, dass der Konkurrenzdruck durch die Kommunistische Partei die revolutionäre Linke dazu zwingt, sich zu verbinden, um ein gewisses Gewicht zu erlangen, während in anderen Ländern die kommunistischen Parteien nie wirklich existierten oder dann ab den 1980er Jahren rasch an Gewicht verloren. Die zweite Hypothese lautet, dass es in der revolutionären LInken nie eine einzige hegemoniale Gruppe gab, was die anderen gezwungen hätte, sich entweder als deren Satelliten zu verstehen oder dann als deren Feinde, wie etwa in Grossbritannien.

Nun, wenn man die Geschichte der revolutionären Linken seit den 1990er Jahren betrachtet, so sieht man, dass keine Gruppe oder Tendenz hegemonial war. Die eine oder andere mag in mancher Hinsicht zu verschiedenen Zeiten gewichtiger gewesen sein als andere. Natürlich mag es in verschiedenen Phasen einen Druck gegeben haben, sich gegenüber der Kommunistischen Partei aber auch gegenüber anderen Strömungen zu behaupten, gegenüber der Gewerkschaftsbürokratie, gegenüber der Pasok oder gegenüber Syriza. In verschiedenen Perioden mussten wir uns gegenüber unterschiedlichem Druck behaupten.

Während aber eine Kultur des Dialogs bestand, gab es gleichzeitg ebenfalls eine Unzulänglichkeit von wichtigen politischen Initiativen. Es gab eine wichtige Entwicklung in der revolutionären Linken in den frühen 2000er Jahren, die mit den Gruppen einsetzte, die sich schlussendlich Syriza angeschlossen haben. Dies ist ein anderer wichtiger Aspekt. Denn in dieser Periode der 1990er Jahre bedeutete eine Strömung der antikapitalistischen Linken zu sein hauptsächlich, eine Wende hin zu radikalen Bewegungen zu machen, entsprechende Neugruppierungen anzustreben, aufzustehen und natürlich eine Beteiligung an all den Kämpfen gegen die spezielle Version des Neoliberalismus, wie er hauptsächlich mit der Pasok in Verbindung steht.

Dies gilt insbesondere für die Zeit nach 1995, als sie einen aggressiven Modernisierungskurs begannen, mit einer Beschleunigung der neoliberalen Reformen, der dann unglücklicherweise mit dem Eintritt Griechenlands in die Eurozone endete. Jene Zeit fiel mit der Welle der internationalen Antiglobalisierungsbewegung und dem radikalen Anti-Neoliberalismus zusammen, mit einer ganzen Reihe von grossen Mobilisierungen, wie in Seattle, Genua, dem Europäischen Soziaforum in Florenz, usw. In dieser Periode, einer sehr interessanten Periode, fanden Gespräche verschiedener Art innerhalb der radikalen oder antikapitalistischen Linken in all ihren Schattierungen statt.

Dann bildete sich eine Tendenz heraus, die der Auffassung war, dass es darum ginge, die gesamte Linke neu aufzubauen und nicht lediglich die radikale oder die antikapitalistische Linke. Dies führte zu Einheitsinititiativen, an denen sich auch reformistische Tendenzen beteiligen konnten, wie etwa das griechische Sozialforum (zu dem Synaspimos gehörte), deren gemeinsame Basis der Anti-Neoliberalismus war.

Diese Tendenz war sich auch einig hinsichtlich der Unfähigkeit der reformistischen Parteien, insbesondere des post-kommunistischen Links-Reformismus, eine Strategie zu entwickeln und der Möglichkeit der antikapitalistischen Linken, sie zu beeinflussen; darum drehten sich die damaligen Debatten. Dies war beispielsweise in gewisser Weise – ich versuche hier, ihnen gegenüber nicht ungerecht zu sein – die Position der DEA, die kurz nach ihrer Abspaltung von der SEK, gewissermassen in diese Richtung tendierte.

Dies war auch die Position anderer Gruppen, anderer Aktivistinnen und Aktivisten, welche dann durch das Medium des griechischen Sozialforums, welches Teil des euorpäischen Sozialforums bildete, 2004 schlussendlich in die Bildung von Syriza mündete. Eine andere Organisation, die sich Syriza anschloss, war die KOE (kommunistische Organisation Griechenlands). Es handelte sich um eine maoistische Gruppe, die ursprünglich Teil der radikalen studentischen Gruppierungen der 1980er Jahre war und in den 1990er Jahren auf einer eher sektiererischen Linie versuchte, eine Partei aufzubauen, bevor sie in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre Syriza beitrat.

Für diese Strömungen schien die Entscheidung, Syriza beizutreten gerechtfertigt, gerade nach den sehr guten Wahlresultaten von 2007. In dieser Periode erschien einigen Segmenten der antikapitalistischen Linken ein Beitrit zu Syriza als die bessere Achse. Syriza war ab dieser Periode nicht mehr einfach eine erweiterte Synaspismos, oder eine rechte Weiterentwicklung des Eurokommunismus, sondern war um radikalere Elemente erweitert worden. Einige dieser Elemente sind noch heute sichtbar in Syriza. Diese Periode war, im Lichte des neuen Radikalismus der 2000er Jahre, auch Ausdruck des Unvermögens der revolutionären Linken, ein wirklich revolutionäres Projekt vorzubringen. Trotzdem muss ich sagen, dass sich dies verbessert hat.

In diesem Sinne könnte man sogar sagen, dass die Gründung von Antarsya im Jahre 2009 ein bisschen zu spät kam. Sicherlich wirkte da die Jugendrebellion von 2008 ein Katalysator, was die Bildung dieser Art von Front erzwungen hat. Dies war so offensichtlich, dass es  zu einer gemeinsamen Position der vollumfänglichen Anerkennung und Unterstützung der Bewegung kam, die sich auch von derjenigen von Syriza unterschied, obwohl Syriza die Bewegung ebenfalls unterstützt hat.

Aber man kann sogar sagen, dass dies ein wenig zu spät kam. Denn wenn es bereits zu Beginn der 2000er Jahre zu dieser Art der Vereinigung der Kräfte gekommen wäre, so hätte wohl die Landschaft der Linken in einer entscheidenden Periode etwas anders ausgesehen.

Wir sollten hier eine Klammer einfügen, denn es ist klar, dass Du denkst, dass die Studentenbewegung der Schlüssel für die Verjüngung der revolutionären Linken über mehrere Jahrzehnte darstellt.

Alles in allem ja, bis in die 2000er Jahre. Ich muss jedoch betonen, dass ab den späten 1990er Jahren ebenfalls die wichtigen Fortschritte in der Gewerkschaftsbewegung in Betracht gezogen werden müssen. Dies war wichtig.

Lasst uns nun über die Besonderheit der Studentenbewegung in Griechenland sprechen. Insbesondere der Bewegung der Studentengewerkschaft, weil diese vermutlich anders strukturiert ist als im Rest der Welt. Also, vorerst, gibt es einen einzigen Studentengewerkschaftsverband?

Es gibt eine Gewerkschaft pro Schule oder Abteilung. Aus geschichtlichen Gründen sind einige der Gewerkschaften Schulen, andere Abteilungen – die meisten aber Abteilungen – zugeordnet. Alle Studentengewerkschaften an den Universitäten sind Teil des gleich Verbandes (und alle Gewerkschaften aus der höheren technischen Ausbildung ihrerseits Teile des zugehörigen Verbandes).

Der Verband (EFEE) ist seit 1997, also über viele Jahre, nicht mehr aktiv gewesen, die Tendenzen innerhalb der Studentenbewegung sind jedoch national. Das heisst, Nea Demokratia besitzt einen studentischen Flügel, der sich selbst überall unter dem selben Namen und mit der selben politischen Linie präsentiert. Das gleich gilt für die Pasok Jugend, die Kommunistische Partei besitzt gleichfalls eine entsprechende studentische Struktur, usw.

Es gibt also nichts, das diese Studentengewerkschaften zusammenbindet?

Nun, sie besitzen keine formale Struktur mehr, wie zu der Zeit, als der Verband immer noch funktionierte, ausser dass die Wahlen am selben Tag durchgeführt werden. Es kommt immer zu einem informellen Vereinbarungsprozess über den Zeitpunkt der Wahlen.

Ein anderer Aspekt: Obschon ein Leitungsausschuss gewählt wird, so bleibt doch die Generalversammlung weiterhin das wichtigste Entscheidungsgremium. So entscheidet die Versammlung beispielsweise über eine Besetzung oder über einen Streik. Gerade die solide Tradition der Versammlung als dem wichtigsten Entscheidungsträger in der Studentgewerkschaft ermöglicht es der radikalen Linken, in wichtigen Studentenbewegungen die Initiative zu ergreifen.

Studentische Wahlen erlauben aufgrund der Massenbeteiligung oft eine Einschätzung über die Kräfteverhältnisse; in Studentenversammlungen jedoch, wo die Beteiligung normalerweise recht breit ist, ist es für die revolutionäre Linke in einem kritischen Zeitpunkt oder anlässlich eines neuen Gesetzes leichter, zu einer Besetzung oder zu einem längeren Streik aufzurufen und so in einer Versammlung mit einen Antrag zu gewinnen.

Aber alles getrennt nach Schule beziehungsweise nach Universität?

Ja, beispielsweise bei Besetzungen; in jeder Besetzung können wir auch den Begriff «Streik» benutzen, den wenn die Studierenden in einen Streik treten wollen, so besetzen sie auch die Gebäude, um zu gewährleisten, dass wirklich kein Unterricht stattfindet. Da gibt es Formen der Koordination; zum Beispiel haben wir während grossen Bewegungen eine nationale Koordination der Besetzungen und der Versammlungen.

Und die Versammlungen ernennen Führungen auf nationaler Ebene?

Sie ernennen Koordinationskomitees, die jede Versammlung in der nationalen Koordination repräsentieren. Diese Massenversammlungen der nationalen Koordination repräsentieren alle Besetzungen, und sie entscheiden darüber, wann die nächste Massenversammlung stattfindet, oder sie veröffentlichen Stellungnahmen und Erklärungen.

Dies wurde in der Bewegung von 2006-7 offensichtlich, aber dies ist bereits ab 1979 ersichtlich, denn wir hatten 1979, 1987, 1990–91, 1992, 1995, 1997-98, 2001, 2006–7, 2008, 2011 grosse Bewegungen. Somit wird verständlich, dass dies eine Notwendigkeit schafft, in jeder Schule und in jeder Abteilung radikale linke Gruppen zu haben.

Wenn Du von «Gruppen» sprichst, was verstehst Du darunter?

