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Friedrich Engels zum 200. Geburtstag

Eingereicht on 10. November 2020 – 9:15

Gerald Falke. Anlässlich des Geburtstagsjubiläums von Friedrich Engels bietet sich die Gelegenheit, im Rückblick die Bedeutung seiner Leistungen zu resümieren. In den üblichen Einschätzungen erscheint er oft lediglich als eine Art Schattenexistenz von Karl Marx. Sofern die Unterschiedlichkeit der beiden betont wird, gilt Engels oft als der Empiriker gegenüber dem Theoretiker Marx, als passiver Poet gegenüber dem aktiven Philosophen oder gar als der Reformer gegenüber dem Revolutionär. Manche werfen Engels sogar vor, er habe die Marx’sche Theorie naturalisiert und eine Grundlage für verschiedene Probleme und Fehlentwicklungen geschaffen.

Ein Leben gegen Ausbeutung und Unterdrückung

Am 28.11.1820 wurde Engels in der preußischen Stadt Barmen als Sohn einer Unternehmerfamilie geboren. Diese galt als pietistisch fromm. In seinem Umfeld waren durch den Einfluss der bürgerlichen Revolution in Frankreich und Napoleons Eroberungen die feudalen Lebensbedingungen vorübergehend bereits den bürgerlichen Verhältnissen mit einer sich entfaltenden Industrie gewichen. Nach dem Besuch eines Gymnasiums begann er im Betrieb seines Vaters eine kaufmännische Lehre, die er bei einem Großhandelskaufmann in Bremen fortsetzte. Seine eindrucksvolle Korrektheit und Zuverlässigkeit wurden hierbei besonders ausgeprägt.

In seiner Jugend entwickelte er bereits ein Interesse an sozialen Verhältnissen seiner Umgebung, in denen schwierige und unsichere Bedingungen vorherrschten und beispielsweise beinahe die Hälfte aller Kinder im Schulalter bereits zur Arbeit in den Fabriken gezwungen war. Im Zuge der internationalen Geschäftsreisen seines Vaters bekam er dann frühzeitig eine weltoffene Sichtweise. Er erlernte mit geringem Aufwand verschiedene Sprachen, fertigte gerne Zeichnungen und Karikaturen vom Leben und Treiben der Menschen an und begeisterte sich für die Geschichte, besonders verschiedene Freiheitskämpfe. Er schrieb auch leidenschaftliche Gedichte und wollte – angeregt durch die musikalischen Vorlieben seiner Herkunftsfamilie – als Komponist von Chorälen und Sänger der Freiheit bekannt werden. Anonym oder auch unter einem Pseudonym veröffentlichte er „Briefe aus dem Wuppertal“.

Weg zum Kommunismus

Im Zuge seines Militärdienstes in Berlin besuchte er Vorlesungen an der Universität und im jung-/linkshegelianischen „Doktorclub“, dem Marx, Bauer, Köppen, Stirner und andere angehörten. Aufgewühlt von seiner Befassung mit Hegel, Feuerbach und Strauß, den hier diskutierten fortschrittlichen Ideen und der darin bemerkten Unversöhnlichkeit von Religion und Philosophie zweifelte er zunehmend an der Richtigkeit seiner Religiosität und entschied sich letztlich für die vorwärtsweisende Vernunft. Dem war bereits seine Empörung über den Zwiespalt zwischen dem religiösen Mystizismus in seiner Heimat und der praktischen Menschenverachtung im sozialen Leben vorausgegangen. Mit der Veröffentlichung einer Kritik an der Philosophie Schellings machte er sich in Berlin schon in jungen Jahren einen Namen. Er konzentrierte sich bereits in dieser Zeit auf das Zusammenwirken von Politik und Philosophie, die Einheit von revolutionärer Theorie und praktischem Handeln. Dadurch distanzierte er sich von der junghegelianischen Vorstellung, die das Wort bereits für die eigentliche Tat hielt.

Gerne schrieb er aber zunächst weiterhin Gedichte und Prosastücke, unter denen sich auch eine Komödie und eine Liebesgeschichte finden. Dabei nutzte er die Literatur zunehmend als ideologische Waffe für den Fortschritt der Menschheit. Explizit politische Texte veröffentlichte er in dieser Zeit noch weiter anonym oder als Friedrich Oswald. Anschließend hielt er sich zum Abschluss seiner kaufmännischen Ausbildung in England auf, wo er die irische Arbeiterin Mary Burns kennenlernte, mit der er eine Lebensgemeinschaft begann. Diese Beziehung trug wesentlich zur Ausbildung und Festigung seines Klassenstandpunktes bei.

