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Notizen zur politischen Lage in Deutschland

Eingereicht on 13. Januar 2023 – 9:52

Der Ukrainekrieg hat den deutschen Imperialismus auf strategischer und ökonomischer Ebene weiter in Bedrängnis gebracht. Die Krise und (nicht zuletzt die Covid-Pandemie) haben ihre Spuren hinterlassen. 2020 lag der Anteil deutscher Waren auf dem Weltmarkt lediglich noch bei 7,2% (gegenüber 12% im Jahr 1990 – dem bisherigen Höchststand). Bereits vor dem Krieg wurde In der Automobilindustrie, einem Rückgrat der deutschen Exportwirtschaft ab 2020 ein umfassender Stellenabbau angekündigt. (21. 000 Jobs bei Daimler, ca. 13. 000 bei VW 7.500 bei Audi etc.).

Die Politik der USA auf dem europäischen Kontinent stellte die Zukunft der EU mehrfach infrage und setzte der Macht des deutschen Imperialismus Grenzen. Dennoch bestand bis zum 24.02.2022 zumindest strategisch die Option, den USA in Zweckbündnissen mit Russland Paroli zu bieten (Schröders Politik des „deutschen Wegs“ während des Irakkrieges)

Vor diesem Hintergrund stand die Regierung Scholz dem aggressiven Kurs des US-Imperialismus in der Ukraine anfangs ablehnend gegenüber. Es lag auf der Hand, dass dieser die Interessen des deutschen Imperialismus als Führungsmacht der EU und die wichtigen Wirtschaftsbeziehungen zu Russland in hohem Maße gefährdete.

Der russische Einmarsch in der Ukraine änderte dies schlagartig. Angesichts der neu entstandenen Situation auf Weltebene bleib der deutschen Regierung nichts anderes übrig, als sich in einen Block mit dem US-Imperialismus einzureihen. Scholz sprach in diesem Zusammenhang nicht von ungefähr von einer „Zeitenwende“. Es war offensichtlich geworden, dass der deutsche Imperialismus (noch) nicht in der Lage war, seine außenpolitischen Interessen alleine und eigenständig gegen die in Konflikt geratenen imperialistischen Supermächte durchzusetzen.

In diesem Zusammenhang kann nicht oft genug wiederholt werden, dass sich Deutschland auf eine Industrie stützt, die zu 31,2% auf Gas als Energieträger basiert, und über die Hälfte seiner Gasimporte aus Russland bezog. Die exportabhängige deutsche Wirtschaft hat einen zusätzlichen deutlichen Dämpfer erhalten. Neben den Energiepreisen sind auch die Preise von industriellen Primärgütern im Vergleich zum Vorjahr um 47% gestiegen. Im zweiten Quartal diesen Jahres stagnierte die deutsche Wirtschaft mit einem Wachstum von 0,0% völlig. Zwar wird in den Medien derzeit öfters behauptet, dass die „drohende Rezession“ (die faktisch schon da ist) nicht so schlimm „wie erwartet“ ausfallen wird, da die Lieferketten noch nicht ganz unterbrochen seien. Doch dies läuft auf Wunschdenken heraus. Nach jüngsten Meldungen plant ein Viertel der Unternehmen aufgrund der steigenden Energiepreise Stellen abzubauen. Hinzu kommen die Altlasten der Krise von 2008 und der Versuch der Zentralbanken durch Niedrigzinsen die produktiven Investitionen am Laufen zu halten. Es gibt keine zuverlässigen Angaben darüber, wie viele deutsche Unternehmen sog. „Zombies“ sind (teilweise werden sie auf 14% geschätzt), doch angesichts gestiegener Energiepriese und weiteren Zinserhöhungen ist von einer drastischen Pleitewelle von Unternehmen auszugehen.

Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich Deutschland einem von den USA geführten imperialistischen Block langfristig widerspruchslos unterordnen wird. Vielmehr ist von einer ambivalenten und wechselhaften Politik auszugehen, mit der versucht wird allerlei Spielräume zu nutzen, um eigene Akzente zu setzen. Davon zeugen die aggressiven Reaktionen auf Bidens „Inflation Reduction Act“, die selbst von den USA ansonsten freundlich gestimmten Kapitalfraktionen vorgetragen und unterstützt wurden. Die Aufrechterhaltung des Handels mit China wird von wichtigen Kapitalfraktionen als existenzielle Frage gesehen. Das unterstreicht die Zustimmung von Scholz zum Einstieg des chinesischen Unternehmens Cosco in den logistisch wichtigen Hamburger Hafenterminal, und die hochrangige Wirtschaftsdelegation bei Scholz Reise nach China (BMW, Deutsche Bank, BASF, VW und andere). Trotz des Rückschlages wird die deutsche Bourgeoisie weiter versuchen, ihre Position auf Weltebene zu verteidigen und damit weitere Krisenherde anfachen und vertiefen. Das Dilemma dabei ist offenkundig: Auf der einen Seite braucht Deutschland das transatlantische Bündnis (besonders im militärischen Sinne), gleichzeitig wäre eine Abwendung von China als Handelspartner für Kernsektoren der deutschen Industrie eine Katastrophe.

Allen deutschen Kapitalfraktionen ist klar, dass es kein einfaches Zurück in die Zeit vor dem 24.2.2022 gibt. Langfristig zielt ihre Strategie darauf ab, die militärisch und energiepolitisch aufzurüsten. Die 100 Milliardenprogramme für Rüstungen (für das eine Änderung des Grundgesetzes notwendig war) sind in diesem Zusammenhang nur der Auftakt für weitere Aufrüstung. Allein das Projekt den Tornado durch den US-Kampfjet F 35 zur ersetzen, der mit Nuklearraketen ausgerüstet werden kann, zeigt, dass der deutsche Militarismus alle durch die Vergangenheit auferlegten Tabus durchbrochen hat. Energiepolitisch setzt die deutsche Bourgeoisie auf den forcierten Ausbau erneuerbarer Energien (ein nicht unbeträchtlicher Wirtschaftssektor in Deutschland), um sich aus einer langfristigen Abhängigkeit von US-Flüssiggas zu befreien.

Innenpolitisch war und ist das politische Klima von einer massiven Kriegspropaganda geprägt. Auf allen Kanälen wurde und wird die militärische Unterstützung der Ukraine als alternativlos dargestellt. Selbst harmlose liberale Kritiker, die lediglich Bedenken vor einer nuklearen Eskalation äußerten wurden in den Medien massiv angegriffen und regelrecht mundtot gemacht.

Insbesondre die Grünen mit ihren zahlreichen Mutiplikatoren in der Zivilgesellschaft erwiesen sich dabei als sehr effektiv. Sie verstehen es volltrefflich Auschwitz und die deutschen Verbrechen der Vergangenheit zu relativieren und gleichzeitig den Antifaschismus als moralisches Argument für den Krieg in Stellung zu bringen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die militärische Unterstützung der Ukraine vornehmlich mit „linker Rhetorik“ gerechtfertigt wurde. („Unterstützung für die Kolonialisierten“, „Solidarität mit den Unterdrückten“, „Abwehr des russischen Faschismus“). Dabei wurde tief in die Trickkiste der Identitätspolitik gegriffen, die „dem Opfer“ eine privilegierte Sprechposition zugesteht. Folgerichtig konnte der ukrainische Botschafter Melnyk, ein Verehrer Stepan Banderas, als Anwalt der Angegriffenen auf allen Kanälen unwidersprochen sein aggressives nationalistisches Programm vertreten, wobei er sich auch offen antisemitisch äußern könnte.

Zwar ist es ihnen nicht gelungen eine Kriegsbegeisterung zu entfachen, wohl aber Aufrüstung und Krieg als alternativloses und ultimatives moralisches Gebot auf die Tagesordnung zu setzen. Bisher als unumstößlich geltende politische Tabus (Waffenlieferungen in Kriegsgebiet, massive Aufrüstung und mehr gesellschaftliche Akzeptanz für die Bundeswehr) wurden durchbrochen. Das ist ein wichtiger Etappensieg des deutschen Militarismus.

Die politische Linke hat angesichts dieses Drucks auf ganzer Linie kapituliert. Während ein Teil unter dem Banner des Antifaschismus zur „kritischen“ Verteidigung der Ukraine (und der Nato) übergegangen ist, entstellt ein anderer Teil die Losung „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“ um mehr oder weniger offen Russland zu unterstützen. Wiederum andere versuchten den Krieg auszusitzen, keine Position zu beziehen und ihre Projekte zu retten, was ihnen nicht glückte. Vor diesem Hintergrund konnten die wenigen Proteste gegen den Krieg wenig Anziehungskraft gewinnen und scheiterten an den eigenen Widersprüchen.

