Social Reproduction Theory: Marxismus oder feministische Sackgasse?
Aventina Holzer. Frauenstreiks, Proteste gegen Gewalt an Frauen und Aktionen für gleiche Bezahlung finden überall auf der Welt statt. Es ist kein Geheimnis, dass die Gründe für diese Proteste weiterhin existieren und sich teilweise verschärfen, und es ist essenziell, dass sich Gruppierungen mit diesen Themen beschäftigen und Bewegungen aufzubauen versuchen. Die Analysen, woher diese Probleme kommen, unterscheiden sich aber stark. Radikal-feministische Zugänge, die oft von einem losgelösten Patriarchat sprechen (ähnlich wie Vorstellungen im bürgerlichen Feminismus, obwohl dort viele nicht mal soweit gehen würden), haben in der Analyse zum Beispiel wenig mit sozialistisch-feministischen oder marxistischen Zugängen zu tun. Es ist wichtig, den Ursprung der Frauenunterdrückung zu analysieren, um ableiten zu können, welche Forderungen und Kämpfe nötig sind, um die jetzige Situation von sexistisch unterdrückten Menschen zu verbessern, aber andererseits auch dieses System als Ganzes zu überwinden. Denn es gilt: Kein Sozialismus ohne Frauenbefreiung, keine Frauenbefreiung ohne Sozialismus!
Social Reproduction Theory (Theorie sozialer Reproduktion; SRT) erhebt den Anspruch, die Unterdrückung der Frau auf einer materialistischen Ebene zu erklären. Es handelt sich um keine eigene Strömung, sondern eher eine theoretische und auch oft akademische Auseinandersetzung mit sozialer Reproduktion im Kapitalismus und, wie diese von „orthodoxer“ marxistischer Theorie abweicht oder sie weiterentwickelt. Sie versucht dabei auch, den Ursprung der Frauenunterdrückung in der Klassengesellschaft aufzudecken, der laut vielen TheoretikerInnen, die sich mit Social Reproduction Theory beschäftigen, auch von außerhalb dieser Sphäre herkommt und mit der Fähigkeit zu gebären zusammenhängt bzw. Frauen historisch in eine untergeordnete Rolle drängt.
Die Entwicklung der SRT hängt stark mit der des sozialistischen Feminismus zusammen, der in den 1970er Jahren als Antwort auf den Radikalfeminismus entstand. Beide Strömungen teilen die Kritik, dass die ArbeiterInnenbewegung zu diesem Zeitpunkt männlich dominiert ist und wenig Platz für „feministische“ bzw. Frauenkämpfe ließe. Auch wird oft (nicht immer, wie wir später sehen werden) die Auffassung vertreten, dass der Marxismus alleine Frauenunterdrückung nicht ausreichend erklären könne – viele RadikalfeministInnen würden ihn sogar ganz ablehnen. Trotz dieser Gemeinsamkeiten gibt es aber natürlich politische Abgrenzungen und unterschiedliche Vorgehensweisen. So sehen RadikalfeministInnen das Hauptproblem im Patriarchat und die Unterdrücker in den Männern, während der sozialistische Feminismus sich immer auch auf Klassengesellschaft und -unterdrückung bezieht und eine Art Hybrid zwischen Marxismus und Feminismus darstellt.
Auch wenn beide Zugänge sehr problematische Züge aufweisen, gibt es einen Grund, warum sie phasenweise einen starken Anhang genießen. Genauso wie Teile von Identitätspolitik und Queertheorie greifen sie auch reales Versagen der Führung der ArbeiterInnenbewegung, unterdrückten Menschen eine Stimme zu geben und ihre Kämpfe als gerechtfertigt zu sehen. Es ist klar, dass die Sozialdemokratie und der Stalinismus keinen guten Eindruck hinterlassen haben, wenn es um die Fragestellungen geht, wie man unterdrückte Personen, in diesem Fall Frauen, gewinnen und sie in die Organisationen einbeziehen kann.
Trotz berechtigter Kritik war der Versuch der sozialistischen FeministInnen, eine marxistische Synthese mit feministischen Positionen zu finden, nicht erfolgreich. Oft wurde neben der ökonomischen Unterdrückung noch ein davon losgetrenntes, tiefer liegendes oder in jedem Fall parallel zum Klassenwiderspruch existierendes soziales Verhältnis als eigentliche Ursache der Frauenunterdrückung verortet. Oft wird das unter dem abstrakten Begriff Patriarchat zusammengefasst und im schlimmsten Fall suggeriert, man könne dieses überwinden, ohne die ökonomische Ebene zu verändern und den Klassengegensatz zu überwinden. Patriarchale Strukturen gibt es auf jeden Fall, sie sind allerdings untrennbar mit dem jeweiligen System der Klassenausbeutung verwoben und ihre jeweiligen Ausformungen werden letztlich von der Struktur der Klassengesellschaft bestimmt, nicht umgekehrt. Beides baut aufeinander auf.
Wird das Verhältnis von Ausbeutung und Unterdrückung nicht korrekt bestimmt, kann das im schlimmsten Fall die Kämpfe der Unterdrückten spalten (Wie sollen Männer gegen eine systematische Unterdrückungsform kämpfen, zu der sie per Definition keinen Zugang haben oder in der sie ohne Unterschied ihrer Klassenposition sogar die Unterdrücker sind?). Sonst ist es aber auch eine Argumentation, die sehr schnell in Widersprüchen endet (Warum gibt es diese spezielle Ebene nur bei Frauenunterdrückung? Heißt das, andere Unterdrückungsformen haben auch andere Ursachen? Wie wird das dann argumentiert und was ist die materielle Basis dafür?). Schließlich ist der Behauptung eines neben dem kapitalistischen Ausbeutungsverhältnis parallel existierenden grundlegenden Unterdrückungs- oder Ausbeutungsverhältnisses in der realen Gesellschaft eine Tendenz zur Bildung klassenübergreifender Bündnisse aller Frauen immanent. Jede feministische Strömung – auch der sozialistische Feminismus – muss daher notwendigerweise den grundlegenden Charakter des Lohnarbeit/Kapitalverhältnisses relativieren.
