Schweiz
International
Geschichte und Theorie
Debatte
Kampagnen
Home » Debatte, Kampagnen

Frankreich: Proteste im Gesundheitssektor und im Schulwesen

Eingereicht on 13. November 2020 – 15:56

Die letzten anderthalb Wochen erlebten einen – bislang begrenzten – Neuaufschwung sozialer Bewegungen in Frankreich, rund um den Umgang mit der sanitären Krise und daraus erwachsenden Schutzbedürfnissen.

Lehrerstreik-Kundgebung am 10.11.20 in Paris unweit des Bildungsministeriums: Demo war verboten worden (Foto: Bernard Schmid)

Allgemein fiel der politische Konsens rund um den Lock-down Nummer II, welcher seit dem 30. Oktober 2020 gilt, von Anfang an wesentlich schwächer ausfiel als beim Lock-down Nummer I (vom 17. März bis 10. Mai 2020), auch aufgrund der Proteste vieler Selbständiger und Händler/innen, denen das Öffnen verboten wird. Darum spann und spinnt sich eine allgemeine Debatte, da die Regeln zu den Öffnungsverboten offenkundig das Großkapital bevorzugen (Amazon bspw. boomt, was aufgrund der extremen Auslastung des Personals zu Spannungen, gewerkschaftlichen Protesten und Streikaufrufen führt (vgl. https://www.challenges.fr/economie/tensions-maximales-chez-amazon-france_736768), während kleine Spielzeuggeschäfte, Buchläden und andere Verkaufsorte dichtbleiben müssen. Die Debatte darüber, die sich in der Öffentlichkeit zu Anfang November d.J. einige Tage lang auf den Buchverkauf fokussierte – in Buchläden verboten, jedoch in Supermärkten erlaubt – führte dann dazu, dass die Regierung in einer improvisierten Reaktion die Supermarktleitungen dazu zwang, ihre Spielwaren- und Bücher-Regale zu schließen, während alle anderen Abteilungen weiterarbeiten dürfen. Auch dies ist selbstverständlich eine unbefriedigende Lösung und führt nun zu zahlreichen Bildveröffentlichungen, in denen Kinder ratlos vor abgesperrten Spielwarenregalen stehen oder Bücherregale unter der Aufschrift „Zutritt verboten!“ zu sehen sind, was als unmenschlich kritisiert wird (oder gar auf einer Reihe von Facebook-Seiten zu historisch schiefen Vergleichen mit Bücherverbrennungen 1933 usw. herangezogen wird).

War der „Lock-down I“ vom März/April/Mai 2020 im Grundsatz durch einen gewissen politischen Konsens begleitet (lt. Umfragen sprachen sich angeblich 93 % im Grundsatz dafür aus; die öffentliche Meinung kritisierte zugleich die Unfähigkeit der Regierung, etwa ausreichend Corona-Tests und Mund-Nasen-Schutzmasken in Umlauf zu bringen), gilt dies für den „Lock-down II“ seit dem 30. Oktober 20 nicht mehr. Im Kern unterstützen ihn, lt. denselben Umfrageinstituten, noch 67 %. (Vgl. https://www.bfmtv.com/politique/sondage-bfmtv-seulement-67-des-francais-approuvent-le-reconfinement_AN-202010300263.html) Zugleich unterscheiden sich die Regeln im „Lock-down I“ und im nunmehrigen „Lock-down II“, welcher gewissermaßen eine Light-Variante darstellt, da abgesehen von Restaurants, Kneipen, Theatern und einem Teil des Handels nahezu alle wirtschaftlichen Aktivitäten weiterhin stattfinden können. Dies sorgt wiederum für eine Dichte der menschlichen Präsenz auf den Straßen und in den öffentlichen Verkehrsmitteln, die keinerlei Vergleich zu den nahezu menschenleeren Zuständen im März/April 2020 zulässt, wenngleich sie gegenüber „normalen“ Zeiten abgenommen hat. Kontrollen der Passierscheine, die durch Einwohner/innen unter Nennung des Grundes zum Verlassen der eigenen Wohnung (und der Uhrzeit) selbst auszufüllen sind, finden zwar statt, verpuffen jedoch angesichts der hohen Zahl „draußen“ oder unterwegs befindlicher Menschen weitestgehend. Lediglich an Orten, die für privates Ausgehen bekannt sind wie etwa Amüsierviertel, dürfte die polizeileiche Kontrolltätigkeit abschreckend wirkend. Ansonsten gilt, dass das Risiko, etwa in Verkehrsmitteln kontrolliert zu werden, statistisch gering ausfällt.

