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Raus aus der Kohle – durch wen?

Eingereicht on 13. November 2019 – 11:53

Lars Keller. Zum Auftakt der UN-Klimakonferenz ruft „Ende Gelände“ (EG) zur Blockade des Braunkohleabbaus in der Lausitz auf. EG reagiert damit auf das „Klimapaket“ der Bundesregierung, welches einer Aufgabe des 1,5-Grad-Zieles gleichkomme (https://www.ende-gelaende.org/aufruf-lausitz-2019/ ). Der Protest richtet sich dabei nur gegen einen Teil der TreibhausgasemittentInnen. Kraftwerke machen ca. 21 % des jährlichen Treibhausgasausstoßes in Deutschland aus, Sektoren wie Verkehr, Landwirtschaft und vor allem die industrielle Produktion selbst erzeugen deren Großteil.

LEAG

Der Protest in der Lausitz trägt letztlich einen symbolischen Charakter und richtet sich gegen das Versagen der Regierung und gegen einzelne Konzerne – in diesem Fall gegen die LEAG.

LEAG ist bloß der Markenname der Lausitz Energie Verwaltungs GmbH, Lausitz Energie Bergbau AG und der Lausitz Energie Kraftwerke AG, welche ihrerseits dem tschechischen Energiekonzern EPH gehören. EPH setzt seit Jahren auf den billigen Aufkauf fossiler StromerzeugerInnen und spekuliert hierbei auf im Rahmen der Energiewende steigende Strompreise, staatliche Entschädigungen sowie günstige CO2-Zertifikate.

Die ArbeiterInnen der LEAG stehen in der Mehrzahl hinter der Braunkohle und betrachten die Position der Unternehmensführung in den Verhandlungen um den Kohleausstieg als positiv. Das heißt nicht, dass sie die Notwendigkeit von Maßnahmen gegen den Klimawandel durchweg ablehnen, wohl aber, dass sie in der Frage des Ausstiegstempos auf der Seite der LEAG stehen. Eine entsprechende Position nehmen der Betriebsrat und die Gewerkschaft IG BCE ein, welche ihrerseits in der Vergangenheit Demonstrationen für die Braunkohleverstromung organisierten und somit selbst zur ideologischen Bindung der Beschäftigten an Vattenfall bzw. LEAG beitrugen. Angesichts dessen ist es zwar verständlich, dass EG den Kohleausstieg durch Aktionen des zivilen Ungehorsams „selber machen“ will. Verständlich ist auch, dass viele Protestierende die Kraftwerks- und TagebauarbeiterInnen als ihren GegnerInnen betrachten – fatal ist letzteres aber trotzdem.

Warum?

LEAG, Betriebsräten, Regierung und auch manchen Protestierenden ist eines gemeinsam: Sie alle betrachten die Beschäftigten des Energiesektors als passiven Teil der erforderlichen Umstellung der Energieproduktion und allenfalls als Verhandlungsmasse. Das von Konzernen und Regierung vorgebrachte Argument der Jobsicherung ist zwar ohnedies scheinheilig, waren doch in der Lausitz zu Wendezeiten noch rund 80.000 Menschen im Energiesektor beschäftigt. Heute sind davon nach großzügiger Deindustrialisierung, technischer Produktivitätssteigerung und Arbeitsplatzvernichtung noch gut 8.000 übrig, plus die Jobs im Zuliefererbereich. Betriebsräte und Gewerkschaften haben das allenfalls „sozialverträglich“ ausgestaltet. So kommt es, dass die heute übrigen 8.000 Jobs zu den bestbezahlten der Region zählen und ganze Familien daran hängen, auch wenn „nur“ rund 3 % der Erwerbstätigen in der Lausitz direkt im Braunkohleabbau und den Zulieferunternehmen schuften. Die hohe Entlohnung und der drohende Arbeitsplatzverlust bilden sicherlich die wichtigsten Faktoren, warum ein Großteil der Beschäftigten einer umweltschonenden Energieerzeugung mit Skepsis gegenübersteht. Aber auch die Schwäche von EG, konkrete Forderungen und Perspektiven für die Beschäftigten aufzuzeigen, trägt dazu bei. Der für sich genommen richtige Slogan „There are no jobs on a dead planet“ geht an den Sorgen der in der Lausitz Beschäftigten bestenfalls vorbei.