Auch wenn der sozialistische Feminismus keinen qualitativen Bruch mit dem Radikalfeminismus vollzogen hat, war und ist seine Praxis in Bezug auf Frauenkämpfe etwas, worauf sich MarxistInnen beziehen und aus ihren Erfolgen, aber auch ihren Fehlschlägen lernen müssen. Ähnlich verhält es sich mit der SRT, die als Produkt der sozialistisch feministischen Bewegung entstanden ist. Lise Vogel, eine ihrer BegründerInnen, beschreibt diesen Prozess in ihrem 1983 erschienenen Buch „Marxism and the Oppression of Women – Toward a Unitary Theory“1 so:
„Dieses Projekt begann vor mehr als 10 Jahren. Wie bei vielen anderen Frauen in den späten 1960er Jahren fiel mein Engagement für die aufkommende Frauenbewegung mit meiner Entdeckung der marxistischen Theorie zusammen. Zunächst dachten viel von uns, man brauche die marxistische Theorie einfach nur zu erweitern, um sie für unsere Anliegen als Frauenbewegung nutzbar zu machen. Schnell merkten wir jedoch, dass dieser Zugang viel zu mechanisch war und vieles unbeantwortet ließ. Die marxistische Theorie, die wir vorfanden, und auch das sozialistische Vermächtnis an Werken zur Unterdrückung der Frauen bedurfte einer grundlegenden Umgestaltung. Einige wandten sich aufgrund dieser Erkenntnis vollständig vom Marxismus ab. Andere blieben bei dem Versuch, von der sozialistischen Theorie Gebrauch zu machen. Sie verfolgten nun das Ziel, die Unzulänglichkeiten der sozialistischen Tradition durch eine ,sozialistisch-feministische Synthese’ zu überwinden. Obwohl ich mit diesem Ansatz sympathisierte, verfolgte ich weiterhin das ursprüngliche Vorhaben, die marxistische Theorie zu erweitern. Dafür war es jedoch notwendig zu untersuchen, was marxistische Theorie überhaupt ist. Überdies machte mir eine gründliche Lektüre der wichtigsten Texte des 19. Jahrhunderts zur sogenannten ,Frauenfrage’ klar, dass die theoretische Tradition äußerst widersprüchlich ist. … Dennoch bin ich nach wie vor davon überzeugt, dass nicht sozialistisch-feministische Synthesen, sondern eine[r] Wiederbelebung der marxistischen Theorie in den bevorstehenden Kämpfen für eine Befreiung der Frauen als theoretische Orientierung am besten dient.“2
Vogel versucht also, in ihrer Auseinandersetzung mit sozialer Reproduktion den Marxismus weiterzuentwickeln und ihn nicht, wie viele andere, aufzugeben. Das ist auch der Ausgangspunkt ihrer Auseinandersetzung mit dem Thema.
Bevor wir uns allerdings weiter Lise Vogel widmen können, müssen wir einige Begriffe klären, da sie teilweise sehr unterschiedlich verwendet werden.
Soziale Reproduktion beschreibt in der marxistischen Terminologie zwei essenzielle Abläufe im Kapitalismus. Einerseits die Reproduktion der Ware Arbeitskraft. Menschen brauchen bestimmte Dinge (Schlaf, Essen etc.), um „sich selbst“ bzw. in diesem Fall eher ihre „Fähigkeit zu arbeiten“ reproduzieren zu können. Hierzu zählt natürlich auch die intergenerationale Reproduktion, also Kinder zu bekommen, die im weiteren Verlauf, ihre Arbeitskraft anbieten können. Andererseits beschreibt soziale Reproduktion auch die des Systems als Ganzem, also die Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft (unter anderem auch durch Ideologie). Die zwei Bedeutungen sind logischerweise nicht voneinander trennbar. Schließlich kann sich ein System, das auf Ausbeutung der Arbeitskraft basiert, auch nur selbst reproduzieren, wenn diese im Laufe der Zeit erneuert und seine Legitimität immer von Neuem bestärkt wird. In der SRT liegt aber der Hauptfokus auf der ersteren.
Gesellschaftlich notwendige Arbeit ist also gleichzeitig unter den zwei vorangehenden Bedeutungen zu sehen. Im Grunde ergibt sich der Unterschied im Rahmen des Verhältnisses von Lohnarbeit und Kapital daraus, dass die soziale Reproduktion zum einen vom Standpunkt des/der individuellen LohnarbeiterIn aus betrachtet wird, zum anderen vom Standpunkt der Gesamtklasse.
Notwendige Arbeit muss im kapitalistischen Produktionsprozess geleistet werden, um sich selbst zu reproduzieren (also der Teil des Arbeitstags, für den tatsächlich Lohn gezahlt wird). Alles was darüber hinausgeht, ist Mehrarbeit. Dies betrifft die Verhältnisse in der kapitalistisch vergesellschafteten Produktion. Nur in dieser Sphäre werden sowohl der (Tausch-)Wert der Arbeitskraft wie der Mehrwert, den sich das Kapital aneignet, erzeugt. Die Arbeit des/r Lohnabhängigen bei sich zuhause (Haus-, Erziehungs- und Sorgearbeit) ist ebenso notwendig wie nützlich, fügt der Arbeitskraft allerdings „nur“ Gebrauchswerte hinzu.
Im Folgenden wird für Reproduktionsarbeit auch häufig der Begriff Hausarbeit verwendet werden. Darunter fallen die unterschiedlichsten „Aufgaben“, die der Reproduktion der Ware Arbeitskraft dienen, wie Putzen, Kochen, aber auch Kindererziehung oder Sorgearbeit. Der Grund für die Zusammenfassung unter den Begriff Hausarbeit liegt darin, dass die besondere Stellung von Reproduktionsarbeit sehr stark damit zusammenhängt, dass sie einen Prozess darstellt außerhalb des unmittelbaren kapitalistischen Verwertungskreislaufs (in diesem Fall im häuslichen Rahmen). Reproduktionsarbeit, die kommerzialisiert, also in letzteren integriert wird, unterliegt ähnlichen bis gleichen Gesetzmäßigkeiten wie die in der kapitalistischen Produktion. Die Auseinandersetzung mit dem Thema sozialer Reproduktion versucht, den Ist-Zustand und das Entstehen von Frauenunterdrückung zu erklären. Deshalb wird der Fokus auf der Beschreibung der häuslichen Sphäre, biologischen Charakteristika der Frauenunterdrückung und Frauenkämpfen speziell liegen.
