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Leben unter Corona – aus der Sicht eines Lehrers

Eingereicht on 30. März 2020 – 9:23

Ein Lehrer aus Baden-Württemberg. Notfallbetreuung, E-Learning, Erklärvideos, Schulclouds und vieles mehr prasselt derzeit auf uns LehrerInnen nieder. Wurden wir Anfang Februar und bis nach den Faschingsferien hinweg noch darüber informiert, dass die Schließung von Schulen nicht in Frage käme, ging es dann zwei Wochen später doch recht schnell. Innerhalb weniger Tage wurde beschlossen – Schule zu, Computer an. Aber wie?

Das dachten sich nicht nur ich und meine KollegInnen, sondern vor allem auch die SchülerInnen und Eltern. Im Gegensatz zur weitverbreiteten Meinung, dass sich die SchülerInnen auf „Coronaferien“ und „Corona-Parties“ freuen würden, bekam ich von meinen Klassen eher die Frage gestellt „Und wie lernen wir jetzt weiter?“ – „Gute Frage, da muss ich erst mal drüber nachdenken.“ Die SchülerInnen wurden am letzten Freitag nach Hause geschickt und zwei Stunden später stand es dann fest. Auch hier in Baden-Württemberg werden die Schulen geschlossen. Perfektes Timing, eine Kommunikation mit den SchülerInnen, Eltern und dem Kollegium war so nun auch nicht mal in kleinem Maßstab möglich.

Ausbaden durften es dann zuerst wir LehrerInnen und nun im laufenden Betrieb des E-Learning zusätzlich die Eltern. Über das Wochenende sollten Notfallmaterialien für einen nicht näher definierten Online-Unterricht erstellt werden. Ohne über die technischen Gegebenheiten meiner SchülerInnen zuhause Bescheid zu wissen, blieb mir nichts anderes übrig, als ins Blaue zu planen: „Haben überhaupt alle meine SchülerInnen Zugang zu einem PC?“ „Ist ein Elternteil womöglich selbst im Homeoffice und benötigt den PC selbst?“ „Gibt es Geschwisterkinder aus anderen Klassen in der gleichen Familie, die sich vielleicht einen PC teilen müssen?“ Auch in der Schule zeigt sich nun mal die unterschiedliche soziale Herkunft der SchülerInnen. Ich konnte nicht einfach davon ausgehen, dass jedeR meineR SchülerInnen einen eigenen PC zur Verfügung hat.

Ich entschied mich pragmatisch und bereitete Unterricht entlang des Schulbuches vor. Digital daran ist nur die PDF-Datei, welche die Eltern von mir geschickt bekommen und in welcher die Aufgaben stehen.

Es ist aber nicht so, als würde es an digitalen Angeboten mangeln. Wir bekommen derzeit über unsere Schuladressen gefühlt stündlich Werbeangebote von AnbieterInnen digitaler Lernmaterialien. Von kostenlosen Testversionen bis hin zu kostenlosen Schullizenzen während der Corona-Krise ist alles dabei. Die Unternehmen versuchen, den Markt aktiv und aggressiv unter sich aufzuteilen, und erhoffen sich jetzt schon einen Marktvorteil, wenn Corona wieder vorbei ist. Marktperversion at its best!

Im Grunde zeigt diese Situation doch nur wieder sehr deutlich auf, dass in einer unruhigen Zeit die Bildung von Jugendlichen davon abhängt, wie dick der Geldbeutel der Eltern ist. Können diese Kinder letzterer sich doch mit ihrer technischen Ausstattung der großen Online-Bildungsangebote bedienen und haben im Durchschnitt eine bessere Unterstützung durch Eltern, da diese weniger stark davon betroffen sind, sich durch Kurzarbeitsbezüge über Wasser zu halten, durch Hartz IV und durch „digitale Behördengänge“ zu quälen, um sicherzustellen, dass im nächsten Monat auch genügend Geld für das Essen vorhanden ist.

Quelle: arbeiterinnenmacht.de… vom 30. März 2020

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