Es gibt jedoch auch noch andere Faktoren der Skepsis: Seit der Wende sorgte die Bundespolitik nicht für die versprochenen „blühenden Landschaften“, sondern für ein durch sozialen Kahlschlag hervorgerufenes – und durchaus berechtigtes – Misstrauen gegenüber der Politik. Gerade weil die soziale Abstiegsangst in Brandenburg und Sachsen mit realen Erfahrungen verknüpft ist, kann die AfD, z. B. indem sie sich stramm hinter die Braunkohle stellt, hier erfolgreich sein.

Hinzu kommt, dass die bisherige Umsetzung der Energiewende – nicht nur in den Augen vieler Beschäftigter – bestenfalls Flickschusterei gleichkommt. Den ArbeiterInnen des Sektors ist bekannt, dass die Gefahr eines Blackouts durchaus real ist. Dabei liegt diese durchaus nicht an der Abkehr von der fossilen oder atomaren Stromerzeugung an sich, sondern vielmehr daran, dass diese unter kapitalistischen Vorzeichen vermittels einer immer härter werdender  Konkurrenz und Profitzwängen notwendigerweise nur chaotisch stattfindet. Staatlichen Regulierungsmaßnahmen kommt hier allenfalls eine Reparaturfunktion zu.

Ein den Produktivkräften entsprechender, schnellstmöglicher internationaler Ausstieg aus der Kohle ohne Stromausfälle und doch in der erforderlichen Eile ist ohne die Kontrolle der Beschäftigten des Energiesektors, ja der ArbeiterInnenklasse insgesamt unmöglich. Nicht nur, dass sie objektiv, geschichtlich kein Interesse daran haben können, sich Profitinteressen von EPH, RWE und Co. unterzuordnen – sie verfügen vor allem über das technische Know-how zur Umsetzung einer wirklichen Energiewende.

Doch das bedeutet auch, eine Politik zu entwickeln und alle politischen Anstrengungen zu unternehmen, um die Lohnabhängigen, einschließlich möglichst großer Teile der ArbeiterInnen der LEAG zu überzeugen und für diese Perspektive zu gewinnen. Um die vermittels der IG BCE und den Betriebsräten umgesetzte Bindung an das Unternehmen aufzubrechen, brauchen AntikapitalistInnen wie in EG auch Forderungen und eine politische Strategie, die die Beschäftigten als AkteurInnen der Energiewende und des Strukturwandels in der Lausitz begreift, nicht als passive Verhandlungsmasse:

  • Energiewende unter Einbeziehung der ArbeiterInnen in der Energiewirtschaft! Für einen demokratischen Plan zur Verwirklichung von Netz- und erneuerbarem Energieausbau sowie zur Entwicklung von Speichertechnologien! Für einen demokratischen Strukturplan in der Lausitz, der für die Ansiedelung von nachhaltigen Industrien sorgt! Für die Kontrolle dessen durch ArbeiterInnenkomitees und Gewerkschaften!
  • Für eine Aufteilung der Arbeitszeit auf alle in der Region Lebenden – bei voller Lohnfortzahlung und Personalausgleich! Für ein öffentliches Programm gesellschaftlich nützlicher Arbeit und dementsprechender Umschulung bei einer Bezahlung, die mindestens dem bisherigen Entgelt entspricht!
  • Lasst die SpekulantInnen und Konzerne für die Energiewende zahlen! Massive Besteuerung der Profite energieintensiver fossiler Industrien! Enteignung des gesamten Energiesektors unter ArbeiterInnenkontrolle!
  • Wenn die Energiewende schnellstmöglich passieren soll, braucht es eigene Kampfaktionen der Beschäftigten! IG BCE und ver.di: Brecht mit den Konzernen, die die Lebensgrundlage der Menschheit zugunsten des Profits zerstören! Für den politischen Massenstreik der ArbeiterInnenklasse, der ein ökologisches Sofortprogramm der ArbeiterInnen selbst durchsetzt!

Quelle: Neue Internationale 242… vom 13. November 2019

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