Die Arbeit von Lise Vogel umfasst zwei bedeutende Stärken, die ihren Ansatz positiv vom sozialistischen Feminismus oder jedenfalls von dessen Mainstream abheben. Erstens erkennt sie die zentrale Bedeutung der gegensätzlichen Stellung von Frauen aus der herrschenden und beherrschten Klasse an. Auch wenn es für die klassenübergreifende Solidarität eine „gewisse Basis“ in den Erscheinungsformen der Unterdrückung gibt (Gewalt gegen Frauen, rechtliche Diskriminierung, sexistische Ideologie), so gibt es einen fundamentalen Unterschied, der aus ihrer Stellung in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen den Klassen folgt: „Nur Frauen der untergeordneten Klasse beteiligen sich an der Aufrechterhaltung und Erneuerung der unersetzlichen Kraft, die die Klassengesellschaft am Laufen hält – der ausbeutbaren Arbeitskraft.“3 Die Frage der Reproduktionsarbeit bildet daher wesentlich eine für die proletarischen Frauen. Die Frauen aus den Mittelschichten und dem KleinbürgerInnentum nehmen eine Zwischenstellung ein. Für die Frauen aus der herrschenden Klasse existiert das Problem faktisch nicht, sie lassen auch in der Sphäre der Reproduktion andere (zumeist Frauen) für sich arbeiten.
Zweitens geht sie zurecht davon aus, dass in der bürgerlichen Gesellschaft die Kapitalakkumulation die Reproduktionsarbeit bestimmt. Deren Form, Zusammensetzung und innere Struktur „sind de facto direkt von der Entwicklung der kapitalistischen Akkumulation betroffen.“4 Damit kann sie erklären, warum unter bestimmten Bedingungen Frauen zurück an den Herd gedrängt, unter anderen wiederum deren Lohnarbeit im Gegenteil massiv ausgeweitet wird, warum also damit zusammenhängend die Hausarbeit auch im Kapitalismus partiell vergesellschaftet wird und warum also andererseits diese Prozesse unter veränderten Akkumulationsbedingungen tendenziell rückläufig sind.
Lise Vogel
In ihrem Buch versucht Lise Vogel, einen Grundstein für eine marxistische Auseinandersetzung mit sozialer Reproduktion zu legen. Bezeichnend ist, dass sie eine gängige Argumentation vom sozialistischen Feminismus dezidiert nicht mitträgt. Den Vorwurf, dass Marx geschlechtsblind sei und seine Kategorien deshalb nicht für die Erklärung von Frauenunterdrückung herbeigezogen werden können, lehnt sie ab. Sie versucht stattdessen, einerseits zusammenzutragen, welche Auseinandersetzung mit Frauenunterdrückung es in der marxistischen Theorie gab, andererseits daraus eine einheitliche marxistische Analyse abzuleiten.
Diese Herangehensweise verfolgen zwar nicht alle TheoretikerInnen der SRT gemeinsam, aber die Notwendigkeit, bei der Untersuchung der ökonomischen Umstände anzufangen, die ökonomische Basis zu durchleuchten, um Frauenunterdrückung wirklich zu verstehen, ist eine der größten Stärken dieses Ansatzes. Es wird versucht, die Produktionsverhältnisse als menschliche zu verstehen und dementsprechend auch Frauenunterdrückung auf diese Ebene zu heben und nicht eine „externe“ ökonomische, durch die Unterdrückung innerhalb der Klassengesellschaft verursachte, neben einer gesonderten, eigentlich („intrinsisch“) über der jeweiligen ausbeuterischen Produktionsweise stehende zu argumentieren.
Für Lise Vogel präsentieren sich die Schlussfolgerungen ungefähr so: Menschen haben die Fähigkeit, mehr Gebrauchswert zu produzieren, als sie für ihre Erhaltung brauchen – jedenfalls ab einer bestimmten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung. In einer Klassengesellschaft wird diese Fähigkeit zugunsten der herrschenden Klasse genutzt. Sie eignet sich das daraus resultierende Überschussprodukt, Surplus, an, das im Kapitalismus die Gestalt des Mehrwerts annimmt. Es braucht eine ausgebeutete Klasse, die ständig zur Verfügung steht, um ein System, das auf diesem Kreislauf aufbaut, zu erhalten. Diese muss sich aber natürlich erneuern (ArbeiterInnen leben nicht für immer), durch neue Arbeitskräfte ersetzt werden. Hier wird der Unterschied zwischen Mann und Frau ausschlaggebend. Frauen, die während sie schwanger sind, eine eingeschränkte Fähigkeit zum Arbeiten haben, schaffen einen Widerspruch für die herrschende Klasse. Einerseits möchte diese ihre Mehrwertaneignung maximieren, andererseits braucht sie auch diese Art Reproduktion, um langfristig ihre Klassenherrschaft aufrechtzuerhalten. Über die Klassenkämpfe, die diese Widersprüche aufzulösen versuchen, entstanden im Lauf der Geschichte viele unterschiedliche Formen der Reproduktionssphäre.
Lise Vogel analysiert einige historische Gemeinsamkeiten, die fast jede Klassengesellschaft teilt. Fast immer hängt es mit der Verantwortung des Mannes zusammen, für den materiellen Erhalt der Familie zu sorgen, und Frauen kommt die Aufgabe zu, einen größeren Teil der notwendigen Reproduktionsarbeit zu leisten. Diese Aufteilung resultiert in einer institutionalisierten Form von männlicher Dominanz über Frauen.
Sie weist auch darauf hin, dass der Ort der sozialen Reproduktion auch stark mit den gesellschaftlichen Bedingungen selbst unterm Kapitalismus schwankt. In einer Kriegssituation war es historisch gesehen öfter wichtig, Frauen in den Produktionsprozess zu ziehen und die Familie als Ort der familiären Reproduktion hintanzustellen, was sich aber je nach Situation auch wieder ändern kann. So ist die Familie sehr häufig Fixpunkt von sozialer Reproduktion, da damit auch eine starke ideologische Festigung (also Reproduktion des Gesellschaftssystems) einhergeht.
Die Familie als speziellen Ort der Hausarbeit leitet Lise Vogel aus ihrem Verständnis von notwendiger Arbeit her. Notwendige Arbeit ist, wie bereits erklärt, die Arbeit, die zur Reproduktion der Ware Arbeitskraft – im Kapitalismus – notwendig ist. Soweit, so gut. Die auf einer gesellschaftlichen Ebene notwendige, damit wertschaffende Arbeit, die ja Teile der Reproduktion umfasst, setzt sie aber auch in dieselbe Kategorie wie die individuell notwendige Arbeit im häuslichen Produktionsprozess. Der große Unterschied ist aber, dass für den einen Teil der notwendigen Arbeit ein Lohn gezahlt wird und für den anderen nicht. Diese Situation (Zahlen von Lohn und Separieren von Lohn- und Hausarbeit) läuft nun laut ihr auf das Wirken in speziellen Orten der Reproduktion und Hausarbeit abseits der eigentlichen Produktionssphäre hinaus – hier meistens der Familie.