Auf einer Durchreise traf er 1842 in Köln erstmals mit Marx zusammen, der ihn aber zunächst für einen Verbündeten der Junghegelianer hielt und deshalb etwas distanziert blieb. Immerhin verfasste Engels einige Korrespondenzen für die  „Rheinische Zeitung“, deren Chefredakteur Marx wurde, und begann mit diesem einen Briefwechsel. In der Folge kooperierten beide nach Möglichkeit in direktem Austausch, begannen eine lebenslange feste Freundschaft und unternahmen auch gemeinsame Reisen. Als erstes Gemeinschaftsprojekt verfassten sie eine Kritik an spekulativ idealistischen Vorstellungen in ihrer Kritik der kritischen Kritik, die damit als die „Heilige Familie“ in die Geschichte einging.

Marx und Engels

In England fand Engels einen sehr weitgehend entwickelten Kapitalismus mit ausgeprägten Klassenkämpfen vor. Die englische Bourgeoisie konnte bereits 1688 dem Feudalismus die Vorherrschaft abringen und das Proletariat konnte schon 1824 die Anerkennung der Trade Unions durchsetzen. Manchester war nicht nur der langjährige Arbeitsort von Engels, sondern auch das Zentrum der Textilindustrie und der Bewegung der ChartistInnen für politische und soziale Reformen. Vor diesem Hintergrund setzte sich Engels eingehend und systematisch mit den sozialen und politischen Verhältnissen auseinander, sah sich in den englischen Städten um, nahm an öffentlichen Versammlungen teil, arbeitete an verschiedenen Zeitungen mit und publizierte auch in den in Frankreich erschienenen „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“.

Als die „Rheinische Zeitung“ verboten wurde, ging Marx nach Paris und gründete dort mit Arnold Ruge die „Deutsch-Französischen Jahrbücher“. Nachdem Marx jedoch 1845 ausgewiesen wurde, gründete Engels im Folgejahr in Brüssel ein Kommunistisches Korrespondenzkomitee. Mit 27 Jahren trat er dem von deutschen Handwerksgesellen in Paris gegründeten „Bund der Gerechten“ bei und erhielt auf dessen 2. Kongress mit Marx das Mandat zur Abfassung eines Parteiprogramms, das als „Kommunistisches Manifest“ in die Geschichte eingehen sollte.

Zur Bedeutung des proletarischen Klassenstandpunktes fand Engels vor allem durch seine Analysen der bürgerlichen Ökonomie, Marx wiederum durch seine Auseinandersetzung mit der Hegel’schen Philosophie, was dieser kurz so ausdrückte: „Wie die Philosophie im Proletariat ihre materiellen, so findet das Proletariat in der Philosophie seine geistigen Waffen, …“ (Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, MEW 1, S. 391).

Zu Kommunisten wurden Marx und Engels im Zuge ihrer internationalen Erfahrungen. Engels durch seine Mitarbeit in der englischen sozialistischen Presse, Marx durch den Einfluss der französischen SozialistInnen.

Nach der Rückkehr in seine Heimat 1848 und einem Engagement für eine „rote Republik“ musste Engels in die Schweiz fliehen, konnte aber nach einigen Monaten wieder nach Köln zurückkehren. Infolge seiner Beteiligung am bergischen Aufstand wurde er vorübergehend verhaftet und musste abermals fliehen.

Mit 30 Jahren begann er schließlich eine unternehmerische Tätigkeit in der väterlichen Firma in Manchester, die er über zwei Jahrzehnte beibehielt. Inzwischen hatte sich Marx in London niedergelassen, was den Kontakt erleichterte, der mithilfe eines beinahe täglichen Briefwechsels ergänzt wurde.

Danach konnte er sich mit einer Abfindung aus dem Geschäft zurückziehen und sich propagandistischen und organisatorischen Tätigkeiten widmen. Durch seine Sprachkenntnisse führte er auch zahlreiche internationale Korrespondenzen. Er übersiedelte nach London und wurde Mitglied des Generalrats der 1864 von Marx gegründeten Internationalen Arbeiterassoziation, an deren Kongress 1872 in Den Haag er mit Marx teilnahm.