Eine weitere Konsequenz ist, dass ein Großteil der abhängigen Beschäftigten in der Privatwirtschaft ebenso wie unter den Staatsbediensteten derzeit arbeitet. Anders als im Frühjahr 2020, als zeitweilig über zehn Millionen Menschen in der Erwerbsbevölkerung nach der Kurzarbeiterregelung (farnzösisch: chômage partiel) bezahlt wurden. Es gibt lediglich die Aufforderung der Regierung an die Arbeitgeber, dort, wo Tätigkeit statt im Anwesenheitsmodus (im Unternehmen) auch per Telearbeit oder Home Office – französisch télétravail – erledigt werden können, das Home Office den Vorrang haben müsse. Das Nähere wird jedoch in den einzelnen Unternehmen geregelt, es gibt keine einheitlichen Ansprüche oder Pflichten.

Vor diesem Hintergrund wächst nun der Druck von Seiten der abhängig Beschäftigten in manchen Sektoren, die auf Schutz vor sanitären Risiken drängen. Anders als im Frühjahr 2020, als etwa Gewerkschaften erfolgreich Gerichtsverfahren gegen Amazon anstrengte und die zeitweilige gerichtliche Schließung mehrerer Logistikzentren in Frankreich erwirkten, bleiben solche Konflikte derzeit in der Privatwirtschaft weitgehend unter dem Radar. Denn dort haben die meisten Unternehmen inzwischen für die Anlieferung von Desinfektionsgel für die Hände, Gesichtsmasken oder Plexiglas-Trennscheiben gesorgt, und auch wenn die Sicherheitsvorkehrungen mancherorts unzureichend sein dürften (vor allem, da sie oft nach dem Top-Down-Prinzip angeordnet statt durch die Arbeitenden aus ihrer konkreten Kenntnis der Arbeitsplätze heraus bestimmt wurden), so herrscht doch keine absolut unvorbereitete Situation vor wie im Frühjahr 2020. Wenn bei Amazon erneut, wie bereits im April 2020, zum Streik aufgerufen wird, dann nicht, um den Laden wegen mangelnden Hygieneschutzes vorübergehend dicht zu machen, sondern wegen zu starker Auslastung der Beschäftigten.

Auf zwei Sektoren konzentrieren sich derzeit die Mobilisierungen, nämlich auf den Gesundheitssektor und den öffentlichen Schuldienst, wobei die Wahrnehmung der Konflikte durch das außenstehende Publikum – jedenfalls über die Leitmedien – allerdings begrenzt bleibt.

Gesundheitswesen

Was das Gesundheitswesen betrifft, so steht das Personal, wie zu erwarten war, unter erheblichem Druck. Personalreserven wurden mobilisiert, um die Covid-Krise bewältigen zu können, während das Gesundheitspersonal noch aufgrund der Überbeanspruchung im Frühjahr 2020 ausgelaugt ist. In vielen Regionen ist mittlerweile ein Großteil der Intensivbetten erneut mit Covid-19-Patienten belegt, und je nach Region wurden zwischen 30 und 90 Prozent der nicht Covid-19 betreffenden Operationen und chirurgischen Eingriffe (auch etwa für Krebspatient/inn/en) verschoben. Mittlerweile werden wegen Aus- und Überlastung der vorhandenen Kapazitäten auf den Intensivstationen erneut Patient/inn/en in andere, „ruhigere“ Regionen verlegt, am 08. November 20 erstmals auch wieder von Frankreich nach Deutschland, in diesem Falle nach Münster/Westfalen. (Vgl. https://www.francebleu.fr/infos/sante-sciences/coronavirus-un-patient-de-l-hopital-de-valenciennes-transfere-en-allemagne-1604842431 

) Im Laufe des Frühjahr 2020 waren Dutzende Patient/inn/en aus Frankreich etwa bis nach Essen, Friedrichshafen am Bodensee oder Dresden „transferiert“, d.h. evakuiert worden.

