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Präsident Selenskyj versucht Oberbefehlshaber Saluschnyj abzusetzen

Eingereicht on 4. Februar 2024 – 10:16

Jason Melanovski & Clara Weiss. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat am Montag versucht, den ukrainischen Oberbefehlshaber General Walerij Saluschnyj abzusetzen, indem er ihn zum Rücktritt aufforderte und damit eine neue Etappe in der anhaltenden politischen Krise der ukrainischen Regierung einleitete.

Westlichen und ukrainischen Berichten zufolge forderten Selenskyj und Verteidigungsminister Rustem Umjerow Saluschnyj auf, in aller Stille zurückzutreten und eine weniger einflussreiche Position als Leiter des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats zu übernehmen. Als Saluschnyj das Angebot ablehnte, soll Selenskyj Saluschnyj mit Entlassung gedroht haben, ob er die Degradierung akzeptiere oder nicht.

Die Financial Times berichtete unter Berufung auf zwei Quellen, die mit den Gesprächen vertraut waren: „Selenskyj habe Saluschnyj klar gemacht, dass er unabhängig davon, ob er die Rolle annehme, von seinem derzeitigen Posten entfernt werde“, und dass die Entscheidung, Saluschnyj zu entlassen, getroffen worden sei, obwohl er „möglicherweise erst einige Zeit nach dem Erscheinen von Berichten über die Pläne in den ukrainischen Medien entlassen wird.“

Unmittelbar nach dem Treffen am Montag verbreitete sich über russische und ukrainische Telegram-Kanäle schnell die Nachricht, dass im ukrainischen Staat ein ernsthafter Machtkampf im Gange sei, der die Voraussetzungen für eine mögliche Revolte gegen die Selenskyj-Regierung schaffe.

Innerhalb weniger Stunden sah sich das Verteidigungsministerium gezwungen, die Entlassung von Saluschnyj zu dementieren und veröffentlichte eine offensichtlich übereilte Erklärung auf Telegram: „Liebe Journalisten, wir antworten Ihnen allen sofort: Nein, es ist nicht wahr“, während Selenskyjs Sprecher Sergej Nikiforow ebenfalls erklärte, Selenskyj habe „den Oberbefehlshaber nicht gefeuert.“

Am Dienstag veröffentlichten westliche Zeitungen wie der Guardian, die Financial Times und der Economist ihre eigenen Darstellungen des Treffens. Daraus ging hervor, dass eine Entlassung von Saluschnyj auf den Widerstand der imperialistischen Mächte stoßen würde. Die Financial Times warnte, dass der Schritt „die westlichen Partner der Ukraine verunsichern könnte, darunter auch Militärs, die in den letzten zwei Jahren eng mit dem General zusammengearbeitet haben, um Strategien für das Schlachtfeld zu entwickeln.“

Der Bericht von BBC Ukraine zitierte „Gesprächspartner der BBC“ innerhalb der ukrainischen Behörden, die berichteten, dass „Kiews westliche Partner in die Situation eingegriffen und ihre scharfe Missbilligung des Rücktritts von Saluschnyj zum Ausdruck gebracht haben. Diese Version lässt sich recht einfach begründen. Die Ukraine ist nun vollständig von westlicher Militär- und Finanzhilfe abhängig. Außerdem versprechen die kommenden Tage entscheidend zu werden, wenn es darum geht, Kiew mit milliardenschweren Tranchen europäischer und amerikanischer Unterstützung zu versorgen.“

BBC Ukraine merkte an, dass Selenskyj derzeit auch keinen Ersatz für Saluschnyj habe, da seine beiden Favoriten – Kiril Budanov, derzeit Chef des militärischen Nachrichtendienstes, und der Befehlshaber der Bodentruppen Oleksandr Syrskyi – es beide bereits abgelehnt hätten, den Posten von Saluschnyj zu übernehmen.

Illja Ponomarenko, ein Kriegsberichterstatter für den Nato-freundlichen Kyiv Independent, der früher aus dem neonazistischen Asow-Bataillon berichtete, schrieb auf X/Twitter: „Wenn Sie mich fragen, wäre die Entlassung von General Saluschnyj natürlich ein massiver Schuss nicht nur ins Bein, sondern auch in den Kopf, genau dorthin. Saluschnyj hat seinen Ruf als eiserner General und nationaler Retter, die Verkörperung der ukrainischen Streitkräfte, die dieses Land gegen einen so furchterregenden Feind wie Russland gerettet haben.“

Ponomarenko fuhr bedrohlich fort: „Es ist ein Schuss in den Kopf. Der apokalyptische Aufruhr, der jetzt aufgrund von Gerüchten auf Telegram [über die Entlassung von Saluschnyj] stattfindet, ist ein Spaziergang im Vergleich zu dem, was passieren würde, wenn Selenskyj wirklich einen Entlassungsbefehl unterzeichnet.“

Durch den Krieg ist Saluschnyj zu einer der mächtigsten Persönlichkeiten des Landes geworden und lag in den letzten Monaten in den Umfragen weit vor Selenskyj. Er war ein wichtiger Verbindungsmann zur Nato und zu US-Militärs, darunter Mark Milley, der Vorsitzende der Generalstabschefs. Gleichzeitig hat Saluschnyj nie einen Hehl aus seiner Bewunderung für den ukrainischen Faschistenführer Stepan Bandera gemacht und ist wiederholt mit rechtsextremen Utensilien fotografiert worden. Als Oberbefehlshaber hat er Neonazi-Formationen wie das in die ukrainischen Streitkräfte eingegliederte Asow-Bataillon beaufsichtigt und ist ihnen zweifellos eng verbunden.