Die Implikationen des Ukrainekrieges haben auch die Widersprüche innerhalb der „Links“partei eskalieren lassen. Die Spaltung in einen klassischen reformistischen Flügel und ein neues linksnationalistisches Projekt um Sarah Wagenknecht scheint nur eine Frage der Zeit sein. Eine Implosion der „Links“partei wird die Konfusionen im linken Spektrum weiter anfachen.

Demgegenüber konnte die extreme Rechte mit einer nationalistischen und prorussischen Antikriegsrhetorik eine gewisse Dynamik entfalten. Mit ca. 28% ist die AfD im Osten die stärkste Partei (obwohl sie unter internen Machtkämpfen zu leiden hat.) Die Demonstrationen des rechten Spektrums aus Corona-Leugnern, Verschwörungsideologen und offenen Faschisten konnte über den Herbst besonders in Ostdeutschland eine Kontinuität entfalten.

Der aufgedeckte Umsturzversuch der sog. „Reichsbürger“ mit so bizarren Figuren wie Prinz Heinrich von Reuß VIII hatte zweifellos etwas Skurriles. Gleichzeitig zeigt er dass es sich bei diesem Spektrum längst nicht mehr nur um verrückte Kleinbürger und harmlose Spinner handelt. Es hat längst nicht die Qualität einer P2 wie in den 80ern in Italien. Dennoch sollten die Verbindungen und Kontakte dieses Spektrums mit dem Militär-, Polizei- und Justizapparates gerade vor dem Hintergrund des „NSU-Komplexes“ nicht unterschätzt werden.

Die wenigen Streiks die es in diesem Jahr gab, blieben fest unter der Kontrolle der Gewerkschaften und konnten von diesen in Grenzen gehalten werden (wie die Aktionen der HafenarbeiterInnen im Sommer). Der Tarifabschluss in der Metallindustrie blieb mit 8% unter den Erwartungen und ist real gesehen nicht einmal ein Inflationsausgleich. Ob die Tarifrunden im Öffentlichen Dienst und bei der Post im Frühjahr nächsten Jahres eine neue Dynamik bringen bleibt abzuwarten. Momentan sieht es nicht danach aus.

Vor diesem Hintergrund sind die von verschiedenen linken Spektren lauthals angekündigten Aktionen eines „heißen Herbstes“ auf der ganzen Linie gescheitert. Das war vorhersehbar und wurde von uns auch so eingeschätzt. Die deutsche Regierung versucht mit protektionistischen Maßnahmen und einigen Zugeständnissen der sozialen Wut zu begegnen. Auch wenn die diversen „Entlastungsprogramme“ der Regierung gemessen an ihren Versprechungen eine Mogelpackung sind, haben sie derzeit dennoch eine mildernde Wirkung. Besser wenig als gar nichts ist diesbezüglich die Haltung vieler Menschen. Die deutsche Bourgeoisie hat sich bis zum jetzigen Zeitraum erfolgreich Zeit gekauft. Die Frage ist zu welchem Preis und was passieren wird, wenn im nächsten Jahr die wirklichen Rechnungen für die gestiegenen Energiepreise bei den Menschen eintreffen. Angesichts der krisenhaften Entwicklungen auf der Welt (Klima, Krieg, Energiepreise) ist das gesellschaftliche Klima eher von einem weitverbreiteten Fatalismus und politischer Apathie geprägt. Nach wie vor ist die Suche nach individuellen Lösungswegen weit verbreitet.

Hinzu kommen die vielfältigen und komplexen politischen Konfusionen, die durch die Covid-Pandemie noch verstärkt wurden.

Spontane Eruptionen der Wut sind sicher jederzeit möglich. Die Frage ist nur, welche Potentiale sie entwickeln können. Angesichts des Fehlens glaubhafter und greifbarer Alternativen, mangelnder Kampferfahrungen –und Traditionen ist eher davon auszugehen, dass sich die Entwicklung von Klassenkämpfen in einem widersprüchlichen und langwierigen Prozess vollziehen wird.

Gruppe Internationalistischer KommunistInnen (im Dezember 2022)

Quelle: leftcom.org… vom 13. Januar 2023

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