In dieser Ersten Internationale gab es intensive Auseinandersetzungen mit anarchistischen und blanquistischen Vertretungen. Vor diesem Hintergrund und den Erfahrungen der Pariser Kommune vertraten Marx und Engels die Bildung einer politischen Partei, um dem Proletariat ein Handeln als Klasse zu ermöglichen. Nach kurzer Zeit existierte aber diese Internationale nicht mehr, was die Gründung einer neuen erforderte.

Ein wesentlicher Impuls dazu ging von der deutschen ArbeiterInnenbewegung aus. Der 1863 von Lassalle gründete Allgemeine Deutschen Arbeiterverein und die von Wilhelm Liebknecht und Bebel gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei kamen 1875 zu einem gemeinsamen Kongress in Gotha zusammen und beschlossen dabei ein gemeinsames Programm. Nach einem folgenden Kongress in Erfurt entstand aus der in Gotha gegründeten Sozialistischen ArbeiterInnenpartei in der Folge die Sozialdemokratische Partei.

Marx und Engels betrachteten die Bildung einer gemeinsamen ArbeiterInnenpartei als enormen Fortschritt, sahen sich aber genötigt, deren theoretische und programmatische Fehler einer grundlegenden Kritik zu unterziehen. Mit Marx formulierte Engels eine deutliche Kritik daran, besonders an den Illusionen in die mögliche Rolle von Produktionsgenossenschaften, den „Volksstaat“ und die demokratische Republik. Immerhin galt ihnen als einzig mögliche Übergangsperiode von der kapitalistischen in eine kommunistische Gesellschaft die zwischenzeitliche revolutionäre Diktatur des Proletariats.

Nach dem Tod von Marx engagierte sich Engels weiter für einen Fortschritt in der internationalen Organisierung der ArbeiterInnenklasse und trug nach anfänglichen Vorbehalten maßgeblich zur Bildung der Zweiten Internationale bei. Letztlich wurde er 1893 auf dem Internationalen Sozialistischen ArbeiterInnenkongress in Zürich noch Alterspräsident. Nach einem Kuraufenthalt starb er schließlich 1895 in London.

Ein Werk für den Sozialismus

Engels‘ theoretisches Werk war stets darauf ausgerichtet, die Erkenntnisse von den Natur- bis zu den Sozialwissenschaften, von den allgemeinsten Problemstellungen der Philosophie  bis zu besonderen Fragestellungen der Militärgeschichte einzubeziehen, und erreichte in der Folge einen paradigmatischen Einfluss auf vielfältige Wissenschaftsgebiete.

Mit seinem Werk „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie“ zeichnete er die ersten materialistischen Ansätze in der deutschen Philosophiegeschichte nach, verwies zugleich auf deren innere Schranken und deren Überwindung durch den wissenschaftlichen Sozialismus.

Nachdem für Dühring die Lehren von Marx lediglich rückständige und wüste Konzeptionen mit logischer Fantasterei waren und sein Einfluss erheblich angewachsen war, entschied sich Engels zu einer Erwiderung, daran anknüpfend einer grundlegenden Darlegung seiner mit Marx entwickelten dialektischen Methode und sozialistischen Weltanschauung, in der Fragen der Philosophie, Ökonomie, Geschichte und vielfältiger anderer Wissenschaften behandelt wurden. Mit „Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring)“ schuf er aber ein Werk, das sich für die Gewinnung  der ArbeiterInnenklasse für den Marxismus als hervorragend geeignet erwies. Bis heute stellt es eine Pflichtlektüre für jede/n kommunistische/n RevolutionärIn dar.

Seine „Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie“, in der er die ökonomische Struktur der bürgerlichen Gesellschaft und besonders die Auswirkung des kapitalistischen Privateigentums an Produktionsmitteln für elementare Entfremdungen, gesellschaftliche Spaltungen und zwischenmenschliche Feinseligkeiten nachzeichnete, inspirierten Marx zu einer eingehenden Auseinandersetzung mit der politischen Ökonomie.

In „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ klagte er die englische Bourgeoisie des Raubes, des Mordes und anderer Verbrechen an, entwickelte die Theorie für die erforderliche Selbstbefreiung des Proletariats und schuf auch eine wesentliche Grundlage für die wissenschaftliche Soziologie.

In „Der deutsche Bauernkrieg“ und seiner „Einleitung zu Marx’ ‚Der Bürgerkrieg in Frankreich’“ zeigte sich Engels‘ ausgeprägtes Interesse für militärische Aspekte und deren gesellschaftlichen Zusammenhänge. Wegen seiner vielfältigen militärwissenschaftlichen Studien erhielt er im Freundeskreis den Spitznamen „General“. Auch praktisch verteidigte er 1849 aktiv die Aufständischen in Elberfeld und beteiligte sich wenige Wochen später am Bürgerkrieg in Baden und in der Pfalz. Dabei plante er die militärischen Aktionen mit und nahm auch an mehreren Gefechten teil.

„Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ wurde ein Standardwerk, das zeigt, wie die jeweils neuen Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung sich in eine systematische Konzeption zusammenfügen lassen. Neue und verbesserte Erkenntnisse zu einzelnen Abschnitten widerlegen nicht die darin entwickelte Methode, sondern verweisen auf die ständig notwendige Weiterentwicklung solcher Werke.

Seine „Dialektik der Natur“ war von ihm nicht in der erschienenen Publikationsform gedacht. Vielmehr sind darin einzelne Fragmente mit vielfältigen anschaulichen Beispielen zur objektiven Dialektik in der Natur zusammengefasst, was in der stalinisierten Sowjetunion dann zur Naturalisierung der Geschichtsschreibung missbraucht wurde.

Weit über seinen ursprünglichen Anlass bekannt wurde seine „Zur Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfs 1891“. Dort polemisierte er vor allem gegen den Forderungsteil des sog. Erfurter Programms, das entscheidenden Fragen ausweiche und damit die Möglichkeit eines Hineinwachsens in den Sozialismus selbst in der deutschen Monarchie suggeriere.

In seinem „Grundsätze des Kommunismus“ entwickelte er bereits eine wesentliche  Grundlage des von Marx verfassten „Kommunistischen Manifests“.

Nachträglicher Missbrauchsversuch

Bernstein, der 1899 eine klar reformistische Grundlegung vorlegte und damit eine grundlegende Diskussion zur Ausrichtung der Sozialdemokratie eröffnete, kritisierte nicht nur den revolutionären Marxismus, den er in einer zerstörerischen blanquistischen Tradition stehend sah, sondern berief sich auch auf Engels, der am Ende seines Lebens der parlamentarischen Tätigkeit und den gesetzlichen Mitteln zur gesellschaftlichen Demokratisierung mit dem Stimmzettel den Vorzug gegeben und die Zeit ungesetzlicher Umstürze für überwunden erklärt habe.

Damit wollte er Engels in Opposition zu Marx bringen, der in der Frage der möglichen Herrschaftsform der ArbeiterInnenklassse unmissverständlich auf die Erfahrungen der Pariser Kommune hinwies.

In Wirklichkeit kann von diesem Gegensatz keine Rede sein. Bereits in jungen Jahren entwickelte Engels die Überzeugung, dass eine Verbesserung der materiellen Lage des Proletariats eine gewaltsame Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse erfordert. 1842 verkündete er die Notwendigkeit einer sozialen Revolution, in der „nur eine gewaltsame Umwälzung der bestehenden unnatürlichen Verhältnisse, ein radikaler Sturz der adligen und industriellen Aristokratie die materielle Lage der Proletarier verbessern kann.“ (Engels, Innere Krisen, in: MEW 1, Dietz, Berlin/Ost, 1956, S. 460)

Engels brandmarkte zeitlebens die bürgerliche Rechtsstaatlichkeit als bloß scheinbare Gerechtigkeit, die politische Freiheit als Scheinfreiheit der übelsten Knechtschaft und die politische Gleichheit der bürgerlichen Demokratie als Heuchelei zur Verhüllung der despotischen Herrschaft des Kapitals. Wenn soziale Übel mit demokratischen Mitteln überwunden werden sollen, muss die Demokratie eine soziale werden – geleitet vom Prinzip des Sozialismus. Echte Freiheit und Gleichheit bedeuten Kommunismus.

Der sozialdemokratische Reformismus bezieht sich nun freilich nicht auf solche Aussagen, sondern auf einige Kommentare von Engels angesichts der Entwicklungen in Amerika, England und Frankreich sowie der Wahlerfolge der deutschen Sozialdemokratie. Hieran knüpfte sich nämlich der Eindruck einer neuen proletarischen Kampfweise am Ende des 19. Jahrhunderts, genauer gesagt einer parlamentarischen Form eines friedlichen Übergangs der bürgerlichen in eine sozialistische Gesellschaft. Für einen solchen Fall beschrieb Engels die demokratische Republik als besondere Form der Diktatur des Proletariats.