Eine solche Anspannungssituation bietet im Prinzip schlechte Voraussetzungen für soziale Kämpfe, allerdings gute Voraussetzungen für eine potenzielle Solidarisierung – sofern ein Protest als solcher nach außen hin wahrnehmbar wird. Im Frühjahr 2020 boten mehrere Besuche von Staatspräsident Emmanuel Macron in Krankenhäusern Anlässe zu spontanen Proteste, von denen Videos nach außen drangen (wir berichteten).

Derzeit hat es sozialer Protest gegen die Arbeitsbedingungen, und natürlich gegen das jahrelange Kaputtsparen des Krankenhaussektors (noch 2018 und 2019 waren 2,6 Milliarden Euro im Krankenhauswesen frisch weggespart worden (vgl. https://www.marianne.net/societe/26-milliards-d-economies-comment-le-gouvernement-macron-continue-d-essorer-les-hopitaux), eher schwer. Wir müssen in diesem Zusammenhang jedenfalls dementieren, was im Oktober d.J., infolge des Protesttags der Beschäftigten im Krankenhauswesen vom 15. Oktober 20, an anderer Stelle im LabourNet zu lesen war, wo von „massiver“ Mobilisierung die Rede war (vgl. https://www.labournet.de/internationales/frankreich/gewerkschaften-frankreich/massiver-protest-gegen-die-franzoesische-regierung-im-gesundheitswesen-kocht-es-statt-lockdown-ruecknahme-der-neuen-4-milliarden-einsparungsplaene-macron/) – Nein, liebe Kolleg/inn/en, doch diese Behauptung via Überschrift war leider unsinnig bzw. Ausdruck von Wunschdenken. In Paris etwa standen zwanzig Leute vor dem Krankenhaus Bichat (an der nördlichen/nordwestlichen Stadtgrenze), um zur Demo zu mobilisieren, Unterstützer/innen inbegriffen. Die Protestmobilisierung blieb insgesamt mickrig, auch wenn sie andernorts vielleicht ein wenig besser ausfiel, aber jedenfalls magerer als beim vorausgegangenen Aktionstag der Gesundheitsberufe am 16. Juni 20.

Den Hauptgrund dafür bildet, dass die Belegschaften im staatlichen Gesundheitswesen gespalten, ein Teil von ihnen ruhig gesellt wurde(n). Anfang Juli d.J. war nach einer sechswöchigen Verhandlungsrunde, genannt „Ségur-Runde“ nach dem Sitz des französischen Gesundheitsministerium in der avenue Ségur, unter Vorsitz der rechtslastigen früheren CFDT-Dachverbandsvorsitzenden Nicole Notat (Chefin dieses Gewerkschaftsverbands von 1992 bis 2002), ein Abkommen zur Unterzeichnung vorgelegt worden. Es sah/sieht 90 Euro Lohnerhöhung ab September 2020 vor und nochmals 90 Euro ab dem März 2021, zuzüglich bis dahin fälligen Inflationsausgleichs ergibt das dann zusammen 183 Euro. Das sind zwar weniger als die 300 Euro Lohnerhöhung (zuzüglichen massiven Neueinstellungen), die durch die Gewerkschaften in dem Sektor gefordert worden waren. Dennoch unterzeichneten rund um das Wochenende 10.-12. Juli d.J. insgesamt drei Branchen-Gewerkschaftsverbände – jene der Dachverbände CFDT (an der Spitze rechtssozialdemokratisch) und Force Ouvrière (FO, politisch schillernd) sowie des Gewerkschaftszusammenschlusses UNSA (vordergründig „unpolitisch“, in den realen Positionen CFDT-nahe) – die Vereinbarung. Vgl. https://www.healthandtech.eu/fr/tour/news/11286/segur-sante-quel-contenu-precis-accords-signes-cfdt-fo-unsa.html und https://www.leparisien.fr/societe/segur-de-la-sante-un-accord-majoritaire-sur-les-salaires-des-personnels-hospitaliers-non-medicaux-10-07-2020-8351121.php)

