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Kuba – Heroismus im Kampf gegen Covid-19?

Eingereicht on 26. August 2020 – 11:04

Paolo Gilardi. Nicht selten liest man in so genannten sozialen Netzwerken glühende Lobeshymnen auf «das kubanische Volk und die kubanische Regierung», die zur gleichen Zeit, in der Trump der WHO die Lebensadern kappt, medizinische Teams in alle vier Himmelsrichtungen der Welt schickt. Während dies berechtigte Bewunderung hervorruft, so muss doch näher hingeschaut werden.

Wie der in Kuba geborene amerikanische Akademiker und Aktivist Samuel Farber – https://newpol.org – aufzeigte, ist der Export von Gesundheitspersonal die wichtigste Devisenquelle für die kubanische Wirtschaft, noch vor den Überweisungen kubanischer Emigranten und den Einnahmen aus dem Tourismus.

Untergrabung eines Vorzeigeprodukts

Abgesehen von den positiven Auswirkungen für die Bevölkerungen, die von der kubanischen medizinischen Hilfe profitiert haben, ähnelt der umfangreiche Einsatz von medizinischen Teams in verschiedenen von der Pandemie betroffenen Ländern stark einer der klassischsten Werbeaktionen. Das Ziel ist eindeutig die Förderung des Exports medizinischer Dienstleistungen, die im Jahr 2019 46% der kubanischen Exporte und mehr als 6% des BIP ausmachten: ein echtes Vorzeigeprodukt!

In den letzten zwei Jahren wurde die Bevölkerung Kubas jedoch von einer Reihe politischer Entscheidungen geplagt. Auf die von Jaïr Bolsonaro beschlossene Ausweisung von 8.500 kubanischen Ärzten folgte ein Jahr später die Ausweisung von 700 Ärzten nach dem Staatsstreich in Bolivien und die einseitige Entscheidung der Regierung Lenin-Moreno vom 11. November 2019, das Programm der medizinischen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Ecuador und Kuba zu beenden. Für Kuba geht dadurch eine enorme Einnahmequelle in der Größenordnung von 6 bis 8 Milliarden Dollar verloren.(1)

In anderen Zusammenhängen hat der Export medizinischer Dienstleistungen dazu geführt, dass Produkte, die für die kubanische Wirtschaft unentbehrlich sind, wie z.B. Öl, zu Vorzugspreisen gehandelt werden, wie im Falle Venezuelas. Die Verschärfung der US-Sanktionen gegen die venezolanische Regierung und der Zusammenbruch der venezolanischen Rohölförderung – die jetzt auf weniger als 40% der Menge zum Zeitpunkt des Todes von Chávez im Jahr 2014 gesunken ist – verschärfen die Situation jedoch.

Infolgedessen ist seit September letzten Jahres in Kuba die Verteilung von elektrischer Energie – die mit Öl produziert wird – mehrmals täglich unterbrochen worden, außer in bestimmten Gebieten der Hauptstadt, in denen die Ministerien und Botschaften angesiedelt sind. Zusammen mit dem Treibstoffmangel, der gerade den Warentransport brutal beeinträchtigt – der Transport auf der Schiene wird auf das Allernotwendigste reduziert –, führen Stromausfälle zu einem starken Rückgang der Arbeitsproduktivität in Industrie und Dienstleistungen.

Hungrig in der Dunkelheit

Auch in der Landwirtschaft sinkt die Produktivität, da ohne die monatliche Subvention von 200 Litern Öl, die seit September letzten Jahres nicht mehr gezahlt wurde, eine erzwungene Rückkehr zur Tiertraktion stattgefunden hat. «Was ich früher in einer Stunde mit meinem Traktor geschafft habe, braucht mit den Ochsen nun einen Tag»(2), sagte kürzlich ein Landarbeiter aus der Region Camagüey gegenüber Radio Suisse Romande(3). Und wenn man nicht einmal die Ochsen hat, um die Traktoren zu ersetzen?