Es handelt sich nicht um ein unabsichtliches Vermischen von individuellen Komponenten mit gesellschaftlichen, sondern um ein Verständnis, welches die sozialen Konsequenzen aus der notwendigen Trennung der Reproduktion von Lohnarbeit zwischen Produktions- und Heimsphäre aufzuzeigen versucht. Das sind die Ansätze von dem, was unter Social Reproduction Theory zu verstehen ist.
Lise Vogel speziell ist es ein großes Anliegen, mit ihren Ideen einen Anstoß für eine einheitliche Theorie der sozialen Reproduktion zu liefern. Sie versucht, diese Theorie, die Produktion und Reproduktion auf einer Ebene analysiert, gegen die „Zwei-System-Theorie“ durchzusetzen, die laut ihr von vielen sozialistischen FeministInnen vertreten wird. „Zwei-System-Theorie“ kann verstanden werden als Zugang, der vorher beschrieben wurde und sich durch eine gesonderte Ebene der Frauenunterdrückung auszeichnet, die losgelöst von der ökonomischen existiert.
Diese zwei Kernelemente machen die SRT auch für MarxistInnen so spannend. Auch wenn wir den Vorwurf nicht teilen würden, dass Marx „geschlechtsblind“ gewesen wäre, ist es kein Geheimnis, dass sich die marxistische Beschäftigung mit dem Thema soziale Reproduktion in Grenzen hält. Hier liegt es an uns, die Theorie weiterzuentwickeln und ein einheitliches Verständnis von Reproduktion und Produktion zu schaffen. Das geht aber auch nur mit den Methoden und Werkzeugen, die wir durch den Marxismus gelernt haben. Die Ausgangsanalyse von der ökonomischen Basis abhängig zu machen, ist also unerlässlich und nur darüber können wir die unterschiedlichen Facetten und Ausdrücke von Unterdrückung erkennen.
Es gibt allerdings auch genug Beiträge zur Social Reproduction Theory die die Fragestellung etwas anders beantworten, als Lise Vogel es tut.
Ein gutes Beispiel für die Fehlschlüsse einer Analyse der Social Reproduction Theory ist die Debatte rund um Bezahlung für Hausarbeit.
Mariarosa Dalla Costa/Selma James
Wenn Arbeitskraft die einzige Ware ist, die auch außerhalb der Produktionssphäre produziert wird, wirft das laut TheoretikerInnen der Social Reproduction Theory mehr Fragen auf, als beantwortet werden. Sie setzen den Punkt, dass es ja keine klare Grenze gibt zwischen der Sphäre der Produktion und Reproduktion, in der Arbeitskraft regeneriert, reproduziert wird, da dies ja auch nicht ausschließlich in der familiären Sphäre passiert.
Maria Rosa Dalla Costa und Selma James spitzen diese Fragestellung in ihrem gemeinsamen Werk „Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft“5 zu. Dies ist auf jeden Fall ein früher Beitrag zur SRT, wenn auch nicht so fundiert argumentiert wie bei Lise Vogel und in theoretischer Hinsicht dieser in vielen Bereichen direkt entgegengesetzt. Sie beschäftigen sich darin vor allem mit der Produktivität von Hausarbeit und der Rolle der Frau als Hausfrau („Alle Frauen sind Hausfrauen“). Was heißt das? Schafft Hausarbeit Wert bzw. Mehrwert?
Sie sagen: ja! Frauen reproduzieren die Ware Arbeitskraft, sind also an einer Steigerung des Mehrwerts beteiligt. Laut ihnen sind Produktion und Dienstleistungen zuhause Teile der produktiven Konsumtion des Kapitals. Frauen sind demnach ein eigenes revolutionäres Subjekt, schließlich sind ja auch alle Frauen Hausfrauen. Die Verschleierung der Hausarbeit als nichtproduktive Arbeit ist eines der Hauptprobleme für die Überwindung des Kapitalismus und die politische Organisierung dagegen ist notwendig. Dafür stellen sie die Forderung nach einer Bezahlung (Lohn) für Hausarbeit auf. Das soll Frauen in den ökonomischen Kampf ziehen und hierbei seien ja durch den produktiven Charakter der Hausarbeit auch dieselben Kampfmethoden möglich wie bei Kämpfen im Betrieb. Ganz im Sinne von: Die Welt steht still, wenn keine häusliche Reproduktionsarbeit mehr geleistet wird und ohne diesen politischen Kampf steht sie eben nicht still.
Wir widersprechen dieser Analyse. Hausarbeit schafft weder Mehrwert noch Tauschwert der Ware Arbeitskraft und verfügt dementsprechend nicht über dieselben Kampfmethoden und Taktiken, um das System in die Knie zu zwingen. Hierbei ist die Frage von privater Konsumtion essenziell. Marx schreibt:
„Die Konsumtion des Arbeiters ist doppelter Art. In der Produktion selbst konsumiert er durch seine Arbeit Produktionsmittel und verwandelt sie in Produkte von höherem Wert als dem des vorgeschoßnen Kapitals. Dies ist seine produktive Konsumtion. Sie ist gleichzeitig Konsumtion seiner Arbeitskraft durch den Kapitalisten, der sie gekauft hat. Andrerseits verwendet der Arbeiter das für den Kauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in Lebensmittel: dies ist seine individuelle Konsumtion. Die produktive und die individuelle Konsumtion des Arbeiters sind also total verschieden. In der ersten handelt er als bewegende Kraft des Kapitals und gehört dem Kapitalisten; in der zweiten gehört er sich selbst und verrichtet Lebensfunktionen außerhalb des Produktionsprozesses.“6
Die Frage, ob und wie Mehrwert geschaffen wird, entscheidet sich also einzig und allein im unmittelbaren kapitalistischen Produktionsprozess. Da die Reproduktion in der häuslichen Sphäre außerhalb dessen steht, braucht man eine besondere Analyse, um diese zu verstehen. Wie bereits erwähnt, besteht der Versuch der SRT darin, die Analyse von Produktion und Reproduktion auf dieselbe Ebene zu holen. Dalla Costa und James tun dies, indem sie beide einfach gleichsetzen. Das ist eine heftige Verkürzung der Problematik und spiegelt in keiner Form die Realität wider.