Nach Angaben der ukrainischen Nachrichtenagentur ZN.ua wurde die Absetzung von Saluschnyj von der Regierung Selenskyj als „nur das erste Glied in der Kette der personellen Veränderungen in der Führung der Streitkräfte der Ukraine und der politischen Führung des Landes“ betrachtet.

Unmittelbar vor Selenskyjs Treffen mit Saluschnyj gab der ukrainische Inlandsgeheimdienst (SBU) bekannt, dass er im Verteidigungsministerium einen Korruptionsskandal im Umfang von vierzig Millionen Dollar aufgedeckt hat, das bei der Beschaffung von Mörsergranaten entstand. Korruptionsvorwürfe werden von der ukrainischen Oligarchie regelmäßig als Mittel eingesetzt, um politische Rivalen auszuschalten. Selenskyj hat den Kampf gegen „Korruption“ zum bevorzugten Vorwand für wiederholte Säuberungen im Staatsapparat und in Teilen des Militärs gemacht.

Der gescheiterte Versuch Selenskyjs, Saluschnyj zu entlassen, ist der bisher deutlichste Ausdruck einer tiefen politischen Krise und eines Machtkampfs in der ukrainischen herrschenden Klasse und im Staatsapparat.

Nach dem von den USA und der EU unterstützten Putsch in Kiew im Februar 2014 hat die Nato fast ein Jahrzehnt damit verbracht, die Ukraine zu einem Vorposten für einen Krieg mit Russland auszubauen und die russische Invasion, die im Februar 2022 folgte, systematisch zu provozieren. Doch nach den anfänglichen Erfolgen des ukrainischen Militärs im Jahr 2022 bei der Zurückdrängung der russischen Streitkräfte in Teilen der Ostukraine endete die von der Nato unterstützte Gegenoffensive im Frühjahr/Sommer 2023 in einem völligen Desaster mit 125.000 Toten und ohne Gebietsgewinne.

Man geht heute davon aus, dass in den ersten beiden Jahren des Krieges mindestens 400.000 ukrainische Soldaten – fast ein Prozent der Vorkriegsbevölkerung – getötet und noch viel mehr verwundet wurden. Als Reaktion auf das militärische Debakel versucht die Regierung Selenskyj jedoch, den Krieg nicht nur fortzusetzen, sondern ihn auszuweiten.

Das neue Jahr begann mit der Ankündigung, dass eine weitere halbe Million Männer eingezogen werden sollen. In den letzten Wochen hat die Ukraine Ziele tief in Russland angegriffen. Letzte Woche beschoss das ukrainische Militär zunächst einen Markt in der Ostukraine, wobei 27 Zivilisten getötet wurden, und schoss dann ein russisches Flugzeug ab, das Dutzende ukrainische Kriegsgefangene an Bord hatte. Ebenfalls in der vergangenen Woche erließ die Regierung Selenskyj ein Präsidialdekret, in dem sie große Städte und Gebiete im Süden und Südwesten Russlands, darunter Belgorod, Kuban und Woronesch, als „historisch von Ukrainern bewohnt“ bezeichnete.

Diese Schritte zur Eskalation des Krieges erfolgten, nachdem sich in der Bevölkerung erstmals eine wachsende Antikriegsstimmung bemerkbar gemacht hatte. Seit Oktober gehen Familien von Soldaten im ganzen Land auf die Straße, um die Rückkehr ihrer Ehemänner, Söhne, Brüder und Väter in die Heimat zu fordern. Am vergangenen Wochenende kam es erneut zu Demonstrationen von Soldatenfamilien in Odessa.

Unter diesen Umständen sind die Spannungen zwischen dem Präsidenten und der Armeeführung, die schon seit einiger Zeit schwelen, offen zutage getreten. Im Oktober letzten Jahres hatte Saluschnyj ein großes Interview im britischen Economist gegeben, in dem er zugab, dass sich die Ukraine in einer katastrophalen militärischen Lage befinde und der Krieg eine „Pattsituation“ erreicht habe. Seine Aussagen lösten wütende Dementis von Selenskyj und seinen Kabinettsmitgliedern aus.

Kurz darauf beschlossen Selenskyj und sein Gefolge, die für dieses Jahr angesetzten Präsidentschaftswahlen abzusagen, bei denen Saluschnyj weithin als Selenskyjs Hauptkonkurrent galt. In offener Befürwortung diktatorischer Herrschaftsformen erklärte Selenskyj damals: „Und wenn wir einen politischen Streit beenden und in Einheit weiterarbeiten müssen, gibt es im Staat Strukturen, die in der Lage sind, ihn zu beenden und der Gesellschaft alle notwendigen Antworten zu geben.“

Am selben Tag, an dem Selenskyj die Annullierung der Wahlen bekannt gab, wurde einer der engsten Mitarbeiter und Freunde von Saluschnyj durch eine Handgranate getötet, die ihm von einem Angehörigen des Militärs als „Geburtstagsgeschenk“ nach Hause geliefert worden war.

#Titelbild: Saluschnyj mit Soldaten in einem Büro, das mit Büsten und Porträts von Stepan Bandera und anderen ukrainischen Faschisten geschmückt ist.

Quelle: wsws.org… vom 4. Februar 2024

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