Abgelehnt wurde dieses Abkommen durch die beiden Branchengewerkschaften CGT-Gesundheitswesen und SUD-Santé (Basisgewerkschaft der Union syndicale Solidaires im Gesundheitswesen). Doch CGT und SUD bringen zusammen knapp unter fünfzig Prozent, die unterzeichnenden drei Verbände zusammen knapp über fünfzig Prozent bei jüngsten Personalratswahlen auf die Waage. Die Vereinbarung konnte rechtskräftig werden. Und zwar steht ihr eine gewisse Opposition entgegen, doch insgesamt wird das Abkommen in der sozialen Landschaft nicht als rundherum skandalös betrachtet – welche Berufsgruppe schafft es im derzeitigen allgemeinen Kräfteverhältnis denn sonst, 183 Euro monatliche Lohnerhöhung auszuhandeln? -; jedenfalls nicht ausreichend, dass es Solidarisierungseffekte schaffen könnte. Trotz Applaus für die Gesundheitsbediensteten im ganzen Frühjahr 2020. Die Luft aus Protesten in dem Sektor war dadurch draußen.

Immerhin führte die Furcht vor Protesten in Verbindung mit der sich anspannenden Corona-Lage dazu, dass die Regierung am 15. Oktober d.J. (dem Aktionstag) verkündete, die zweite Hälfte der Lohnerhöhung werde von März 21 auf Ende dieses Jahres vorgezogen (vgl. https://www.facebook.com/UnionSyndicaleAssistancePubliqueCGT/posts/3562549650537515)

Allerdings ist in den letzten Tagen wieder etwas Schwung in die Sache gekommen. Zum Einen rief die Entscheidung der Pariser Gesundheitsbehörde AP-HP zur Schließung der Notaufnahme im Pariser Krankenhaus Hôtel-Dieu, zentral auf der Seine-Insel in der Mitte der Stadt gelegen, zwecks Verteilung der Notaufnahmekapazitäten auf andere Kapazitäten breiten Unmut hervor. Hintergrund bilden unzureichende Personalressourcen. Dieser wurde noch dadurch gesteigert, dass der Protest von Krankenhauspersonal am vorigen Freitag, den 06. November d.J. vor den Türen der Einrichtung den Anlass für die Verteilung des Strafzettels über 135 e wegen „unerlaubter Versammlung unter Nichtbeachtung sanitärer Risiken“ gegeben hat. (Die Polizeipräfektur brauchte sich hierfür nicht sonderlich anzustrengen, ihr Gebäude liegt direkt gegenüber vom Hôtel-Dieu, man braucht nur die Straße zu überqueren.) Die CGT, die dazu aufrief, vor diesem Krankenhaus zu protestieren, zählte am Abend auf ihrer Facebook-Seite insgesamt 28 solcher Strafzettel.

Zum Zweiten fanden an dem Samstag, den 07. November in mehreren Städten – vor allem in Toulouse in Südwestfrankreich mit stattlichen 5.000 Menschen und im ostfranzösischen Besançon (rund 700 Teilnehmer/innen) – von breiten Bündnissen getragene, größere Protestdemonstrationen für die Forderung nach besserer Mittelausstattung im Gesundheitswesen und gegen die bestehende Art der Corona-Krisenverwaltung statt.

Vgl. zu dem Protest vor dem Hôtel-Dieu in Paris:

Vgl. zu Toulouse und Besançon:

Schulwesen: Proteste gegen Gesundheitsrisiken

Über die seit dem Wiederbeginn des Unterrichtsbetriebs nach den Herbstferien am 02. November d.J. einsetzenden Proteste in Teilen des öffentlichen Schulwesens berichteten wir bereits an dieser Stelle: https://www.labournet.de/?p=180837 Wie wir dort erwähnten, kündigte die Regierung zu Ende vergangener Woche in Reaktion auf den sich ausbreiteten Unmut an, man könne Unterricht „in halben Klassen“ durchführen, d.h. entweder die Klassen in zwei kleinere Gruppen aufteilen und diese in getrennten Räumen unterrichten oder aber je eine Hälfte per Online- und eine andere Hälfte per Präsenz-Unterricht einbeziehen. Vor allem die erstgenannte Option wird durch die Lehrkräfte favorisiert, da Online-Unterricht aufgrund unterschiedlicher Wohnverhältnisse sowie Ausstattung der Haushalte mit Geräte tendenziell Ungleichheiten verstärkt.