Wenn man sich auf diesen Prozess einlassen und in der Lage sein will, in einer Generalversammlung einen Antrag durchzubringen, so ist es notwendig, in jeder Abteilung der Universität, die an den Wahlen für die lokale Studentengewerkschaft teilnimmt, politische und organisatorische Arbeit zu leisten, die Auseinandersetzungen für die nächste Versammlung vorzubereiten, usw., um die lokale EAAK Gruppe für sich zu gewinnen; diese hat oft einen anderen Namen, wie etwa radikale linke Initiative oder radikaler linker Zusammenschluss oder ähnlich. Man kann keinen Erfolg haben, man fährt nicht gut in diesem Umfeld, wenn man lediglich einen Aktivisten pro Abteilung hat.

Aber wenn eine Welle von Kämpfen stattfindet, so wird diese auf nationaler Ebene in ad hoc Manier koordiniert, ist es das, was Du sagst?

Ja, sie wird von den Versammlungen koordiniert, durch deren Abgeordnete und selbstverständlich durch die Koordination der politischen Strömungen, die in der Bewegung hegemonial sind. Zum Beispiel ist die Rolle des EAAK immer entscheidend gewesen in den meisten neueren Studentenbewegungen, obwohl man in der nationalen
Koordination immer Leute aus anderen Gruppen finden kann – Anarchisten, Halb-Anarchisten, Studentinnen und Studenten von Syriza. Dies war zumindest die Erfahrung bis 2011, der letzten grossen studentischen Mobilisierung. Demgegenüber verficht die kommunistische Jugend eine sektiererische Taktik.

Die Gewerkschaften selbst spielen also nicht notweendigerweise eine wichtige Rolle in den Kämpfen, sie sind einfach ein Ausdruck der politischen Kräfteverhältnisse?

Nein, es verhält sich nicht genau so, weil dies im Steuerungsausschuss als gewählter Instanz der Studentngewerkschaft wichtig wird. Dort kann man je nach Kräfteverhältnissen einen Antrag, eine Stellungnahme, Interventionen durchbringen. Und dies hängt ja ab von den Kräfteverhältnissen in den einzelnen Körperschaften der Universitäten, die ihrerseits über die Gewerkschaften von den Studentinnen und Studenten gewählt werden.

Somit sind sie wichtig, aber nicht in Zeiten grösserer Kämpfe. Wenn man beispielsweise einen konservativen Leitungsausschuss hat; so gab es Fälle wo die Nea Demokratia die kontrollierende Mehrheit innehatte. Dann war es angesichts dieser blockierenden Mehrheit natürlich sehr schwierig, einen Antrag im Steuerungsausschuss durchzubringen. Aber während einer grösseren Welle von Kämpfen kannst Du diesen umgehen und mit dem Antrag direkt über die Versammlungen gehen und diesen so gewinnen.

Ist die Mitgliedschaft bei den Studentgewerkschaften obligatorisch?

Nein, als Studentin, als Student ist man automatisch Mitglied bei einer Gewerkschaft und man ist berechtigt, an Versammlungen teilzunehmen und abzustimmen; alle Studentinnen und Studenten können an den Versammlungen teilnehmen, ob sie sich nun den Studentenwahlen beteiligt haben oder nicht.

Eine Frage zur Organisationskulter der revolutionären Linken: Sprechen wir hier über Organisationen als relativ kleinen Kaderorganisationen, die sich nicht so sehr auf eine offene Rekrutierung einlassen, sondern grossen Wert auf ideologische Schulung legen, oder reden wir über lockere Organisationen mit einer offenen Rekrutierung, die wenig Wert auf ideologische Schulung legen?

Es gibt für beide Varianten Beispiele, es gibt alle Elemente und wir kennen unterschiedliche Organisationskulturen. Beispielsweise legen die Gruppen, die aus der IST-Tradition herkommen, wie etwa die SEK, grossen Wert auf Rekrutierung und alle damit verbundenen Praktiken, mit einer möglichst grossen Präsenz an Mobilisierungen, dem Verkauf ihrer Zeitungen, usw.

Wenn wir andere Gruppen betrachten, so pflegen sie, obwohl nicht diese Art von Rekrutierungskampagnen, so doch eine starke Präsenz an Studenten- oder Gewerkschaftsversammlungen, um Leute anzuziehen. Überall wird die Ideologie oder die Debatte aufmerksam gepflegt, obwohl damit nicht notwendigerweise alle Gruppen eine ideologische Indoktrination führen. Wiederum möchte ich feststellen, dass eher trotzkistische Gruppen dazu neigen.

Aber man kann dies auch bei anderen Gruppen beobachten, etwa der Linken Neugruppierung (ARAN) und den Neuen Linken Strömungen (NAR), obgleich die NAR bislang keiner historischen Strömung zugehörte.

Hinsichtlich der Organisationskultur würde ich sagen, das sie sowohl demokratisch wie auch eher problematisch ist, je nach Gruppe und je nach den Umständen. Von keiner Gruppe lässt sich behaupten, sie sei unelastisch. In den meisten Gruppen gibt es unterschiedliche Tendenzen, unterschiedliche Debatten und die verschiedenen Position sind ausserhalb der Gruppe gut bekannt. Diese Art von monolithischen Organisationen gibt es meines Errachtens nicht.

Selbst nicht die SEK?

Gegen aussen vermittelt die SEK den Eindruck von ziemlicher Stärke, dass sie über eine Linie verfügt, der alle Mitglieder folgen; aber lass es mich mal so formulieren: Man hat das Gefühl, dass es selbst in der SEK Debatten gibt. Dies ist einer der guten Aspekte dieser Art von «Frontpolitik» und einer der Gründe, die wiederholt zu Tendenzen geführt haben, die sich der Bildung von Fronten widersetzt haben.

Die Politik der «Front» bedeutet notwendigerweise, das die Aktivistinnen und Aktivisten nicht lediglich durch die Gruppe oder durch die Organisation beeinflusst werden, der sie zugehören, sondern von den Debatten innerhalb der ganzen Front. In Anatarsya kann man eine offenere Diskussion beobachten, Fragen, die quer über die Grenzen aller Organisationen geführt werden. Meiner Einschätzung nach ist dies unbedingt etwas Positives; der Versuch, einer Gruppe monolithische Einheit aufzuzwingen, ist ein Fehler. Nur durch die Offenheit gegenüber Widersprüchen kann dieser Prozess der Auseinandersetzung in tatsächliche Debatten überführt werden. Ansonsten geht es lediglich um Kräfteverhältnisse zwischen verschiedenen Tendenzen.

Dies ist gerade auf strategischer Ebene wichtig, wenn wir an die Prozesse der Neuzusammensetzung der radikalen Linken denken. Die zeitgenössische antikapitalistische Linke ist das Ergebnis verschiedener Formen von Krisen der Arbeiterbewegung und der revolutionären Bewegung. Gleichzeitig steht sie für die Herausforderung und die Notwendigkeit einer radikalen Erneuerung der kommunistischen Bewegung.

Entsprechend kann man sich den Prozess der Neuzusammensetzung in Form einer offenen Debatte und einer notwendigerweise widersprüchlichen Hegemonie vorstellen, in Form einer Zusammenführung von unterschiedlichen Erfahrungen, Wahrnehmungen und Positionen. In diesem Sinne braucht es Fronten, genau weil sie die Möglichkeit bieten, solche Prozesse einzuleiten.

Bereits in den 1980er Jahren nach der sehr heftigen Krise der revolutionären Linken der 1970er Jahre, zumindest in einigen Strömungen der revolutionären Linken – dies ist die Tradition aus der ich herkomme –  dachten wir gerade, dass Einheitsversuche, wie etwa die linken Neugruppierungen an den Universitäten von strategischer Natur seien. Sie könnten dadurch der radikalen Linken bei deren Neugruppierung helfen, um aus den traditonellen Formen des Aufbaus und der Parteibildung herauszukommen.

Damit sage ich nicht, dass wir keine starke Organisationen brauchen, oder dass wir für starke Organisationen kämpfen müssen. Zum Beispiel ist es meiner Auffassung nach im griechischen Zusammenhang sehr wichtig, einen Prozess der Neuaufstellung der Organisationen einzuleiten, um zu einer viel grösseren Organisation mit einer kommunistischer Orientierung zu gelangen, die dann auch das Rückgrat von Fronten, von politischen Interventionen werden könnte.

Allerdings muss heute auch an die strategische Dimension von Fronten und ihren politischen Interventionen gedacht werden. Die Politik der Fronten darf heute nicht lediglich als «notwendig, da wir es alleine nicht schaffen» gedacht werden. Noch sollten wir sie als Vehikel einer einzigen dominanten Gruppe, der dann alle anderen als Satelliten untergeordnet sind, denken. Fronten sollten ferner nicht als Versuch verstanden werden, die Reformisten zu beeinflussen, oder Formen von taktischen Bündnissen mit den Reformisten zu ermöglichen. Was wir benötigen, sind Terrains, um neue politische Synthesen zu erproben.

Fronten sollten als Orte für wirkliche Dialoge verstanden werden, von wirklichen ideologischen Auseinandersetzungen, aber auch von Synthese und von Experimenten. Wir dürfen sie nicht verstehen als Orte, wo eine Gruppe das Terrain besetzt, sondern im Sinne eines Dialogs und einer Dialektik der Hegemonie zwischen unterschiedlichen strategischen Positionen.

Dies kann auch ein Zeichen der politischer Entwicklungsfähigkeit einer Front oder in einem breiteren Sinne einer Einheitsinitiative sein.

Ich sage aber nicht, dass wir in Griechenland so weit sind. Immerhin aber ist Antarsya zumindest in gewissen Momenten diesem Ziel sehr nahe gekommen. Wir müssen an diesem Verständnis von politischen Fronten als Terrain von offenen Dialogen, des Experimentierens, von gemeinsamer Erarbeitung der politischen Linie festhalten. Im europäischen Zusammenhang ist diese Art der Neuausrichtung und Neuzusammensetzung der Kräfte dringender denn je.

Bevor wir eingehender von Antarsya sprechen, wie würdest Du die politische Praxis der KKE beurteilen?

Die gegenwärtige Strategie der KKE ist ein Gemisch aus Sektierertum und linker Rhetorik. Die KKE hat in den vergangenen Jahren einen Prozess der idelogoischen Veränderung durchlebt. Sie liessen ihre Referenzen zu antiimperialistischen Kämpfen zugunsten einer Art antikapitalistischer Rhetorik fallen.

Sie haben auch ihre Sicht auf die Geschichte der kommunistischen Bewegung in Griechenland verändert. Sie haben mittlerweile eine kritischere Einschätzung der Politik der Nationalen Befreiungsfront (EAM) während der Deutschen Besetzung (1941 – 44), die sie nun beschuldigen, eine Bündnispolitik mit den bürgerlichen Parteien praktiziert zu haben.