Oft wird die Bezeichnung „produktive“ bzw. mehrwertschaffende Arbeit in einem moralischen Kontext verwendet. Das ist aber natürlich nicht richtig. Wie kann es sonst sein, dass die exakt selbe Arbeit in privaten Krankenhäusern zum Beispiel Mehrwert schafft, die Carearbeit zuhause allerdings nicht? Es ist klar, dass die Arbeit in beiden Fällen Gebrauchswerte erzeugt. Ihr Unterschied liegt aber nicht in der bezahlten bzw. unbezahlten Form, sondern im unterschiedlichen Verhältnis zum Kapital. Arbeit für eine/n KapitalistIn z. B. als HaushälterIn ist zwar bezahlt, aber vermehrt nicht sein/ihr Kapital, sondern dient ihren/seinen persönlichen Genüssen und wird nicht aus Bestandteilen des fungierenden Kapitals alimentiert, sondern aus der davon abgezwackten Revenue. Sie ist wie die unbezahlte der Hausfrau Dalla Costas’/James’ kein Moment des Kapitalkreislaufs. Beide sind auch nicht unproduktiv im Marx’schen Sinn, denn diese schafft zwar ebenfalls keinen Mehrwert, dient aber im Kapitalkreislauf dem Formenwechsel Geld – Ware – Geld und speist sich in Form des Profits aus dem Mehrwert (kommerzielle Handels- und Geldgeschäfte). Sie sind nichtproduktiv statt unproduktiv, stehen außerhalb der kapitalistischen Produktionsweise im engeren Sinn.
Ein Streik bei der Hausarbeit schadet zuallererst den ArbeiterInnen selbst und erst viel später dem System. Ein Streik in der Produktionssphäre hält die Mehrwertproduktion dagegen sofort an und trifft unmittelbar, sofort die KapitalistInnen. Die Unterschiede liegen auf der Hand.
Die Debatte über Lohn für Hausarbeit wird auch positiv von reaktionärer Seite aufgegriffen. Ein Problem, das auch von Dalla Costa/James anerkannt wird, ist, dass eine Entlohnung der Hausarbeit Frauen weiter von der Lohnarbeit in den Unternehmen isolieren könnte und auch mehr ökonomische Anreize zum Rückzug daraus bieten würde (da Frauen dort meist schlechter bezahlt werden als Männer), Vollzeitlohnarbeit zu leisten, während Männer „arbeiten“ gehen. Frauen aus dem gemeinsamen ökonomischen Kampf herauszuhalten und weiter an die häusliche Sphäre zu ketten, ist etwas, was sich mit konservativen Zielen einfach kombinieren lässt.
Die Aussage „alle Frauen sind Hausfrauen“ hat eine gewisse Berechtigung in dem Sinne, dass allen diese Aufgabe im Kontext von „Geschlechterrollen zugeschrieben“ wird – in Wirklichkeit wird diese Arbeitsteilung durch das Wertgesetz beständig produziert und drückt sich in geschlechtlich unterschiedlichen Löhnen und Erwerbsbiographien aus. Damit soll die Doppel- bzw. Mehrfachbelastung von (haus-)arbeitenden) Frauen im Kapitalismus angesprochen werden. Andererseits suggeriert sie ein gemeinsames revolutionäres Subjekt, das auch über Klassengrenzen hinausgeht. Diese Doppelbelastung gilt aber nur für lohnabhängige Hausfrauen. Eine Kapitalistin unterliegt keiner solchen, wenn sie sich Leute aus dem Proletariat anstellt, um diese Arbeiten für sich verrichten zu lassen. Zeitgleich verneint diese Betonung auf Hausfrauen den Fakt (was auch sicher an den Unterschieden in der Zeitperiode liegt, in der das Buch geschrieben wurde), wie viele Frauen in Arbeitskämpfe involviert sind und als Hauptort ihrer Organisierung den Arbeitsplatz und eben nicht die häusliche Sphäre sehen. Die Forderung nach einem Lohn für Hausarbeit könnte für viele von diesen auch eine (aus ökonomischer Perspektive heraus argumentierte) Rückkehr in die häusliche Sphäre bedeuten, wo sie viel schlechter zu erreichen und langfristiger und schwerer zu organisieren sind. Außerdem handelte es sich bei einer solchen Bezahlung nicht um Lohn im Marx’schen Sinn, sondern um eine Transferleistung, die wie alles im Kapitalismus vorwiegend aus dem Lohnfonds aufgebracht werden muss (wie Sozialversicherungs-, Rentenleistungen und Steuern). Von daher ist die Losung doppelt falsch.
Demgegenüber stehen Forderungen nach Vergesellschaftung der Hausarbeit, also darauf hinzuarbeiten, dass nicht Einzelpersonen, Familien und vor allem Frauen zuständig für „häusliche, individuelle“ Subsistenz- und Reproduktionsarbeit sind, sondern Strukturen zu schaffen und zu fördern, die eine Aufteilung auf mehrere Hände und Köpfe ermöglichen. Gemeinsame Waschküchen, Gemeinschaftsräume, in denen es Kochmöglichkeiten gibt, Ablösung und Unterstützung bei der Kinder- und Angehörigenbetreuung mit dem langfristigen Ziel unterschiedsloser gesamtgesellschaftlicher, sozialisierter „Eltern- und Verwandtschaft“, sind dabei konkrete Ansatzpunkte.
Aber nur weil der Lohn für Hausarbeit keine sinnvolle Forderung ist, heißt das nicht, dass es nicht auch spezielle Methoden braucht, um Frauen (speziell, die in der individuellen Reproduktionssphäre gebundenen) in den politischen und ökonomischen Kampf hineinzuziehen. Hierbei kommen wir zu den aktuellsten Ausprägungen der SRT, zu den TheoretikerInnen der Frauenstreikdebatte.
Cinzia Arruzza, Tithi Bhattacharya und Nancy Fraser
Die prominenteste Protestform der internationalen Frauenbewegungen sind Frauenstreiks. Sie haben häufig unterschiedliche Ziele und setzen sich aus verschiedensten politischen Strömungen zusammen. Ihr Zweck ist es aber immer, auf bestimmte Missstände bezüglich der Gleichbehandlung von Frauen aufmerksam zu machen. In Lateinamerika ist die Bewegung vor allem auf den Stopp von Femiziden (Morden an Frauen „nur“ wegen ihres Geschlechtes) und Machismo („toxische Männlichkeit“) ausgelegt. In vielen europäischen Ländern sind die Proteste auf ungleiche Bezahlung von weiblicher Arbeit zugespitzt.
