Bundesrat zu Corona: Lieber Profite als Gesundheit!
Dersu Heri. Die gestern angekündigten Massnahmen der Schweizer Regierung sind unzureichend. Sie geht total leichtfertig mit der Gesundheit und den Ängsten der Bevölkerung um. Weil sie lieber die Profite der Reichen schützt als Menschenleben.
Die gesundheitliche Krise rund um die Corona-Epidemie ist sehr ernst. Binnen 24 Stunden kamen in der Schweiz 267 neue Fälle (Stand: Freitag 13 Uhr) hinzu. Die Verbreitungszahlen sehen inzwischen ähnliche oder gar schnellere Verläufe wie für Italien vor. Berechnungen, wonach sich bis zu 50% der Bevölkerung (Angela Merkel sprach gar von 70%) anstecken könnten, sind inzwischen weit verbreitet.
Regierung und Kapitalisten völlig überfordert
Im Verhältnis dazu sind die bisher von den Entscheidungsträgern in Regierungen und Unternehmen getroffenen Massnahmen klar ungenügend. Abgesehen von vereinzelten lokalen oder kantonalen Eingriffen gab es vom Bundesrat in den entscheidenden ersten Wochen nur platte Empfehlungen. Über Händewaschen und Vermeiden von Pendlerzügen zu Stosszeiten (wann sollen wir dann sonst den Zug nehmen?) – alles wird fast ausschliesslich den Einzelpersonen überlassen. Selbstverständlich sollen wir alle im Alltag und im sozialen Verhalten Vorsicht walten lassen. Doch bei einer Epidemie, die schon nur in der Schweiz Millionen von Leuten treffen könnte, ist das offensichtlich unzureichend.
Das Schweizer Gesundheitssystem ist der Situation nicht im Ansatz gewachsen. Sogar gemäss «unrealistisch optimistischen Annahmen» wären sehr bald 4000 Betten in Intensivstationen aufs Mal nötig, um alle schwer Erkrankten zu betreuen. Doch sogar bei einer schnellen Aufstockung um 30% stünden aktuell nur 875 Intensivbetten und nur 850 lebenswichtige Beatmungsgeräte für diese 4000 Coronafälle zu Verfügung!
Während der aktuellen Krisensituation entblössen diese massiven Mängel auf brutalste Art und Weise den kritischen Zustand des Schweizer Gesundheitssystems. Seit 1998 wurden in der Schweiz fast 10’000 Spitalbetten gestrichen, während die Bevölkerung um 1.3 Millionen Menschen angestiegen ist. Die miserable Situation im Gesundheitssektor zeigt sich insbesondere beim Pflegepersonal: 72% der Pflegenden leiden regelmässig unter körperlichen Beschwerden, 70% fühlen sich während der Arbeit ständig gestresst und 87% haben nicht genügend Zeit für ihre PatientInnen (siehe hier).
Wieso können wir uns in der steinreichen Schweiz denn kein anständiges Gesundheitssystem leisten? Weshalb ist schon in «normalen» Zeiten das Personal völlig überarbeitet und werden so Menschenleben riskiert? Und wieso ist unser Gesundheitswesen überhaupt nicht auf so eine Epidemie vorbereitet? Schliesslich handelt es sich beim Corona um den fünften hochaggressiven Virus der letzten 17 Jahre.
Profite statt Gesundheit
In seiner Notfall-Ansprache vom Freitagnachmittag lieferte der Bundesrat keinerlei Antworten auf diese drängenden Fragen. Erneut entschied sich die Regierung, keine wirklich wirksamen Massnahmen zur Eindämmung des Virus zu ergreifen. Das Schliessen der Schulen schützt nur einen kleinen Teil der Bevölkerung und wird die Verbreitung des Virus nicht konsequent eindämmen. Zudem sollen die Menschen als Einzelpersonen mit Restaurant- und Discoverboten weiter diszipliniert werden. Mit solchen Minimalmassnahmen wird sicherlich keine globale Epidemie bekämpft.