Ihre zentrale Position zu der aktuellen Krise geht dahin, dass es keine Lösung geben kann ohne Anwendung der Volksmacht in einer Wirtschaft, die dem Volk gehört. Aus diesem Grunde beschuldigen sie Forderungen nach einem Austritt aus der Eurozone als reformistisch, da diese keinen vollständigen Bruch mit kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen beinhalten würden.

Syriza ist für sie lediglich eine bürgerliche Alternative. Sie neigen dazu, die Breite und die Bedeutung der Kämpfe seit 2010 zu unterschätzen, da sie in ihnen nicht hegemonial waren. Sie neigen auch dazu, die anderen Kräfte der Linken mit einer Art Position aus der Dritten Periode zu beurteilen, indem sie alle als opportunistisch beschimpfen. Dies mag radikal klingen, aber in Wirklichkeit ist eseine eher konservative Position, im Sinne, dass eh solange nichts wirklich ändern kann, als die KKE nicht die führende Kraft auf der Linken ist.

Gut, bevor wir näher auf Antarsya eingehen, lass uns kurz die Kartografie der revolutionären Linken Griechenlands rekapitulieren. Offensichtilich ist Antarsya die Hauptkomponente darin. Es gibt auch die Gruppen in Syriza, insbesondere DEA und KOE –

Ich würde KOE nicht zu der revolutionären Linken zählen. Die Kommunistische Organisation Griechenlands ist ein Abkömmling der marxistisch-leninistischen Tradition, der maoistischen Bewegung Griechenlands. Ursprünglich war sie in den 1980er Jahren Teil der linken Neugruppierungen an den Universitäten. Nach den späten 1990er Jahren began sie mit einem Projekt des Organisationsaufbaus, auf sich selbst gestellt und sogar sektiererisch. Sie trat in der Mitte der 2000er Jahre Syriza als Gruppe bei.

Seit dann vollführte sie eine klare Rechtswende, wie etwa das eher symbolische Fallenlassen der Anti-Euro, Anti-EU Position. Auch wir teilten einst diese Position, aber denken nun anders. Sie durchliefen um 2012 eine Spaltung, wo eine eine linke Gruppe sich in Opposition zur Rechtswende  von der KOE löste.

Wie stehts in Syriza mit der IMT Gruppe – Kommunistische Tendenz?

Dies ist eine sehr kleine Gruppe. Und sie wurde hauptsächlich gegründet, um als Teil von Syriza zu funktionieren. Sie hatten kaum eine wirkliche Präsenz oder überhaupt einen Einfluss. Ich weiss nicht einmal, welche Positionen sie, bevor sie zur Kommunistischen Tendenz wurden, verfochten hatten.

So gibt es also innerhalb von Syriza unterschiedliche Fragmente der radikalen Linken. Aber es gibt da auch eine Anzahl von Gruppen, abgesehen von den Anarchisten, die weder zu Antarsya noch zu Syriza gehören. Sind all diese Gruppen etwas neben den Schienen, oder gibt es vernünftige Argumente, sich weder Antarsya noch Syriza anzuschliessen?

Nun, da sind zwei maoistische, marxistisch-leninistische Gruppen: die Kommunistische Partei Griechenlands – (marxistisch-leninistisch) (KKE-(ml)) und die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei Griechenlands (ML-KKE), die unter sich ebenfalls ein Wahlbündnis geschlossen haben. Dies ist ein klassisches Beispiel einer Politik auf Basis einer m-l-Identität, in dem Sinne, dass sie gute politische Aktivistinnen und Aktivisten sind. Wir haben über die vergangenen dreissig Jahre mit beiden Gruppen in verschiedenen Kämpfen zusammengearbeitet. Sie bestehen jedoch darauf, dass sie nicht Teil einer breiteren politischen Bewegung sein können, was vielmehr nötig sei, sei ein Neuaufbau der Bewegung des Marxismus-Leninismus. Konsequenterweise gestalten sie ihre politischen Interventionen entsprechend. Ich hoffe nur, dass sie eines Tages realisieren, dass dies eine Sackgasse für alle ist.

Sind dies also immer noch hartgesottene Maoisten?

Ja, sie gehören zu dieser Tradition des Maoismus. Dann ist da noch die Revolutionäre Arbeiterpartei (EEK), deren bekannteste Persönlichkeit Savvas Michail ist, mit der wir ebenfalls auf verschiedenen Ebenen in einigen Bewegungen zusammenarbeiten. Aber sie denken, dass das Programm von Antarsya nicht genügend antikapitalistisch und internationalistisch sei. Dann gibt es die OKDE (OKDE-Ergatiki Pali), eine Abspaltung der OKDE, die sich selbst als Teil der Vierten Internationale versteht, mit ähnlichen Positionen wie Antarsya, aber sie legt die Betonung auf den Parteiaufbau.

Und dann gibt es natürlich noch politische Strömungen wie Plan B, geführt durch Alekos Alavanos, den früheren Führer von Synaspismos und Syriza mit einer starken Anti-Euro Position. Sie arbeitet mit Antarsya zusammen und beteiligte sich an der Wahlliste Antarsya-MARS für 2015.

Dann die Anarchisten. Es ist wichtig festzuhalten, dass in Griechenland Gruppen mit einer wirklichen anarchistischen Orientierung existieren, aber auch anarchistische oder autonome Gruppen mit einer eher marxistischen Theorie und Analyse vorhanden sind. Sie definieren sich alle als Teile des gleichen anarchistischen / autonomen politischen Milieus.

Arbeiten die Anarchisten oder diese ausserparlamentarische Linke mit Antarsya zusammen?

Es gibt eher auf lokaler Ebene, in lokalen Initiative, bei Volksversammlungen in verschiedenen Bereichen, bei antifaschistischen Mobilisierungen Formen von Zusammenarbeit. Oder dann in einigen Fällen bei kämpferischen Basisaktivitäten in der Gewerkschaftsbewegung.

Aber sie verfolgen gleichzeitig ihre eigenen Variante eines Sektierertums, das heisst sie denken eher in Form ihrer eigenen Gewerkschaften oder Initiativen. Selbstverständlich sprechen wir auch über die eher politisch ausgerichteten anarchistischen Handlungsformen. Abgesehen davon, gibt es diese spezifische Art des Anarchismus, der sich eher in Strassenkämpfen und den Ritualen der Zusammenstösse mit der Polizei betätigt.

Gut, lasst uns nun eingehender über Antarsya sprechen, den Weg auf dem sie entstand und die verschiedenen Elemente darin. Schildere uns bitte von jeder Gruppe etwas über ihre Geschichte, ihre relative Grösse und ihre besondere ideologische Kultur.

Antarsya wurde im frühen 2009 gegründet, gleich nach dem Ausbruch der Jugendbewegung vom Dezember 2008. Es war dies eine Periode sehr intensiver Beteiligung der politischen Aktivistinnen und Aktivisten der antikapitalistischen Linken an Demonstrationen, Strassenkämpfen, Besetzungen, die zu wichtigen Erfahrungen führte. Dies war eine Periode, in der die ersten Elemente der heraufziehenden wirtschaftlichen und sozialen Krise spürbar waren.

Die Hauptkomponenten von Antarsya sind die Neue Linke Strömung (NAR), die relativ stärkste Strömung von Antarsya darstellt, aber natürlich nicht die Mehrheit. Sie entstand aus der Spaltung von 1989 in der Kommunistischen Jugend und in der Kommunistischen Partei, entwickelte aber ihre eigene besondere Identität als eine linke Version kommunistischer Politik. Sie hat in der Studentenbewegung und in den Gewerkschaften einen grossen Einfluss.

Was verstehst du unter «linker kommunistischer Politik»?

Darunter versteht man in Griechenland eine Position, die eine neue kommunistische Entwicklungslinie sucht. Sie ist keiner historischen Strömung zugeordnet, es ist nicht leicht, sie aufgrund ihrer Politik einer traditionellen Definition zuzuordnen.

Die NAR besteht aus zwei Flügeln, nicht wahr?

Es gibt tatsächlich unterschiedliche Positionen darin. Diese stehen meistens im Zusammenhang mit der Frage von Bündnissen und möglicher Zusammenarbeit. Traditionellerweise war sie abgeneigt gegenüber breiten Bündnissen. Dies wurde beim Scheitern der Gespräche von 2007 über eine mögliche Front der antikapitalistischen Linken offenkundig; dies war auch der Fall bei den Diskussionen um eine mögliche Zusammenarbeit von Antarsya mit anderen Gruppen.

Viele Genossinnen und Genossen in der NAR neigen jedoch zu mehr Offenheit gegenüber Bündnissen und einer Massenlinie. Das wichtigste Merkmal der NAR ist gelegentlich eine gewisse Furcht, dass wenn wir uns in eine widersprüchliche Front-Politik einlassen, dies die politischen und ideologischen Fortschritte, die wir in einem bestimmten Sinne gemacht haben, gefährden könnte. Das heisst nicht, dass diese Gruppe in irgendeinem Sinne sektiererisch ist. Nichtsdestotrotz hat sie eine sehr lange Geschichte der Zusammenarbeit mit anderen Tendenzen. Was nicht verhindert, dass sie unter bestimmten Umständen eine eher abwehrende Haltung bezüglich Bündnissen hat.

Halt mal. Ich dachte bislang immer, dass die NAR ideologisch eine Art Version des Stalinismus der Dritten Periode sei; ist dies falsch?

Nein, ich wollte einfach nicht unfair sein und sie so charakterisieren.

Unterstützen sie beispielsweise rote Gewerkschaften?

Nein, sie wollen keine roten Gewerkschaften gründen, im historischen Sinn von roten Gewerkschaften. Sie trugen sich ursprünglich in den 1990er und frühen 2000er Jahren mit solchen Absichten, um der bürokratischen und pro-kapitalistischen Veränderung des Gewerkschaftsapparates etwas entgegenzusetzen; diese Einschätzung entsprach zwar einer guten Beobachtung der tatsächlichen Veränderungen. Um diesen Tendenzen entgegenzuwirken, wollten sie innerhalb der Gewerkschaftsbewegung auf einen organisatorischen Bruch hin arbeiten und so auf die Entwicklung klassenorientierterer Gewerkschaftung setzen.

Ich bin mit den taktischen Aspekten dieser Positon nicht einverstanden, es geht nicht um eine Frage der Organisation, es geht um eine Frage der Politik und wie eine kämpferischerere und radikalere Positon in einer Gewerkschaft hegemonialer werden kann. Wenn man sich von den grossen Gewerkschaften löst, so führt das nur zu kleineren Gewerkschaften, was ohne Nutzen ist. In Griechenland kennen wir das katastrophale Beispiel der Kommunistischen Partei und ihrer sektiererischen Auffassung beim Aufbau von PAME als parallelem Gewerkschaftsbund, was die Dinge nicht weiterbrachte oder die Gewerkschaften kämpferischer machte. Dies war über eine gewisse Zeit einer der Streitpunkte mit der NAR.