In Paris jedoch erklärte die zuständige Schulbehörde (le rectorat; in Frankreich ist ein „Rektorat“ nicht die Leitung einer einzelnen Schule, sondern so heißt die zuständige Behörde auf Bezirks- oder mehrere Verwaltungsbezirke umfassender Ebene) sogleich, eine solche Aufteilung der Klassen (dédoublement des classes) werde es nicht geben, da man nicht ausreichend Personal zur Verfügung habe.

Selbstverständlich hat der Stellenabbau in den öffentlichen Diensten während des vergangenen Jahrzehnts Löcher in die Personaldecke gerissen. Unter der Präsidentschaft Nicolas Sarkozys (2007 bis 2012) waren insgesamt rund 100.000 bis 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst durch Nichtersetzung rentenbedingter Abgänge gestrichen worden; offiziell sogar 150.000, doch waren zum Teil andernorts neue Stellen eingerichtet worden. Der amtierende Präsident Emmanuel Macron hatte ursprünglich in seinem Wahlprogramm 2017 angekündigt, seinerseits 50.000 Stellen in den öffentlichen Diensten abzubauen; sein damaliger Finanz- und jetziger Innenminister Gérald Darmanin dampfte dieses „Versprechen“ (an wirtschaftsliberale Kreise) jedoch im Sommer 2019 auf 15.000 Stellenstreichungen während seiner fünfjährigen Amtszeit zusammmen (vgl. https://www.lejdd.fr/Politique/le-gouvernement-va-finalement-supprimer-15000-postes-de-fonctionnaires-detat-et-non-50000-3911238).

Durch das Heranziehen ausgebildeter, jedoch nicht im Schuldienst eingestellter Lehrer/innen oder von in der Ausbildung befindlichen Lehrkräften (unter pädagogischer Aufsicht), eventuell auch von freiwillig mitwirkenden verrenteten Lehrkräften, wäre dennoch eine Anstrengung in diesem Bereich möglich gewesen.

Auch in der bürgerlichen Presse wird inzwischen die Fragestellung aufgeworfen, ob das Bildungsministerium nicht die Anzahl an Covid-19 erkrankter Schüler/innen (offiziell rund 3.500 zu Anfang November) um einen Faktor 7,5 zu gering ansetze, um den Laden irgendwie am Laufen zu halten. (Vgl. dazu: https://www.ouest-france.fr/education/enseignement/covid-19-l-education-nationale-minimise-t-elle-le-nombre-d-eleves-malades-7046395)

Dabei ist in einigen Schulen jedoch gelungen, anstatt des behördlich geplanten Szenarios eigene, durch Lehrkräfte z.T. zusammen mit Schüler/inne/n und Eltern durchdiskutierte sanitäre Schutzpläne erfolgreich durchzusetzen. Beispiel dafür gibt es in Versailles (vgl.: https://www.facebook.com/photo?fbid=3366053616824932&set=a.3308242172606077) oder im Département Seine-Saint-Denis, d.h. der nördlichen Pariser Vorstadtzone: https://www.facebook.com/watch/?v=731696004359088).

Am Dienstag, den 10. November d.J. fand ein Streiktag der Lehrkräfte zum Thema statt. Dazu hatten gewerkschaftsübergreifend unterschiedlich ausgerichtete Organisationen aufgerufen, von SUD-Education (eher linksradikal) und die CGT Educ’Action über die Mitgliedsgewerkschaften der FSU (Branchendachverband im Bildungswesen, mit Abstand stärkste Organisation, historisch eher links mit allen Untertendenzen) bis zur konservativ geprägten Lehrerorganisation SNALC. Man muss allerdings dazu sagen, dass man auf der Pariser Kundgebung am Nachmittag vom SNALC nichts zu sehen und zu hören bekam, von den übrigen Gewerkschaften hingegen schon.