Dieser Produktivitätsrückgang verschärft die ohnehin schon besonders prekäre Situation einer Landwirtschaft, in der die Hälfte des Ackerlandes von einem besonders invasiven Strauch namens Cuba marabù bedrängt wird.

Dieser dornige Strauch kam wahrscheinlich im Darm von Kühen auf die Insel, die zu Herden gehörten, die in den 1990er Jahren aus Afrika importiert wurden, und lässt sich wegen der Tiefe seiner Wurzeln nur sehr schwer herausziehen. So hatten sich die Kubaner damit abgefunden, den Strauch zu roden, ihn abzuholzen, und auf diese Weise sehr große Mengen an Holz anzuhäufen, das sie aufgrund eines mit der Obama-Administration abgeschlossenen Abkommens zur Herstellung von Zellulose in die Vereinigten Staaten exportieren durften.

Nach der Kündigung dieses Abkommens durch die Trump-Administration sah sich Kuba mit enormen Holzmengen konfrontiert und schnitt schließlich keine Sträucher mehr, was zu einer raschen und nachhaltigen Ausbreitung des Marabù führte.

Die Auswirkungen dieser Entwicklung ließen nicht lange auf sich warten: Nach den ersten Alarmmeldungen Ende letzten Jahres wurde Lebensmittelknappheit in den Großstädten, in denen zudem der Strom für mehrere Stunden am Tag fehlt, zur täglichen Realität.

Helms & Burton Gesetz

Und sicherlich wurde die Lage durch die US-amerikanische Entscheidung vom Mai 2019, die Abschnitte II und III des Helms & Burton-Gesetzes anzuwenden, das 1996 verabschiedet wurde, nicht besser – ganz im Gegenteil!

Die beiden Abschnitte dieses Gesetzes, die im vergangenen Jahr zum ersten Mal in Kraft traten, ermöglichen es jedem Kubaner oder US-Bürger, der durch das Castro-Regime «seines Eigentums beraubt» wurde, rechtliche Schritte gegen Unternehmen einzuleiten, die in Kuba investieren oder dort Handel treiben. Sie haben eine schädliche Wirkung auf die Investitionen in einer Zeit, in der das kubanische Regime sehr tolerant gegenüber ausländischen Investoren ist.

Zusätzlich zur Aktivierung dieser umstrittenen Helms & Burton-Regelungen wurden von der Trump-Administration weitere Maßnahmen ergriffen. So könnte zum Beispiel die Begrenzung der monatlichen Überweisungen der Auswanderer in die Vereinigten Staaten an die in Kuba verbliebenen Familien auf 1.000 US-Dollar begrenzt werden; dies würde nach Schätzungen den Geldfluss um 20-30% reduzieren.(4) Ähnliche Auswirkungen ergeben sich aus der Beschränkung der Genehmigungen, die US-Bürgern für Reisen nach Kuba erteilt werden(5), der Abschaffung der Genehmigungen für Fahrten auf die Insel – auch für Kreuzfahrten – und der Beschränkung der Flüge zum Flughafen von Havanna.

Was den Tourismus anbelangt – der im vergangenen Jahr bereits um 9,3 % zurückgegangen ist – so schätzt man, dass die derzeitige Grenzschließung die kubanische Wirtschaft monatlich rund 140 Millionen Dollar kostet.

Das Ergebnis ist offensichtlich: Ende April waren 16% der kubanischen Familien nicht mehr in der Lage, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen.(6) Auch auf dieser Ebene akzentuiert sich die Kluft zwischen «los cubanos que van à pié»(7) und der neuen Schicht von Begünstigten der wirtschaftlichen Öffnung für den Privatsektor, die in Kuba im Gange ist.

Die Chance der Pandemie ergreifen

Nachdem sie sich in wichtigen Formen der Wiederherstellung des Privateigentums engagiert und der SNCF und der russischen RZD 2018 das Eigentum an der Eisenbahn – und an der mehr als strategisch wichtigen Strecke Havanna-Santiago – übertragen hat, scheint die Regierung versucht zu sein, die Gelegenheit der Pandemie, deren Auswirkungen auf das BIP auf einen Rückgang von 3,7% geschätzt werden(8), zu ergreifen, um die neoliberalen Strukturreformen zu beschleunigen.