Wie steht die NAR zu den Erfahrungen in der Sowjetunion und in China?

Sie stehen sehr kritisch dazu. Sie waren von allem Anfang an sehr kritisch. Dies war ja mit ein Grund für ihren selbstkritischen Bruch mit der Kommunistischen Partei. Sie sehen diese als eine Entwicklung in einem ausbeuterischen und unterdrückerischen Staat, ähnlich einer Analyse des Staatskapitalismus. In dieser Hinsicht vollführten sie einen aufrichtigigen Bruch mit den ideologischen Traditionen der Kommunistischen Partei.

Besitzt die NAR eine theoretische Originalität oder ist sie im Wesentlichen eine Organisaiton ohne jedes theoretisches Rückgrat?

Obschon die NAR nie mit einer spezifischen theoretischen Tradition verbunden war, so muss doch festgestellt werden, dass sie bezüglich der Aufwerfung politischer Fragen in ideologischen Debatten eine wichtige Rolle gespielt haben, gerade in den späten 1990er Jahren, aber auch danach.

Man mag mit ihren Antworten einverstanden sein oder nicht, so war ihr Beitrag immer sehr interessant; so zum Beispiel in der Gewerkschaftsdebatte, wie wir diese angehen sollen angesichts der neuen Periode des Neoliberalismus und der vollständigen Kapitulation der Gewerkschaftsbürokratie gegenüber der kapitalistischen Modernisierung. Oder dann in der Frage, wie wir das Verhältnis zwischen Front und Partei denken sollen, wo sie eine wichtige Rolle gespielt haben. Oder ihr Beharren auf einer neuen kommunistischen Perspektive.

In der NAR gibt es ebenfalls eine jüngere Generation von kämpferischen Aktivistinnen und Aktivisten, die ein lebhaftes Interesse an der Weiterführung der theoretischen Debatte haben.

Wenn man in Griechenland als junge politische Aktivistin oder Aktivist Marxist wird, so steht man vor dieser unglaublichen Auswahl, dieser Vielzahl von Organisationen. Was wäre denn je das entscheidende Argument, sich einer dieser Organisationen oder Gruppen, beispielsweise der NAR, anzuschliessen?, Organisationskultur, oder ….

Ich denke, dies ist eine schwierige Frage. Ich stamme aus einer anderen Tradition. Meiner Ansicht nach präsentieren sie sich als eine Strömung, die die Existenz vieler politischen Initiativen garantiert. Dann aber versuchen sie von sich Bild zu geben, dass sie radikaler als andere Gruppen darstellt, mit linkeren Positionen. Gerade in ihrer Jugend gehört dies zu ihrer politischen Kultur: Die radikalsten der radikalen Linken zu sein.

Gut, wenden wir uns wieder Antarsya zu.

Die zweite Komponente von Antarsya ist die SEK.

Ist diese nach Deiner Einschätzung ein Abklatsch der britischen SWP oder hat die SEK spezifisch griechische Züge?

Ich denke, die SEK hat einige spezifische Züge. Zuerst mal ist sie Teil von Antarsya. Unabhängig von allfälligen Kategorisierungen der Fronten auf der Ebene der IST ist Antarsya keine «Front der besonderen Art». Das heisst, man kann kaum behaupten, dass die SEK (und sie haben dies auch nie behauptet) denkt, sie seien die Revolutionäre und alle anderen die Reformisten in einem Bündnis.

Antarsya ist eine Front revolutionärer Kräfte, aus antikapitalistischen Kräften, und sie sind Teil dieser Front, die eine weitgehend demokratische Front ist. Sie haben auch Entscheide akzeptiert, die sie bekämpft haben. Soweit ich weiss, unterscheidet sich dies deutlich von der Praxis der IST in anderen Ländern.

So beteiligte sich Antarsya beispielsweise mit einer gegenüber früher breiteren Wahlliste an den Wahlen, mit anderen Gruppen, was die SEK strikte ablehnte. Es kam zu einem nationalen Entscheidungsverfahren, um diesen Entscheid zu fällen. Sie akzeptierten ihn, trotz ihres Widerstandes. Dies muss festgehalten werden. Ich bin nicht in der Lage, die Auswirkungen auf die Organisationskultur oder die Politik der SEK zu beurteilen. Die SEK ist ein wichtiges Element der Erfahrungen von Antarsya.

Sie pflegen auch Positionen aufgrund des Diskussionsprozesses innerhalb von Antarsya anzupassen. Zum Beispiel hat die SEK eine sehr ausgeprägte Anti-EU und Anti-Euro Position, etwas, dass in anderen EU-Ländern selten ist. Trotz der vielen Differenzen führt die Mitgliedschaft der SEK in Antarsya zu interessanten Erfahrungen.

Beispielsweise übt die SEK starken Druck aus, um sich gegen die Syriza Regierung zu stellen. Diese Positon erinnert in etwa an die in den 1970er Jahren durch einige Segmenten der revolutionären Linken verfochtenen Positon: «Es ist gut, dass die Arbeiterklasse für die Linke gestimmt hat, aber diese Regierung wird keinen Erfolg haben, da sie reformistisch ist und so wird dann in dieser Situation irgendwie die Arbeiterklasse auftauchen und die Dinge ändern.»

Diese Einschätzung ist doch recht schematisch und nicht dialektisch und läuft Gefahr, einerseits gegenüber der Syriza Regierung zu freundlich und andererseits wiederum zu sektiererisch in dem Sinne zu sein, dass sie für einen konkreten Ausdruck einer Alternative zu Syriza keine Hilfe darstellt, abgesehen zu den allgemeinen Bezügen auf die Arbeitermacht.

Ich tendiere jedoch vielleicht auch wieder zu stark auf die andere Seite.

Und die SEK hat immer noch sehr schlechtes Verhältnis zur DEA, nicht wahr?

Soweit ich sehe, ist dieses eher schlecht. Ich möchte nicht sagen, dass die DEA nicht deren eigenen Widersprüche besitzt. Da sie Teil von Syriza sind, haben sie zu viele Zugeständnisse und Kompromisse gemacht. Gleichzeitig sind sie jedoch eine radikale antikapitalistische Organisation, sie opponieren gegen die zentrale Linie von Syriza, sie drücken ihre Opposition deutlicher aus als andere Teile der Linken Plattform. Sie spielen in der antifaschistischen und antirassistischen Bewegung eine Rolle. Ich denke, wir sollten mit Strömungen wie der DEA viel enger zusammenarbeiten. Historische Spaltungen sind heute ohne Bedeutung.

Als dritte Komponente von Antarsya haben wir die Linke Neugruppierung (ARAN). Wir entstanden aus einem Fusionsprozess zweier politischen Gruppen in den frühen 2000er Jahren. Historisch waren wir stark von der Althusser Tradition beeinflusst, versuchten aber einen Neuansatz in der Tradition von Gramsci. Wir versuchen in dieser besonderen Lage einen Ansatz zu erarbeiten, um durch die Kombination von einem Kampf um Hegemonie und Macht einschliesslich der Regierungsmacht und von Volksmacht von unten Abfolgen von wirklich revolutionären Situationen zu entwickeln.

Wir haben innerhalb von Antarsya die Notwendigkeit einer Massenlinie unterstützt. Wir beharrten, gerade nach dem Einsetzen der Krise, auf der Notwendigkeit für Antarsya, sich mit anderen linken Anti-Euro Kräften zusammenzutun, selbst wenn diese Kräfte nicht notwendigerweise revolutionär oder antikapitalistisch im historischen Sinne des Begriffes sind. Die Frage des Euro, der Europäischen Union und der Schulden sind Fragen, die die Linke spaltet und gleichzeitig die Möglichkeit für neue Konvergenzen eröffnen.

Unter den besonderen Umständen nach den Wahlen von 2015 betonten wir immer wieder die Notwendigkeit einer selbstkritischen Analyse der Ereignisse der vergangenen fünf Jahre – in Antarsya und in der antikapitalstischen Linken im Allgemeinen.

2009 war die Neuausrichtung der antikapitalistischen Kräfte wichtig – es war ein Ziel für sich allein. Nach fünf Jahren einer ungeheuren politischen Krise jedoch, von wirklich grossen Brüchen bezüglich der politischen Repräsentation, die zu massiven Veränderungen in der politischen Landschaft führten, einer beinahe-Krise der Hegemonie, einer einzigartigen Abfolge von Kämpfen und einer elektoralen Explosion von Syriza, dann der Tatsache, dass Antarsya trotz des starken Engagments in den Bewegungen, der Selbstaufopferung der politischen Aktivistinnen und Aktivisten in den Kämpfen, trotz der Tatsache, dass Antarsya mit ihrem Programm die erste Tendenz der Linken war, die auf einer Schuldenstreichung, einem Bruch mit der Europäischen Union, Nationalisierungen als dem einzigen Weg aus der Krise bestand. Dass es uns trotz alldem nicht gelungen ist, eine organischere Beziehung zu breiteren Segmenten der unteren Schichten aufzubauen – das ist das eigentliche Problem.

Es gelang uns nicht, die Kräfteverhältnisse innerhalb der Linken zu verändern. Dieser Realität müssen wir uns stellen und zu einer Einschätzung der besonderen Momente kommen, wo Antarsya keinen Vorteil aus sich bietenden Gelegenheiten gezogen hat. Beispielsweise haben wir die sich aus der Bewegung der Platzbesetzungen ergebenden Möglichkeiten für die Einleitung eines originellen Aufbauprozesses der Linken als einer Kombination aus einer antikapitalistischen Militanz mit neuen Kräften, die aus der Bewegung ausgenutzt?

Wir legten vor dem Aufstieg von Syriza kaum Gewicht auf die Notwendigkeit einer Neuausrichtung der linken Kräfte, indem wir zum Beispiel betont hätten, dass ein Anti-Euro Bündnis nicht notwendigerweise revolutionär sein sollte, sondern ein Mittel, um die Linke neu aufzustellen? Folgerichtig müssen wir auf diese Weise selbstkritisch an die Sache herangehen, um in dieser Periode – die noch nicht abgeschlossen ist, die Lage verändert sich in Griechenland sehr schnell – wir nicht andere Chancen verpassen. Dies ist die dritte Strömung in Antarsya.