Die Regierung – in ihren Reihen zählt der amtierende, konservativ vorgeprägte Bildungsminister Jean-Michel Blanquer tendenziell zu den übelsten Kabinettsmitgliedern – erklärte tagsüber beruhigend, er sei nur in geringem Ausmaß befolgt. Ministerielle Angaben sprachen von 8,78 Prozent Streikbeteiligung im Grundschulwesen und 10,36 % an den weiterführenden Schulen. Die Gewerkschaften ihrerseits gaben die Streikbeteiligung mit „rund 20 Prozent in den Grundschulen und rund 45 % in der Mittelstufe“ an und sprachen von einer „Warnung“ an die Regierung. (Vgl. https://actu.orange.fr/france/education-une-greve-en-forme-d-avertissement-previennent-les-syndicats-CNT000001uOnHC/photos/manifestation-a-toulouse-le-7-novembre-2020-pour-demander-davantage-de-moyens-pour-lutter-contre-la-crise-sanitaire-09f817b9d3b194d03c50332b3c59390f.html)

Divergierende Angaben sind in einem solchen Zusammenhang durchaus üblich; auf Ministeriumsseite ist man es dabei gewohnt, die Streikquote auf alle Lehrkräfte einschließlich derer, die am fraglichen Tag keinen Unterricht haben oder in einer Fortbildungsmaßnahme stecken, hochzurechnen.

In Paris hatte die Polizeipräfektur eine Demonstration, die zuvor angemeldet werden sollte, verboten. Eine statische Kundgebung in räumlicher Nähe zum Bildungsministerium konnte an der Métro-Station Rue du Bac im siebten Pariser Bezirks stattfinden, einige Hundert Menschen nahmen an ihr teil. (Vgl. dazu Photos des Verfassers) Überwiegend Lehrer/innen nahmen an ihr, auch eine Schüler/innen- und eine Studierenden-Delegationen kamen zu Wort. Einzelne Eisenbahner respektive RATP-(Pariser Nahverkehrsbetriebe-)Beschäftigte, die aus Solidarität kamen, wurden vom Verfasser gesichtet. (Vgl. dazu auch beistehende Bilder vom Verfasser.)

Im Laufe der Woche seit dem Unterrichtsbeginn nach den Herbstferien (02. Nov. 20) bis zu diesem Dienstag kam es an einer Reihe von Schulen in diesem Zusammenhang auch zu Aktionen von Oberschüler/inne/n, die in mehreren Fällen wie im westfranzösischen Saint-Nazaire, an einer Pariser Schule, in Saint-Denis bei Paris und zu Wochenbeginn in Compiègne rund fünfzig Kilometer nördlich von Paris zu mit Gewalt verbundenen Polizeieinsätzen führten.

Post scriptum: Und noch ein Schmankerl zum Schluss… Eine bislang de facto vom Bildungsministerium finanziell ausgehaltene und ansonsten eher unbekannte „Schüler/innen/gewerkschaft“ unter dem Namen Avenir lycéen (ungefähr: Oberschüler-Zukunft) flog soeben auf, weil ihr 65.000 Euro ausbezahlt und alsbald für persönliche Zwecke der Empfänger/innen ausgegeben worden waren: https://www.mediapart.fr/journal/france/081120/le-syndicat-lyceen-chouchou-de-blanquer-dilapide-l-argent-du-ministere; ihr widerfahren nun massenhafte Austritte: https://www.mediapart.fr/journal/france/111120/depenses-somptuaires-d-un-syndicat-pro-blanquer-des-demissions-en-cascade-le-ministere-ouvre-une-enquete. Und inzwischen kursiert eine Petion für ihre Auflösung: https://www.mesopinions.com/petition/politique/dissolution-association-avenir-lyceen/114421 

Artikel von Bernard Schmid vom 12.11.2020

Vgl. dazu unser nachstehendes, gesammeltes Material zu Schüler/innen- wie Lehrer/innen-Protesten:

Quelle: labournet.de… vom 13. November 2020

Tags: , , , , , , , , ,