Angeregt durch das sehr offizielle Zentrum für das Studium der kubanischen Wirtschaft (MOEL) zeichnet sich eine Reihe von Reformen ab, die eher die Konturen von neoliberalen Gegenreformen annehmen. Die erste zielt darauf ab, das Doppelwährungssystem abzuschaffen – den kubanischen Peso, CUP, für Kubaner und den an den Dollarkurs angeglichenen CUC für Ausländer – zugunsten einer einzigen Währung, des CUC, was potenzielle Investoren beruhigt. Für die kubanische Bevölkerung könnten die Auswirkungen insofern katastrophal sein, als die Existenz der nationalen Währung wegen der damit verbundenen Preisabsprachen für sie ein Schutz darstellt.

Und dies könnte umso mehr der Fall sein, als die neue, 2019 verabschiedete Verfassung der Verwaltung sehr weitreichende Befugnisse einräumt, bestimmte soziale Schutzmaßnahmen flexibler und begrenzter zu gestalten, um ausländische Investoren anzuziehen.(9)

Gleichzeitig würde eine weitere Begünstigung des Privatsektors darin bestehen, die Liste der Produkte zu erweitern, die in ausländischer Währung gekauft werden können, um so die normalerweise für 2022 vorgesehene Verabschiedung eines Gesetzes «über Handelsgesellschaften, Verbände und Unternehmen» zu beschleunigen, das weitgehend in die Hände privater Interessen spielt. Viele Experten aus den MOEL bestehen ihrerseits auf der «notwendigen Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor» bei der Festsetzung der Preise für landwirtschaftliche Produkte.(10)

Viele Ökonomen in den MOEL fordern auch eine Beschleunigung des Prozesses der Verabschiedung des Landgesetzes. Ursprünglich für 2022 geplant, stellt das neue Gesetz einen fundamentalen Bruch mit der revolutionären Vergangenheit dar, da es nicht weniger als … «die Privatisierung von Land» vorsieht.

Am Ende des Tages…

Zwischen dem Wunsch zu glauben und der glückseligen Bewunderung auf der einen Seite und den traurigen Realitäten auf der anderen Seite muss daher die kalte Analyse der letzteren auferlegt werden. Leider…

Fussnoten

  • Zum Vergleich: Kubas BIP im Jahr 2018 betrug 97 Milliarden US-Dollar.
  • Es sei darauf hingewiesen, dass Traktoren, wie die meisten landwirtschaftlichen Maschinen, noch aus der Zeit der sowjetischen Hilfe – aus den 1970er und 1980er Jahren – stammen und nicht nur unter Veralterung, sondern auch unter zunehmenden Schwierigkeiten bei der Ersatzteilbeschaffung leiden.
  • RTS la première, 29. Januar 2020, Programm « Tout un monde »
  • Ricardo Torres, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Havanna « El rompecabeza economico cubano frente a la pandemia », Nueva Sociedad, Mayo 2020
  • Eine erste Einschränkung war bereits früher von der Trump-Administration eingeführt worden, die nur Aufenthalte in Kuba genehmigte, die dazu dienen sollten, «diesem Volk zu helfen, sich vom kommunistischen Joch zu befreien».
  • Torres, a.D.
  • «Die Kubaner, die zu Fuß gehen», d.h. diejenigen, für die das Automobil nichts weiter als ein unerreichbarer Traum ist. Der Begriff wird häufig verwendet, um diejenigen zu bezeichnen, die von der Öffnung des privaten Sektors zurückgelassen werden.
  • Torres, Id.
  • P. Gilardi: http://rproject.it/2019/03/cuba-cosi-e-se -ci-pare/
  • Torres, Id.
  • Id.

Quelle: rproject.it… vom 26. August 2020; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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