Um die Dinge etwas schematisch darzustellen, die NAR ist links von ARAN und von Antarsya, und ARAN wäre eher rechts davon? Dabei wäre rechts und links nicht in einem abfälligen Sinne zu verstehen.

Ich möchte der Charakterisierung von ARAN als rechts widersprechen. Es ist ein wenig komplexer, da die Linke nun im Sinne der Ablehnung von breiten Bündnissen durch die SEK und auch die OKDE-Spartakos, die griechische Sektion der Vierten Internationale als die kritischste Gruppe von Antarsya,  repräsentiert wird.

Dies ist auch die kleinste Gruppe, oder?

Nein, nicht die kleinste. Sie befürchten, dass Antarsya in Gefahr ist, den notwendigen antikapitalistischen und internationalistischen Charakter zu verlieren.

Die vierte Komponente von Antarsya ist die Linke Antikapitalistische Gruppierung (ARAS). Wir gehen auf die gleichen politischen Wurzeln zurück. Wir waren in den 1990er Jahren Teil der gleichen politischen Gruppe, aber es kam 1997 zu einer Spaltung. Sie haben ebenfalls eine althusserianische Orientierung.

In dieser Phase haben wir recht ähnliche Positionen, was in der Vergangenheit nicht der Fall war und wir arbeiten beide in Antarsya. Dann sind auch kleinere Gruppen in Antarsya. Etwa die EKKE (Revolutionäre Kommunistische Bewegung Griechenlands), jetzt eine kleine Gruppe, sie war aber in den 1970er Jahren die zweitgrösste maoistische Organisation.

Und dann ARIS, was mit Linke Gruppierung übersetzt werden kann, die sich von ARAS abspaltete. Zudem ist es eine wichtige Tatsache für Antarsya, dass in ihr Leute mitarbeiten, die keiner bestimmten Gruppe zugeordnet sind. Im vergangenen Jahr haben sich Initiativen oder Tendenzen oder gemeinsame Stellungnahmen oder Plattformen innerhalb von Antarsya herausgebildet, die Leute repräsentierten, die zu keiner Organisation gehörten. Dies ist meiner Ansicht nach eine interessante Entwicklung.

Und wie funktioniert Antarsya? Gibt es eine vereinigte Führung, ein Koordiantionskomitee? Und ist Antarsya mehr als ein Wahlbündnis, funktioniert sie auch zwischen den Wahlen?

Ja, Antarsya beruht auf lokalen Komitees und einigen sektoralen Komitees, die meisten von ihnen jedoch sind auf einer lokalen Ebene organisiert. Sie führen Versammlungen, Sitzungen durch, sie stimmen ab über strittige Fragen. Wir führen nationale Konferenzen durch, an denen wir zwei Organe wählen: Das nationale Koordinationsorgan mit 101 Mitgliedern, das sich je nach Situation alle zwei bis drei Monate trifft und ferner das nationale Koordinationskomitee das jede Woche zusammentritt.

Und dies in proportionaler Repräsentation?

Nein, wir hatten etwas, das dem nahe kam. Es ist kompliziert zu erklären. Auf die nächste Konferenz hin haben wir jedoch beschlossen, ein proportionaleres System einzuführen, das die verschiedenen Plattformen besser repräsentiert, und zwar proportional und nicht, dass der Gewinner alles bekommt.

Bislang hatten wir in System, in dem alle gewählten Vertreter an der Konferenz – und unsere Konferenzen umfassten achthundert bis tausend Delegierte, die etwa dreitausend Mitglieder repräsentieren – die Möglichkeit besassen, für eine Minderheit in den gewählten Organen zu stimmen. Dies war in gewisser Weise proportional, aber es konnte zu manipulativen Praktiken führen, da grössere Gruppen die Abstimmungen kontrollieren konnten. Deshalb haben wir uns für Proporzwahlen entschieden.

Was nicht heissen will, dass wir heute die Repräsentation nicht weitgehend proportional ist. Wir entschieden uns nach langen Diskussionen für ein proportionales System bezüglich Plattformen. Obwohl diesbezüglich weiterhin starke Uneinigkeit besteht, den einige befürchten, dass dadurch die Gefahr einer «Föderalisierung» von Antarsya verstärkt wird.

Dies ist, alles in allem, eine interessante Debatte. Wir wählen Delegierte an die Konferenzen, die Konferenzen wählen den nationalen Koordinationsausschus und auch das zentrale Leitungskomitee. Und wir stimmen auch ab. In den ersten Jahren ging es mehr darum, eine gemeinsame Grundlage zu finden, aber ich denke, es war ein Fortschritt, abzustimmen. Beispielsweise wurde die Entscheidung für ein breites Bündnis in den Wahlen in einer Abstimmung getroffen. Dies ist ein demokratischer Fortschritt

Und wie geht ihr um mit all den Parasiten, die sich um die Gruppen der revolutionären Linken herum ansammeln und nur an Plünderung interessiert sind, die Front nicht als ganze aufbauen wollen, sondern nur einige Mitglieder abwerben wollen, um sich dann wieder abzuspalten – werden sie einfach ausgeschlossen?

Meiner Ansicht nach gibt es in Antarsya keine Gruppe, die so charakterisiert werden kann.

Ich denke, es wäre bemerkenswert, wenn Griechenland das einzige Land auf der Welt wäre, das keine solchen Parasiten anziehen würde!

Ich denke nicht. Die anderen Gruppen der antikapitalistischen Linken gehören nicht zu Antarsya, beispielsweise die Arbeiter Revolutionäre Partei oder die maoistischen Gruppen; wir möchten, dass sie sich gleichfalls Antarsya anschliessen, obwohl sie diese als Rekrutierungsfeld benutzen. Wenn man eine Front mit einer wirklichen Funktion hat, jeden Tag eingreift, mit einer demokratischen Kultur und Praxis, so würde meiner Ansicht nach eine interessante Wechselwirkung entstehen, wenn eine Gruppe dies als Rekrutierungsfeld benutzen würde; sie würde nämlich schlussendlich selbst verändert werden.

Lasst uns nun kurz auf den Althusserianismus eingehen, da Du ja über die zwei drei Gruppen in Antarsya gesprochen hast, die eine althusserianische Orientierung haben. Und dass dies etws ist, das für kaum jemanden ausserhalb Griechenlands Sinn machen würde, erstens da es viele Fehleinschätzungen über die eigene Politik Althussers und sein Verhältnis zur Kommunistischen Partei gibt und, zweitens, weil die Leute nicht verstehen, was denn eine politische Orientierung an Poulantzas sein könnte.

Sie können zwar mehr oder weniger verstehen, was eine Orientierung an Gramsci, Trotzki, dem Eurokommunismus sein könnte, eine spezifisch althusserianische Form von Politik, als einer Philosophie der Wissenschaften oder einer Konzeption über die Rolle von Philosophie gegenüberstehend scheint nicht auf der Hand zu liegen. Was ist denn eine spezifische althusserianische Form von Politik überhaupt?

Ich weiss nicht, ob man von einer spezifischen althusserianischen Politik sprechen kann. Wenn ich von Gruppen mit althusserianischen Tendenzen spreche, so meine ich deren spezifischen theoretischen Anleihen bei Althusser, eine besondere Analyse des Staates und der ideologischen Staatsapparate, eine Konzeption der Betonung der Umstände. Es ist eine offene Debatte, ob es sowas wie eine althusserianische Politik geben kann.

Ich würde vorschlagen, dass diese Gruppen oder kämpferischen Elemente versuchen, marxistisch oder kommunistisch zu sein, dass sie sich auf die Möglichkeit einer Erneuerung der kommunistischen Strategie hin orientieren.

Es ist interessant zu beobachten, dass, wenn wir über Griechenland sprechen, wir über ein Land sprechen, wo Altusser und Poulantzas die gesamte Linke beeinflusst haben. Zumindest eine gewisse Variante von Althusser beeinflusste die Innere Kommunistische Partei, gerade ihre Intellektuellen. Dieser Einfluss spielte in der oben erwähnten Abspaltung der Jugend von der Inneren Kommunistischen Partei eine wichtige Rolle.

Der Einfluss von Altusser ist in wichtigen theoretischen und politischen Zeitschriften sichtbar, wie etwa Politis in den 1970er und 1980er Jahren, oder später in Theseis, der theoretischen Zeitschrift, die von  John Milios herausgegeben wurde. Das bedeutet, dass dieser Einfluss auf die Jugend in einem spezifischen  Vokabular in vielen Strömungen der Linken schnell ersichtlich wird.

Man könnte – als ein ein wenig übertriebener Witz – sagen, dass Althusser in der griechischen Linken in etwa das ist, was Hegel im Deutschland von 1840 war. Es gibt Links-Althusserianer und Rechts-Althusserianer. Zum Beispiel ist Aristide Baltas, der gegenwärtige Minister für Bildung und Kultur und traditionell mit Politis und der Universitätsbewegung liiert, ein international anerkannter Schüler Althussers.

So lasst uns jetzt über eher unangenehme Themen reden. Von ausserhalb Griechenlands gewinnt man den Eindruck, dass die Wahlresultate von Antarsya beinahe unsichtbar sind, und dass es kaum wirkliche Anzeichen einer substantiellen Verbeserung dafür gibt. Was zudem viele Leute der antikapitalistischen Linken aussserhalb Griechenlands beunruhigt, ist nicht so sehr die Existenz von Antarsya oder die Notweendigkeit der Neugruppierung der Linken ausserhalb von Syriza, sondern, erstens, die Weigerung, positiv auf einen Aufruf zur Bildung einer Regierung der Anti-Austeritätslinken zu antworten und, spezifischer, das absolute Beharren auf der Notwendigkeit einer permantenten unabhängigen elektoralen Präsenz. Und dies trotz der ungeheuren Energie die darauf verwandt wurde, wurden sehr schwache Resultate erzielt. Was ist Deine Antwort auf diese Frage?

Wie ich bereits oben ausgeführt habe, ist es notwendig, durch einen Prozess der Selbstkritik zu gehen. Wenn man allerdings lediglich die Wahlresultate anschaut, so kann man den tatsächlcihen Einfluss von Antarsya nicht verstehen, ihre Rolle in sozialen Bewegungen, in den Debatten in der Linken, ihren wirklichen politischen Einfluss. Es ist offensichtlich, dass Antarsya und ihre politischen Positionen eine weitaus grössere Anziehungskraft ausüben, als in den Wahlresultaten ersichtlich; diese kamen unter einem enormen Druck zustande, so dass wir nicht besser abschneiden konnten.

Aber liegt das Problem nicht gerade dort? Alle können sehen, dass Antarsya nicht einfach eine kleine unbedeutende Gruppe ist, aber dann ist da der Kontrast zwischen den Wahlresultaten – diese sind vernichtend – und dem breiteren Einfluss.