Nur in einem Bereich scheint des Bundesrat tatsächlich effizient zu handeln: beim unbändigen Schutz der Privatwirtschaft. Diese soll möglichst ungestört weiterlaufen – der Rubel muss rollen. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Grenzgänger aus der norditalienischen Quarantäne weiterhin täglich zum Pendeln ins Tessin genötigt werden, nur um darüber hinaus an den Grenzposten noch zusätzlich schikaniert zu werden. Alle ArbeiterInnen müssen weiterhin zur Arbeit, die überfüllten Pendlerzüge nehmen und sich in den Büros und Produktionshallen zusammenpferchen. Es wurden keinerlei Massnahmen getroffen, welche die Lohnabängigen dort schützen, wo sie den Grossteil ihres Tages verbringen müssen!
Stattdessen versprach der Bundesrat den Unternehmen zehn Milliarden Franken, um die wirtschaftlichen Auswirkungen des Virus aufzufangen. Nochmals: null Franken für das Gesundheitssystem, zehn Milliarden Franken für die Sicherung der Profite der Patrons! Der Coronavirus zeigt ganz deutlich, auf welcher Seite die Regierung und der Staat stehen. Was gestern Nachmittag verkündet wurde, ist nur die konsequente Weiterführung von jahrzehntelanger Politik des Abschiebens der Kosten der Krisen auf die Lohnabhängigen. Nach den Steuergeschenken für Reiche und Konzerne, und Lohnkürzungen sowie Sparmassnahmen für die ArbeiterInnen und Jungen, sollen die Lohnabhängigen jetzt die Kosten der Epidemie buckeln.
Corona: Der Tropfen im Fass
Dies ist keinesfalls ein Zufall: Der Schweizer Wirtschaft, wie auch der ganzen Weltwirtschaft, geht es schlecht. Seit 2008 befindet sich der Kapitalismus in der tiefsten Krise seiner Geschichte. Und keines der grossen Probleme wurde überwunden. Seit zwei Jahren mehrten sich die Zeichen für einen neuen, tieferen Einbruch. Der Schweizer Kapitalismus hielt sich relativ gut, doch auch hier sind dunkle Wolken aufgezogen. In der MEM-Industrie gingen beispielsweise die Auftragseingänge im Jahr 2019 um über 15% zurück (hier zur ausführlichen Analyse über den Zustand des Schweizer Kapitalismus). Wie die Weltwirtschaft ist auch der Schweizer Kapitalismus extrem instabil. Der Coronavirus war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Die Schweizer Börse erlebte am Donnerstag ihre grössten Verluste seit 1988.
Anders gesagt: Der Schweizer Kapitalismus wackelt heftigst und hat den Schutz durch die Regierung bitter nötig. Deshalb müssen alle ArbeiterInnen weiter zur Arbeit. Deshalb werden Milliarden in die Wirtschaft gepumpt. Deshalb ist und bleibt das Gesundheitssystem massiv unterfinanziert. Doch dafür nehmen die Regierenden und Konzernchefs einen riesigen Preis in Kauf: nichts weniger als die Gesundheit tausender oder gar Millionen lohnabhängiger Menschen.
Um den Klassencharakter der Wirkung des Coronavirus nochmals zu unterstreichen: Zwar kann der Virus alle anstecken, aber die Reichen und Mächtigen sind dennoch deutlich weniger betroffen. Einerseits können sie mit Chauffeuren, 1.-Klasse-Tickets oder gar Privatjets und privaten Opernvorführungen die Öffentlichkeit meiden. Andererseits sich in Privatkliniken gründlich testen und behandeln lassen.
Die Klasse der Chefs soll für die Coronakrise bezahlen!