Die Autorinnen von „Feminismus für die 99 % – Ein Manifest“7 versuchen, eine antikapitalistische Perspektive in diese Frauenstreiks hineinzutragen, die eine Brücke zwischen Arbeitskämpfen und Identitätspolitik schaffen soll.
Dabei fokussieren sie sich auch stark auf soziale Reproduktionstheorie in ihrer Erklärung, warum es die unterschiedlichsten Unterdrückungsformen gibt, und versuchen, innerhalb ihrer Thesen einen Vorschlag für die Bewegung aufzustellen. Durch den manifestartigen Charakter wird auch hier wesentlich weniger in die Tiefe gegangen und viele der aufgestellten Theorien der AutorInnen werden nicht ausreichend erklärt.
Sie argumentieren, dass es zu einer neuen feministischen Welle kommt, die auch eine neue Art des Streikens einführt. Das kann unter anderem Entzug von Sex, Lohnarbeit und Lächeln inkludieren. Sie stellen also in ihrer Argumentation den Streik von LohnarbeiterInnen auf eine Ebene mit dem Frauenstreik, der sowohl lohnabhängige als auch nichtlohnabhängige Frauen umfasst. Sie meinen, durch diese Gleichsetzung wird die Diskrepanz aufgezeigt, wieviel Arbeit eigentlich zur Reproduktion momentan geleistet und wieviel davon eben nicht entlohnt wird. Für sie ist das der erste wichtige Schritt, um eine Brücke zwischen Klassen- und Identitätspolitik zu schlagen.
Dieser Zugang steht sehr stark in der Argumentationslinie von Dalla Costa/James, auch wenn die TheoretikerInnen von „Feminismus für die 99 %“ andere Forderungen aufstellen. Sie versuchen, die neue Kampfform des Frauenstreiks in einen Kontext mit den heftigsten Problemen des Kapitalismus zu bringen und dadurch eine Gesellschaftsanalyse aufzustellen.
Dafür entwickeln sie elf Kernthesen. Die wichtigsten (zusammengefasst) sind, 1) dass wir eine gesamtgesellschaftliche Krise durchleben, 2) Geschlechterunterdrückung in ihren Wurzeln durch die Unterordnung von sozialer Reproduktion unter (un)produktive Arbeit fürs Kapital verursacht wird, 3) der liberale Feminismus bankrott ist und es einen antikapitalistischen und 4) internationalen Zusammenschluss braucht. In ihrem Buch stellen sie auch viele der Thesen in einen Gegensatz zur bisher existierenden feministischen, aber auch zur ArbeiterInnenbewegung, die für sie vor allem eine männliche darstellt.
Der erste Punkt der gesamtgesellschaftlichen Krise versucht, Kapitalismus nicht nur als Wirtschafts-, sondern als Gesellschaftssystem zu enttarnen. Der Neoliberalismus spielt hierbei eine Rolle, genauso aber die unterschiedlichen Auswirkungen der Krise unter anderem bezüglich Reproduktionssphäre, aber auch Klima. Dass der Kapitalismus nicht nur eine rein ökonomische Kategorie ist, ist auch in der marxistischen Theorie eine wichtige Erkenntnis, allerdings ist die ökonomische Basis eine der relevantesten Triebfedern. Die zugrundeliegenden ökonomischen Mechanismen des Gesellschaftssystems führen zu vielen unterschiedlichen Problemen wie Umweltzerstörung oder Sexismus.
Die These, dass Geschlechterunterdrückung aus einer systematischen Unterordnung von sozialer Reproduktion unter (kapitalistische) Produktion resultiert, wird nicht genau erklärt. Die starke Aufspaltung in eine Produktions- und Reproduktionssphäre geht laut den AutoInnen mit deren ungleicher Bewertung einher (speziell durch den Akt der Nichtbezahlung letzterer). Diese spezielle Situation habe sich im Kapitalismus soweit verschärft, dass es eigentlich notwendig sei, den Klassenbegriff neu zu definieren und Klassenkampf immer mit Kampf um soziale Reproduktion zu verknüpfen. Eine (Moralische? Ökonomische? Die AutorInnen erklären das nicht wirklich) Gleichbewertung von Reproduktionsarbeit würde gleiche Beteiligung an den politischen Kämpfen und die Verbindung der Bewegungen ermöglichen. Was ist Klasse dann aber für sie? Sie sagen zwar, sie beziehen sich nicht auf einen „altmodischen“ Klassenbegriff, tun aber auch so, als wären Frauenbewegung und Klassenkampf zwei unterschiedliche tätige Subjekte – wobei in Wirklichkeit keines ohne das andere existieren kann. Hierbei betonen sie auch, dass der neue Feminismus ein klar intersektionalistischer sein muss, haben aber keine Vorschläge bzw. Programmatik anzubieten. „Gewiss, unser Manifest bietet keinen präzisen Entwurf einer Alternative, da diese nur aus den Kämpfen um ihre Verwirklichung hervorgehen kann.”8
Ihre Abwendung vom liberalen Feminismus hin zu einem antikapitalistischen ist ein enormer Fortschritt. Allerdings muss kritisch bilanziert werden, dass hierbei aufgrund der schwammigen Analyse nicht ausgeschlossen ist, dass es sich dabei um mehr als ein Lippenbekenntnis handelt. Das Manifest für die neue Welle der Frauenbewegung spricht nicht über eine nachkapitalistische Gesellschaft und lehnt „veraltete“ marxistische Ideen zu dem Thema ab. Es bleibt also unklar, was eigentlich die Perspektive ist und wie man dorthin kommen soll (abgesehen von Frauenstreiks). Dabei ist es natürlich essenziell, dass sie eine internationalistische Sichtweise einzunehmen versuchen, aber ohne Vorschläge, wie Internationalismus umzusetzen ist bzw. welche Strukturen es dafür braucht, bleiben diese Ideen ohne praktische Handlungsanweisung – sind also nicht umsetzbar.
Was für einen Feminismus vertreten die AutorInnen also genau? Eine Mischung aus sozialistischem Feminismus, moderneren queertheoretischen Ideen und Intersektionalitätsansatz mit ein bisschen – subjektivem – Antikapitalismus und SRT! Das Buch ist trotzdem ein interessanter Beitrag zu letzterer, da der Fokus auf Frauenstreiks, die momentan elementarste Kampfform in der Sphäre der Reproduktion, wichtig ist und bei vielen anderen vergessen wird.