Diese Problem verweist auch auf den Widerspruch in der Strategie von Antarsya. Wie bereits erwähnt, betrachtete man zu Beginn der Krise bis 2009 und 2010 die Neugruppierung und Neuausrichtung der Kräfte der antikapitalistischen Linken als ein Ziel an sich. Es war notwendig, die antikapitalistische Linke in einen einheitlicheren Horizont der Erfahrungen und der Praxis zu bringen, mit einer mehr auf die Massen ausgerichteten Linie, ohne dass besonders auf Wahlen geachtet wurde.

Das Problem war nun, dass die radikale Linke nach der Krise offensichtlich ihre Anziehungskraft verbreitern und eine wichtigere Rolle einnehmen sollte. Ich denke, dass unsere Hauptprobleme gerade dort zum Vorschein kamen.

Diese Formulierung muss in der ersten Person plural verstanden werden – ich möchte nicht, dass dies als eine persönliche Kritik an anderen Strömungen daherkommt. Wir alle tragen Spuren oder Narben einer ganzen Periode von Krisen der revolutionären Linken. Denn, was war die antikapitalistische Linke bis zu jener Periode? Was war die antikapitalistische Linke in den 1990er und 2000er Jahren?

Wie man erkennt, war es eine Linke des Widerstandes, des kämpferischen Engagements in den Bewegungen und einer allgemeinen ethischen und ideologischen Verteidigung einer revolutionären Perspektive. Sie besass keine kohärente Strategie, es handelte sich nicht um eine Linke, die auf die Machtübernahme oder auf Hegemonie abzielen konnte und ihr fehlte eine revolutionäre Strategie. Trotz einiger dringender Appelle auf internationaler Ebene – ich erinnere mich immer noch an den Aufruf vom späten Daniel Bensaid, die Strategiedebatte zu eröffnen – wurde diese Debatte nie eröffnet.

In gewisser Weise kann man sogar behaupten, dass dies das Problem von Syriza war; sie repräsentiert ebenfalls eine Linke, obwohl nicht einer antikapitalistischen, an Widerstand und Bewegungen gebundenen und einer generellen ideologischen Verteidigung einer sozialistischen Perspektive. Und innerhalb der Konfrontation von Syriza mit der politischen Macht kommen alle Probleme der rechten Tradition des Eurokommunismus erneut an die Oberfläche, seine Perspektive einer fortschrittlichen Regierung und sind nicht in der Lage, sich der Wirklichkeit des Staates zu stellen, ganz zu schweigen von der Problematik der Europäischen Union.

Ich würde behaupten, dass sich die antikapitalistische Linke in dieser Periode immer noch in einer strategischen Krise befand; dadurch wurden wichtige politische Momente verpasst, entscheidende Momente, als diese Art der Unfähigkeit, eine Antwort auf die aktuellen Herausforderungen zu haben, im Falle von Antarsya offenkundig wurde. Beispielsweise waren wir die erste Strömung in der Linken, die realisierte, dass man ein konkretes Programm der Übergangsforderungen besitzen müsste, das eine Antwort auf die Krise darstellen könnte; radikal und antikapitalistisch zu sein und gleichzeitig ein Gespür für die Unmittelbarkeit zu haben und den Leuten sehr leicht zu vermitteln ist.

Dazu gehörte die Kombination der sofortigen Einstellung der Zahlungen und der Schuldenannulierung, der Austritt aus der Eurozone, der Bruch mit der Europäischen Union, weiträumige Nationalisierungen als Teil eines produktiven Aufbauprojektes. Das waren Dinge, über die man mit den Leuten sprechen konnte und sie konnten sich bewusst werden, dass dies gute Einstiegspunkte wären.

Unterdessen wurde klar, dass ein wichtiger Prozess der Neuausrichtung der Kräfte in der Linken aber auch neuer Spaltungen in Gang gekommen war, gerade in der Frage des Euro. Gleichzeitig fehlte uns jede Art von notwendiger Kühnheit für einen offenen Aufruf zur Bildung einer breiteren Koalition, die auf der Annulierung der Schulden, dem Austritt aus dem Euro, Nationalisierungen und einigen allgemeinen Hinweien auf eine sozialistische Perspektive basiert hätte.

In jener Periode wäre dies möglich gewesen. Sofern sich ein solcher Prozess gebildet hätte – und ich sage nicht, dass dies nur unsere Verantwortung war, man könnte die selbe
Frage nach den Optionen der linken Strömungen ebenso an die Linken in Syriza stellen – so hätten wir beim Einsetzen der Bewegung eine ganz andere Landschaft in der Linken gehabt, vermutlich ein ganz anderes Kräfteverhältnis.

Und dann hatten wir die Bewegung der Besetzung der Plätze. Wir waren daran beteiligt, wir waren jeden Tag auf den Plätzen. Aber wir überlegten uns nicht, was wir damit anfangen sollen. Es handelte sich weder um ein simples «soziologisches Phänomen», noch war dies einfach jene beeindruckende Konvergenz von politischen Aktivistinnen und Aktivisten mit Leuten, die sich noch nie an einer Bewegung beteiligt hatten. Dies war gleichzeitig ein entscheidender Zeitpunkt der Repolitisierung der Gesellschaft durch diese Inbesitznahme des öffentlichen Raumes, wo die Leute nach neuen Formen der Politik suchten.

Wir dachten jedoch nie darüber nach, wie wir dies in einen Aufbauprozess für eine neue Linke verwandeln sollten. Wir dachten nie daran. Erst später. Zum Beispiel höre ich viele Leute, die beeindruckt sind vom Aufstieg von Podemos, und ich denke in einer selbstkritischen Art und Weise darüber nach, da bei uns die Bewegung der Platzbesetzungen von 2011 viel grösser war als diejenige der Indignad@s, und sie umfasste die gesamte Linke.

Und natürlich haben wir nicht begriffen, dass es damals um die Frage der Macht ging. Wir begriffen das nicht. Wir traten in die Wahlperiode von 2012 und dachten, wir wären damals die beste Opposition gegen die systemischen Parteien. Tatsächlich war die politische Krise so tief, und die Leute hatten nach zwei Jahren intensiver Kämpfe – bei denen wir alle traditionellen und nicht-traditionellen Druckmittel auf die Regierung eingesetzt hatten –  begriffen, dass nur ein politischer Bruch überhaupt ein Ende der Austerität herbeiführen könnte.

Jemand hätte für sie eine entsprechende Strategie des Bruchs anbieten müssen, im Namen eines Anspruchs auf Regierungsmacht. Zu jenem Zeitpunkt verfügten wir nicht über diese Position, im Gegensatz zu Syriza. Ich weiss nicht, ob Syriza über eine Art Einsicht dazu kam oder durch eine Art opportunistischem elektoralem Maximalismus, um den Druck von anderen Tendenzen zu überleben. Und sie passte hinein, sie war die fehlende Referenz in der politischen Krise.

Ja, es ging um die Machtfrage, und dadurch wurde eine neue politische Entwicklung eingeleitet. Die antikapitalistische Linke stellte sich dieser Herausforderung nicht, da sie über keine eigentliche revolutionäre Strategie verfügte. Und dies, weil wir nie eine ernsthafte Diskussion darüber führten, wie in einer fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaft die Regierungsgewalt mit Formen der Macht des Volkes von unten kombiniert werden kann; dies dann wäre Teil einer sehr entwickelten und originellen Version der Doppelmachtstrategie. Wir dachten einfach nicht über diese Fragen nach.

Selbst nach 2012 nach dem Wahlschock, sowohl in seinen positiven wie in seinen negative Aspekten, vermieden wir weiterhin die Ausarbeitung einer Strategie. Wie kann man eine nützliche Stimme abgeben, wenn bei der Eröffnung eines Wahlzyklus bereits eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass daraus eine Syriza Regierung hervorgehen könnte? Keine Stimme der ideologischen Bindung, sondern eine Stimme, die im parlamentarischen System von Nutzen ist?

Sofern man eine eigene originelle Position hinsichtlich einer Links-Regierung hätte, in der Art eines Programmes und einer Politik, die dafür erforderlich wären, dann wäre man in der Lage, zu sagen: «Gut, wir stimmen für euch, denn wenn wir das entscheidende Element im Parlament sind, so können wir in diese Richtung drängen oder wir können andernfalls die nützliche Opposition im Parlament sein».

Doch wir entwickelten keine Interpretation der Lage. Selbst die Frage, ob Antarsya sich mit anderen Kräften verbünden sollte, die nahe zu Antarsya stehen – Anti-Euro Sozialisten oder Kommunisten, andere Kräfte – so brauchten wir zu lange, um zu entscheiden. Es gab eine sehr schicksalshafte Verschleuderung von politischer Zeit und von politischem Kapital in diesen Fragen, bis wir es schafften, zu einem einheitlicheren Auftreten zu kommen.

Somit haben die Leute sich nicht abgewendet, da sie dachten, wir seien paranoide Linke oder Klassenverräter. Sie taten dies, weil sie sich sagten: «Ja, ihr sagt Dinge, die korrekter oder zutreffender sind. Aber hier geht es um eine Wahlfrage, wir brauchen eine nützliche Stimme».

Wir müssen all dies berücksichtigen, darüber nachdenken und zu ändern versuchen. Es geht nicht darum, ob man Fehler macht, sondern darum, aufzuhören, immer die selben Fehler zu machen – darum geht es auch im Leben, nicht nur in der Politik. In Griechenland stehen wir an einem entscheidenden Punkt, im Sinne, dass das Spiel noch nicht aus ist.

Wir befinden uns nicht im Jahre 1981. Damals war die Pasok hegemonial. Sie setzte ein Programm der reformistischen Linken in die Praxis um, ein Programm des Wohlfahrtsstaates mit kapitalistischer Modernisierung. Niemand konnte eine Alternative anbieten. Deshalb konnte Pasok die Linke verkörpern und korrumpieren. Heute ist es anders. Die neue Regierung steht unter ungeheurem Druck seitens der Europäischen Union und wir sind einem andauernden zynischen Staatsstreich gegen den souveränen Willen des griechischen Volkes ausgesetzt.

Selbst heute jedoch, in dieser Periode der Verhandlungen, ob sie nun bis Juni oder länger dauert, gibt es einen Raum für Alternativen. Eine Alternative, die eine Antwort auf diese Widersprüche darstellt, kein Ausdruck theoretischer und politischer Trägheit, wie sie die sehr einfache linke Kritik darstellt, im Tonfall: «Das sind ja doch nur Verräter, sie werden scheitern», da dies nur eine Ausrede sein kann, um nichts zu tun.