In der aktuellen Extremsituation wird immer deutlicher, was auch schon für «normale» Zeiten der Fall ist: Der kapitalistische Markt kann die Grundbedürfnisse nach Sicherheit und Gesundheit nicht befriedigen. Wie auch bei der Klimakatastrophe sehen wir, dass der Kapitalismus buchstäblich das menschliche Leben und den Planeten angreift. Individuelles Verhalten von Einzelpersonen (Händewaschen und Social Distancing) ist richtig, doch es ist bei weitem nicht ausreichend, um die Krise zu bändigen! Wir brauchen dringend effiziente, sozialistische Massnahmen, um die Coronakrise zu überwinden.
Alle nicht-essentiellen Arbeiten müssen sofort eingestellt werden, um die Ausbreitung der Krankheit zu stoppen. Allen ArbeiterInnen muss durch die Unternehmen der volle Lohn ausbezahlt werden – auch Temporär- und auf Stundenbasis Angestellten. Die vom Bundesrat am Freitag versprochenen Kurzarbeitergelder stammen zu einem grossen Teil aus Lohnabgaben, d.h. werden von den Lohnabhängigen selber bezahlt. Die Bosse sind Schuld am kaputten Gesundheitssystem, sie sollen für die Coronakrise bezahlen!
Am Arbeitsplatz müssen umfassende Sicherheitsmassnahmen auf Kosten der Patrons garantiert werden. Die Unternehmen müssen die Betreuung der Kinder der Angestellten organisieren und bezahlen. Wenn sie behaupten, dass sie kein Geld dafür haben, sollen sie das beweisen und ihre Geschäftsbücher für die Belegschaften öffnen.
Es braucht einen gross angelegten Plan, um neues Gesundheitspersonal anzustellen und flächendeckend Intensivbetten bereitzustellen. Dazu sollen möglichst viele der zwei Millionen Quadratmeter (!) leerstehender Büroräume (sprich: Spekulationsobjekte der Kapitalisten) verstaatlicht und in Notfallstationen umfunktioniert werden. Gleiches gilt für Hotels und Villenanlagen. Die Interessen und Besitztümer ein paar weniger Bonzen sind auf keinen Fall wichtiger als das Leben tausender Menschen!
Unternehmen, die seit über einem Jahrzehnt nur dank billigen Krediten überleben und die jetzt erneut vom Staat gerettet werden müssen, haben jegliche Legitimität verloren. Sie müssen verstaatlicht werden, um die Jobs der ArbeiterInnen zu retten. Dies bedeutet auch, dass die Banken, speziell die beiden serbelnden Grossbanken, verstaatlicht werden müssen. Ihre kurzsichtigen Spekulationen auf den Finanzmärkten riskieren Millionen von Arbeitsplätzen und die Hypotheken tausender Familien. Ihre riesigen Geldberge sollen genutzt werden, um die dringend benötigten Investitionen im Gesundheitssektor zu tätigen. Zudem soll die Pharmaindustrie sofort verstaatlicht werden: Es ist absolut kriminell, Menschenleben zu riskieren, nur weil die Unternehmen mit Tests, Medikamenten oder Impfstoffen Profit machen.
Dieses Programm scheint radikal. Es entspricht jedoch gänzlich der aktuellen aussergewöhnlichen Situation. In der Schweiz war die wirtschaftliche und politische Situation über Jahrzehnte verhältnismässig stabil. Dies ist sich am Ändern. Die Coronakrise hat gezeigt, dass diese Stabilität zunehmend auf wackeligen Beinen steht. Die Unfähigkeit der Regierung und Unternehmer, effizient gegen den Virus vorzugehen, wird das Vertrauen der Lohnabhängigen und Jugend in das System nachhaltig beschädigen. Es offenbart sich klarer, dass das kapitalistische System völlig unfähig ist, den Menschen ein sicheres, gesundes Leben zu garantieren. Deshalb gehört es gestürzt! Dies ist heute so deutlich und dringend wie nie!
Quelle: derfunke.ch… vom 21. März 2020
Tags: Arbeitswelt, Covid-19, Gesundheitswesen, Sozialdemokratie
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