Er ergänzte allerdings die parlamentarische Ausrichtung ausdrücklich mit der Forderung, dass alle politische Macht tatsächlich in der Volksvertretung konzentriert sein müsste und betonte angesichts des Verbots eines offen republikanischen Parteiprogramms in Deutschland, „wie kolossal die Illusion ist, als könne man dort auf gemütlich-friedlichem Weg die Republik einrichten, und nicht nur die Republik, sondern die kommunistische Gesellschaft.“ (Engels, Zur Kritik des sozialdemokratischen Programmentwurfs 1891, in: MEW 22, Dietz, Berlin/Ost, 1977, S. 235)

Engels sah im Wahlrecht nicht einfach ein „Werkzeug zur Befreiung“, sondern auch ein mögliches „Instrument der Regierungsprellerei“. Speziell in den nordamerikanischen Verhältnissen stellte er fest, wie aus der Politik ein Geschäft werden kann, in dem „zwei große Banden politischer Spekulanten“ mit den korruptesten Mitteln für sich ausbeuten lassen.

Anstelle der Vorstellung einer Machtergreifung durch eine parlamentarische Mehrheit warnte er, „daß die Herrschenden noch lange vor diesem Zeitpunkt gegen uns Gewalt anwenden werden; das aber würde uns vom Boden der Stimmenmehrheiten auf den Boden der Revolution führen.“ (Engels, Antwort an den ehrenwerten Giovanni Bovio, in: MEW 22, Dietz, Berlin/Ost, 1977, S. 280)

Und zur speziellen Frage, ob künftig der Straßenkampf unbedeutend werden würde, erklärte er noch in seinem Todesjahr: „Durchaus nicht. Es heißt nur, daß die Bedingungen seit 1848 weit ungünstiger für die Zivilkämpfer, weit günstiger für das Militär geworden sind. Ein künftiger Straßenkampf kann also nur siegen, wenn diese Ungunst der Lage durch andere Momente aufgewogen wird. Er wird daher seltener im Anfang einer großen Revolution vorkommen als im weiteren Verlauf einer solchen und wird mit größeren Kräften unternommen werden müssen.“ (Engels, Einleitung zu Karl Marx‘ „Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850“, in: MEW 22, Dietz, Berlin/Ost, 1977, S. 522)

Der Freund Engels

Engels unterstützte Marx mit regelmäßigen finanziellen Zuwendungen, überarbeitete dessen englische Zeitungsartikel und sorgte beispielsweise dafür, dass dessen schwer entzifferbare Nachlassfragmente des 2. und 3. Bandes des „Das Kapital“ zeitnah nach dessen Tod veröffentlicht werden konnten. Einen geplanten 4. Band konnte er nicht mehr fertigstellen.

Die lebenslängliche Freundschaft mit Marx wurde lediglich einmal eingetrübt, nämlich infolge dessen teilnahmsloser Reaktion auf den Tod seiner Gefährtin Mary Burns.

Im Unterschied zum bürgerlichen Standardbild eines Gelehrten, der aus seiner individuellen geistigen Entfaltung schöpft, dabei wenn möglich gleich den ganzen Weltgeist zu Bewusstsein kommen lässt, zeigen Marx und Engels das Potential einer Kooperation. Beide hätten für sich niemals das schaffen können, was sie gemeinsam vollbringen konnten. Während sie in monologischen Bemühungen bereits jeder für sich zu wegweisenden Einsichten fanden, entfaltete eigentlich erst ihr dialogisches Schaffen, ihr Werk als gemeinsames seinen welthistorischen Rang. Beide ergänzten, unterstützten und inspirierten  sich. Ohne Engels hätte Marx sicher nicht die erforderlichen Ressourcen für seine theoretischen Arbeiten gehabt und auch nur schwerlich zu seiner Berühmtheit gefunden. Ohne Marx hätten Engels vielfältige Inspirationen gefehlt und er hätte auch kaum seine erreichte Bedeutung erlangt.

Lenin würdigt dieses Zusammenwirken in einem Nachruf auf Engels vortrefflich mit einem geschichtlichen Vergleich: „Antike Sagen berichten von manchen rührenden Beispielen der Freundschaft. Das europäische Proletariat kann sagen, daß seine Wissenschaft von zwei Gelehrten und Kämpfern geschaffen worden ist, deren Verhältnis die rührendsten Sagen der Alten über menschliche Freundschaft in den Schatten stellt.“ (Lenin, W. I.: Friedrich Engels, in: ders.: Werke Bd. 2, Übers. d. 4. russ. Ausg., Dietz, Berlin/Ost, 1961, S. 12)

Quelle: Neue Internationale 251… vom 10. November 2020

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