Ich spreche über eine wirkliche Anstrengung, eine Alternative darzustellen, im Sinne, was es heute in Griechenland bedeuten würde, wenn die Dinge einen anderen Verlauf nähmen, um diese geschichtliche Chance nicht zu verfehlen, um nicht durch die Europäische Union und das internationale Kapital geschlagen zu werden.

Wir brauchen konkrete Vorschläge dafür, was eine wirkliche Links-Regierung in der Schuldenfrage tun soll, mit dem Euro, mit Nationalisierungen, usw. Wir brauchen einen Vorgehensplan für den Austritt aus dem Euro, darüber, wie wir gegenüber der Europäischen Union den Gehorsam verweigern, in sehr spezifischer und praktischer Ausmalung, für die Nationalisierungen, usw. Wir brauchen konkrete Vorschläge für eine Verfassungsreform und wie die grundlegenden Reformen der Institutionen kombiniert werden können mit neuen Formen der Interventionen der sozialen Bewegungen.

Diese Art von politischer Arbeit ist heute notwendig. Wir brauchen keine Politik der theoretischen und politischen Trägheit und einer simplen Kritik der Mängel der Regierung. Die Kritik an Syriza ist natürlich notwendig und das Beharren auf dieser Kritik, aber wir müssen auch eine Alternative entwickeln.

Dies steht auf dem Spiel, wenn wir ein Teil der Lösung des Problems sein wollen. Denn wenn dieser historische Zyklus in einer vollen Wiederherstellung der kapitalistischen Herrschaft im politischen Sinne endet, dann werden wir alle an der Niederlage teilhaben. Das Volk wird uns alle gleichermassen für verantwortlich dafür halten, dass wir die Chance verpasst haben, Griechenland in das schwächste Glied der europäischen Kette verwandelt zu haben.

Selbstverständlich gibt es eine breitere historische Dimension in diesem Problem. Dies ist die Herausforderung für Antarsya, für die Anti-EU Kräfte im Allgemeinen, und in einer gewissen unterschiedlichen Art für die linken, antikapitalistischen Kräfte innerhalb von Syriza. Wir müssen Wege finden, die Alternative zu entwickeln, so lautet aus meiner Sicht die Herausforderung.

Weshalb habt ihr nicht mit Syriza zusammengearbeitet? Hätte dies nicht als eine Taktik der «Einheitsfront» verstanden werden können?

Der Grund dafür liegt gerade in der Frage der Strategie. Die wichtigste Trennlinie in der heutigen griechischen Gesellschaft geht nicht einfach um die Frage der Austerität. Es geht eher darum, ob es zu einem Bruch mit der fünfzigjährigen Meistererzählung der griechischen Bourgeoisie kommt, nämlich mit der Zugehörigkeit zum «Europäischen Integrationsprozess».

Heute würde der Austritt aus dem Teufelskreis von Austerität, Rezession und Schulden vor allem auf einen Bruch mit dem eingebauten Neoliberalismus und der neoliberalen Natur der EU und der Eurozone hinauslaufen. Und dort werden auch die Mängel des Eurozentrismus der Führungsgruppe von Syriza sichtbar.

Wir pochen darauf, dass eine fortschrittliche und demokratische Lösung der griechischen Krise in erster Linie ein Programm der Brüche erfordert, und dass diese notwendige Strategie der Brüche durch einen autonomen politischen Pol der radikalen Anti-EU Linken ausgearbeitet und repräsentiert werden muss.

Dies bedeutet jedoch keinerlei traditionelles Sektiertum. Wir wissen auch sehr gut, dass viele politische Aktivistinnen und Aktivisten in der Linken Plattform von Syriza auf ähnlichen Positionen sind. Wir arbeiten auf einen Dialog und eine Koordination mit ihnen hin, und wir sind selbstverständlich sehr an den Debatten nicht nur in Syriza, sondern auch in dem breiten sozialen Bündnis, das Syriza elektoral repräsentiert, interessiert. Wir haben uns seit je für eine Zusammenarbeit innerhalb der Bewegung entschieden. Dies erfordert jedoch die notwendige politische Autonomie dieser radikalen Alternative, damit die Debatten und ganz allgemein das politische und ideologische Kräfteverhältnis in der gesamten griechischen Linken beeinflusst werden können.

Bedeutet dies, dass wir der Einheitsfrontpolitik absagen? Nein, aber eine Einheitsfront kann nicht ohne programmatische Grundlage und ohne eine zusammenführende Erzählung, die sich auf die grundlegenden Differenzen in allen wichtigen historischen Etappen bezieht, aufgebaut werden. Im  Falle Griechenlands schliesst dies die Frage der Beziehung Griechenlands zur Europäischen Union ein, die Problematik einer Alternative zum «europäischen Weg».

Ich nehme nicht an, dass wir heute einfach eine Front der revolutionären Kräfte benötigen. Dies gilt gerade in der Situation, in der sich Griechenland befindet. Diesbezüglich mag ich anderer Auffassung sein, als einige Genossinnen und Genossen in Antarsya. Wir benötigen eine Front der radikalen Linken, die auf einer notwendigen Strategie der Brüche beruht, eine Front, die notwendigerweise in sich widersprüchlich ist und in der die antikapitalistischen Kräfte um die Hegemonie kämpfen können.

Eine solche Front, die versuchen würde, zur führenden Kraft einer breiten gesellschaftlichen Allianz zu werden, einem «historischen Block», ist unverzichtbar, wenn wir die historische Chance, die sich in Griechenland eröffnet hat, tatsächlich nutzen wollen. Syriza ist jedoch bei weitem keine solche Front; von daher ist für die Linke ein alternative Projekt erforderlich, weder in Richtung  «Realismus» noch in die Richtung Sektierertum.

Wie schätzt Du die aktuelle Lage und die Syriza-ANEL-Regierung ein? Welche Position sollte Antarsya einnehmen?

Nun, in den ersten Monaten wurde klar, welchem Druck die Syriza-ANEL Regierung seitens der Gläubiger Griechenands hinsichtlich mehr Austerität und neoliberale Reformen ausgesetzt ist. Die EU und der IWF verweigern der griechischen Regierung die Möglichkeiten, ihr sehr bescheidenes und nicht sehr radikales Programm umzusetzen. Sie benutzen die Finanzspritzen der EZB als Mittel, die neue Regierung zu erpressen, damit sie die gleiche Politik der sozialen Zerstörung fortführt.

Das Kalkül hinter diesem Druck ist nicht technischer sondern politischer Art: Die Botschaft zu vermitteln, dass niemand dem extrem strengen Neoliberalismus ausweichen kann, den die führenden Kräfte in der EU heute als Normalität ansehen. Das Problem mit der gegenwärtigen griechischen Regierung ist ihr Beharren darauf, dass es möglich sei, mit der EU und dem IWF einen Weg aus der Austerität zu verhandeln, ohne dabei die Eurozone verlassen zu müssen und dabei trotzdem den Schuldverpflichtungen nachzukommen.

Dies hat zu eher quälenden Anstrengungen geführt, die nötigen Summen aufzutreiben, um die Anleihen zurückzuzahlen und zu einer Serie von Verhandlungen mit den Repräsentanten der «Institutionen» geführt – der berüchtigten Troika -, die nur zu einem anhaltenden Druck für weitere Zugeständnisse und Kompromisse und zu einem Aufschub bei der Umsetzung von wichtigen Wahlversprechen von Syriza geführt haben. In diesem Sinne wird jedes neue Abkommen mit der EU und dem IWF und jedes neue Anleiheprogramm von Verpflichtungen zu noch mehr Austerität und noch mehr neoliberalen Reformen begleitet sein.

Dies ist nicht einfach ein grosses Kräftemessen mit unseren Gläubigern, wo die Regierung die Wahl zwischen Kapitulation und heroischem Ausstieg hat. Es besteht durchaus die Möglichkeit endloser Verhandlungen, die in eine Sackgasse führen; die andauernde Gefahr der Zahlungsunfähigkeit wird durch eine weitere temporäre Lösung in letzter Minute hingehalten, nacdem die griechische Regierung weitere Zugeständnisse gemacht hat. Und es dreht sich die Spirale in die nächste Sackgasse, mit weiteren Zugeständnissen usw.

Wir brauchen gegenüber der Regierung eine konstruktive linke Opposition, eine Kritik ihrer Strategie und ihren taktischen Zügen im Namen der sich eröffnenden historischen Möglichkeiten, letztendich einer noch die dagewesenen Welle von sozialen Kämpfen. Dies erfordert einen systematischen Versuch, konkrete Alternativen vorzuschlagen, die einen anderen Verlauf der Dinge ermöglichen würden, von den wichtigen Fragen des Verhältnisses zur EU bis zu den Herausforderungen, die sich im alltäglichen Leben stellen.

Diese Art einer konstruktiven Opposition unterscheidet sich grundsätzlich von der Taktik der Kommunistischen Partei, die Syriza nicht nur als bürgerliche Alternative darstellt und dabei die vergangenen fünf Jahre sehr defätistisch interpretiert; sie unterschätzt damit die Wichtigkeit der Massenkämpfe und der massenweisen Verschiebungen bezüglich der politischen Repräsentation. Dies stellt ein extremes Beispiel von «politischem Subjektivismus» dar, indem die Kommunistische Partei eine spezifische historische Situation allein aufgrund ihres eigenen Einflusses beurteilt!

In einigen Segmenten der antikapitalistischen Linken besteht auch die Gefahr, Syriza einfach nur anzuprangern und die Regierung als eine potientiell sozialliberale Regierung zu behandeln. Nach meiner Auffassung wäre dies ein Fehler, denn sie unterschätzt das Ausmass, in dem die neue Situation sich durch die Erwartungen und Forderungen der unteren Klassen weiterentwickeln kann. Schlussendlich stellt sich dann die Niederlage und die Kapitulation der Regierung als eine sich selbst bewahrheitende Voraussage ein. Man könnte zur Ansicht gelangen, dass da eine gewisse theoretische und politische Faulheit besteht, über die Situation nachzudenken, ohne konkrete Alternativen zur Orientierung auf Europa auszuarbeiten, jenseits einer simplen antikapitalistischen Phrasendrescherei, einer Faulheit, die Trost sucht, indem sie einfach nur anprangert und auf die unvermeidliche Niederlage wartet.

Gegenüber der simplen Unterstützung für die Regierung und deren eindimensionalen Anprangerung ist deshalb ein Versuch erforderlich, über eine Strategie der Brüche als einer Strategie des Aufbaus eines «historischen Blockes» zu arbeiten. Das Auftauchen von breiten Bündnissen im Kampf der Arbeiterklasse, der Kulter und der Wissenschaft, der neuen Politisierung der griechischen Gesellschaft, der verschiedenen Formen des Experimentierens mit neuen gesellschaftlichen Praktiken – all dies bestätigt die Möglichkeit eines neuen historischen Blocks, der die führende Rolle in der griechischen Gesellschaft einnehmen, und ein neues Narrativ jenseits des aktuell existierenden Neoliberalismus und in Richtung einer neuen sozialistischen Perspektive ausdrücken kann.