Frauenstreiks sind ein fortschrittliches Element des Klassenkampfes. Werktätige Frauen, die versuchen, auch ihre nichtwerktätigen Geschlechtsgenossinnen in den Klassenkampf hineinziehen über ihre Forderungen und konkreten Handlungen, sind eine Bereicherung für den Klassenkampf. Obwohl natürlich gemeinsame Streiks von Lohnarbeitern und Lohnarbeiterinnen mehr Wirkung ausüben, kann der politische Kampf nicht mit rein ökonomischen Zielen gewonnen werden. Frauen in der häuslichen Sphäre können durch diese Protestform erreicht und die bestimmte frauenspezifische Unterdrückung insbesondere der Hausfrauen in proletarischen Familien kann thematisiert werden. Allerdings ist der Frauenstreik kein Selbstzweck, wie häufig argumentiert wird: Entzug von Zuneigung und emotionaler Arbeit kann sicherlich als Kampfform in ungleichen Beziehungen oder zum Selbstschutz dienen, ist aber in den seltensten Fällen eine gesellschaftspolitische.
Wer ist Subjekt der Frauenbefreiung?
Die Arbeiten von Lise Vogel und erst recht das Manifest „Feminismus für die 99 %“ enthalten jedoch beide eine zentrale Schwäche, wenn es darum geht, das Subjekt der Frauenbefreiung sowie der Verbindung dieses Kampfes mit dem gegen den Kapitalismus zu bestimmen. Korrekterweise stellt Vogel fest, dass die Frauenunterdrückung auf ihrer „besonderen Stellung … innerhalb der kapitalistischen gesellschaftlichen Reproduktion“9 fußt. Wie wir gesehen haben, weist sie auch jede Theorie zurück, die die Reproduktionssphäre als eine gesonderte, nicht von der Kapitalakkumulation bestimmte, begreift. Sie kommt an dieser Stelle der marxistischen Auffassung sehr nahe, die daraus herleitet, dass die arbeitenden Frauen eine Vorreiterinnenrolle im Kampf gegen Frauenunterdrückung spielen müssen, dass die Bildung einer proletarischen Frauenbewegung ein notwendiges Mittel im Befreiungskampf darstellt, sowohl um die Klassenunabhängigkeit der arbeitenden Frauen von allen bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kräften herzustellen wie auch um gegen Sexismus, Chauvinismus und männliche Privilegien innerhalb der ArbeiterInnenklasse vorzugehen.
Dies schließt Bündnisse mit Frauen anderer Klassen keineswegs aus. Insbesondere mit den Bäuerinnen und den radikalen, progressiven Frauen der Mittelschichten und aus dem KleinbürgerInnentum wird eine proletarische Frauenbewegung gemeinsame Kämpfe um demokratische und soziale Rechte führen müssen, was auch Aktionsbündnisse mit bürgerlichen Frauen (z. B. um gleiche politische Rechte, um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch) einschließt. Eine solche Taktik unterscheidet sich aber grundlegend von der Vorstellung einer klassenübergreifenden Frauenbewegung.
Die Analyse der Reproduktionsarbeit von Lise Vogel legt, auf den ersten Blick, eine solche Schlussfolgerung nahe. Sie zieht diese jedoch noch nicht. Vielmehr erfahren wir: „Der Mangel an Gleichheit ist die Grundlage der Frauenbewegungen, die Frauen aus unterschiedlichen Klassen und Schichten zusammenbringen.“10
Für sie existieren zwei Quellen der Frauenunterdrückung im Kapitalismus, nämlich eine auf ökonomischer Ebene, eine andere auf politischer. Mangelnde Gleichheit gilt ihr, im Gegensatz zu anderen Klassengesellschaften (!), als „ein Merkmal der Frauenunterdrückung in der kapitalistischen Gesellschaft.“11
Entscheidend für eine marxistische Analyse wäre hier jedoch zu bestimmen, wie sich die ökonomische und gesellschaftliche Basis der Frauenunterdrückung zur Ungleichheit verhält. Es bedarf eigentlich keiner großen Kunst zu erkennen, dass die politische, rechtliche Ungleichheit, die Diskriminierung, reaktionären Geschlechterrollen usw. den Überbau einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung darstellen und eine wirkliche Befreiung der Frau nur möglich ist, wenn der Kampf über den um gleiche bürgerlich-demokratische Rechte hinausgeht.
Vogel betrachtet die Kettung der Frau an die private Hausarbeit und die Ungleichheit in der politischen Sphäre als gleiche Strukturen oder gesellschaftliche Subsysteme, die die Frauenunterdrückung hervorbringen. Der Einfluss der falschen, strukturalistischen Lesart des Marxismus, von Althusser und Poulantzas ist hier unverkennbar, eine grundlegende methodische Schwäche ihres Buches, die sie mit den frühen Schriften der TheoretikerInnen des Linkspopulismus teilt.12 Sie wie die gesamte SRT fallen hier weit hinter die politischen Errungenschaften marxistischer TheoretikerInnen und der sozialistischen Frauenbewegung, einer Zetkin, Luxemburg oder Kollontai zurück, die alle auf einer Trennung von proletarischer und bürgerlicher Frauenbewegung beharrten. Vogel lässt uns hingegen mit einer klassenübergreifenden Bewegung zurück, die wie durch ein Wunder über den Kapitalismus hinausgehen soll.
„Diese Bewegungen (die Frauenbewegungen; Anm. d. Red.) unterscheiden sich durch ihre explizite oder implizite Interpretation von Gleichheit. Einige betrachten die Gleichheit zwischen Frauen und Männern als ein im Grunde zufriedenstellendes Ziel. Solche Bewegungen darf man zu Recht bürgerliche Frauenbewegungen nennen. Doch die Widersprüche des Spätkapitalismus werden wahrscheinlich auch diesen Frauenbewegungen zumindest zu einer gewissen Einsicht in den Unterschied zwischen bürgerlicher Gleichheit und tatsächlicher gesellschaftlicher Gleichheit verhelfen. Dies könnte für die Entwicklung einer Frauenbewegung, die sich zum Sozialismus hin orientiert, förderlich sein.“13
Warum die bürgerlichen Frauen im Spätkapitalismus den proletarischen näherstehen und zu kritischeren Positionen gedrängt werden sollen als die bürgerlichen Frauenbewegungen in vorgehenden Perioden, bleibt eine reine Wunschvorstellung, die im Buch nicht weiter begründet wird. Vogel unterstellt, dass die bürgerlichen Frauen ihr Klasseninteresse einfach hinter sich lassen könnten. Die Frauen der herrschenden Klasse werden ihre Privilegien, ihre herrschende Stellung, die auf der Ausbeutung der proletarischen Frauen (und Männer) gründet, niemals aufgrund einer „Einsicht“ aufgeben. Allenfalls werden einzelne mit den Männern und Frauen ihrer Klasse brechen.