Es liegt auf der Hand, dass die Strategie der Verhandlungen, wie sie von der Führungsgruppe von Syriza eingeschlagen wurde und die gesamte programmatische Orientierung auf eine Lockerung der Austerität (mit der Schaffung eines sozialen Auffangnetzes als Grundlage eines neuen Zyklus von Investition und Wachstum) innerhalb der Eurozone dieser Herausforderung nicht gewachsen ist. Dasselbe gilt jedoch ebenfalls für die simple antikapitalistische Rhetorik.

Wir benötigen eine programmatische Arbeit an einem Plan für den Bruch mit dem Euro und der EU, und über die Frage, wie eine linke Regierung an eine starke Bewegung gebunden werden soll, über die Formen der Macht des Volkes von unten in einer zeitgemässen Ausprägung einer Strategie der Doppelmacht, darüber, wie ein grundsätzlicher, demokratischer Umbau der Institutionen anzugehen ist, wie und was von den gegenwärtigen Erfahrungen in der Selbstverwaltung und der gesellschaftlichen Solidarität zu lernen ist.

Weshalb beharrst Du so auf dem Bruch mit dem Euro und der EU?

Das Ausmass und die Tiefe der griechischen Krise kann nicht unter Ausklammerung der «Europäischen Integration» verstanden werden. Die griechische Krise und die soziale Zerstörung aufgrund der Sparpakete sind ein Ausdruck des zutiefst undemokratischen Charakters und des inhärenten Neoliberalismus des Prozesses der europäischen Integration. Griechenland ist seit 2010 ein riesiges Versuchslabor für die europäischen Institutionen, die Möglichkeiten eines gewaltsamen sozialen Paradigmenwechsel auszutesten. Dies ist nicht die Ausnahme; es wird im Rahmen der EU zum Normalfall werden. Der Euro und die europäischen Verträge sind weder einfach technische noch monetäre Angelegenheiten. Sie führen in Verhältnisse von begrenzter Souveränität, die die aggressivsten Formen kapitalistischer Strategien begünstigen sollen.

In dieem Sinne ist der Kampf gegen den Euro und die EU auch ein Kampf zur Wiederherstellung der Volkssouveränität. Dieser antidemokratische und disziplinierende Aspekt der europäischen Integration wird in den Verträgen und den Mechanismen in der Eurozone offenkundig, mit ihren Strafmechanismen bei grossen Haushaltsdefiziten und auch in der Logik dieses gewalttätigen Vorgehens beim Aufbau des Nationalstaates (Griechenland wurde als eine Art gescheiterter Staat behandelt).

In diesem Sinne kann gesagt werden, dass die Frage der Volkssouveränität eine Klassenfrage wird. Wir brauchen eine demokratische Volkssouveränität, im Sinne einer demokratischen Kontrolle gegenüber der systemischen Gewalt des internationalisierten Kapitals.

Selbstverständlich ist uns die Problematik des Begriffs Volkssouveränität bewusst, gerade in ihrer Verbindung mit Nationalismus, Rassismus, Kolonialismus. Ich spreche hier jedoch über eine Volkssouveränitär, die auf einem gesellschaftlichen Bündnis beruht, im Unterschied von bürgerlichen Vorstellungen davon. Einem Bündnis von breiten Kräften, die Lebensbedingungen, die Solidarität und den gemeinsamen Kampf der unteren Klassen teilen, eine Neuerfindung des «Volkes» (oder gar der «Nation») als einem kollektiven Subjekt des Kampfes und der Befreiung.

Wie ist das Verhältnis von Antarsya zu den sozialen Bewegungen?

Antarsya ist in den meisten sozialen Bewegungen aktiv gewesen. Abgesehen von unserer Basis in der Studentenbewegung haben wir eine starke Präsenz in der Gewerkschaftsbewegung, in der antifaschistischen Bewegung, wie auch in lokalen Bewegungen und Initiativen, deshalb wohl das relaiv gute Wahlresultat von Antarsya in Regional- und Gemeindewahlen. Wir haben ja eine starke Kultur des Aktivismus in Antarsya, und man könnte sagen, dass einer der Gründe, dass wir als Tendenz innerhalb der Linken respektiert werden, der Qualität und dem Dynamismus dieses Aktivismus zuzuschreiben sind.

Dies hat auch zu tun mit der unsektiererischen Haltung der politischen Aktivistinnen und Aktivisten von Antarsya in den Bewegungen und in den Gewerkschaften. Ihre Achtung vor der notwendigen Autonomie und Demokratie in den Bewegungen und ihre Betonung der Einheit im Kampfe steht im Gegensatz zu dem Sektierertum der Kommunistischen Partei, mit deren Beharren auf getrennten «Klassengewerkschaften», getrennten Massenversammlungen, getrennten Aktionstagen, was lediglich zu unnötigen Spaltungen geführt hat und zu einer Unfähigkeit, die Kräfte in entscheidenden Momenten zu koordinieren.

Das heisst, dass unser wichtigstes Ziel darin besteht, auf die eine oder andere Weise zuerst mal überhaupt eine Bewegung zu haben, Massenbeteiligung und Massenmobilisierung, eine Ausweitung der Kämpfe und auf diesem Weg die politischen Kräfteverhältnisse verändern zu können. Und nicht umgekehrt. Dieses Beharren auf der Notwendigkeit von siegreichen Bewegungen bedeutet selbstverständlich, dass wir uns wirklich mit all der entsprechenden Verantwortung engagieren, und in den Bewegungen nicht einfach nur als aussenstehende Agitatoren oder Unterstützer mitarbeiten, oder sie nur als Rekrutierungsfeld benutzen.

Welche Lehren können wir angesichts der Krise der antikapitalistischen Linken und deren möglichen Neuzusammensetzung aus der griechischen Erfahrung ziehen?

Es gibt wichtige Lehren aus der griechischen Erfahrung. Ich weise hin auf die Möglichkeit, dass spezifische Situationen eintreten können, in denen soziale und wirtschaftliche Krisen zusammen mit wichtigen Abfolgen von Kämpfen und Protest in eine Krise der Hegemonie führen können, die ihrerseits die für die Interventionen der Linken wichtige Herausforderungen und Chancen bieten.

Gleichzeitig wurde auch offensichtlich, ausser wenn die antikapitalistische Linke sich den Herausforderungen stellt, eine Situation entstehen kann, wo die reformistische Linke die Initiative ergreifen kann. In solchen Momenten ist der politische Aktivismus in den Bewegungen nicht genug. Dann wird die politische Strategie und ein Programm zum entscheidenden Angelpunkt, sich über das Potential jedes geschichtlichen Wendepunktes Klarheit zu verschaffen.

Man kann sagen, dass die griechische Krise auch als Lakmustest für die Mängel einer bestimmten Art von antikapitalistischer Politik diente, die auf einer Kombination von anti-neoliberalem Widerstand und einer generellen ideologischen Verteidigung des Sozialismus beruhte. Was wir benötigen, ist eine antikapitalistische Linke, die sich der Herausforderung von Hegemonie und Macht stellt und versucht, in Begriffen von potentiellen historischen Blöcken zu denken.

Nur schon die Tatsache, dass vor dem Hintergrund einer tiefen Krise des Neoliberalismus und dem erneuten weltweiten Aufkommen von Massenbewegungen die meisten Strömungen der antikapitalistischen Linken, zumindest in Europa, sich selbst in einer strategischen und ideologischen Krise befinden, sich in verschiedenen Formen des internen Streits verfangen und an die Grenzen ihrer organisatorischen Krise gelangt sind, dies alles macht einen Prozess der kollektiven Selbstkritik extrem dringlich, wie auch Versuche, auf unterschiedlichem Wege Politik zu machen, zu denken und zu erproben.

Ein wichtiger Aspekt dieses Prozess der Selbstkritik muss darin bestehen, dass wir in der aktuellen Situation nicht in Begriffen von historischen Strömungen denken und nicht an traditionellen Versionen des Aufbaus von Organisationen als embrionaler Form der Partei festhalten können.

Wir brauchen stattdessen einen neuen konstituierenden Prozess für eine antikapitalistische Linke, die sich abstützt auf eine nüchterne Analyse der Situation, eine Selbstkritik hinsichtlich unserer früheren Politisierung, eine politische und theoretische Konfrontierung mit den offenen Fragen der Strategie und insbesondere die Dialektik zwischen Übergangsprogramm, linker Regierung und Massenbewegung als Teil einer revolutionären Strategie.

Wir müssen dringend die Strategiedebatte eröffnen, ausgehend von einer wirklichen Konfrontation mit den dringenden Tagesfragen; einer Ablehnung einer simplen Rückkehr zur Autorität der Klassiker; einem Versuch, Begriffe wie «Arbeiterkontrolle» von Schlagwörtern in politische Prozesse und sorgfältige konkrete Ausarbeitungen zu überführen; dem Festhalten an der Erarbeitung von Einschätzungen der Erfahrungen der Bewegungen und der widersprüchlichen Erfahrungen der linken Regierungen in Lateinamerika; und einem Nachdenken über die notweendige Dialektik zwischen «Stellungskrieg» «Bewegungskrieg» im Zusammenhang mit der neoliberalen «passiven Revolution» und der Krise des neoliberalen Paradigmas.

Bei alldem muss die Tatsache akzeptiert werden, dass alle gegenwärtigen Organisationen der antikapitalistischen Linken lediglich Bruchstücke einer langen Geschichte der Krise der revolutionären Bewegung sind, und nicht als die einzigen Träger der politischen Wahrheit gelten können.

Aus diesem Grund nimmt die Form der Front eine strategische Rolle ein in diesem Prozess der notwendigen Neuzusammensetzung der revolutionären Linken. Wir benötigen demokratische Fronten, die verschiedene Strömungen, Gruppen, Empfindlichkeiten, Erfahrungen der antikapitalistischen Linken anziehen und eingliedern und die helfen kann, neue politische Synthesen herauszubilden, die der neuen Situation eher gewachsen sind.

Diese Konzeption der demokratischen Front als einem Laboratorium für die kollektive Ausarbeitung einer Strategie und für die Übersetzung der Erfahrungen der Bewegungen in Praktiken einer Massenpolitik ist in der Tat etwas sehr Wichtiges. Die Geschichte von Antarsya als einer demokratischen Front kann, trotz ihrer vielen Mängel, viel zu dieser Debatte beitragen.

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