Damit eine sozialistische Frauenbewegung entstehen kann, braucht es den Bruch mit allen Illusionen in bürgerliche und kleinbürgerliche Kräfte. Nur so können die Arbeiterinnen, die proletarischen Frauen eine eigene, führende Rolle im Kampf spielen. Während Vogel in ihrer Analyse der Reproduktion wichtige Schritte zu deren Verständnis liefert und die Notwendigkeit einer proletarischen Frauenbewegung eigentlich nahelegt, bricht sie mit dieser Analyse aufgrund ihres strukturalistischen Verständnisses von Kapitalismus. Politisch führt ihre Verteidigung klassenübergreifender Frauenbewegungen in keine sozialistische Richtung, sondern zur Unterordnung unter den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Feminismus. In der Subjektfrage treten die Schwächen der SRT nicht nur bei Vogel, sondern erst recht im „Feminismus der 99 %“14 deutlich zutage. Wenn die neue Frauenbewegung zu einer wirklich sozialistischen, internationalistischen und revolutionären Kraft werden soll, muss sie diese Schwächen hinter sich lassen.
Fazit und Ausblick
Ein Großteil unseres Textes beschäftigt sich mit fehlerhaften Schlussfolgerungen der SRT aus dem einfachen Grund, dass klar herausgefiltert werden muss, auf welchem Fundament man weiterbauen kann. Die Auseinandersetzung mit sozialer Reproduktion muss eine kontinuierliche sein. Es ist notwendig, mit theoretisch falschen Schlussfolgerungen so früh wie möglich zu brechen.
Es ist in der Tat so, dass SRT der Einstiegspunkt für die fortschrittlichsten feministischen Kräfte darstellt. Auch wenn „Feminismus für die 99 %“ sicher keine marxistische Perspektive aufzeigt, ist die Intention, eine antikapitalistische Losung in die Frauenstreikbewegung hineinzutragen, etwas, worauf wir aufbauen müssen und können.
Die Abgleitflächen sind auch wichtig zu beachten. Bei oberflächlicher Auseinandersetzung liegt die Schlussfolgerung sicher nahe, eine eigene Ebene der Frauenunterdrückung heraufzubeschwören, die eines gesonderten Kampfes von Frauen bedarf und nicht mit der historisch-dialektischen Methode des Marxismus erklärt werden zu können scheint. Auch ist, wie anfangs erwähnt, der Zugang, über feministischen Sozialismus den Marxismus weiterentwickeln zu wollen, unzureichend und endet in der gleichen methodischen Weggabelung. Dafür ist jedoch v. a. die Entstellung der klassischen marxistischen Lehren durch Sozialdemokratie, Stalinismus und etliche zentristische Strömungen verantwortlich, die sie im wahrsten Sinne des Wortes wie einen toten Hund behandelt und vollständig verdreht haben.
Das Verstehen von sozialer Reproduktion ist klarer Weise theoretische Voraussetzung für die Überwindung der Unterdrückung der Frau. Die kritische Auseinandersetzung mit Autorinnen wie Lise Vogel und deren Analyse stellt dabei einen wichtigen Anknüpfungspunkt dar, diesen Bereich besser auszuleuchten, zu verstehen und weiterzuentwickeln, aber die Frage der Befreiung der Frau lässt sich nicht allein darüber beantworten.
Kapitalistische Tendenzen, die Einbeziehung der Frau in die Lohnarbeit, der spezielle Charakter der Doppel- oder Mehrfachbelastung, sexistische Unterdrückung von Inter-, Trans- und nichtbinären Personen sind alles Erscheinungen, die Antworten brauchen, die über das reine Verstehen von sozialer Reproduktion hinausgehen. Wie Vogel auch argumentiert, gibt es einen Widerspruch zwischen der Steigerung des Mehrwerts, der Ausdehnung der Lohnarbeit u. a. durch Einbezug von Frauen in die Produktion und der Zeit, die in notwendige Reproduktionsarbeit gesteckt werden muss. Die Lösung davon ist natürlich (meistens) kein bewusster, sondern ein ideologisch verschleierter Prozess im Kapitalismus, der viele zusätzliche Probleme schafft. Nicht alle Frauen sind in derselben Form in Reproduktionsarbeit involviert. Es ist also vor allem eine Untersuchung notwendig, die die ökonomischen Ursprünge der Frauenunterdrückung in der Geschichte aufdecken soll und unser Verständnis von der kapitalistischen Wirtschaft und der aller vorhergehenden Gesellschaftsformationen stärkt.
Endnoten
1 Pluto Press, London u. a. 1983
2 Vogel, Lise: a. a. O., ; S. ix; auf Deutsch: Marxismus und Frauenunterdrückung – Auf dem Weg zu einer umfassenden Theorie, Unrast-Verlag, Münster/Westf. Oktober 2019, 1. Auflage, S. 23. Hiernach auch im Folgenden zitiert
3 Ebenda, S. 214
4 Ebenda, S. 220 (Fußnote 3)
5 Dalla Costa, Mariarosa; James, Selma, Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, Merve Verlag, Internationale Marxistische Diskussion 36, Berlin/West 1973
6 Marx, Karl: Das Kapital Bd.1, 21. Kapitel, MEW 23, Dietz Verlag, Berlin/Ost 1971, S. 596f.
7 Arruzza, Cinzia; Bhattacharya, Tithi; Fraser, Nancy, Feminismus für die 99 % – Ein Manifest, Matthes & Seitz, Berlin 2019
8 Ebenda, S. 102
9 Vogel, Lise, a. a. O., S. 238
10 Ebenda, S. 241
11 Ebenda, S. 239
12 Vergleiche dazu unsere Kritik an Laclau/Mouffe: Suchanek, Martin, Sackgasse Linkspopulismus. Eine Kritik der Theorien von Laclau und Mouffe, in: Revolutionärer Marxismus 50, Verlag Global Red, Berlin 2018, S. 172 – 235
13 Vogel, Lise, a. a. O., S. 241
14 Siehe dazu: March, Urte (Red Flag Britain), Feminism for the 99 %, in: Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Nr. 8, Berlin 2020
Quelle: Revolutionärer Marxismus 53… vom 22. Dezember 2020
Tags: Arbeiterbewegung, Arbeitswelt, Frauenbewegung, Friedrich Engels, Marx, Politische Ökonomie, Strategie
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